Geistiger Heilung auf der Spur

Energiemedizin oder Esoterik? Begegnungen des Evangelischen Bundes Sachsen

Heilung ist nach wie vor ein großes Thema - auch für den Evangelischen Bund Sachsen. In den vergangenen Jahren fanden mehrere Treffen mit Viktor Philippi, dem Erfinder der „Theomedizin“ statt. Um das Thema weiter auszuloten, traf sich die AG Religiöse Gemeinschaften mit anderen Persönlichkeiten, die Erfahrungen in diesem Themenbereich haben.

Weissagen oder Wahrsagen?

Am 11. September 2009 referierte Dr. Ekkehard Lorenz (Heidelberg) aus der Sicht der Geistlichen Gemeindeerneuerung zur Frage der Unterscheidung der Geister im Blick auf mitunter äußerlich ähnliche Phänomene in Charismatik und Esoterik.

Die gefährlichste Meinung wäre die, dass meine eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit die einzige mögliche sei. Solches führe zu despotischem Wegschließen aller Abweichler. Diese grundsätzliche Erkenntnis illustrierte Dr. Lorenz mit Edwin A. Abbotts Science-Fiction Klassiker „Flatland“ von 1884.[1] Darin werden die Erlebnisse eines kleinen Quadrates aus Flachland geschildert, welches zunächst in Linienland die Beschränktheit nur eindimensionaler Wesen beobachtet, dann aber plötzlich mit Raumland konfrontiert wird, in dem es eine dritte Dimension gibt. Diese Erfahrung führt es dazu, denkerisch auch weitere Dimensionen für möglich zu halten. Solche Vorstellungen provozieren aber den Protest seiner Umwelt und es wird als Aufrührer eingesperrt. Mit dieser Erzählung plädierte Dr. Lorenz nachdrücklich für eine Akzeptanz geistlicher Zusammenhänge, selbst wenn sie unsere gewohnten Denkvoraussetzungen überschreiten. Allerdings ist damit das Problem erst eröffnet, denn wie kann ich zu sachgerechten Kriterien zur Beurteilung von Phänomenen gelangen, wenn sie gleichsam der eigenen Dimension und somit dem Verstehen enthoben sind?

Esoterik als Synkretismus

Am Beispiel von Deeksha erläuterte Dr. Lorenz seine Einschätzung von Esoterik als Synkretismus. Deeksha verspricht das Eintauchen in den Strahl der göttlichen Gnade zur Vermittlung von Heilung und Erleuchtung. Die Vermittlung von Deeksha-Energie durch Handauflegen wirke sich positiv auf das Karma aus. Blockaden würden beseitigt, wenn Deeksha das Chakrensystem reinige – so die Ankündigung einer Veranstaltung in einem katholischen Pfarrzentrum. Deutlich sind das dahinter stehende hinduistische Menschenbild und die dementsprechend aufgelöste Gottesvorstellung in eine unpersönliche göttliche „Energie“ zu erkennen. Analog dazu sieht Dr. Lorenz in vielen esoterischen Angebotsformen eine ähnliche Vermischung hinduistischer oder asiatischer Anthropologie und Kosmologie mit westlichen Elementen. Dieses Bemühen um synkretistische Verarbeitung von Grenzerfahrungen zeigt sich beispielsweise auch im Wicca, in verschiedenen Formen der „Energiearbeit“ (Reiki, Qi-Gong, Pranayama, Yoga), im Neoschamanismus, bei Channeling und Astralreisen, Hellsehen, Wahrsagen, Tarot und Aurasehen.

Unterscheidungskriterien

Aus fünf Textbeispielen bemühte sich Dr. Lorenz um die Extraktion von Kriterien für die Unterscheidung von Charismatik und Esoterik. Die Schwierigkeit resultiere daraus, dass es zu fast jeder Gnadengabe auch eine schlechtere Kopie gebe (Wort der Erkenntnis/Channeling und Hellsehen, Prophetisches Reden/Wahrsagen, Heilungen/Geistheilung, Glaube/Aberglaube und Fanatismus etc.)

Während Wahrsager oft behaupten, ihre besondere Gabe ererbt zu haben, werden Geistesgaben jeweils neu einem spezifischen Menschen verliehen. Sprachphilosophisch sei auf den Unterschied zwischen Weissagen und Wahrsagen zu achten. Pastoral stehe die Betrachtung der Wirkung im Mittelpunkt: Ergeben sich daraus Abhängigkeiten oder Befreiung? Eine Checkliste zur Geisterunterscheidung könne es dennoch nicht geben, denn dies sei primär keine intellektuelle, sondern eine geistliche Aufgabe. Die Fähigkeit dazu ist selbst eine Gnadengabe, die sich auch nicht durch fünf Doktortitel ersetzen lasse, so Dr. Lorenz. Ein intensives Gebetsleben hilft am besten, die Stimme Gottes unter den schlechten Kopien herauszuhören.

