Nebel der Zukunft
Am 5. Mai war der Weltuntergang. Und keiner hat’s gemerkt. Im Reigen um den jeweils aktuellsten Termin für das Ende der Menschheit tanzte anno 2003 ein selbst ernannter Häuptling namens „Black Eagle Malachi“ aus der ländlichen US-Gemeinde Eatonton bei Atlanta an der Spitze. Doch statt eines rettenden Raumschiffs mit „144 000 Plätzen“ für die Auserwählten kam die Polizei - und verhaftete den Untergangspropheten wegen Kindesmissbrauchs. „Black Eagle Malachi“ war nicht der Einzige, der im Trüben statt im „Drüben“ fischte. Auch 2003 lag die Zunft der Hellseher, Wahrsager und Astrologen wieder einmal gründlich daneben. Weder wurde CDU-Chefin Angela Merkel nach vorgezogenen Neuwahlen im Oktober Kanzlerin einer großen Koalition (so die bekannte TourneeAstrologin und Handleserin Patricia Schwennold bzw. Bahrani), noch wurde die Ehe zwischen Gerhard Schröder und Doris Schröder-Köpf geschieden, wie der StarAstrologe und Nostradamus-Deuter Kurt Allgeier in den Sternen las. Weitere Nieten von Allgeier betrafen Herbert Grönemeyer (zieht zurück nach Deutschland), Stefan Raab (erhält eine neue Show), Michael Jackson (großes Comeback), Nena (wird schwanger), Arnold Schwarzenegger (sein Wechsel in die Politik scheitert) und Königin Beatrix (dankt ab). Ähnlich blamable Astro-Flauten gab es für den Medien-Astrologen Winfried Noé, der beim Privatsender TV Berlin eine eigene Fernsehshow hat. Noé prognostizierte für den FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann „Erfolge als Redner zwischen Mai und November“. Möllemann starb Anfang Juni bei einem Fallschirmsprung. Osama bin Laden gefasst, der Euro abgeschafft, ein Attentat auf Außenminister Fischer, eine neue Flutkatastrophe in Deutschland, die Trennung von Andre Agassi und Steffi Graf ... Alles falsch. „Die vollmundigen Behauptungen diverser Astrologen und Wahrsager in der Öffentlichkeit stehen in krassem Widerspruch zu ihren Prognoseleistungen“, erklärt der Mainzer Mathematiker Michael Kunkel. Für die „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP) nahm Kunkel über 100 Vorhersagen für 2003 beim Wort und verglich sie mit der Wirklichkeit. Ergebnis: Offensichtlich können die selbst ernannten Prognoseexperten weder in einer Kristallkugel noch in den Sternen die Zukunft richtig vorhersehen. So blieb auch der in seltener Einigkeit von einem halben Dutzend „Seher“ erwartete Anschlag auf George W. Bush aus. „Ein weiterer Klassiker im Angebot der alljährlichen Fehlprognosen sind Nuklear-Katastrophen“, so Kunkel weiter. Wie schon in den Vorjahren überwiegend für Japan und das Territorium der ehemaligen Sowjetunion vorausgesagt, ist der Welt 2003 glücklicherweise auch dieses Schreckensszenario erspart geblieben. Einige „Promi-Prognosen“ trafen dagegen tatsächlich ein: Joschka Fischer ließ sich scheiden, und Nationaltorhüter Oliver Kahn beklagte gesundheitliche Probleme. Diese beiden „Treffer“ stammen allerdings nicht von einem Astrologen oder Wahrsager - sondern vom GWUP-Wissenschaftsratsmitglied Wolfgang Hund. Hund hatte Anfang Januar nach dem Zufallsprinzip einer Reihe von Prominenten die in der Regenbogenpresse üblichen Themen zugewiesen: Z.B. Scheidung, Schwangerschaft, Krankheit etc. Erfolgreicher als die Würfel des GWUP-Experten waren nur jene aus der professionellen No-Future-Front, die Binsen zu Weisheiten bündelten und garantiert unfehlbar orakelten: „Schäden und Unfälle durch Wasser, Skandale in Finanzwelt und Politik, Probleme im Gesundheitswesen, bezüglich der Umwelt usw. sind verstärkt möglich ...“ (Elizabeth Teissier). Oder der „spirituelle Astrologe“ Norbert Giesow aus Kronshagen, für den sich „deutlich die Kriegsgefahr“ für den Irak zeigte. Kunkel: „Zum Zeitpunkt der Prognose am 31. Dezember 2002 war das in etwa so schwierig wie den morgigen Sonnenaufgang vorherzusehen.“
Wie wird gezählt?
Im Zusammenhang mit der Prognosenauswertung der GWUP werden häufig bestimmte Fragen zur Vorgehensweise und weiteren Ergebnissen gestellt.
