Die anderen Religionen und der Dschihad

Was bedeutet „Heiliger Krieg“ im Islam?

Übersicht


Der Islam ist eine Weltreligion. Das bedeutet nicht nur, daß er über die gesamte Welt verbreitet ist, sondern auch, daß er mit dem Anspruch der Gültigkeit seiner Lehren für alle Menschen der Welt auftritt. Dazu gehört die Mission, die im arabischen mit dem Wort „Dschihad“ bezeichnet wird, und oft als „Heiliger Krieg“ übersetzt wird. Was hat es damit auf sich?

Zunächst ist ein Blich auf das Verhältnis des Islam zu anderen Religionen sinnvoll.

Die Stellung zu den Schriftbesitzern

Am Anfang seines Wirkens in seiner Heimatstadt Mekka trat Muhammad gegen den altarabischen Polytheismus als radikaler Vertreter des Eingottglaubens (Monotheismus) auf. In diesem Bestreben wußte er sich mit Juden und Christen verbunden und er hegte die Hoffnung, sie würden sich seiner Offenbarung anschließen. Aus dieser Zeit resultieren die frühen Aussagen im Koran, die toleranter sind als spätere. Dort heißt es z. B.

„Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion“ (109,6)

und es gilt der Grundsatz

„In der Religion gibt es keinen Zwang.“ (2,256)

Den „Schriftbesitzern“, also Juden und Christen, gewährt der Koran Toleranz.

Als Muhammad in Medina Aufnahme gefunden hatte, gelang es ihm, die verfeindeten Stämme unter dem Gedankten der „Umma“ zu einen. „Umma“ (=„Gemeinde“) ist die umfassende Gemeinschaft aller Muslime. In ihr ist der gemeinsame Glaube wichtiger als Stammesbande und Einzelinteressen. Die Umma bildet für den Islam das Bild einer idealen Gemeinschaft. Sie ist religiöse wie politische Gemeinschaft. Ursprünglich gehörten zur Umma nur Araber, es konnten aber auch Fremde integriert werden, die zum Islam übertraten. Das erklärte Ziel des Islam ist es, möglichst viele Menschen in die Umma zu integrieren, die „Gemeinde Gottes“.

Allerdings mußte er die Erfahrung machen, daß die Juden und auch die vereinzelten Christen in Medina sich keineswegs seiner Offenbarung anschließen wollten. Dies änderte sein anfangs positives Verhältnis. Die Gebetsrichtung wurde von Jerusalem um 180 Grad nach Mekka gewendet und der Vorwurf erhoben, die anderen hätten ihre Schriften gefälscht, da sie ursprünglich mit Koran übereinstimmend gewesen seien. (Deutlich wird, dass schon damals die Einstellung von der aktuellen politischen Situation abhängig war.)

Schriftbesitzer gelten nicht als „unwissend“ wie die Heiden, dennoch hätten ihre Schriften Mängel, die erst durch den Koran beseitigt werden. Innerhalb des islamischen Staates bildeten die „Schriftbesitzer“ besondere Gruppen: die Dhimmi (Schutzbefohlene). Ihnen war zugestanden:

  • Leben,
  • Eigentum,
  • Wahl des Aufenthaltsortes
  • Regelung von Heirat, Erbschaft, Eigentum, Handel
  • Recht, die Gerichte anzurufen
  • Schutz der Kultorte

Als Gegenleistung wurde die Abgabe einer Kopfsteuer erhoben, wie es in Sure 9 (Die Reue), 29 ausgedrückt wird:

Kämpfet wider jene von denen, welchen die Schrift gegeben ward, die nicht glauben an Allah und an den Jüngsten Tag und nicht verwehren, was Allah und Sein Gesandter verwehrt haben, und nicht bekennen das Bekenntnis der Wahrheit, bis sie den Tribut aus der Hand gedemütigt entrichten.

Oft waren in der Geschichte islamische Staaten mehr an diesen Steuern als an Übertritten interessiert, was einerseits zu erhöhter Toleranz, andererseits auch zu Übertritten aus wirtschaftlichen Gründen führte. Aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten konnten Schutzbefohlene Juden und Christen vereinzelt bis in hohe staatstragende Amter aufsteigen. Deutlich ist die pragmatische Komponente der Toleranz. In Krisenzeiten konnte es aber auch immer wieder zu Übergriffen kommen.

