Hetzende Körperschaft

Flugblatt der Zeugen Jehovas: Das Ende der falschen Religion ist nahe

Auch als frischgebackene Körperschaft des öffentlichen Rechts zeigt die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gegenüber ihrer Umgebung nur schroffe Abgrenzung. In den vergangenen Wochen wurden von den Zeugen im so genannten Predigtdienst an den Haustüren in großer Zahl Faltblätter mit dem Titel „Das Ende der falschen Religion ist nahe!“ verteilt. Text und Bildersprache bilden eine Einheit und sind in keiner Weise dazu geeignet, zu Verständigung und gegenseitiger Achtung unter den Bürgern verschiedener Glaubensbekenntnisse in Deutschland beizutragen. Statt dessen enthalten sie verzerrende Hasspolemik. Die Art und Weise der Argumentation ist dabei nicht nur unsachlich und suggestiv, sondern kann bei nüchternem Nachdenken auch auf die Betreiber zurückfallen. Darum lohnt sich eine etwas eingehendere Betrachtung.

Ohne sie im Text beim Namen zu nennen wird durch den Text in Verbindung mit den Bildern ein Zerrbild der christlichen Kirchen entworfen. Vor dem HintergrFlyerund eines Generals und eines Maschinengewehres sieht man einen Friedhof und einen Menschen im Chorhemd, wie sie vor allem von katholischen Priestern getragen werden. Auf der rechten Seite sieht man hinter seltsamen vielköpfigen roten Säbelzahnleopardenochsen, welche offenbar das „Tier“ aus der Johannesapokalypse darstellen sollen, eine Collage aus Kirchen verschiedenster Baustile und Konfessionen. Damit ist das Feindbild deutlich gemacht.

Als Merkmale der „falschen Religion“ wird genannt, dass sie sich in Kriege und Politik einmische, unwahre Lehren verbreite und Unmoral toleriere. Zum Beleg wird ein „sehr bekannter Geistlicher in den Vereinigten Staaten“ zitiert, der erklärt habe, man müsse Terroristen alle umbringen: „Legt sie alle um im Namen des Herrn.“ - ohne diesen „sehr bekannten Geistlichen“ beim Namen zu nennen oder etwa sogar eine Quelle anzugeben, anhand derer man eine solche Aussage auf ihren Realitätsgehalt überprüfen oder auch nur einordnen könnte. Dass eine solche Äußerung nicht die Lehre und die offiziellen Positionen der christlichen Kirchen wiedergibt, ist mit Sicherheit auch den Zeugen Jehovas bekannt. Dass sie dennoch in solcher Weise zur Falschdarstellung benutzt wird, ist kein Ausweis christlicher Wahrheitsliebe und zeigt einen Widerspruch zu den in 1. Joh 4,20 und Mt 5,44 formulierten biblischen Prinzipien der Bruder- und Feindesliebe. Mit dieser Methode ließen sich leicht ebenso problematische Äußerungen, die irgendein Zeuge Jehovas irgendwo in der Welt getätigt hat, gegen die Organisation einsetzen, ohne dass dies der Wahrheit weiterhelfen würde.

Zum Stichwort Unmoral wird die Möglichkeit angeprangert, dass in manchen Ländern Homosexuelle Geistliche werden können. „Selbst Kirchen, in denen Unmoral verurteilt wird, haben in ihren Reihen Geistliche toleriert, die Kinder sexuell missbraucht haben.“ Darauf kann man nur biblisch antworten: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ (Joh 8,7) Sexueller Missbrauch ist ein schweres Verbrechen das rückhaltlose Aufklärung verlangt. Leider sind die Zeugen Jehovas selbst nicht so frei von diesen Problemen, wie sie es selbst gerne hätten und in der Öffentlichkeit darum krampfhaft versuchen, die gute Fassade zu wahren. Dadurch besteht aber die Gefahr, dass die Fälle, die es innerhalb der Religionsgemeinschaft ebenfalls gibt, vertuscht werden und eben nicht vor Gericht gestellt und zur Aufklärung gebracht werden. Die Initiative Silentlambs beschäftigt sich speziell mit solchen Fällen.1

Auf der zweiten Seite des Faltblattes wird aus den Bildern der Johannesapokalypse, die vor dem Hintergrund des römischen Imperiums geschrieben wurden, eine politische Zukunftsschau herausgelesen. Die Charakterisierung der „falschen Religion“ wird hier merkwürdig schillernd. Mal heißt es, diese sei ein weltweites Religionsgebilde, dann wiederum, sie sei „nicht eine bestimmte Religion, sondern sämtliche Religionen, die schlechte Früchte hervorbringen“. Danach wird aber doch wieder nur in der Einzahl von der falschen Religion gesprochen. Die Ansage der Vernichtung der falschen Religion durch die politischen Machthaber im Auftrag Gottes gipfelt in der Aufforderung: „Jetzt ist die Zeit, aus der falschen Religion zu fliehen! Aber wohin? Nicht in den Atheismus, denn seine Aussichten sind ebenfalls düster (2. Thessalonicher 1:6-9). Der einzige Zufluchtsort ist in der wahren Religion zu finden.“ Die letzte Seite widmet sich der Beschreibung dieser „Wahren Religion“ der Zeugen Jehovas.

Insgesamt zeigt dieses Faltblatt wieder einmal in erschreckender Weise, welchen Realitätsverlust Zeugen Jehovas in Kauf nehmen und welche Mühen sie auf sich nehmen, um diese Weltsicht zu verteidigen, damit sie ihr Selbstbild als der einzigen wahren und Gott wohlgefälligen Organisation auf Erden aufrecht erhalten können.

Man könnte ohne große argumentative Mühe die von den Zeugen Jehovas genannten Kriterien wahrer und falscher Religion aufnehmen, und mit anderen Beispielen füllen, so dass die Rollen umgekehrt zugewiesen werden. Aber es bringt nichts, die Auseinandersetzung mit diesen Mitteln zu führen. Wichtiger scheint es, wo es möglich ist, im persönlichen Gespräch zu versuchen, solche Zerrbilder aufzulösen, selbst wenn dies oft eine sehr schwere Aufgabe darstellt.

Harald Lamprecht

1. http://www.silentlambs.org ; deutsche Übersetzungen mancher Texte sowie weiteres Material sind auf http://www.sektenausstieg.net/index.php?Itemid=81 zu finden.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/51

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2006 ab Seite 07