Wer zuletzt beißt ....

Vampire unter uns

Ob im Buchladen, im Fernsehen oder auf der Bühne, sie begegnen uns überall: Vampire! Die blutsaugenden Untoten sind gegenwärtig so populär wie nie, nicht nur im kulturellen Bereich. In verschiedenen Vampir-Live-Action-Rollenspielen (LARP) und einem kleinen Teil der Gothic-Szene werden „Vampyre“ von der Kunstfigur zur Lebenseinstellung. Aus Spiel wird Ernst. Doch was ist es, was die Faszination dieser Legende ausmacht, so dass sie immer wieder neu bearbeitet und modernisiert wird?

Der Vampir-Mythos

Die Figur des Vampirs steht sowohl für die Urangst der Menschen, den Tod, wie auch für die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, Macht und Erotik. In dem Mix heute populärer Vorstellungen erscheint der Vampir als ein von der Gesellschaft ausgestoßener, melancholisch-düsterer Poet mit einer erotisch-sinnlichen Ausstrahlung. Er hat lange spitze Eckzähne, eine blasse Haut und trägt barocke Kleidung. Der Vampir hat kein Spiegelbild, verträgt kein Sonnenlicht und trinkt das Blut seiner Mitmenschen. Er ist übermenschlich stark, kann fliegen und sich in Tiere verwandeln. Sein Clan ist seine einzige Gesellschaft, seine Schattenexistenz zugleich Fluch und Segen.

Um ihn abzuwehren, sollen vor allem Weihwasser, Kreuze und Knoblauch helfen. Zum Töten des Untoten braucht man einen spitzen Holzpflock, der ins Herz gerammt werden muss oder eine Axt, um den Kopf abzuschlagen. Auch Feuer und natürlich Sonnenlicht können einen Vampir töten.

Doch diese Elemente gehörten nicht von Anfang an zu der Figur des Vampirs, sondern wurden vielmehr Stück für Stück in den Mythos eingearbeitet.

Herkunft im Volksglauben

Die stärkste Prägung erhielt die Vampir-Legende aus dem Volksglauben von Südosteuropa, vor allem aus Rumänien.

Seuchen, Krankheiten und unerklärlichen Todesfällen schürten den Glauben an Vampire, untote Monster, die nachts unschuldige Menschen bedrohen, als deren Urheber. Bei unerklärlichen Todesfällen wurde oft ein bereits Verstorbener verdächtigt, ein Vampir zu sein. Sein Grab wurde geöffnet und die Leiche untersucht. Ein noch nicht weit genug fortgeschrittener Verwesungsgrad, nachgewachsene Fingernägel und Haare und frisches Blut an Körperöffnungen galten als untrügliche Zeichen. Um das Monster zu töten, wurde der Leichnam gepfählt und verbrannt.

Historische „Vampire“

Die meisten der sogenannten „historischen Vampire“ wurden erst nachträglich als solche bezeichnet bzw. durch Legendenbildung zu solchen gemacht. So war es bei Vlad III. Tepes Draculae (1431-1476) geschehen, den Bram Stoker als Vorlage für seinen Roman „Graf Dracula“ nahm.

In Wirklichkeit war Vlad III. kein untotes, blutsaugendes Wesen, sondern vielmehr ein Herrscher, dem große Grausamkeiten nachgesagt wurden. So soll er seine Opfer oft pfählen gelassen haben, was ihm den Beinamen „Tepes“, zu deutsch „Pfähler“, einbrachte. Der zweite Beiname „Draculae“ bedeutet „Sohn des Drachen“ und spielt wahrscheinlich auf seinen Vater Vlad II. Dracul an, welcher dem Drachenorden „Societas Dracionis“, einem Kampfbund gegen die Türken, angehörte. Schon zu seinen Lebzeiten inspirierte Vlad III. Literaten – insbesondere die seiner Gegner – zu Horror- und Schauergeschichten. Seine Herrschaft wurde in einigen zeitgenössischen Dokumenten als sehr grausam beschrieben.

Eine weitere historische Figur, die gern mit dem Vampir-Mythos in Verbindung gebracht wird, ist Elisabeth Bathory (1560-1640), die aus kosmetischen Gründen in dem Blut ihrer getöteten Dienerinnen gebadet haben soll.