In Presse, Funk und Fernsehen, in zahllosen Büchern und im Internet veröffentlichen Wahrsager, Seher und Astrologen alljährlich zum Jahresende ihre Prognosen für das kommende Jahr. Bei dieser Gelegenheit versäumen sie es nur selten, der Öffentlichkeit ihre Treffsicherheit mitzuteilen und berufen sich auf überragende Prognoseerfolge in der Vergangenheit. Aber stimmt das wirklich? Die Prognosen des Vorjahres sind der Öffentlichkeit in der Regel nicht mehr präsent und die „Zukunftsspezialisten“ selbst erwähnen eventuelle Fehlprognosen auch nicht.
Die GWUP nimmt den jährlichen Prognosenrummel zum Anlass, kritisch zurück- statt verklärt nach vorne zu schauen, und überprüft, ob einige der Prognosen für das ausgehende Jahr eingetroffen sind.
Wieviele Prognosen wurden für das Jahr 2003 ausgewertet?
Insgesamt wurden ca. 100 Prognosen von 30 verschiedenen Astrologen, Sehern und Wahrsagern ausgewertet, die sich auf das Jahr 2003 bezogen. Die meisten dieser Prognosen wurden Ende 2002 in Zeitschriften, Büchern oder im Internet der Öffentlichkeit präsentiert, der Rest stammte in etwa zu gleichen Teilen aus früheren Jahren oder wurde im Laufe des Jahres veröffentlicht.
Welche Prognosen wurden ausgewertet?
Gesammelt werden generell alle Prognosen, ausgewertet nur diejenigen, die man eindeutig verifizieren oder falsifizieren kann. Sie müssen also eine prüfbare Aussage beinhalten und eindeutig als „eingetroffen“ oder „nicht eingetroffen“ zu bewerten sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die prüfbare Aussage - wie in der Regenbogenpresse üblich - auf mehr oder weniger prominente Zeitgenossen oder - wie bei den so genannten Mundan-Prognosen - auf weltbewegende Ereignisse bezieht. Zwei Beispiele zur Veranschaulichung:
„Doris Schröder-Köpf, Gerhards First Lady und ihr schwierigstes Jahr. Sie mischt sich mehr und mehr in die Politik ein [...] Meine Prognose: Doris packt die Koffer - die Kanzler-Ehe zerbricht .“ (Astrologe Kurt Allgeier in der Zeitschrift „Neue Revue“, Heft 1/2003, Seite 14)
„... doch Terroranschläge suchen vor allem die USA und Großbritannien heim; vom 3. bis 9. April habe Washington mit einem Giftattentat zu rechnen “ (Astrologin Patricia Schwennold nach einer Meldung der „Passauer Neuen Presse“, Lokalteil Burghausen vom 19.03.2003)
Diese beiden fett markierten Vorhersagen sind eindeutig und leicht überprüfbar. Viele Jahresprognosen genügen dieser Anforderung jedoch nicht, sondern liefern nur eine Ansammlung von Allgemeinplätzen.
Winfried Noé, einer der bekanntesten Astrologen in Deutschland, schreibt zum Beispiel in seiner Jahresprognose:
„Uranus, der große Unruhestifter in der
Astrologie, steht von März bis Ende Oktober in den Fischen kritisch zur
Sonne und zu Saturn. Unruhen, Krawalle, große Verkehrsunfälle wie in
Eschede oder am Bodensee, auch Naturkatastrophen könnten das Land
erschüttern. Hoffentlich kommt es zu keinem Terroranschlag, der diesem
Planetenbild entsprechen würde.“
(www.noeastro.com Jahresprognose 2003)
Prognosen wie diese erfüllen sich immer. Dass es zwischen März und Oktober eines Jahres überhaupt keine Unruhen, Krawalle spektakuläre Unfälle oder - irgendwo auf der Welt - Naturkatastrophen gibt (... die das Land über die Medienberichterstattung „erschüttern“), ist praktisch ausgeschlossen. In diesem Jahr könnte Noé die Krawalle zum 1. Mai in Berlin oder die tragischen Busunglücke im Frühsommer als Beleg für seine Treffsicherheit heranziehen, 2002 wäre es - bei gleich lautender Prognose - neben den Maikrawallen der erwähnte Flugzeugabsturz am Bodensee und die Flutkatastrophe an der Elbe gewesen.
Traf denn keiner der Seher mit seinen Vorhersagen ins Schwarze?
Es gab natürlich auch 2003 Prognosetreffer; allerdings waren diese wenig spektakulär. Seit der Hochzeit im holländischen Königshaus wurde in der Regenbogenpresse über eine mögliche Schwangerschaft von Prinzessin Maxima spekuliert - ein Astrologe und eine Seherin wagten diese Prognose und hatten tatsächlich Recht. Unter den vielen Städten, für die die Wiener Astrologin und Seherin Rosalinde Haller Terroranschläge in 2003 vorhersagte, war neben Berlin, Köln, Stuttgart, Paris, Mailand, Rom, Madrid, Helsinki, San Francisco, Las Vegas und New York auch Istanbul - Treffer! Aber: Wirklich überraschende Treffer landete niemand, und bei der großen Menge von Fehlprognosen scheinen solche Treffer eher zufällig zu sein.