Energiemedizin

Eine grundlegend andere Perspektive präsentierte am 26. Oktober 2009 PD Dr. Albrecht Hempel, früherer Chefarzt der Inneren Abteilung am Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt und inzwischen Inhaber des „Zentrums für Energie- und Umweltmedizin Sachsen“ (www.zeums.de). Zwar versteht er sich nicht als Geistheiler im engeren Sinn, doch möchte er Elemente und Verfahren der sogenannten „Energiemedizin“ erforschen. Dazu bedient er sich einer Reihe technischer Geräte, die auf verschiedene Weise in energetische Schwingungsmuster des Organismus eingreifen sollen.

Krankheitsursachen

Im Klinikalltag hatte ihn gestört, dass viele Patienten kein ausreichendes Bewusstsein für die organischen Zusammenhänge und entsprechend mangelnde Selbstdisziplin aufwiesen, z.B. wenn er Patienten wenige Tage nach der Herzkatheder-OP rauchend auf der Straße traf. Der Klinikbetrieb hat keinen Raum für intensive Gespräche und es wird auch von den Patienten zu wenig erwartet. Etliche wollen nicht ihr Leben ändern, sondern Organe repariert bekommen. In seiner jetzigen Praxis möchte sich Dr. Hempel mehr den Krankheitsursachen zuwenden. Diese sieht er vor allem im geistigen Bereich. „Wenn die Hardware ein Problem hat, müssen wir den Fehler in der Software suchen.“ Welche Programme laufen in uns ab? fragt Dr. Hempel. Manche Krankheiten, z.B. Diabetes, können durch Stress erzeugt sein. Wann jemand Stress hat, ist jedoch individuell sehr unterschiedlich.

Gefühlsregierung

Die Frage nach den Gefühlen scheint ihm für Krankheitsverläufe wesentlich. Wer z.B. am Herzen krank ist, habe fast immer einen Gefühlsstau. Gefühle seien in der Energiemedizin deshalb so wichtig, weil der Verstand ihnen in der Praxis nachgeordnet ist, erläuterte Dr. Hempel. Dieser ist lediglich der Regierungssprecher, der nach außen versucht zu erklären, was das Gefühl schon lange entschieden hat. Übertragen gesprochen wäre die Prozessorgeschwindigkeit des Verstandes lediglich 4kb/s, während die Gefühle mit 4 MB/s arbeiten. Wenn wir den Glauben an uns verloren haben, aktiviere sich ein Selbstvernichtungsprogramm, so Dr. Hempel. Eine seiner ersten Fragen an Patienten ist demzufolge: Was wäre anders, wenn wir heil wären? Dahinter steht die tiefere Frage nach dem eigentlichen Ziel im Leben. Was soll wirklich anders werden? Was ist aus persönlicher Sicht Ursache der eigenen Probleme? Daraus ergeben sich oft wertvolle klärende Gespräche. Krankheiten, so seine Definition, sind gestörte Prozesse infolge gestörter Informationsflüsse. Im Kern sei Krankheit also ein Energieproblem. In diese energetischen Informationsflüsse will Dr. Hempel mit seinen Geräten eingreifen.

Schwingungen und Weltraumtechnik

Weil ein gesunder Mensch täglich ca. 1 Milliarde neuer gesunder Zellen generiert, bedeutet das für den Körper einen energetischen Aufwand, krank zu bleiben. Die Wirkmechanismen energiemedizinischer Ansätze bemüht sich Dr. Hempel mit Anleihen aus der Physik plausibel zu machen. Da pro Sekunde in jeder Zelle 1017 verschiedene Vorgänge ablaufen, könne diese Datenfülle nur durch Resonanz gemanagt werden. Körpergewebe habe eine spezifische Grundfrequenz, in der es gut arbeite. Wenn diese Schwingungsmuster gestört werden, komme es zu Krankheiten. Er habe in seiner Praxis ein Gerät aus der russischen Weltraumforschung („Oberon“), welches psychosomatische Störungen mittels bildgebender Verfahren zeigen könne, noch bevor sich körperliche Probleme auch äußerlich zeigen. Praktisch sieht das so aus, dass ein als Kopfhörer gestalteter Sensor in ein Laptop gesteckt wird und eine dort laufende Software mit den spezifischen Schwingungsmustern der Organe des Patienten versorgen soll. Dabei sei es egal, an welchem Organ der Sensor anliege. Auf dem Laptop werden saubere anatomische Bilder der ausgewählten Organe in ihrer Idealform präsentiert. Darauf eingeblendete Symbole sollen auf normale Funktion oder Störzonen hinweisen. Diese diagnostische Information wird angeblich aus einem Vergleich der gemessenen mit den gespeicherten idealen Schwingungsmustern der jeweiligen Organe ermittelt.