Anders steht es mit den „Heiden“. Über den Umgang mit ihnen heißt es z. B. in Sure 47,4:

Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt; dann schnüret die Bande. (5) Und dann entweder Gnade oder hernach Loskauf, bis der Krieg seine Lasten niedergelegt hat. Solches! Und hätte Allah gewollt, wahrlich, Er hätte selber Rache an ihnen genommen; jedoch wollte Er die einen von euch durch die anderen prüfen. Und diejenigen, die in Allahs Weg getötet werden, nimmer leiter Er ihre Werke irre.

Der Dschihad

Üblicherweise wird der Begriff „dschihad“ mit „Heiliger Krieg“ übersetzt. Dies bedeutet eine gewisse Einengung auf militärische Expansion zum Zweck der Mission für den Islam. Das kann zwar auch damit ausgedrückt sein, ist aber nur ein Teil der Bedeutungsbreite. Djihad meint „bemühen“, „kämpfen“, „streben“, „eifern“ und ist oft mit dem Zusatz „für die Sache Gottes“ versehen.

Der Begriff „Heiliger Krieg“ ist insofern irreführend, da mit „dschihad“ kein räumlich und zeitlich begrenztes konkretes militärisches Unternehmen gemeint ist (wie es z.B. die Kreuzzüge waren). Für Krieg und Kampf als militärische Auseinandersetzung gibt es andere arabische Worte. Es steht vielmehr für die Gesamtheit des islamischen Missionsbemühens.

Seit dem 8. Jhd. hat sich die Vorstellung einer Zweiteilung der Welt ausgeprägt:

  1. Das Gebiet des Islam bzw. Gebiet des Friedens (dar al-islam)
  2. Das Gebiet des Krieges (dar al-harb), d.h. das Gebiet, das noch nicht Islamgebiet ist.

Dschihad ist nun das Engagement für die Sache Gottes mit dem Ziel, das Gebiet des Krieges in das Gebiet des Friedens zu führen, was also erst erfolgt ist, wenn alle Menschen den Glauben an Gott (=Allah) angenommen haben und bezeugen, daß Muhammad sein Gesandter ist.
Der Einsatz für die Sache Gottes hat demzufolge in der Regel eine Spitze gegen die Ungläubigen, wie es z.B. auch aus Sure 25,52 hervorgeht:

So gehorche nicht den Ungläubigen und eifere wider sie mit ihm [dem Koran] in großem Eifer.

Für dieses Eifern auf dem Weg Gottes gibt es nun verschiedene Formen. Es kann für den einzelnen Glaubenskämpfer im Rahmen eines (weltlichen) Krieges stattfinden, es kann aber auch andere, friedliche Formen haben. (Einen Missionsauftrag kennt das Christentum auch, aber er ist – trotz einzelner anderer Ereignisse in der Geschichte – nicht mit der Anwendung von Gewalt verbunden, im Gegenteil).

Die entscheidenden Koranstellen für ein stärker aggressives Verständnis des Dschihad befinden sich in Sure 9:

(41) Ziehet aus, leicht und schwer, und eifert (djihad) mit Gut und Blut in Allahs Weg. Solches ist besser für euch, so ihr es begreifet.

(19) Setzt ihr etwa das Tränken des Pilgers und den Besuch der heiligen Moscheen gleich dem, der da glaubt an Allah und an den Jüngsten Tag, und der da eifert in Allahs Weg? Nicht sind sie gleich vor Allah; und Allah leitet nicht das sündige Volk. (20) Diejenigen, welche gläubig wurden und auswanderten und in Allahs Weg eiferten mit Gut und Blut, nahmen die höchste Stufe bei Allah ein. Und sie, sie sind die Glückseligen. (21) Es verheißet ihnen ihr Herr Barmherzigkeit von ihm und Wohlgefallen, und Gärten sind ihnen, in denen beständige Wonne. (22) Verweilen sollen sie in ihnen ewig und immerdar. Siehe, Allah – bei Ihm ist gewaltiger Lohn.

Dschihad meint also den Einsatz für den Islam, sei es mit Vermögen oder dem Leben (mit Gut und Blut).

Da es im Islam keine Trennung zwischen Religion und Staat gibt, ist auch der Krieg immer ein religiöser Krieg, auch wenn er staatlichen Interessen dient. Die frühen Kämpfe zur Ausbreitung des Islam waren in erster Linie keine Religionskriege, sondern dienten wirtschaftlichen und politischen Zielen. Die Verbreitung des Islam war davon allerdings nicht zu lösen.

