Weihnachtsfreude ohne Hilfe

Meinungsstreit um „Weihnachten im Schuhkarton“ (2003)

Von Jahr zu Jahr hat die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ breitere Unterstützung auch in vielen evangelischen Kirchgemeinden erhalten. So wurden in diesem Jahr nach Angaben des Trägervereins „Geschenke der Hoffnung“ über 300 000 Pakete mit Geschenken vor allem in osteuropäische Länder, aber auch in den Irak und nach Israel gebracht bzw. sind noch zu ihren Empfängern unterwegs. Knapp 700 ehrenamtliche Helfer beteiligten sich mit Engagement in Sammelstellen und bei der Organisation vor Ort.

Professionelle Werbung

Zachäus-Dienstleistungen

Auffällig ist die professionelle und offensive Werbung, mit der die Veranstalter - offenbar recht erfolgreich - das Projekt in der Öffentlichkeit bekannt machen wollen. Viele Tageszeitungen und auch die Kirchenzeitung „Der Sonntag“, druckten werbende Berichte, der MDR informierte im Sachsenspiegel, in vielen Kirchgemeinden hängen Plakate und liegen Zeitschriften und Infoflyer der Aktion aus. Kirchliche Kindergärten und Christenlehregruppen packten gemeinschaftlich Päckchen. Regelmäßige Pressekonferenzen und schon fast aufdringliche Versorgung der Medien mit professionell gestaltetem Informationsmaterial zeigen hier ihre Wirkung. Keine der etablierten Hilfsorganisationen kann (oder will) in Werbeaufwand und Medienpräsenz da mithalten.

(„Nur“) Weihnachtsfreude

Genau dort liegt das Problem. Schon der Vergleich ist falsch, er zeigt aber genau die Schwierigkeit:

Es besteht die Gefahr, dass „Weihnachten im Schuhkarton“ zu einer ernsthaften Konkurrenz für die etablierten Hilfswerke wird. Dabei ist der Verein „Geschenke der Hoffnung“ im Kern überhaupt kein Hilfswerk, sondern ein evangelikales Missionswerk. Sein primäres Ziel ist nicht die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den belieferten Regionen, sondern die Verbreitung des Evangeliums. Die Weihnachtspäckchen dienen dabei als Bote: sie sollen etwas von der christlichen Freude über die Geburt Christi weitergeben. Dazu wird jedem Päckchen noch ein evangelistischer Traktat beigelegt, der diesen Zusammenhang erläutern soll. Das ist an sich keine schlechte Sache. Warum soll man nicht bei Weihnachtsgeschenken an mehr als die eigene Familie denken? Mich persönlich erinnert die Aktion etwas an die West-Pakete, die wir zu DDR-Zeiten zu Weihnachten von unseren Verwandten im anderen Teil Deutschlands bekamen. Deren Auspacken war ein wichtiger freudiger Höhepunkt des Weihnachtsfestes, quasi eine zweite Bescherung. An unserer Lebenssituation haben diese Pakete freilich nichts Grundlegendes ändern können, außer dass wir einige Zeit Nutella zum Frühstück hatten und merkten, dass Lego-Steine besser zusammenpassen als PeBe aus DDR-Produktion. Gewiss könnte man einwenden, dass das eigene Elend einem härter vorkommen kann, wenn man etwas von der Sahne der Überflussgesellschaft gekostet hat. Aber wir haben uns damals trotzdem über die West-Pakete gefreut.

Evangelikaler Fundamentalismus

Manche Kritiker werfen der Aktion vor, dass sie ihre Wurzeln im amerikanischen evangelikalen Protestantismus fundamentalistischer Prägung haben.

Geschenke der Hoffnung ist ein direkter Ableger der „Billy Graham Evangelistic Association“ und Lizenznehmer von deren Unterorganisation Samaritans Purse. Franklin Graham, Sohn von Billy Graham, ist unlängst mit pauschalen und dämonisierenden Äußerungen über den Islam in die öffentliche Kritik geraten. Andere „Reizthemen“, die in der Evangelischen Kirche in Deutschland meist differenzierter betrachtet werden, sind die Stellung (d.h. Unterordnung) der Frau, Umgang mit Homosexualität, der Umgang mit Andersgläubigen und die Stellung in der Ökumene.

