400 Jahre Rosenkreuzer

Initiativen zum Jubiläum
Als der Tübinger Theologiestudent Johann Valentin Andreae die utopischen Ideen seines Freundeskreises von einer erneuerten christlichen Gesellschaft im Jahre 1614 unter dem Titel „Fama Fraternitatis“ erstmalig im Druck erschienen ließ, ahnte er nicht, dass er damit eine Welle von Bewegungen lostreten würde, die diese Ideen in ganz eigener Weise aufgreifen und als „Rosenkreuzer“ in die Geschichte eingehen würden. Zwei weitere Schriften folgten: „Confessio Fraternitatis“ (1615) und „Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz“ (1616). Alle drei beschrieben in unterschiedlicher Weise die geheimnisvolle Bruderschaft der „Rosenkreuzer“ und lösten eine Flut von Antwortschriften aus.

Jetzt, 400 Jahre später, konkurrieren verschiedene Gemeinschaften im Umfeld von Theosophie und Esoterik mit dem Anspruch, selbst das Erbe dieser geheimnisvollen Rosenkreuzer zu verwalten, die Andreae und seine Freunde sich ausgedacht hatten. Andreae selbst hatte sich später von seinem völlig aus dem Ruder gelaufenen Jugendprojekt deutlich distanziert.

Die Idee der Rosenkreuzer hat dennoch die europäische Geistesgeschichte mit geprägt. Schriften aus Alchemie und Mystik wurden von ihnen inspiriert. Ende des 18. Jahrhunderts entstand der Orden der Gold- und Rosenkreuzer. Obwohl nur wenige Jahre existent, beeinflusste sein Gradsystem und der Charakter als Geheimorganisation spätere Neugründungen im Umfeld der Theosophischen Gesellschaft. Die allermeisten der heute existierenden Rosenkreuzergesellschaften sind in diesem Kontext zu verorten. Zum 400. Jubiläum der Entstehung der Rosenkreuzeridee haben deren Epigonen ganz unterschiedliche Veranstaltungen konzipiert.

Der Ätherleib des Christian Rosenkreuz

Rudolf Steiner hat in der Zeit vor der Gründung der Anthroposophie die deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft auch als Rosenkreuzertum verstanden. In mehreren Schriften und Vorträgen nimmt er darauf Bezug.

Zum Jubiläum veranstaltete das Anthroposophische Zentrum Kassel im März 2014 eine Tagung zu „Rosenkreuzerisches Wirken in Vergangenheit und Gegenwart“.1 Deren Arbeitsgruppen befassen sich u.a. mit der Chymischen Hochzeit als „Stufen des rosenkreuzerischen Schulungsweges, dem „rosenkreuzerischen Heilimpuls für die Erde“ oder dem Ätherleib des Christian Rosenkreutz und die Bedeutung des Ätherischen für die Eurhythmie.

Gnosislicht

Die „Internationale Schule des Goldenen Rosenkreuzes“ (Lectorium Rosicrucianum) entstand 1934 in den Niederlanden und ist inzwischen weltweit verbreitet. Für das Jubiläum wurde eine eigene Domain eingerichtet (www.400-jahre-rosenkreuz.de). Dort werden Texte und Veranstaltungshinweise gesammelt, welche die rosenkreuzerischen Grundschriften im Kontext einer gnostischen Weltsicht interpretieren. Im Lectorium Rosicrucianum gelten die Rosenkreuzertexte als Impulse einer gnostischen Lichtbruderschaft, die auf diese Weise Menschen anregen will, den Weg zu ihrer Erlösung auf dem Pfad der Transfiguration zu suchen.

Im September 2014 wird in Calw eine internationale Konferenz für Schüler der Geistesschule organisiert, zu der 1500 bis 2500 Teilnehmer aus aller Welt erwartet werden. Mit einer Reihe öffentlicher Veranstaltungen in Calw, Stuttgart und Tübingen soll zudem eine interessierte Öffentlichkeit auf das Thema und die Arbeit des Lectorium Rosicrucianum aufmerksam gemacht werden.

Für November sind noch ein wissenschaftliches Symposium in Tübingen und eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Bibliotheca Philosophica Hermetica in Amsterdam angekündigt. Diese Bibliothek wurde von einem vermögenden hochrangigen Mitglied des Lectorium Rosicrucianum gegründet und besitzt zahlreiche frühe Werke aus der Geschichte des Rosenkreuzertums und der abendländischen hermetisch-gnostischen Tradition.

Appellation

Der 1915 in den USA gegründete Antiquus Mysticus Ordo Rosae Crucis (AMORC) versteht sich als Organisation, der das Anliegen der Rosenkreuzer seit dem Untergang von Atlantis über die Mysterienschulen des alten Ägypten bis in die Gegenwart in ungebrochener organisatorischer Kontinuität bewahrt habe. Aus Anlass des Jubiläums wird versucht, in der Weise an die Tradition der Rosenkreuzergrundschriften anzuknüpfen, dass ein eigener Text mit Vorschlägen zur sozialen, politischen, kulturellen und spirituellen Gestaltung des Lebens in der modernen Gesellschaft publiziert wird. Die „Appellatio Fraternitatis Rosae Crucis“ ruft in diesem Sinne alle Menschen guten Willens auf, sich „für die Versöhnung der Menschheit mit sich selbst, der Natur und dem Göttlichen einzusetzen.“ Leitbegriffe dabei sind „Spiritualität“, „Humanismus“ und „Ökologie“. Der AMORC möchte damit die Reihe der rosenkreuzerischen Manifeste fortführen, wie er es schon zur Jahrtausendwende mit der „Positio Fraternitatis Rosae Crucis“ versucht hat.

Die diversen Aktivitäten anlässlich des 400jährigen Bestehens der Rosenkreuzeridee zeigen auf eindrückliche Weise, wie unterschiedlich die Rezeption der Rosenkreuzergrundschriften in der Gegegenwart erfolgt.
Harald Lamprecht

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