Methodisch stellt sich bei dem beschriebenen Wirkprinzip dieser Geräte die Grundfrage, wie sie mit der Individualität der Menschen umgehen. Diese scheint wegdefiniert, wenn die Datenbank das „gesunde“ Schwingungsmuster aller möglichen Organe bis auf Zellebene gespeichert haben soll.

Merkwürdige Anbieter

Der deutsche Hersteller Metavital gibt sich auf seiner Homepage[2] sehr bedeckt, präsentiert lediglich nichtssagende Urkunden und Zertifikate, versteckt die Beschreibung der Wirkungsweise des Gerätes jedoch in einem passwortgeschützten Bereich hinter der Warnung, dass die Wirksamkeit dieser Methode durch die sog. Schulmedizin noch nicht anerkannt sei und das Oberon-Diagnosesystem darum nur für Fachkreise zugelassen sei. Das wirkt wenig vertrauensbildend. Andere Verkäufer sind weniger zurückhaltend. Ein Medizinshop bewirbt einen erstaunlichen Funktionsumfang der Geräte, u.a.:

„• Erkennung von Allergenen, Mikroorganismen und Parasiten (z.B. Bakterien, Viren, Helminthen, Rickettsien, Mykoplasmen, uvm.)

• genaue, abgestufte Therapievorschläge (z.B. Homöopathika, Nahrungsmittel, uvm.) aus der umfangreichen Datenbank

• Testung von Medikamenten, Nahrungsergänzung, Phytopräparate, Homöopathika, Lebensmittel, Creme, Salben, Zahnmaterialen, uvm. auf Wirkung und Verträglichkeit

• Frequenzübertragung auf Träger (Wasser, Alkohol, Globuli, Chip, etc.)“[3]

Auch der österreichische Anbieter Somyavital präsentiert ohne Scheu Wirkungsdiagramme.[4] Eins ist jedenfalls offensichtlich: Diese Gerätehersteller leben von der Technikgläubigkeit – auch und gerade im alternativmedizinischen Sektor. Die Therapie von mit diesen Geräten angezeigten Problemen erfolgt – zumindest bei Dr. Hempel – auf psychologischer Ebene.

Prana, Chakra, Aura

Dr. Hempel kombiniert die vergleichsweise stark technikorientierte Methodik mit Elementen aus östlichen religiösen Traditionen. Zur Erklärung der Energieflüsse benutzt er den Begriff „Prana“ und unternimmt zur Beweisführung gern eine kleine Übung: Beide Hände werden durch intensives Kneten erwärmt. Damit würden die Handchakren aktiviert. Dann sollen die Handflächen in etwa 50 cm Abstand aufeinander ausgerichtet werden. Wenn man nun langsam die Arme gegeneinander verschiebt, solle man spüren können, wie die Hände in den von der jeweils anderen Handfläche ausgehenden „Prana“ genannten Energiestrom eintreten bzw. ihn verlassen. Die Mitglieder der AG Religiöse Gemeinschaften erwiesen sich als schwierige Probanden, denn der gewünschte Überzeugungseffekt durch eigene Erfahrung stellte sich nicht in gewohnter Deutlichkeit ein.

Mit großer Selbstverständlichkeit geht Dr. Hempel davon aus, dass man die Aura eines Menschen ertasten könne und dass Kinder von 3 bis 7 Jahren auch die Aura noch sehen würden. Im Übrigen verweist er auf die Kirlian-Fotografie. Diese macht aber nicht die Aura, sondern Hochspannungs-Koronarentladungen fotografisch sichtbar. Zudem sind sich auch Esoteriker nicht einig, was die Aura eigentlich ihrem Wesen nach ist. Für Anthroposophen und Theosophen stellt sie den Astralkörper (Lebensleib) dar, für andere den feinstofflichen Energiekörper (was nicht dasselbe ist).

