Bauernhaus-Blockhütte

Die Anastasia-Bewegung

Blut-und-Boden-Ideologie in ökologischer Naturidylle

Im deutschsprachigen Raum formieren sich seit einigen Jahren „Familienlandsitze“ der Anastasia-Bewegung. Etwa 85 Hektar Land besitzt die Siedlungsbewegung in Brandenburg, weitere Landflächen kommen in Bayern, Sachsen-Anhalt und Sachsen hinzu. Bekannte Beispiele sind „Weda Elysia“, ein vor gut 10 Jahren gegründeter „Familienlandsitz“ im Ostharz,1 „goldenes Grabow“ in Brandenburg oder „Lebensraum e.V.“ in Sachsen.

Liebe, Frieden, Achtsamkeit, Familienfreundlichkeit, Ökologie und Selbstbestimmung – die Anastasia-Bewegung wirbt mit positiv besetzten Begriffen für das gemeinschaftliche Wohnen. Die Nachfrage nach ihren Projekten steigt stetig – schließlich bedient die Bewegung die Sehnsucht nach alternativen, nachhaltigen Wohngemeinschaften. Eine Sehnsucht, die hierzulande in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Die Anastasia-Bewegung präsentiert sich als unpolitisch und wirkt daher zunächst wie eine märchenhafte Realisierung unschuldiger Natursehnsucht. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass diese Selbstbeschreibung nicht zutrifft.

Fiktionale Buchreihe eines russischen Autors

Grundlage der Anastasia-Bewegung ist die zehnbändige, fiktionale Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre (1950*). Weite Teile der Bücher sind in Dialogform verfasst. Die Hauptprotagonistin Anastasia beantwortet Megres Fragen, unterrichtet ihn spirituell, weltpolitisch und historisch. Megre versteht sich als Vermittler ihres bislang geheimen Wissens. Von Band zu Band verschärft sich die Darstellung weltpolitischer und wirtschaftlicher Entwicklungen. Zwar hat Megre öffentlich zugegeben, dass es sich bei Anastasia um eine literarische Figur handelt, in den Büchern suggeriert er jedoch die reale Existenz der jungen Frau. Sie wohne autark in der Taiga, wo sie mit der Natur und den Tieren kommuniziere. Mittels eines Gedankenstrahls könne sie Informationen übertragen, hellsehen und heilen. Mit Megre soll sie eine Familie gegründet haben. Einige Anhänger der Bewegung sind von der Existenz Anastasias überzeugt.

Zwischen 1996 und 2010 wurden die Bücher in 20 Sprachen übersetzt. In Deutschland erschien das erste Buch 1999 und wird bis heute durch Esoterikverlage veröffentlicht. Aus Lesekreisen wurden Vereine – und schließlich eine spirituelle Siedlungsbewegung. Diese ist kommerziell aktiv. Neben Zeitschriften, Videoformaten und „magischen“ Zedernprodukten bieten die Anhänger der Bewegung Festivals, Workshops und Seminare an – mit dem Ziel, stetig neue Siedler zu gewinnen. 2011 gab es in Russland bereits 7000 „Familienlandsitze“, auf denen das in den Büchern beschriebene Leben in die Tat umgesetzt wird. Der Theologe und Religionswissenschaftler Vladimir Martinovich bezeichnet Anastasia als „größte sektiererische Bewegung, die jemals im russischen Raum entstanden ist.“2

Anastasias Kampf gegen die „jüdischen Oberpriester“

Anastasia wird als Nachkomme eines alten Volkes der „Wedrussen“ beschrieben – „Menschen-Götter“ und Urahnen der „Asiaten, Europäer, Russen [und] Amerikaner“. Im über 990 000 Jahre andauernden staaten- und religionslosen „wedischen Zeitalter“ hätten sie auf Familienlandsitzen in Einheit mit Gott gelebt und über eine besondere Gabe der Intuition und des Bewusstseins verfügt. Mit der Kraft „kollektiver Gedanken“, welche stärker sei als jede andere Energie im Universum, sollen die Menschen „energetische Bilder“ geschaffen haben.3