Wie hoch ist die Trefferquote der Seherzunft?
Auf Grund der sehr unterschiedlichen Qualität der Prognosen ist die Berechnung einer Trefferquote auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten nicht sinnvoll. Die - richtige - Prognose, dass Deutschland beim Schlager-Grand-Prix nicht siegen würde (so Lilo von Kiesewetter am 29. April 2003 in der „SAT1 Show des Monats“), ist mit einer relativ detaillierten Vorhersage von Terroranschlägen wie der von Patricia Schwennold (in der „Passauer Neuen Presse“, s.o.) nicht vergleichbar. Bei früheren wissenschaftlichen Untersuchungen lag die Trefferquote der selbst ernannten Zukunftskenner zwischen einem und vier Prozent. Ein solcher Prozentsatz ist allerdings für jedermann auch durch einfaches Raten zu erzielen, sofern er sichere Treffer geschickt mit vagen Formulierungen zu kombinieren weiß.
Gibt es bei Prognosen bestimmte Trends oder Schwerpunkte?
Bei den Mundanprognosen lassen sich eindeutige Trends erkennen: Weltbewegende Ereignisse aus der näheren Vergangenheit werden einfach in die Zukunft fortgeschrieben. Die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 sind ein gutes Beispiel; (Astrologen und Seher wie Patricia Bahrani-Schwennold, Rei Souli oder „Professor“ Ursetti behaupten heute im Nachhinein, sie hätten diese Katastrophe vorhergesehen - gewarnt hatte jedoch keiner!) Dieses Thema ist heute nicht nur in den Medien allgegenwärtig, auch die Zahl entsprechender Prognosen hat deutlich zugenommen; als mögliche Terrorziele werden in diesen Prognosen gerne Städte in den Vereinigten Staaten und Westeuropa, von deutschen Auguren auch solche im Inland, genannt. Ein weiteres Beispiel: Für Deutschland wurde - vermutlich unter dem Ende 2002 noch frischen Eindruck der Flutkatastrophe an der Elbe - von mehreren Astrologen und Sehern mit erneuten Überschwemmungen im Jahr 2003 gerechnet. Es traten aber keine Überflutungen auf, die das Maß des Üblichen in bestimmten Gegenden überstiegen hätten. Im Gegenteil: Das Jahr 2003 war überdurchschnittlich trocken.
Wie reagieren eigentlich Astrologen und Wahrsager auf Auswertungen dieser Art?
Die Begeisterung hält sich natürlich in Grenzen. Insbesondere Astrologen weisen in diesem Zusammenhang gerne darauf hin, dass Zukunftsprognosen gar nicht das eigentliche Metier der Astrologie seien, sondern dass sich die Astrologie hauptsächlich mit Charakteranalysen beschäftigt. Dies scheint sich jedoch weder unter allen Astrologen noch in der breiten Öffentlichkeit herumgesprochen zu haben. Wenn man die - von einigen Astrologen zum Teil vehement kritisierten - AstroShows in kommerziellen Fernsehsendern betrachtet, geht es einzig und allein um das Vorhersagen zukünftiger Ereignisse für die zahlenden Anrufer; auch die regelmäßig zum Jahreswechsel veröffentlichten einschlägigen Ratgeber gaukeln den Lesern vor, dass man mit ihrer Hilfe etwas über die Zukunft erfahren kann.
Eine 2003 veröffentlichte Untersuchung zur Astrologiegläubigkeit von Jugendlichen zeigte zudem, dass wesentlich mehr Jugendliche davon überzeugt sind, dass man mittels Astrologie in die Zukunft sehen, als dass man damit Aussagen über den Charakter einer Person machen kann. Natürlich gibt es unter den Astrologen auch verantwortungsvollere, die Prognosen wie die im Rahmen dieser Pressemeldung zitierten ebenso wie die GWUP als Scharlatanerie ablehnen. Allerdings scheint es den Astrologen dennoch schwer zu fallen, sich ernsthaft von solchen Auswüchsen ihrer Branche in der Öffentlichkeit zu distanzieren.
Wer sammelt und bewertet die Prognosen?
Michael Kunkel. Er ist Mathematiker, lebt in Mainz und arbeitet dort als EDV-Berater. Für die GWUP - der er seit mehreren Jahren angehört - sammelt er Zukunftsprognosen von Wahrsagern und Astrologen und wertet diese jeweils zum Jahresende aus. Eine Auswahl seiner gesammelten Prognosen ist im Internet der eigenes dafür eingerichteten Webseite http://www.wahrsagercheck.de zu finden.