Die Chakren hätten nach Ausführung von Dr. Hempel in der menschlichen Entwicklung verschiedene Prägungsphasen, wobei er auf eine Darstellung eines Chakra-Workshops verweist. Dazu passt dann auch ein Satz, der Reinkarnationsvorstellungen anklingen lässt: „Wenn jemand dankbar und zufrieden ist, dann ist er dicht an dem dran, weshalb er in dieser Runde auf der Erde ist.“

Für einen (ehemaligen) Schulmediziner erstaunt doch die unkritische Offenheit für diverse Behauptungen im alternativmedizinischen Sektor. So meinte Dr. Hempel, man könne mit einer DNA-Analyse die „heilerische Kapazität“ eines Menschen „messen“. Wer führt eine solche Messung durch? Wer kontrolliert so etwas? Was ist genau die heilerische Kapazität? Und wieso soll sich diese in der DNA niederschlagen? Die Zeit war zu kurz, um alle Fragen zu stellen.

Bedenken

Dr. Hempels Ansatz weist durchaus eine ganze Reihe schlüssiger Betrachtungen und nachdenkenswerter Impulse auf. Nicht unbeträchtlich ist aber auch die Reihe der Bedenken und Widersprüche sowohl von Seiten der modernen Naturwissenschaft wie auch von der Theologie.

Die vom Grundansatz her vorgenommene Spiritualisierung von Krankheit kann problematische Auswirkungen haben. Gewiss gibt es seelisch bedingte Krankheiten. Aber nicht alle sind es. Manches hat auch eindeutig physische Ursachen. Die Forschungen zu Spontanheilungen bei Krebs von Herbert Kappauf konnten – im Gegensatz zur gängigen Meinung – keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Heilungsrate und Heilungsmotivation der Patienten belegen. Dessen Fazit: Es gibt Wunder (Spontanheilungen), aber wir können sie nicht erzeugen, auch nicht durch die beste Motivation.

Gottesvorstellung

Dr. Albrecht Hempel ist kein Theologe, wie sein Vater, Altbischof Dr. Johannes Hempel. Das muss er auch nicht – aber es hat Auswirkungen. Mit großer Unbefangenheit agiert er mit Begriffen und Vorstellungen, die in ihrem ursprünglichen Kontext starke religiöse Konnotationen haben. Chakren sind kein Begriff der Physik, sondern entstammen hindustischen Vorstellungsbereichen. Ebenso ist Prana keine physikalisch mess- oder nachweisbare Größe, sondern ein Begriff aus dem indischen Kontext, der eng (oder sogar unlösbar?) mit einer entsprechenden Gottesvorstellung verknüpft ist. Diese Gottesvorstellung beinhaltet nun aber gerade nicht das Gegenüber von Schöpfer und Geschöpf wie in der christlich-jüdischen Tradition, sondern ist durchdrungen von dem Alleinheitsgedanken der Advaita-Vedanta-Philosophie. Dr. Hempel benützt diese Begriffe nicht religiös. Aber eine Auseinandersetzung mit den ihnen anhaftenden Vorstellungswelten war nicht erkennbar. Für einen christlichen Umgang scheint solches aber unverzichtbar.

Apparategestützte Psychotherapie?

Aus naturwissenschaftlicher Sicht bewegt sich ein großer Teil von Dr. Hempels Arbeit außerhalb der Bereiche, über die wir zuverlässige und reproduzierbare Erkenntnisse haben. Das muss nicht heißen, dass es dort nichts gibt, aber es heißt doch so viel, dass man eben keine Geräte bauen kann, um nicht messbare Ströme und Schwingungen dann doch zu messen und daraus diagnostische Schlüsse zu ziehen. Einem außenstehenden Betrachter können Dr. Hempels Behandlungsmethoden als spezielle Form apparategestützter Psychotherapie erscheinen. Die eigentliche Behandlung findet im Kopf des Patienten statt, diverse technische (Plazebo-?)Maschinen helfen bei der Annahme bestimmter Einsichten und der Selbstmotivation. Ist so etwas legitim? Die Ethik der Plazebo-Behandlung muss neu diskutiert werden. Schließlich ist sie hochgradig wirksam, wofür Dr. Hempel etliche Beispiele anführen kann. Andererseits beruht sie auf Irreführung des Patienten. Darf man für die Heilung täuschen?

Unter den Grenzgängern zwischen Medizin und Esoterik ist Dr. Hempel ein behutsamer und sensibler Vertreter, der sich der Gefahr der Bildung von Abhängigkeiten sehr bewusst ist. Warnungen scheinen daher nicht nötig. Eine Fortsetzung des Gespräches ist aber ist aber in jedem Fall angezeigt und sinnvoll.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2009 ab Seite 04