Diese Weltordnung und die damit verbundenen Fähigkeiten hätten die Menschen durch „unzureichende Reinheit“ verwirkt. „Dunkle Kräfte“, die von Megre als „jüdische Oberpriester“ definiert werden, hätten die Menschheit ins „okkulte Zeitalter“ geführt. Den Begriff des Okkulten verwendet der Autor entgegengesetzt zum herkömmlichen Wortsinn. Gemeint sind die letzten 1000 Jahre Weltgeschichte und letztlich alles, was nicht der „wedrussischen“ Zeit entstammt – insbesondere die Weltreligionen. Die Priester würden die Presse kontrollieren, Soldaten, Roboter und die „okkulten Wissenschaften“ schicken4, um mit „Spitzfindigkeit“ die Weltmacht zu ergreifen.5 Während eines „hypnotischen Schlaf[s]“ seien die Juden zum priesterlichen Herrschaftsinstrument „kodiert“ worden. Anastasia stehe im Weltkampf mit den jüdischen Priestern. Dass Menschen ihre Wahrheit nicht erkennen würden, liege daran, dass sie durch die Technokratie zu „Biorobotern“ gemacht worden seien.6 Ziel ist das „Erwachen“ der Menschheit und die „Reaktivierung“ der menschlichen Fähigkeiten. Anastasia nimmt hierbei eine Erlöserfunktion ein.

Nicht zuletzt stellt der Autor die deutsche Schuld am Holocaust in Frage und erklärt die Kontinuität der Judenverfolgungen damit, dass das „jüdische Volk vor den Menschen Schuld hat“, da es „Verschwörungen gegen die Macht“ anzettle und bestrebt sei, „alle zu betrügen“ und Reiche „zu ruinieren.“7 Hinzu kommen Verschwörungsmythen über den Zusammenbruch der UdSSR, die Terroranschläge am 11. September, das globale Geldsystem, sowie die Wertung der Demokratie als „Dämon-kratie“ und Herrschaftsinstrument der Priester.8

Lebensweise und Neuheidentum

In ihrer Lebensweise berufen sich die Siedler auf die Anleitungen in den Anastasiabüchern. Die in den Siedlungen gelebte traditionelle Familie gilt als „Keimzelle der Gesellschaft“ und benötige etwa einen Hektar Land zum Leben. Angestrebt wird eine weitreichende Selbstversorgung. Strom soll idealerweise selbst hergestellt, Wasser über Quellen und Seen bezogen und Abwässer selbst gefiltert werden. Selbständigkeit wird auch in sozialer Hinsicht durch eigenständige Kindererziehung und Schulgründungen (z. B. in Form von sog. Schetinin- oder Lais-Schulen) angestrebt. Ein völkischer Kleidungsstil (lange Leinenkleider, Flechtfrisuren) sticht heraus. Im Internetauftritt zeigt sich auch das eigene Vokabular der Bewegung. Die „Sippen“ leben gemeinsam in „Siedlungen“, aus dem Anglizismus „Internet“ wird das „Weltnetz“, aus der „Homepage“ die „Heimatseite“ – diese Neologismen sind bereits aus der rechten Szene bekannt.

Die Vorstellung „wedrussischer Ahnen“ führt innerhalb der Bewegung zum Interesse an einer heidnischen Kultur – also einer prä-„okkultischen“ und vom vermeintlich jüdischen „Einfluss“ befreiten Kultur. In den deutschsprachigen Ländern fällt der Fokus auf eine Kultur der Germanen und Kelten, die mit Festen und Bräuchen, wie „deutschem Volkstanz und Liedern“ gefördert werden soll. Historisch kann die von der Bewegung gelebte angeblich ursprüngliche „deutsche Kultur“ durch die unzureichende Quellenlage nicht belegt werden – sie ist vielmehr eine populäre Fiktion vom Heidentum. Das historisch begründbare Fehlen von heidnischen Quellen wird von Megre jedoch als verschwörerische Verdeckung interpretiert. Doch bereits in der Epoche der Romantik hat sich eine Vorstellung vermeintlich alter, unbelasteter germanischer Feste, Bräuche und Glaubensvorstellungen etabliert, die schließlich für die Begründung einer „deutschen Identität“ von nationalen Bewegungen instrumentalisiert wurde. Im Ostharz hat „Weda Elysia“ in der Weihnachtszeit zum „Julmarkt“ eingeladen. Im Rückgriff auf vermeintlich germanische Wurzeln war das Julfest Bestandteil der nationalsozialistischen Propaganda und wird bis heute von Neonazis gefeiert. Parallelen zur NS-Ideologie sind auch erkennbar, wenn innerhalb der Anastasia-Bewegung von „slawisch-arischen Weden“ gesprochen wird, inspiriert durch Alexander Hindewitsch, den Gründer der neopaganen „Ynglismus-Bewegung“ in Russland.

