Globuli und Hochpotenzen
Das Simile-Prinzip
Hahnemann entwickelte mit der Ähnlichkeitsregel das Grundprinzip der Homöopathie aus einem Selbstversuch: bei der Einnahme von Chinarinde (Chinin) stellte er fest, dass die Substanz bei ihm als Gesundem die gleichen Symptome hervorrief, wie sie die Krankheit aufweist, gegen die sie eingesetzt wird: Fieber. Daraus schloss er, dass dasjenige ein Heilmittel sei, was ein ähnliches Leiden (griech: homoios = ähnlich + pathein = leiden -> Homöopathie) erzeugt.
Es komme folglich darauf an, ein Arzneimittel zu finden, das in der Gesamtheit seiner Wirkungen (seinem „Arzneimittelbild“) der Gesamtheit der Symptome des Patienten am weitesten entspricht. Um das herauszufinden sind nicht nur umfangreiche Tests mit verschiedenen Substanzen an Gesunden (die sog. Arzneimittelprüfung), sondern auch eine umfassende Erhebung möglichst aller beim Patienten auftretender Symptome und Begleitumstände erforderlich. Darum steht am Beginn jeder homöopathischen Behandlung nach Hahnemann eine ausführliche Anamnese, in der der Patient nicht nur nach seinem Leiden, sondern auch nach seinen sonstigen Lebensumständen befragt wird.
Vergleichbar mit der Ähnlichkeitsregel wäre z.B. beim Impfen, dass der Körper mit abgeschwächten Krankheitserregern konfrontiert wird, um körpereigene Abwehrstoffe zu bilden. Allerdings handelt es sich dort um einen definierten Trainingseffekt des Immunsystems. Was die Homöopathie davon grundlegend unterscheidet, ist das Potenzieren.
Das Potenzieren
Die Wirkstoffe homöopathischer Arzneimittel werden nicht direkt verabreicht, sondern nur in extrem hohen Verdünnungen. Wenn man einen Tropfen Urtinktur der Wirksubstanz, z.B. Calendula, mit 9 Tropfen Alkohol/Wasser-Gemisch verschüttelt, erhält man eine D1-Potenz. Davon wiederum ein Tropfen mit 9 Tropfen Alkohol/Wasser verschüttelt ergibt eine D2 usw. Beliebter als die D-Potenzen sind die C-Potenzen, bei denen das Verhältnis 1:100 beträgt. Es gibt darüber hinaus noch LM-Potenzen mit Verdünnungen im Bereich der 1:10 000. Bereits ab einer „Potenz“ bzw. Verdünnungsstufe von D23 ist rein physikalisch kein Molekül der ursprünglichen Wirksubstanz mehr in dem homöopathischen Arzneimittel enthalten. Homöopathen haben auch Mühe, diesen Punkt ihrer Arnzeimittellehre zu erklären. Sie behelfen sich oft mit schwammigen Ausdrücken, dass die „Information“ des Wirkstoffes durch die zugeführte Energie beim Verschütteln gleichsam in das Trägermedium eingeprägt würde, und zwar um so stärker, je länger potenziert wird. Darum reden sie auch vom „Potenzieren“ und nicht vom „Verdünnen“, da nach ihrer Auffassung die Wirkung durch diesen Prozess nicht etwa abgeschwächt, sondern gerade verstärkt werde. In den Hochpotenzen käme die feinstoffliche Information des Wirkstoffes zum Tragen, die auf die Seele einwirke, kann man gelegentlich vernehmen.
Kritische Einwände
An dieser Stelle tobt der Glaubenskrieg um das Wirkprinzip der Homöopathie am stärksten. Woher weiß das Trägermedium, welche Information aufgenommen und weitergegeben werden soll? Was ist mit unvermeidlichen Verunreinigungen im Wasser, die zwangsweise mit „potenziert“ werden und mit ihrer „Fehlinformation“ von Stufe zu Stufe die ursprüngliche „Information“ überdecken bzw. entstellen müssten? Wie soll etwas wirken, von dem überhaupt nichts mehr da ist?
Homöopathen behelfen sich mit Konstrukten wie einer „Matrix“ des Wassers, Merkfähigkeit von Molekülen und ähnlichen Vorstellungen, die zwar nicht alle wissenschaftlich nachgewiesen sind, deren späterer Nachweis aber nicht völlig ausgeschlossen ist.
Letztlich entscheidet sich die Frage nach der Wirksamkeit der Homöopathie aber nicht an einem lückenlosen Modell ihres Wirkprinzips, sondern an ihren therapeutischen Erfolgen. Diese seien erwiesen, sagen die Homöopathen. Sie sind es keineswegs, sagen die Kritiker. Wäre die Homöopathie ein hoch wirksames Verfahren, gäbe es den Streit um ihre Wirksamkeit nicht. Ein spezielles Problem dabei ist, dass das etablierteste Instrument in der Beurteilung von Arzneimittelwirkungen, die klinische Doppelblindstudie, bei Beachtung ihrer Grundlagen mit der Homöopathie nicht durchführbar ist. Der hoch individualisierte Behandlungsansatz verhindert eine Objektivierung durch Vergleiche von bestimmten Arzneimittelwirkungen zwischen mehreren Patienten. Es gibt darum kein anerkanntes Prüfverfahren für die Wirkungen der Homöopathie.
Klassische und nichtklassische Homöopathie
Die klassische Homöopathie nach Hahnemann ist längst nicht mehr das einzige Angebot. Daneben begegnet die Homöopathie in vielfachem Verschnitt als Ergänzung und in Kombination mit anderen Therapieverfahren. Kombipräparate, die mehrere Wirksubstanzen in einem homöopathisch dosierten Arzneimittel vereinen, widersprechen grundlegend den Lehren der klassischen Homöopathie, sind aber dennoch viel in Verwendung. Viele Heilpraktiker bieten die Homöopathie in bunter Mischung mit anderen alternativmedizinischen Verfahren wie z.B. Bach-Blüten-Therapie, Irisdiagnose, Kinesiologie oder Reiki an. Auch in der anthroposophischen Medizin bildet die Homöopathie einen integralen Bestandteil, wird dort aber gemäß der eigenen Weltanschauung praktiziert. Wer also zu einem anthroposophischen Homöopathen geht, kann neben dem Empfang von Globuli und Tropfen auch die karmischen Ursachen seiner Krankheit analysiert bekommen. Auch gibt es dort keine Hochpotenzen - nicht etwa wegen der Annahme ihrer Unwirksamkeit, sondern wegen befürchteter Nebenwirkungen im geistig-seelischen Bereich aufgrund der nicht mehr beherrschbaren hohen Potenz des Wirkstoffes.