Antisemitismus - was ist das?

Vier Grundformen

Der Begriff »Antisemitismus« verbreitete sich seit Ende der 1870er Jahre und wurde zum festen Bestandteil des Sprachgebrauchs. Unter Antisemitismus ist der Hass auf Juden, weil sie Juden sind, zu verstehen. 

Vier Formen des Antisemitismus lassen sich unterscheiden.

1) Religiös motivierter Antijudaismus

Die erste Form ist der religiös motivierte Antijudaismus der Antike und des Mittelalters, der jedoch auch kulturelle, soziale und ökonomische Aspekte aufweist. Den Juden wurde vorgeworfen

  • Christus ermordet zu haben,
  • geweihte Hostien zu schänden,
  • Ritualmorde zu begehen,
  • Brunnen zu vergiften,
  • Krankheiten zu verbreiten und
  • mit dem Teufel im Kontakt zu stehen.

Diese stereotypen Vorurteile führten zu Verdächtigungen, Ausgrenzungen in Ghettos (das erste entstand in Venedig) oder Judengassen, zur Kennzeichnung (gelber Ring, Hüte) und zur Vertreibung. Sozialer Neid oder die Suche nach dem Schuldigen waren und sind häufig die Motive für den Antijudaismus und Antisemitismus.

Die stereotypen Vorurteile aus der Antike und dem Mittelalter werden bis in die Gegenwart hinein aktiviert und genutzt.

2) Moderner Antisemitismus

Die zweite Form, der moderne Antisemitismus, entstand am Ende des 19. Jahrhunderts. Dieser moderne Antisemitismus ist scheinbar wissenschaftlich begründet. Biologen, Anthropologen und Rassenforscher entwickelten einen rassischen Antisemitismus, der vom Kampf der Juden gegen die Arier ausgeht und den ethnisch reinen Nationalstaat zum Ziel hat. In diesem ethnisch reinen Nationalstaat gibt es keinen Platz für Juden. Die Juden werden als »Parasiten« stigmatisiert und zugleich mit dem Stichwort »Moderne« verknüpft. 

Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden Begriffe mit dem Judentum in Verbindung gebracht, die mit der Umbruch- und Krisensituation dieser Zeit verbunden wurden und negativ konnotiert waren, wie z.B.: Kapitalismus, Parlamentarismus und Kommunismus. Dem Judentum wurde der Zerfall der Traditionen zugeschrieben, sie wurden verantwortlich gemacht für den Aufruhr der Kunstformen, die zügellose Sexualität, die Macht der Presse, Reichtum und Armut konnten gleichermaßen mit den Juden verbunden werden. Der Begriff des Juden konnte also auch gegensätzliche Assoziationen wecken wie: Kapitalismus und Kommunismus, Reichtum und Armut. Ein Dokument dieser Zuschreibungen sind die angeblichen „Protokolle der Weisen von Zion“. Dieser moderne rassisch begründete Antisemitismus zielte darauf ab, die Juden auszugrenzen, ja auszulöschen und entwickelte sich in einer Zeit der rechtlichen und politischen Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und Europa.

3) Sekundärer Antisemitismus

Nach der Shoah entstand eine dritte Form, der sekundäre Antisemitismus. Es wird von einem Judenhass ohne Juden gesprochen. Dieser ist weniger gewalttätig und geht von dem Schuldgefühl der Täternationen aus. Die Täternationen stilisieren sich zu Opfern und die jüdischen Opfer werden zu Tätern gemacht. Dabei wird behauptet, die Juden würden sich mit der Forderung nach Entschädigungszahlungen für das erlittene Leid bereichern und der Holocaust sei erfunden. Bei diesem sekundären Antisemitismus kommt es zur Vermischung von alten Vorurteilen und Stereotypen mit Verschwörungsmythen. Die Umkehr von Täter- und Opferzuschreibung ist immer wieder bei Gewalttaten zu beobachten und gilt insbesondere für sexualisierte Gewalt.

4) Antizionismus

Die vierte Form, der Antizionismus, ist sehr komplex und hat verschiedene Wurzeln. Er versteckt sich zum Teil hinter politischer Kritik am Staat Israel und vermischt sich gelegentlich mit Globalisierungs- und Kapitalismuskritik. Der Antizionismus existiert auch in einer islamisierten Version.

Fazit

Das Kennzeichen des Antisemitismus ist, dass den Juden als Kollektiv, als »Rasse«, Nation, religiös oder sozial definierte Gruppe unveränderbare Eigenschaften zugeschrieben wurden und werden. Eigentlich weist der Antisemitismus immer auf ein Problem der Mehrheitsgesellschaft hin und muss im konkreten Kontext analysiert werden.

Antisemitismus ist nie nur ein Problem für Juden. Wo er geduldet wird, etabliert sich die Verachtung von Menschen. Dies hat immer Folgen für die gesamte Gesellschaft.

 

PD Dr. Susanne Schuster

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2023 ab Seite