Auffallend bei den sogenannten „historischen“ Vampiren ist, dass sie nicht in erster Linie mit dem Trinken von Blut, dem ersten und hervorstechenden Merkmal eines Vampirs, in Verbindung gebracht, sondern als gewalttätige, grausame und blutdrünstige Personen beschrieben wurden.

Vampire in der Literatur

Das Vampir-Motiv wurde über die Zeit hinweg immer neu ausgestaltet und durch neue Facetten angereichert. Eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung des Vampir-Mythos spielten und spielen zunächst Romane. Hier ist allen voran der bereits erwähnte Bram Stoker mit seinem „Graf Dracula“ zu nennen. Stoker hat das moderne Bild des Vampirs geschaffen, indem er den Volksglauben an Untote mit der Gestalt eines introvertierten Aristokraten verband. Zu dem „Monster Vampir“ wird eine erotische Anziehungskraft zugefügt, welche sich auf Frauen wie auf Männer auswirkt. Interessant ist hier, dass Dracula noch nicht das Merkmal der Sonnenempfindlichkeit trägt, das heißt, er kann sich tagsüber im Freien aufhalten, ohne zu Staub zu zerfallen.

Romantische Helden

In der Neuzeit belebten vor allem Anne Rices Romane der „Vampire Chroniken“ („Interview mit einem Vampir“, „Die Königin der Verdammten“ u.a.) den Mythos neu. In ihren Büchern lässt sie die Vampire selbst ihre Geschichten erzählen und schafft so eine weitere Facette: den romantischen Helden, der sich als Ausgestoßener empfindet und über den Sinn seines Daseins philosophiert. Lestat, Louis und Co. werden zu Identifikationsfiguren, die den meist jugendlichen Leser in eine Welt voller Dunkelheit, Leid, Spannung und vor allem Erotik ziehen. Der Vampir wird zur Projektionsfläche der Sehnsucht nach Liebe und Beheimatung.

Twilight

Eine weitere Vampir-Buchreihe, die in jüngster Zeit viel Wirbel verursachte, ist die vierteilige „Biss-Reihe“ von Stephenie Meyer. Sie schildert die Liebesgeschichte zwischen einer jungen Frau und einem Vampir. Auch diese Autorin leistet ihren Beitrag zur Umgestaltung des Vampir-Mythos. Der Vampir Edward und seine Familie ernähren sich ausschließlich von Tierblut. Damit sind sie Außenseiter der Vampir-Gesellschaft. Ein Kampf entbrennt zwischen Menschenblut- und Tierbluttrinkern.

Meyer kehrt auf gewisse Weise zu Bram Stoker zurück, indem sie ihre Vampire in die Sonne gehen lässt, ohne zu Staub zu zerfallen. Einzig die Haut schimmert in Berührung mit Sonnenlicht, so dass die Vampire sich meist nur bei bedecktem Himmel nach draußen begeben, um keinen Aufruhr zu verursachen. Des Weiteren benutzt die Autorin die Erotik des Vampir-Mythos, um ihre moralische Vorstellung zum Thema Liebe zu beschreiben: Die Sexualität solle ausschließlich in der Ehe stattfinden. Das Thema ist schlüssig in die Geschichte eingebaut. Der Geschlechtsverkehr zwischen Bella und Edward ist unmöglich, da er als Vampir sie lebensgefährlich verletzen oder gar töten könnte. Bella entscheidet sich schließlich aus Liebe und wohl auch Verlangen, selbst zum Vampir zu werden, um ihrem Edward ganz nah sein zu können. Bedingung dafür ist aber die vorherige Hochzeit und ein Studienbeginn an der Universität. So leben Edward und Bella ihre Liebe erst körperlich aus, nachdem sie geheiratet haben.

Auch hier bildet der Vampir eine Projektionsfläche unerfüllter Sehnsüchte und Hoffnungen nach wahrer, unsterblicher Liebe.

Vampirbild im Film: Nosferatu

Einen großen Einfluss auf das Vampir-Bild von heute hatte und hat das Medium Film. Je nach gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Umständen veränderte sich das dargestellte Bild des Vampirs. Dabei reicht das Angebot von düsterer Schreckensfigur, über erotischem Verführer, Superhelden bis zum Spielkameraden. Einige wenige sollen hier vorgestellt werden.