Dass man als ehrenamtlicher Sammler von Weihnachtspäckchen als Mitarbeiter eines solchen Missionswerkes angesehen werden kann, sollten diese wissen und sich dann überlegen, ob sie dies auch wollen. Gelegentlich wird das Argument des erzkonservativen Amerikanismus aber auch überstrapaziert. Schließlich werden weder die Empfänger der Päckchen noch deren Sammler zur Übernahme dieser Extrempositionen vergattert.

Keine Hilfe

Deutlich schwerwiegender erscheint demgegenüber die Stilisierung der Päckchenaktion zu einer humanitären Hilfsaktion in der umfangreichen Werbung der Organisation. Die leuchtenden Kinderaugen auf den Werbefotos und die ganze Aufmachung suggerieren, das Packen eines solches Weihnachtspäckchens wäre gleichsam ein humanitärer Akt der Nothilfe für arme Völker. Das ist es aber auf keinen Fall. Ein entwicklungspolitisches Konzept ist mit der Initiative überhaupt nicht verbunden. Die Päckchen lindern keine Not und schaffen keine Perspektive, sie ändern nichts an der grundlegenden Situation in den Empfängerländern.

Die Sorge ist aber nicht unbegründet, dass viele von der Aktion Begeisterte genau diesen Unterschied zwischen Mission durch Freude und substanzieller Hilfe nicht bemerken und meinen, sie hätten nun ihren Anteil in der Not- und Entwicklungshilfe geleistet. Auf diese Weise wird „Geschenke der Hoffnung“ durch die irreführende Werbung zu einer falschen Konkurrenz für die etablierten Hilfswerke (Brot für die Welt u.a.), da sie nur deren Spender abfangen ohne selbst deren Arbeit zu leisten.

Wirkliche Hilfe

Wirkliche Hilfe, die auf Dauer etwas bewirken kann, muss von einem entwicklungspolitischem Konzept getragen sein und am jeweiligen Zielort eine „Hilfe zur Selbsthilfe“ ermöglichen. Sachspenden sind dabei nur in sehr seltenen Ausnahmefällen sinnvoll. In der Regel erzeugen oder verlängern Sachspenden lediglich Abhängigkeiten. Weitaus lohnender sind z.B. Investitionen in die Infrastruktur, in die Ausbildung oder Anleitungen mit Anschubfinanzierungen zu Wirtschaftsprojekten, die die soziale Situation in den Empfängerländern nachhaltig verbessern können, ohne auf Dauer ein Abhängigkeitsgefälle zu zementieren. Das leisten die etablierten Hilfswerke, und dafür ist ein Weihnachtspäckchen wirklich kein Ersatz.

Konkretes Engagement

Der Erfolg von „Weihnachten im Schuhkarton“ erklärt sich neben der breiten Werbung auch aus der Tatsache, dass dieses Konzept eine Möglichkeit der eigenen aktiven Mithilfe in einem überschaubaren Rahmen bietet. Die Päckchensammelaktion hat in etlichen Gemeinden eine Eigendynamik gewonnen, die ungeahnte Ressourcen der Mitarbeit freigesetzt hat. Insofern hat sie - relativ unabhängig von Erfolg oder Mißerfolg am Bestimmungsort - für die Beteiligten hier einen eigenen Sinn bekommen. Das Gefühl, selbst etwas tun zu können, selbst im Rahmen bescheidener zeitlicher und finanzieller Möglichkeiten etwas Konkretes beitragen zu können ist offenbar enorm motivierend.

Die berechtigte (und auch notwendige) Kritik an manchen Aspekten der Organisation sollte darauf achten, dass sie nicht zu destruktiv gerät und dieses Engagement zerschlägt, sondern sollte versuchen, es auf wirkliche Hilfe weiterzuleiten. Eine Reaktion in dem Stil „Ach, da habe ich wohl eine Sekte unterstützt“ wäre nicht nur sachlich falsch, sondern auch in ihrer Wirkung auf die künftige Bereitschaft zu sozialem und humanitärem Engagement möglicherweise verheerend. Man möchte ja nicht wieder die falschen Unterstützen. Besser wäre es darum, sich auf die Aufklärung der Verwechslung von Missions- und Hilfswerk zu konzentrieren und die damit verbundenen Möglichkeiten positiv zu zeigen:

  • Wollen Sie in missionarischer Absicht Weihnachtsfreude schenken? Dann packen Sie einen Schuhkarton.
  • Wollen Sie aber wirklich helfen, dann Spenden Sie bei einem Hilfswerk.

Man kann natürlich auch beides tun.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/60

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2003 ab Seite 13