Brahmas Töchter in Dresden

Brahma Kumaris im Gespräch mit dem Evangelischen Bund Sachsen

Indische Religiosität hat viele Gesichter. In Gestalt von Brahma Kumaris ist eine besondere Form hinduistisch beeinflusster Religionsausübung auch in Dresden präsent. Mit verschiedenen Veranstaltungen versucht die Gruppe auf sich aufmerksam zu machen. Die Selbstbezeichnung „Schule für Raja Yoga und Meditation“ knüpft an Begriffe an, die in einer nach Entspannung und dezenter Spiritualität suchenden Gesellschaft geläufig sind. Grund genug für die Arbeitsgemeinschaft Religiöse Gemeinschaften des Evangelischen Bundes Sachsen, sich mit Vertretern von Brahma Kumaris zu treffen, um mehr über diese noch vergleichsweise unbekannte Gemeinschaft zu erfahren.


Geschichte

Auch wenn in der gegenwärtigen Organisation von Brahma Kumaris vor allem Frauen das Sagen haben – was eine religionsgeschichtliche Besonderheit darstellt – wurde die Bewegung von einem Mann gegründet. Ab 1936 hatte der Diamanthändler Lekhraj Khubchand Kripalani[1] (1876-1969) in Hyderabad (heute Pakistan) Visionen und Eingebungen bekommen. Diese Erfahrungen bewegten ihn, sein nicht geringes Vermögen der spirituellen Arbeit zu widmen. In relativ kurzer Zeit sammelte er ca. 300-400 Personen um sich, wobei es zu starken gesellschaftlichen Ausgrenzungen der neuen Gruppe gekommen sein soll. Die Gruppe zog daraufhin nach Karatschi. Aus der Sicht von Brama Kumaris wird die Abgrenzung von der Umgebung vor allem damit begründet, dass einige der Lehren den gängigen hinduistischen Vorstellungen und die Praktiken nicht den gesellschaftlichen Gepflogenheiten entsprachen. So wird z.B. das Kastensystem abgelehnt und Frauen wird eine besondere Rolle zugesprochen. Einen bedeutenden Anteil wird auch die sexuelle Enthaltsamkeit in der Gruppe gehabt haben, die sich auch auf die verheirateten Frauen erstreckte. Wer die Dynamik neu entstehender religiöser Bewegungen vergleicht, wird immer wieder feststellen, dass Ab- und Ausgrenzung selten völlig einseitige Prozesse darstellen. Über 13 Jahre lebte „Dada“ Lekhraj mit seiner Gemeinschaft als relativ geschlossene Gruppe. Zu Gemeinschaft gehörten damals neben einigen Älteren auch viele sehr junge 15-20jährige Mädchen, die ihn als „Brahma Baba“ verehrten. Aber auch ein größeres Vermögen ist nicht endlos. Als der Gruppe das Geld knapp wurde, folgte eine Öffnung. Etliche gingen zurück in ihre Familien. Zugleich markiert diese Öffnung die Ausbreitung der Bewegung.

In ihrer Darstellung der Vergangenheit vergleichen die Brahma Kumaris diese Anfangszeit mit dem Urchristentum: Die Gruppe war autark, versorgte sich selbst und habe alle Energie auf die reine innere geistige Entwicklung verwendet. Erst nach der 15jährigen spirituellen Bewusstseinsschulung seien sie reif für die Öffnung geworden. Der Vergleich passt aber nicht, denn zwischen Ostern und Pfingsten lagen bei den Urchristen keine 15 Jahre spiritueller Bewusstseinsschulung, sondern 50 Tage der Angst, bis der Heilige Geist die Jünger zur Weitergabe der Botschaft von der Auferstehung befreite.

1950 zog die Gemeinschaft nach Mount Abu im indischen Bundesstaat Rajasthan, wo sich bis heute das Hauptzentrum befindet. Das dortige Zentrum wird als „Madhuban“ („Honigwald“) bezeichnet.[2] Aus den einstigen kleinen Hütten ist mittlerweile ein beachtlicher Komplex gewachsen. Die Meditationshalle mit 25 000 Plätzen war bei ihrer Erbauung die weltgrößte freitragende Halle. Im „Shantivan“ (Land des Friedens) gibt es Übernachtungsplätze für 35 000 Personen. Die Bewegung ist stolz darauf, größter Solaranlagenbetreiber in Indien zu sein.