Zum Siedlungsleben gehört auch das in den Büchern gezeichnete reaktionäre Rollenbild. Megre umwirbt die „tadellos gebaute“ Anastasia, die der „sündhaften“ Sexualität ohne Liebe entsagt hat und Geschlechtsverkehr nur aus Gründen der Fortpflanzung vollzieht.9 Die Frauen sind aufgefordert das Dekolleté zu verbergen und Kleider zu tragen, die bis übers Knie gehen.10 Als höchstes Gut der Frau gilt die Mutterschaft. Geburtsschmerzen seien ein Zeichen der weiblichen Sündhaftigkeit.11 Beschrieben wird auch die Telegonie.12 Dieses – eigentlich aus der früheren Biologie stammende – Konzept ist eine Radikalisierung der Rassenideologie. Es besagt, dass der frühere Sexualpartner einer Frau das Genmaterial ihrer späteren Kinder beeinflusse.

Beziehungen der Völkischen Siedler

Dass die völkischen Siedler nicht nur ökologische Ziele verfolgen, zeigt sich sowohl in ihren Grundlagentexten als auch in ihren realen Beziehungen. Verbindungen zu Ivo Sasek/Klagemauer TV, zum Verschwörungstheoretiker Erich Hambach, zu Kreisen der Germanischen Neuen Medizin, Reichsbürgern, Holocaustleugnern und zur rechtsextremen Szene, wie z. B. zum Jugendbund Sturmvogel, sind belegt.

Auch steht die Anastasia-Bewegung in besonderer Nähe zu Putin, was ein in Band 6 abgedruckter Bürgerbrief an Putin verdeutlicht. Der Bürger äußert sich begeistert über die Anastasia-Bewegung und erbittet hierfür Landstücke – verbunden mit der Zusage, die Regierung nicht mehr „ungehemmt zu kritisieren“, sondern zu unterstützen und „zum Wohle [der] Heimat“ zu arbeiten. Putin wird als „naher[ ] Freund“ und „Gleichgesinnter“ bezeichnet.13 Es ist unklar, ob es sich bei dem 2001 verfassten Brief um ein Original oder eine weitere Fiktion Megres handelt. Fakt ist aber, dass die Regierung unter Putin den Bürgern letztlich kostenlos Land zur Verfügung gestellt und so die Gründung von Familienlandsitzen befördert hat. Aus den Anastasiabüchern ist eine Putinbegeisterung zu entnehmen, die auch hierzulande von Siedlern geteilt wird. Daneben führt Megre auch den ehemaligen US-Präsidenten Bush als Vorbild der Bewegung an.14

Einschätzung

Megres Konstrukt ist eine Verflechtung esoterischer Vorstellungen, apokalyptischer Szenarien und Feindbildtheorien. Zentral ist die typisch antisemitische Idee einer Weltverschwörung durch eine jüdische Finanzoligarchie. Megre entwickelt eine Welt, die durch eine jüdische Instanz fremdgesteuert wird und sich kontinuierlich zum Negativen verändert – stets im Verweis auf eine kommende Katastrophe planetaren Ausmaßes und stets gemessen an einer fiktiven paradiesischen Vergangenheit. Die Theorie eines „wedrussischen“ Ahnenvolkes ist historisch nicht haltbar und auch die übrige Geschichtsdarstellung entbehrt historischer Methodik und wissenschaftlicher Sachlichkeit. Megres Ausführungen sind vielmehr Folge seines grundlegend dualistischen Weltverständnisses: Gut und Böse als kosmische Größen stehen sich antithetisch gegenüber.

