Gotteswort oder Menschenwort
Evangelischer Bund zur Rolle der Bibel
Vom 9. bis 12. Oktober fand die Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Stuttgart statt. Rund 200 Teilnehmende aus dem gesamten Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland gingen in Gottesdiensten, Bibelarbeiten, Vorträgen und Arbeitsgruppen dem Thema „Gotteswort oder Menschenwort?“ nach. Die Frage zum Verhältnis von Bibelfrömmigkeit und kritischer Schriftauslegung stand im Fokus dieser 100. Generalversammlung des Evangelischen Bundes. Im Rahmen der vorgeschalteten Mitgliederversammlung stellte der Generalsekretär des Evangelischen Bundes, Pfarrer Dr. Walter Fleischmann-Bisten, den Ökumenischen Lagebericht 2008 vor. Der gastgebende Landesbischof Frank O. July verwies in seiner Eröffnungspredigt am Donnerstagabend auf die Brisanz des Tagungsthemas: „Der Evangelische Bund beschäftigt sich auf dieser 100. Generalversammlung mit dem, was für Christen in der Mitte steht: Wie wir ‚Gottes Wort’ verstehen und aufnehmen können und wie das Wort der Bibel in unserem Lebenshorizont, in unserem sozialen Kontext, in den Herausforderungen unserer Zeit zum Wort des Lebens werden kann.“
Der Evangelische Bund, ein 1886 gegründetes Konfessionskundliches und Ökumenisches Arbeitswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland, trägt in seinen Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Seminaren zu evangelischer Bildung und zum Gespräch der Konfessionen bei. Es sei kein Zufall, so der württembergische Landesbischof, dass diese Tagung gerade in Stuttgart stattfinde: „Dem Evangelischen Bund ist zu danken, dass er in einer Zeit, in der viele ‚Nebenfragen’ in unserer Kirche zu Hauptfragen werden, wieder auf die Hauptfrage und auf das Zentrum evangelischen Kircheseins hinführt.“
Der Präsident des Evangelischen Bundes, der Marburger Theologieprofessor Dr. Hans-Martin Barth, verwies auf die lange Tradition der Kongresse des Evangelischen Bundes: „Die Generalversammlungen sind seit über 100 Jahren bewährte Markenzeichen und Erkennungsmerkmale des Evangelischen Bundes. Sie rufen in regelmäßigen Abständen Christen und Christinnen aus dem deutschen Sprachraum zusammen, die in besonderer Weise für den Protestantismus und die Ökumene engagiert sind. Die verhandelten Themen verstehen sich sind als Hinweise darauf, was angesichts der jeweiligen Situation in Kirche und Gesellschaft keinesfalls vernachlässigt werden darf.“
Nur Christus selbst ist Gottes Wort
Wiener Theologe Körtner spricht bei der Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Stuttgart zum Schriftverständnis
Die historisch-kritische Methode klassischer Ausprägung scheint an ihre Grenzen gestoßen zu sein, so Ulrich Körtner in seinem Hauptreferat bei der Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Stuttgart. Kritisch fragt er, ob die moderne Bibelauslegung zur Marginalisierung der Bibel beigetragen hat, „weil ihr Nutzen für das Leben nicht mehr einsichtig ist“. Der Bedeutungsverlust der Bibel an sich führe zu einem Erfahrungsverlust im Glauben.
Doch die Bibelwissenschaft ist, so der Wiener Theologieprofessor, mittlerweile über eine historisch-kritische Exegese in ihrer ursprünglichen Form weit hinausgegangen. So unterschiedlich sich die Zugangsweisen der kontextuellen Auslegungsformen darstellen, so setzen sie doch gemeinsam voraus, dass sich die Bibel in ihrer Bedeutung für den einzelnen Glaubenden erschließt. Damit leisten sie ihren Beitrag zur Lebendigkeit der Bibel im Glaubensleben des Menschen. Die Verkündigung des Wortes ist dabei eben niemals nur „Wort“; sondern hat immer auch ihren Sitz im Leben. Das, so Körtner, ist kein Phänomen der Neuzeit. So könne man schon die Verkündigung des Propheten Ezechiel als „Event“ bezeichnen.
Theologie als „Grammatik der Bibel“ lässt sich, in Anspielung auf das Tagungsthema, nicht in den Gegensatz von „Gotteswort oder Menschenwort“ pressen. „Das menschliche Wort als Gotteswort zu vernehmen, ohne den bleibenden Unterschied zwischen beiden zu verdunkeln“ bezeichnet der Inhaber des Lehrstuhls für reformierte Theologie an der Wiener evangelisch-theologischen Fakultät als Zielvorstellung zeitgemäßer Bibelauslegung. Die kritiklose Identifikation der aus Menschenhand hervorgegangenen Bibel mit dem lebendigen Gotteswort würde Gott auf ein Bild festlegen. Diese Form von „Bibliolatrie“, so Körtner, wird dem christlichen Anspruch im Schriftverständnis nicht gerecht. Anhand der paulinischen Briefe zeigt sich die Inkarnation Gottes in Christus. Die materielle Abwesenheit Christi ist durch die Anwesenheit im Wort aufgenommen: „Wie Gott selbst muss auch der fleischgewordene Logos in Abwesenheit anwesend sein.“ Das schafft in der Dialektik von Anwesenheit und Abwesenheit die Grundlage für die Gemeinschaft mit Christus.
Eine Gleichsetzung von Gotteswort und einem Text könne man auch im Islam wahrnehmen. Körtner vermutet aber, dass für den Islam, würde er „durch das Fegefeuer historischer Korankritik gehen“, am Ende „nicht mehr übrig bleibt als die wehmütige Erinnerung an die Schönheiten des Alten Orients“. Christen hingegen könnten sich eine harte Bibelkritik leisten, denn das Wort ist Fleisch geworden. Während die Lesung im Judentum die Schrift immer weiter tradiert und im Islam der Koran als unübersetzbar gilt, beziehen sich Christen auf die unterschiedlichsten Übersetzungen, die sich auf die unterschiedlichsten Ausgangstexte beziehen. „Der Urtext“ ist eigentlich ein sich immer wandelndes Produkt aus unabschließbaren Intertextualisierungsprozessen: „Schon daher lassen sich Bibelfrömmigkeit und kritische Schriftauslegung nicht gegeneinander auslegen.“
„Die Bibel kann und darf niemals die Stelle einnehmen, die Christus selbst für den christlichen Glauben hat.“ Körtner resümiert: „Letztlich ist nur Jesus Christus selbst als Wort Gottes zu bezeichnen.“