Weltweit ist Brahma Kumaris nach eigenen Angaben in ca. 140 Ländern mit 8500 Zentren vertreten, in denen 825 000 Studenten betreut werden. Nach außen hin tritt die Bewegung meist unter der Bezeichnung „Brahma Kumaris World Spiritual University“ (BKWSU) in Erscheinung. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese „Universität“ von keinem Land als solche anerkannt ist. Insofern ist diese Bezeichnung irreführend. Es handelt sich um keine wissenschaftliche Ausbildungsstätte, sondern um ein religiöses Zentrum. Allerdings trägt sie diesen Namen bereits seit der Gründung im Oktober 1937, wo eine Stiftung unter dem Namen „Göttliche Universität der Töchter des Menschheitsvaters Brahma“ (Prajapita Brahma Kumaris Ishvariya Vishva Vidyalaya) registriert wurde,[3] wenngleich sie zunächst unter der Bezeichnung „Om Mandali“ bekannt wurde.

Neue Offenbarungsreligion

Wesentliche Quelle für die Auffassungen der Brahma Kumaris ist das spirituelle Erleben des Gründers und seine visionär empfangenen Botschaften, die von der Gemeinschaft als Offenbarungen Gottes verstanden werden. So gesehen bildet Brahma Kumaris eine neue Offenbarungsreligion auf hinduistischem Hintergrund. Die traditionellen indischen heiligen Schriften (Veden, Bhagavadgita etc.) spielen keine besondere Rolle. Statt dessen stehen die Aussagen von „Brahma Baba“ (Lekhraj) im Rang göttlicher Kundgaben und werden als „Murlis“[4] (auch: Sakar Murlis) bezeichnet und regelmäßig morgendlich gelesen. Die Texte entstanden aus Tonbandabschriften seiner täglichen morgendlichen Lehrreden. Die heute verwendeten Murlis entstammen alle den letzten fünf Jahren vor seinem Tod (1964–1969), in denen die Lehrentwicklung weitgehend abgeschlossen war. Insgesamt dürften ca. 1825 solcher Murlis zirkulieren. Die täglichen Murli-Klassen bilden einen wesentlichen Identitätspfeiler der Brahma Kumaris. Ergänzt werden die Murlis duch (Avyakt) Vanis, die seit Brahma Babas Tod durch ein Medium (Dadi Hirdaya Mohini, genannt Dadi Gulzar) in Madhuban regelmäßig mitgeteilt werden.[5] Inzwischen ist sie stellvertretende Hauptleiterin der Organisation. Aus ihr spricht nach Überzeugung der Gemeinschaft die kombinierte Wesenheit von Gott Shiva und Dada Lekhraj, zusammengefasst als BapDada.

Seele und Materie

Die Auffassungen der Brahma Kumaris entfalten sich im Rahmen hinduistischer Weltvorstellungen, die sie jedoch in eigentümlicher Weise modifizieren und letztlich zu einer völlig eigenen Weltsicht ausbauen. Dies geschieht schon bei der Unterscheidung von materiellem Körper und innerem, geistigen Wesenskern (Seele/Atma). Die Persönlichkeit wird allein mit der Seele verbunden, während der Körper - wie alles Materielle - ein Werkzeug und Ausdrucksmittel der Seele sei. Das Weltbild ist in dieser Hinsicht streng dualistisch. Sowohl die Seelen als auch die Materie seien ewig. Die Seele gilt als ein Punkt von Licht, der in der Mitte der Stirn lokalisiert wird.

Damit verknüpft ist die Vorstellung der Reinkarnation entsprechend dem Verhalten im vorangegangenen Leben. Allerdings können nach der Lehre der Brahma Kumaris Menschenseelen nicht in Tierkörpern (und umgekehrt) wiedergeboren werden. Die Seele selbst ist unveränderlich und unsterblich und enthält die Erfahrungen aller Leben.

Ewiger (kurzer) Weltenzyklus

Die Unveränderlichkeit der Seele hängt damit zusammen, dass die Zeit als streng zyklisch angesehen wird. Die gesamte Weltgeschichte wiederholt sich - bis in alle Details hinein - ganz exakt alle 5000 Jahre. Diese Zeit ist in die klassischen 4 Epochen - hier zu je exakt 1250 Jahren - unterteilt: 1) Sat Yuga (Goldenes Zeitalter), 2) Treta Yuga (Silbernes Zeitalter), 3) Dwapara Yuga (Kupfernes Zeitalter) sowie 4) Kali Yuga (eisernes, gegenwärtiges finsteres Zeitalter). Am Ende dieses Zyklus findet eine weltweite Zerstörung durch Kriege und Naturkatastrophen statt, die nur wenige Menschen überleben. Diese bilden dann den Grundstock einer erneuerten Menschheit mit gewandeltem Bewusstsein, wenn auf dem Gebiet des heutigen Nordindien das Goldene Zeitalter beginnt. Die Weltgeschichte sei folglich wie ein immer wieder abgespielter Film (ein „Drama“), in dem das eigene Leben eine Episode darstellt. Ein dauerhaftes Ausscheiden der Seele aus diesem ewigen Zyklus ist nicht möglich. Alles, was ein Ende hat, muss auch wieder einen Anfang haben und umgekehrt.