Für den Dschihad als kriegerische Auseinandersetzung galten die Regeln aus Sure 2,190ff:

(190) Bekämpft in Allahs Pfad, wer euch bekämpft, doch übertretet nicht; siehe, Allah liebt nicht die Übertreter. (191) Und erschlagt sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wannen sie euch vertrieben; denn Verführung ist schlimmer als Totschlag. Bekämpft sie jedoch nicht bei der heiligen Moschee, es sei denn, sie bekämpften euch in ihr. Greifen sie euch jedoch an, dann schlagt sie tot. Also ist der Lohn der Ungläubigen. (192) So sie jedoch ablassen, siehe, so ist Allah verzeihend und barmherzig. (193) Und bekämpft sie, bis die Verführung aufgehört hat, und der Glauben an Allah da ist. Und so sie ablassen, so sei keine Feindschaft, außer wider die Ungerechten.

Der Dschihad

  • darf nicht von persönlichen Interessen geleitet sein
  • muß dem Schutz der Religion und der Allgemeinheit dienen
  • es darf dabei nicht „übertrieben“, d.h. aus Rache getötet werden

Es wird von den Koranauslegern betont, daß der Koran den Dschihad nicht als „heiligen“ Krieg auffasst, sondern als Verteidigungskrieg und ein notwendiges Übel. In den Zeiten nach Muhammad habe er aber einen anderen Stellenwert bekommen und habe oft zur religiösen Weihe politischer oder wirtschaftlicher Auseinandersetzungen geführt.

In neuerer Zeit kann der Begriff „Dschihad“ für verschiedene Arten als „gerecht“ angesehener Kämpfe verwendet werden:

  • für Befreiungskämpfe von Kolonialmächten
  • der Kampf gegen Israel (obwohl die Juden zu den Schriftbesitzern zählen!)
  • Kampf gegen ungerechte eigene Herrscher
  • Kampf gegen soziale Mißstände und für wirtschaftliche Aufbauprogramme
  • besonders aber wenn nicht-islamische Einflüsse eine Bedrohung darstellen oder Fremdmächte islamisches Gebiet besetzen.

Wichtig für die Motivation zum Dschihad ist der Glaube daran, daß die Welt verbessert werden kann. Unter der Herrschaft der rechten Religion – so die Überzeugung – werden sich alle bestehenden Verhältnisse bessern. So kann in der religiösen Eroberung ein göttlicher Auftrag gesehen werden. Die Formel von der „gerechten islamischen Gesellschaft“ ist Ausdruck dafür. Für dieses Ziel ist man bereit, auch an sich negative Mittel, wie z. B. Krieg, in Kauf zu nehmen, um zu einer besseren Zukunft zu führen und darin die gottgewollte Ordnung zu verwirklichen.

In der Gegenwart wird die aggressive und kriegerische Interpretation des Dschihad vor allem von fundamentalistischen und traditionalistischen Gruppierungen vorgenommen. Nicht selten vermischen sich dabei nichtreligiöse Faktoren mit den dem Islam innewohnenden Motiven. Dazu gehören z. B.:

  • Soziale Spannungen und wirtschaftliche Entwicklungsprobleme in vielen Ländern des Nahen Ostens. Die „westliche Überfremdung“ oder der „drohende Zionismus“ werden als äußere Faktoren gern als Begründungen dafür akzeptiert.
  • Die Kolonialzeit hat in vielen Ländern ein starkes Nationalgefühl hervorgebracht, verbunden mit einem großen Stolz auf die vorkoloniale Kultur. Gerade ärmere Schichten lassen sich relativ leicht zur Verteidigung einer glorifizierten Gruppennorm fanatisieren.
  • Das Militär hat in vielen Ländern eine vorrangige Stellung und genießt weithin große Autorität. Für viele bedeutet eine soldatische Karriere die einzige Möglichkeit zu sozialem Aufstieg.

Demgegenüber ist aber festzuhalten, daß die Mehrzahl der Rechtsgelehrten und Schulen die friedliche Seite des Dschihad betonen. Hier wird die Missionsbemühung literarisch als Dschihad mit der Zunge oder der Schreibfeder gedeutet. Auch eine Verinnerlichung gibt es, die einen „kleinen“ vom „großen Dschihad“ unterscheidet. Die Opferung von Gut und Leben im Kampf ist lediglich der kleine Dschihad, während der große Dschihad der Kampf gegen die eigenen Fehler und schlechten Eigenschaften darstellt. Solch einen Dschihad kann jeder leisten, indem er sich bemüht, Gott den geschuldeten Gehorsam zu erweisen und seine Gebote zu beachten. So ist der Dschihad ein wichtiger Bestandteil der Rechtgläubigkeit und eine Pflicht, die mit Vergebung der Sünden und Eintritt in das Paradies belohnt wird.

 


Andere Darstellungen zum Dschihad:

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/67