In der Vergangenheit wurden die Mitglieder der Bewegung häufig als naturliebende „Ökospinner“ belächelt. Es ist fraglich, ob die Etablierung der Siedlungen losgelöst vom verschwörerischen und antisemitischen Weltbild Megres betrachtet werden kann. Bewegung und Bücher sind strukturell eng miteinander verwoben, dienen die von Megre geforderten Familienlandsitze doch letztlich dem „Aufwachen“ aus der „Massenpsychose“ des manipulativen Systems und der Rückkehr zur „Wahrheit“.15 Durch die zahlreichen Vernetzungen innerhalb der rechten Szene wird rechtsextremes Gedankengut gestützt und verbreitet. Von Infosekta wird Anastasia dem rechts-esoterischen Spektrum zugeordnet.

Aus christlicher Sicht ist festzustellen, dass die Anastasia-Bewegung im Widerspruch zum christlichen und humanistischen Interesse am Mitmenschen und zur Verantwortung am Weltgeschehen steht. Zudem werden Christentum und Judentum als einander ausschließende Religionen angeführt. Damit aktualisiert Megre die problematische Vorstellung, dass beide Religionen nur in polemischer Abgrenzung zueinander bestehen könnten. Eine mit Verschwörungsdenken verbundene gesellschaftliche Isolation birgt die Gefahr, dass sich derartige Feind- und Weltbilder zementieren. Verschwörungsideologien erzeugen Misstrauen gegen die Alltagsrealität und erschweren eine – für das gesellschaftliche Zusammenleben unverzichtbare – intersubjektive Überprüfung. Was wird aus dem Bemühen um eine stabile und wertebasierte Gesellschaft, wenn über die Grundparameter der Alltagsrealität keine Einigkeit mehr besteht? In Anbetracht des steigenden Interesses an ökologischen Wohnprojekten ist Aufklärungsarbeit von Nöten, um zu verhindern, dass Naturliebhaber unbeabsichtigt in die Anastasia-Bewegung hineingeraten.

Elisabeth Eilers


1 www.weda-elysia.de

2 Vladimir Martinovich, Die Anastasia-Bewegung. Eine utopische Gemeinschaft aus Rußland, in: Berliner Dialog, Schein und Sein, BD 31, Allerheiligen 2014, S. 8.

3 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 6: Das Wissen der Ahnen, 5. Aufl., Güllesheim 2003, 162 f.

4 Ebd. S. 166.

5 Ebd. S. 172.

6 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 2: Die klingenden Zedern Russlands, 1. Aufl., Neuhausen Jenstetten 2004, S. 209.

7 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 6: Das Wissen der Ahnen, 5. Aufl., Güllesheim 2003, S. 173 f.

8 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 8.1: Neue Zivilisation, 3. Aufl., Güllesheim 2011, S. 65, 61.

9 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 1: Tochter der Taiga, 1. Aufl., Neuhausen Jestetten 2003, S. 25f., S. 56.

10 Ebd., S. 122.

11 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 2: Die klingenden Zedern Russlands, 1. Aufl., Neuhausen Jestetten 2004, S. 155.

12 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 8.2: Die Bräuche der Liebe, 3. Aufl., Güllesheim 2011, S. 37.

13 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 6: Das Wissen der Ahnen, 5. Aufl., Güllesheim 2003, S. 237-239.

14 Ebd., S. 216, 224f.

15 Megre, Vladimir, Anastasia. Band 6: Das Wissen der Ahnen, 5. Aufl., Güllesheim 2003, S. 143, 171.

 

Elisabeth Eilers

Stud. theol. Elisabeth Eilers war im Frühjahr 2022 Praktikantin in der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2022 ab Seite 12