An der Grenze zwischen zwei Zyklen soll es mit dem Sangam-Yuga eine relativ kurze Periode von 50 bis 100 Jahren geben, in der die alte Welt zerstört und die neue geschaffen wird. Diese habe 1936 mit der spirituellen Wende von Dada Lekhraj zum Brahma Baba begonnen. Nun zeige Gott das Wissen um den Geschichtszyklus und den Weg für alle bereitwilligen Seelen, um im Goldenen Zeitalter wiedergeboren zu werden. Die dafür nicht bereiten Seelen werden erst in späteren Zeitaltern - spätestens jeweils am Ende des Zeitalters wiedergeboren. Zunächst erwartete Dada Lekhraj im 2. Weltkrieg ganz real die kosmische Katastrophe des Weltendes. Immer wieder wurde das Weltende verschoben. Auch heute noch verzichtet die Organisation z. B. auf eine Sammlung und autoritative Herausgabe der Murlis unter anderem deshalb, weil angesichts der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit die spirituelle Unterweisung von Person zu Person als wirksamer angesehen wird.[6]

Gott als Bewusstseinspunkt

Gott wird als die Urkraft beschrieben, die zwar auch ein lebendiges Wesen darstellt, aber nicht in das Dilemma von Konflikten komme und darum allen Menschen als Quelle für geistige Kraft zur Verfügung stehen könne. So sei Gott kein totes Licht, keine bloße Energie, sondern ein bewusstes Wesen in Form eines Lichtpunktes, genauso wie die menschliche Seele. Der Punkt symbolisiert die Form und Gestalt dieser Energie. Aufgrund dieser Punktförmigkeit Gottes glauben die Brahama Kumaris nicht an seine Allgegenwart - auch wenn die Erfahrung seiner Nähe überall gemacht werden kann. Überhaupt wird eine große strukturelle Analogie zwischen den menschlichen Seelen und Gott gesehen, der darum in der Meditation vorzugsweise auch als „höchste Seele“ bezeichnet wird. Alle Seelen, auch Gott, werden als ewige Individuen betrachtet. Als Gottes Name gilt Shiva, er wird aber meist liebevoll „Shiv Baba“ genannt. Brahma Kumaris lehnen die traditionelle indische Götterverehrung (Bhakti) ab, weil sie glauben, dass die Götter eigentlich die vollkommensten Menschen sind und sie folglich lieber selbst göttlich werden wollen, als indische Götterbilder zu verehren. Die Bilder kann es trotzdem geben, aber ihre Funktion ist eine andere geworden.

Königliches Yoga

Im Raja Yoga (königliches Yoga) wird die Methode gesehen, mit der der eigene Wesenskern, also die menschliche Seele, wieder mit Gott als höchster Seele verbunden werden kann. Im Unterschied zum körperorientierten Hatha-Yoga, welches mitunter sogar von Krankenkassen als Entspannungsübung angeboten wird, geht es beim Raja Yoga vor allem um innere Einstellungen. Es ist ein geistiger Prozess. Gymnastische Übungen sind damit nicht verbunden. Raja (König) ist derjenige über sich selbst, der seine Sinnesorgane, Handlungen, Worte und Gedanken unter Kontrolle bekommen kann. Das Mittel dafür ist einerseits die mit offenen Augen durchgeführte Meditation. Im Verlauf der Meditation schaut die Leiterin bzw. der Leiter den anwesenden Personen jeweils einige Sekunden bis Minuten (in der Regel durch die Augen) in die Seele, d.h. sie sieht sie als Seele“. Dies wird als mit Yogakraft erfüllter Blick verstanden, dem der Blick der Gottheit entspricht („Drishti“). Meditation als gedankliche und emotionale Verbundenheit soll im Idealfall auch den Alltag durchziehen und zur Lebenseinstellung werden. Andererseits wird mit dem Begriff „Raja Yoga“ bei Brahma Kumaris nicht nur die Meditation im engeren Sinn verbunden. Die Raja-Yoga-Kurse sind zum größten Teil unterrichtsmäßige Einführungen in das besondere Weltbild des Raja Yoga.