Den Anfang macht „Nosferatu“, der 1922 gedreht wurde. Die Titelfigur, die sich in dem Film Graf Orlock nennt, wird als Monster porträtiert. Die Vampirzähne sind hier noch die Vorderzähne. Sie sind lang, spitz und rattenähnlich. Die Vorstellung, dass Vampire durch Sonnenlicht getötet werden können, wurde durch diesen Film geprägt.

Graf Dracula

In dem Film „Graf Dracula“ (1931), ist der berühmte Vampir bereits ein eleganter Herr mittleren Alters, der den Charme einer ausländischen Aristokratie versprüht. Er hat eine besondere Ausstrahlung auf Frauen, die erst hypnotisiert und dann gebissen werden.

Auch in dem 1958 gedrehten Film „The Horror of Dracula“ ist der Vampir eine charmante und elegante Erscheinung mit einer starken erotischen Anziehungskraft. Jedoch mischt sich hier eine Rachsucht und Grausamkeit in das Bild. Die typisch langen Eckzähne werden etabliert.

1992 wird ein neuer, junger und moderner „Dracula“ geboren. In dem gleichnamigen Film wird der Figur ein romantischer, melancholischer und sinnlicher Aspekt beigefügt. Zum ersten Mal verwandelt sich Dracula in einen Wolf oder eine Fledermaus.

Selbst (ehemalige?) Kinderfilme wie „Die wilden Fußballkerle“ meinen, nicht mehr auf Vampire als Spannungselement verzichten zu können.

Rollenspiel-Vampire

Bei Vampir–LARPs, agieren und kleiden sich die Spieler so wie ihre erfundenen Figuren. Die künstliche Welt besteht aus einer dekadenten und geheimnisvollen Gemeinschaft, in der jeder Vampir auf sich selbst gestellt ist. Er sucht seinen Platz in der (Fantasy-)Gesellschaft mit dem Ziel, Ruhm und Macht zu erlangen. Die Mittel sind Intrigen und falsches Spiel. Den typischen Vampir-Merkmalen wie dem Blutsaugen werden gesellschaftliche Nuancen hinzugefügt.

Manche Rollenspieler, die sogenannten „LifeStyler“ passen auch im Alltag ihren Kleidungsstil dem klassischen Vampirbild an. Sie tragen Renaissancekleidung in schwarz oder blutrot und greifen auch zu falschen Fangzähnen.

Die meisten Rollenspieler bezeichnen sich selten außerhalb des Spielsettings als Vampir. Das Rollenspiel ist für sie ein Ausbruch aus dem normalen Alltagsleben, keine Lebenseinstellung. Doch gibt es Ausnahmen, welche die Grenzen fließend werden lassen.

Vampyre

Eine Teilmenge der sogenannten Dark Wave-Subkultur nennt sich im Gegensatz zu den Rollenspielern auch im alltäglichen Leben „Vampyre“. Das y im Namen soll dabei als Abgrenzung dienen. Diese Menschen fühlen sich meist von ihrer Umgebung unterschieden und herausgehoben. Der Vampyr fühlt sich als menschliche Person, die Eigenschaften eines Vampirs angenommen hat. Er erlebt sich als Außenseiter der Gesellschaft und hat das Gefühl es würde ihm „etwas“ fehlen. Durch die Hilfe von Gleichgesinnten, die vor allem im Internet gefunden werden, wird der Weg in die „vampirische“ Welt gezeigt. Die stimulisierende und erotisierende Wirkung von Blut wird entdeckt und der Hunger nach mehr geweckt.

Sanguine

Es gibt vor allem zwei Arten von Vampyren, Blut-Vampyre, auch Sanguine genannt, und Psy-Vampyre, die anstelle von Blut auf metaphysischer Art energetische Kräfte anderer Menschen aufnehmen wollen.

Sanguine nehmen kleinere Mengen Blut zu sich, die sie mit Hilfe von Skalpellen den sog. Donors entnehmen. Es ist ein Tabu jemandem Blut abzunehmen, der sich nicht als Donor zur Verfügung gestellt hat. Über eventuelle Traumatisierungen trotz Freiwilligkeit lässt sich bisher nur spekulieren.

