Vermischen sich die Religionen?
Der Kölner Kardinal Meißner hatte den Kirchentag wegen der bunten Vielfalt des Programmes etwas abschätzig mit „Leipziger Allerlei“ verglichen. Gemeint war, dass manche Veranstaltungen nicht mehr viel mit dem Christentum zu tun hatten und zu viele Elemente aus anderen Religionen aufnahmen. Damit hat er ja nicht ganz Unrecht. Die Projektleitung der Werkstatt Weltanschauungen hatte selbst in einem Brief an den Kirchentag den Auftritt von Bert Hellinger zusammen mit Jürgen Fliege im Hauptpodium „Glauben für die Menschen“ kritisiert. Aber wo verläuft die Grenze? Ist das Christentum nicht selbst auch synkretistisch geprägt? Verbindet es nicht selbst verschiedene religiöse Traditionen zu etwas Neuem? Auf jeden Fall, da waren sich die Referenten dieses Podiums, Prof. G. Schmid (Zürich) und Prof. W. Sparn (Erlangen) einig. Sonst hätte Josef schon am Stall die drei Magier aus dem Morgenland von der Schwelle weisen müssen und die Kölner hätten keine Lokalheiligen bekommen.
Synkretistisches Christentum
Das Christentum selbst hat sich immer im Austausch mit den umgebenden Religionen formiert, sich der umgebenden Kulturen bedient und hat übernommen – nicht nur am Rande: das Weihnachtsfest beerbte heidnische Riten, die Sakramente sind von griechischer Mysterienreligion beeinflusst und in die theologische Denktradition ist griechische Philosophie und römisches Recht nicht unwesentlich eingeflossen. Wenn Paulus statt nach Westen in den Osten gegangen wäre, würde unser Christentum vermutlich sehr anders aussehen. Wir wären vielleicht spiritueller und nicht so tüchtig, spekulierte Prof. Schmid. Synkretismus ist folglich kein Schmuddelwort, nicht so negativ, wie das die Theologie seit dem 17. Jh. aus kolonialer Perspektive gesehen hat. Ein reines, unvermischtes Christentum mit klarer Grenze hat es nie gegeben und kann es auch nicht geben – selbst das Neue Testament ist bereits eine Übersetzung: Griechisch war nicht die Sprache von Jesus, bemerkte Prof. Sparn.
Christusbekenntnis im Kern
Woran kann man nun aber erkennen, dass eine synkretistische Entwicklung christlich bleibt? Was ist legitime Anpassung- und Übersetzung des Evangeliums? Was ist verfälschende Verfremdung? Diese Frage stellt sich in der Praxis tausendfach. Walter Sparn erklärte, dafür gebe es nur ein einziges Kriterium: den Vollzug des Gottesglaubens in Gestalt des Christus-Bekenntnisses „Herr ist Jesus“. Dies ist im Zweifelsfall durchaus ein hartes Kriterium und schließt alle Formen und Praktiken aus, in denen Gott nicht mehr auf den Gekreuzigten aus Nazareth bezogen werden kann. Dieses Kriterium verhindert auch, dass der Name von Jesus austauschbar wird mit anderen göttlichen oder heiligen Namen. Auch ein Synkretismus, der aufgrund des allgemeinen Relativismus oder durch neue Offenbarungen das Christuszeugnis für unnötig hält und jegliche Mission ausfallen lässt, darf sich nicht mehr zu Recht christlich nennen. Das Göttliche ist nicht irgendwo und überall, sondern ganz spezifisch mit dem Gekreuzigten verbunden, betonte Prof. Sparn.
Reich-Gottes-Erfahrung
Prof. Schmid orientierte sich stärker an der Praxis von Jesus selbst und entwickelte von dort her drei Kriterien.
a) Was war das zentral „Christliche“ bei Jesus? Es ist die Reich-Gottes-Erfahrung: Leben verwandelt sich, die Welt verändert sich, Ausgestoßene werden aufgenommen. Das ist sehr konkret. Fremd ist dem Christentum folglich alles, was aus diesem Alltag herausführt: alles Spekulieren, jede Doktrin, welche die Augen vor dem gegenwärtig Notwendigen verschließt (vgl. das Gleichnis vom barmherzigen Samariter Lk 10,25-37).
b) Hinzu tritt die Erfahrung der ersten Christen, durch die Auferstehung einen unmittelbaren Kontakt zu Jesus bekommen zu haben. Fremd ist dem Christentum folglich alles, was diese Unmittelbarkeit zum Auferstandenen behindert, z.B. eine absolute Loyalität anderen Meistern gegenüber. Zum Beispiel Zen-Meditation erscheint bis zu einer gewissen Grenze möglich. Aber Schüler eines ZEN-Meisters zu sein wird schwierig, denn wie kann man als Christ einen Meister haben, den man nicht kritisieren darf? Das geht nicht. Sogar Rudolf Steiner darf man mögen, aber als Christ nicht kritiklos, das wäre dem Christentum fremd.
c) Das Neue Testament betont die Bedeutung des einzelnen Menschen und der Gemeinschaft. Beide sind gleichwertig. Dem Christentum ist folglich alles fremd, was den Einzelnen auf das Podest hebt. Wenn Heiler in der Schweiz in Seminaren vermitteln, wir seien in uns bereits göttlich, so ist das eine Überschätzung der Individualität und weit entfernt vom Neuen Testament. Gleiches gilt für die Gemeinschaft: Wenn die Gemeinschaft absolut gesetzt wird, der Einzelne sich ihr bedingungslos unterzuordnen hat, die Leitung nicht mehr kritisiert werden darf, dann sind wir in einer Sekte angelangt. Fremd ist dem Christentum folglich alles, was die Gemeinschaft zur absoluten Institution macht.
Zum Christentum gehört es, Religionen zu kritisieren. Wo dies nicht mehr geschieht, wird es wie Wasser, das niemand rührt: es beginnt zu stinken.