Frauen an die Macht

„Brahma Baba“ hatte die Verantwortung für die Organisation von Anfang an in die Hände von Frauen gelegt. Dies ist nicht nur für indische Verhältnisse etwas besonderes. Bis heute ist Brahma Kumaris wohl die einzige Religionsgemeinschaft, die in dieser Weise von Frauen geleitet wird. Die älteren Schwestern der Führungsriege gehören meistenteils noch zur ersten Generation der Bewegung. Es gibt auch Zentren, die von Männern geführt werden. Diese sind allerdings in der Minderzahl.

Enthaltsamkeit

Der Verzicht auf gelebte Sexualität genießt innerhalb der Bewegung nach wie vor eine hohe Wertschätzung. Dass der Gründer in dieser Hinsicht sehr entschieden war und Sexualität generell als schädigend abgelehnt hat, wurde im historischen Teil schon angedeutet. Auch unser Dresdner Gesprächspartner steht offen dazu, dass er sich zu einer zölibatären Lebensweise entschlossen habe. Die Enthaltsamkeit unterstütze die Verbindung mit Gott. Es sei ein großer Unterschied, ob die eigenen Energien auf Gott oder über die Sexualität auf die eigene Körperlichkeit ausgerichtet würden. Ob jemand wirklich zölibatär lebt, liege aber in der Entscheidung des Einzelnen, selbst wenn die sexuelle Enthaltsamkeit wichtiger Bestandteil der BK-Lehre ist. Verstehen würden es zwar viele, für sich selbst annehmen aber nur wenige.

Der Tag im örtlichen Zentrum

In Dresden hat die Bewegung zunächst in einer Einraumwohnung im Frühling 2004 begonnen, regelmäßige Treffen abzuhalten. Vor zwei Jahren wurde dann in einem schön im Grünen gelegenen Hinterhaus (Hohe Str. 12) eine Etage gemietet. Dort steht ein Meditationsraum für ca. 15 Personen für die regelmäßigen Veranstaltungen zur Verfügung. Bei größeren Vorträgen werden andere Räume gemietet. Die persönliche Morgenmeditation findet um 4:00 Uhr statt. Danach treffen sich Studierende täglich um 6:00 Uhr zur gemeinsamen Meditation, der 6:30 Uhr die Lesung des täglichen Murli mit Gespräch darüber folgt. Wer noch nicht gleich zur Arbeit muss, bleibt noch zum gemeinsamen Frühstück. Um 19:00 Uhr ist eine gemeinsame Abendmeditation empfohlen. Donnerstags gibt es ein besonderes Ritual („Bhog“), das mit dem gemeinsamen Essen Gott dargebotener Speisen verbunden ist. Der dritte Sonntag im Monat wird weltweit abends mit einer gemeinsamen Meditationsstunde begangen („Weltfriedensmeditation“). Insgesamt gibt es in Deutschland 15 Zentren, in denen etwa 400 Personen verbindlich zur Gemeinschaft gehören.

Endzeitgruppe?

In ihrer Entstehungszeit konnte die Gruppe durchaus als eine Art „Weltuntergangssekte“ wahrgenommen werden. Diese Begriffe und Vorstellungen versucht man heute zu vermeiden und sieht darin angstvolle Fehlinterpretationen der Lehrtexte. Eine vollständige Auslöschung der Welt soll es gemäß den Murlis ohnehin niemals geben. Im Gespräch wurde es so beschrieben, dass es sich um einen „Transformationsprozess“ handele, bei dem „alte Systeme“ durch neue ersetzt werden, was das Angebot für das Individuum beinhalte, sich in guter Weise einzubringen. Die Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Endes des gegenwärtigen Weltenzyklus bestimmt in unterschiedlichem Maß bis heute das Denken und Erleben auf vielen Ebenen. Bei der anstehenden Weltverwandlung wird Gott fast alle Menschenseelen zu sich nehmen. Nur die Seelen derjenigen, die sich ethisch erneuert haben, können in dem Goldenen Zeitalter wiedergeboren werden. Dazu gehört die Erwartung eines irdischen Königtums, bei dem die Brahma Kumaris Herrscherrollen übernehmen.