Da nur wenige Vampyre an die Unsterblichkeit der vampirischen Existenzform glauben, ist die Vorbeugung vor Krankheiten, die beim sogenannten „bloodletting“ weitergegeben werden könnten, ein wichtiges Thema. Die Instrumente werden steril gehalten, nach einmaliger Benutzung weggeworfen und ein Vampyr bleibt solange es geht bei ein und demselben Donor. Die Wunden werden so gesetzt, dass sie von außen nicht zu erkennen sind, z.B. an der Leistengegend oder im Nacken.

Das „bloodletting“ geschieht häufig auf privaten Partys. Die Einladungen hierzu geschehen nur persönlich oder über Chat und Handy. Es werden wenige Tropfen Blut entnommen, die teils pur, teils vermischt mit Wein getrunken werden.

Psy-Vampyre

Parallel dazu haben die Psy-Vampyre ihre sogenannten Sources, die sie auf belebten Plätzen, Diskotheken, Kneipen u.ä. zu finden hoffen. Die Energien, die ein Psy-Vampyr benötigt, kann er auch aus der Natur, wie z.B. von Stürmen ergattern. Er absorbiert diese Energie und nährt sich daran.

Vampyr werden?

Bei der Frage, ob ein Mensch zu einem „Vampyr“ gemacht werden kann, ist sich die Szene uneins. Manche halten sich eng an die Vampir-Legenden, in denen ein Vampir sein Opfer durch den Blutaustausch selbst zum Vampir machen kann. Modern heißt das: Die Vampyr-Existenz wird „eingehaucht“.

Daneben gibt es aber auch Gruppen, die jegliches künstliche „Machen“ ablehnen. Sie vertreten die Annahme, dass Vampyre bereits als solche geboren werden. Bei einem sog. „Awakening“ (Erwachen) wird dem Menschen seine wahre vampyrische Existenz deutlich. Dieser Moment soll von physischen und psychischen Veränderungen wie Sensibilität gegenüber Sonnenlicht und dem erwachenden Durst nach Blut begleitet sein.

Die Distanz zu Familienmitgliedern und Freunden wächst. Parallel dazu steigt das Bedürfnis nach Gemeinschaft mit anderen Vampyren im Internet und im realen Leben. Viele Menschen gehen in ihrer Parallelexistenz ganz auf und wählen die anderen Szenenmitglieder als „Ersatzfamilie“. Der Zugang zur Realität verschwindet.

Einschätzung

Gefährlich ist vor allem die Verwischung von Realität und Fantasie. Vampire sind ein Produkt der menschlichen Fantasie und haben in Büchern, Filmen oder in der Bildenden Kunst ihre Heimat. Doch in der Vampyr-Szene wird der Mythos Vampir als reale Lebensform verkannt. Einsamkeit und Ausgrenzung aus der Gesellschaft werden künstlich verstärkt.

Viele Vampyre führen ein Doppelleben, da sie sich vor der Ablehnung und dem Unverständnis der Gesellschaft fürchten und ihr vermeintliches „wahres Wesen“ für sich behalten. Dies steigert zum einen die seelische Belastung und treibt zum anderen den Menschen tiefer in die Szene hinein.

Die Beschaffenheit des Donor-Prinzips, eines Menschen, der sein Blut zur Verfügung stellt, müsste näher untersucht werden. Herrscht hier wirklich eine Freiwilligkeit vor? Oder wird nicht vielmehr eine subtile psychische Abhängigkeit ausgenutzt und gefördert?

Aus christlicher Sicht ist die Basis jeden Zusammenlebens die Liebe untereinander. Bei der Selbststilisierung zur Figur des Vampir stehen nicht Gefühle für andere, sondern die eigenen Bedürfnisse an erster Stelle. Vampire saugen Blut oder Energie auf Kosten der anderen, ohne etwas zurückzugeben. Ihre Beziehungen sind von einem parasitären Egoismus geprägt. Das Ausleben der Einbildung „Vampir“ zu sein ist daher nicht gesellschaftsfördernd und sollte kritisch begleitet werden.

Dorothea Muth

Dipl. theol. Dorothea Weiss

war 2009/2010 Praktikantin an der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen.

Artikel-URL: https://confessio.de/index.php/artikel/234

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2009 ab Seite 04