Ein Jahr PEGIDA

Eine Bilanz

Seit einem Jahr nun schon rufen die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ unter dem Akronym PEGIDA allmontaglich zu „Spaziergängen“ durch die Dresdner Innenstadt auf. Ihre Entstehung wie ihre Entwicklung sind eng mit dem Verlauf der Flüchtlingskrise verbunden. Man kann verschiedene Phasen der Bewegung unterscheiden, die nicht alle scharf voneinander abgegrenzt sind und teilweise ineinander übergehen.

1) Entstehung

Der Ursprung der Gruppe liegt in einem zuvor eher unpolitischen und spaßbetonten Milieu, das aber durch Auseinandersetzungen zwischen Migrantengruppen aufgeschreckt wurde. Die Vernetzung über Facebook war ein entscheidender Faktor für die Ausbreitung der Bewegung.

2) Zulauf

In den ersten Monaten konnten die Teilnehmerzahlen stark gesteigert werden. Der Zulauf bewirkte eine beträchtliche Medienberichterstattung, die wiederum weitere Personen zur Teilnahme motivierte. In Dresden waren zwar von Anfang an auch stadtbekannte Neonazis mit dabei, die große Masse wurde aber eher von Bürgern mit sehr diffuser Motivationslage gespeist. In allen anderen Städten Deutschlands waren die dort entstehenden PEGIDA-Ableger viel eindeutiger rechtsextrem dominiert. Ein wesentliches Moment für den Erfolg von Pegida in Dresden ist, dass es den Organisatoren gelungen ist, die unterschiedlichsten Unzufriedenheiten gegen „die da oben“ zu bündeln. Latente bis offene Fremdenfeindlichkeit war dabei von Anfang an ein zentrales Motiv, aber bei Weitem nicht das einzige.

3) Spaltung und Rechtsruck

Meinungsdifferenzen innerhalb des Leitungskreises über die Haltung zum eindeutig rechtsextremen Ableger „Legida“ in Leipzig führten zur Spaltung. Die gemäßigte Fraktion unter Sprecherin Katrin Oertel verließ die Bewegung, konnte aber kaum Anhänger mitnehmen. Der verbliebene Teil hatte kein Problem – weder mit Lutz Bachmanns offen ausländerfeindlichen Sprüchen, noch mit einer engeren Kooperation mit Legida und anderen von Neonazis geführten Ablegern.

4) Europäische Vernetzung

Im April wurde der niederländische Rechtspopulist Geerd Wilders eingeladen, in Dresden zu sprechen. Dies markiert die Bemühungen, als nationale rechtspopulistische Bewegung im europäischen Kontext ernst genommen zu werden. Die Teilnehmerzahlen des Januar konnte jedoch auch Wilders nicht wieder beibringen. Im Sommerloch gab es eine Flaute. Medienberichterstattung und Beteiligung gingen erheblich zurück. Fackelzüge machen eben mehr Spaß im Dunkeln.

5) Verrohung

Die anhaltend hohen Flüchtlingszahlen und die kürzer werdenden Tage verschaffen der Bewegung mit Herbstbeginn wieder wachsende Teilnehmerzahlen. Insgesamt ist festzustellen, dass die Sprache immer weiter verroht ist. Das ist nun zwar kein völlig neues Phänomen, denn die Ansätze dazu begleiten die Bewegung von Anbeginn. Allerdings ist dennoch zu beobachten, dass die Grenze von dem, was als normal in der Beschimpfung des Gegners angesehen wird, immer weiter hinausgeschoben wird und die Hetze mittlerweile eine neue Qualität erreicht hat. Das zeigt sich nicht nur in den Kommentaren und Beiträgen auf der Pegida-Facebookseite. Ein Vergleich der von Pegida offiziell verlautbarten Positionspapiere macht das besonders augenfällig. Inzwischen sind auf Facebook und bei den Demonstrationen selbst klare Morddrohungen und Aufforderungen zur Lynchjustiz nichts, wogegen jemand einschreitet. Der mitgeführte Galgen für Merkel und Gabriel beim Spaziergang am 12. 10. sorgte in den Medien für Empörung. Von Pegida gab es dagegen nur Verharmlosungen zu hören, aber keine Distanzierung. Das bleibt nicht ohne Folgen für das Klima auf den Demonstrationen und darüber hinaus.

Mentale Isolation

Es scheint, als hätte die Gewöhnung an martialische Hetze gegen alle Gegner Einfühlungsvermögen und Urteilsfähigkeit so weit getrübt, dass die eigenen Ungeheuerlichkeiten gar nicht mehr selbst wahrgenommen werden. In der Sektenpsychologie sind solche Phänomene wohl bekannt. Sie nehmen mit der wachsenden mentalen Isolation der Anhänger zu, weil ihnen der Austausch mit anderen Meinungen fehlt. Wo keine Gesprächskultur gepflegt wird, sondern alle Abweichungen von eigenen Präferenzen als „linkes Gesocks“, alle Medien pauschal als „Lügenpresse“ und jeder Einwand zugunsten der Menschenwürde als „Gutmenschentum“ verächtlich gemacht wird, da wird es mental einsam. Das Schlimme daran ist: die Betroffenen merken es nicht, denn sie haben genug Gleichgesinnte in ihrer Umgebung. Ein klarer äußerer Feind schweißt immer zusammen. Die Kriegsmetaphorik ist allgegenwärtig und die verbale Verrohung bleibt nicht allein. Immer öfter kippt sie in tätliche Gewalt. Die Opferberatungsstellen berichten von explodierenden Fallzahlen gewaltsamer Übergriffe. Dies ist - leider - auch eine offensichtliche Frucht von einem Jahr Pegida.

Reden? Mit wem? Worüber?

Die Integration der Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft braucht Anstrengungen, aber sie ist zu schaffen. Die Mehrzahl der Ankommenden ist willig, sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen. Sie kommen her, weil sie Rechtsstaat und Demokratie suchen und unter deren Fehlen leiden.Die Gesamtkosten der Flüchtlingsbetreuung liegen immer noch unter einem Viertel des Militärbudgets der Bundesrepublik und unter 5% der geschätzten Verluste durch „Wirtschaftsflüchtlinge“ in Form von Steuerhinterziehung.
Die weitaus schwerere Aufgabe scheint es gegenwärtig, diejenigen wieder in die Gesellschaft zu integrieren, die sich gerade massiv selbst ausgrenzen, sogar von eigener Staatenbildung träumen1 und die immer mehr Werte des Abendlandes (Menschenwürde, Respekt gegenüber Andersdenkenden, friedliche Konfliktlösung etc.) lautstark verachten. Wir können auch diese Menschen nicht einfach aus Deutschland „abschieben“. Diese Aufgabe ist die größere Herausforderung. Sie braucht klare Ansagen sowie beharrliches und geduldiges Werben für die demokratischen Werte – durch jeden in seinem persönlichen Umfeld.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/331

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2015 ab Seite 16