In Bezug auf diesen Aspekt der Lehre wirken die Brahma Kumaris etwas wie die indische Version der Zeugen Jehovas, weil beide eine (ehemals datierbare und in naher Zukunft angenommene) Erwartung des katastrophalen Endes der gegenwärtigen Menschheit und ihrer Systeme mit einer irdischen Paradiesvorstellung verbinden, in der den eigenen Anhängern eine bevorzugte Sonderstellung im Königtum Gottes zustehe. Offensichtlich führt diese Enderwartung bei den Brahma Kumaris aber nicht zu einer vollständigen Weltentsagung. Das Weltzentrum ist im Gegenteil in verschiedener Hinsicht Vorreiter in der Anwendung ökologischer Technologien. So wird in Madhuban z.B. zunehmend mit Solarstrom gekocht.

Mit der Kosmologie der modernen Naturwissenschaften gerät die Auffassung von der nur 5000 Jahre kurzen Weltgeschichte in ähnliche Konflikte wie der Kurzzeit-Kreationismus im Christentum – auch wenn im übrigen die Brahma Kumaris wissenschaftlicher Naturerklärung gegenüber durchaus aufgeschlossen sind. Das strenge zyklische Denken führt in ein Dilemma zwischen freiem Willen und Vorherbestimmung. Einerseits ist alles festgelegt und die Schicksale der Geburtenkreisläufe wiederholen sich bis ins Detail. Andererseits gilt jede Menschenseele als für ihr Schicksal selbst verantwortlich und soll sich um eine gute Reinkarnation im nächsten Goldenen Zeitalter bemühen. Im Gespräch wird deutlich, dass dieses strenge zyklische Weltbild auch von den Mitgliedern letztlich nicht rational, sondern vor allem emotional aufgefasst wird. Spannend ist jedenfalls die Beobachtung, dass eine solche Konstruktion strenger Vorherbestimmung nicht zu lähmender Resignation, sondern erstaunlicherweise zu besonderer Aktivität führt.[7]

Öffentlichkeitsarbeit

Auffällig ist, dass von den spezifischen Lehrinhalten der Brahma Kumaris auf den eigenen Internetseiten[8] kaum etwas zu finden ist. Der Focus der öffentlichen Selbstdarstellung liegt nahezu ausschließlich auf der Meditation. Die apokalyptische Dimension des Lehrgebäudes ist daraus nicht zu erahnen. Statt dessen werden auf der deutschen Webseite verschiedene niedrigschwellige lebenspraktische Übungen angeboten. Es gibt Kurse über „Positives Denken“ und „Stressfreies Leben“ sowie verschiedene soziale Aktivitäten. Besonders beworben wird die Aktion „Take a minute“, bei der man sich immer mal für eine Minute der Besinnung aus dem Arbeitsalltag zurückziehen soll. Zwar erscheinen die Lehrinhalte als Überschriften im Kursprogramm des Grundkurses „Raja Yoga Meditation“. Sie gehören also durchaus dazu. Ist ihr Fehlen in der sonstigen Selbstdarstellung eine Public-Relations-Strategie? Die Erfahrung der Weltanschauungsarbeit zeigt, dass es sich auf lange Sicht immer rächt, wenn Außendarstellung und innere Wirklichkeit einer Gemeinschaft zu stark auseinanderklaffen. Solches ist bei konfliktträchtigen Gemeinschaften anzutreffen. Nun gibt es auch im Umfeld von Brahma Kumaris Konflikte.[9] Mehrere internationale Internetseiten bemühen sich, die andere Seite von Brahma Kumaris kritisch darzustellen.[10] Möglicherweise aufgrund der geringen Mitgliederzahl sind in Sachsen noch keine schweren Konflikte im Zusammenhang mit Brahma Kumaris bekannt geworden.

Fazit

Insgesamt gesehen bleibt Brahma Kumaris eine indisch geprägte Organisation. Auch wenn sie sich von einigen traditionellen indischen Texten und Bräuchen emanzipiert hat und ihr Monotheismus und die emotionale Gottesliebe von Indern als christlicher Einfluss angesehen werden kann, bleibt sie doch indischem Denken stark verhaftet. Elemente einer auf das Ende der bestehenden Welt ausgerichteten Bewegung in sich tragend hat sie sich jedoch zu einer „Weltreformationsbewegung“ entwickelt. Es wird auch in Zukunft viel davon abhängen, wie die Organisation mit den eigenen Lehren umgeht. Der Gemeinschaft wäre zu wünschen, dass dies mit indischer Großzügigkeit und nicht mit deutscher Gründlichkeit geschieht. Dem Anspruch, göttliche Offenbarung zu verkünden, ist aus christlicher Sicht zu widersprechen.

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/282

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2012 ab Seite 06