Versöhnung mit Rechtsaußen?

Papst Benedikt XVI. hebt Exkommunikationen von abtrünnigen Bischöfen auf - zu welchem Preis?

Die Nachricht war geeignet, einigen Staub aufzuwirbeln: Auf Anweisung von Papst Benedikt XVI. hat Kurienkardinal Giovanni Battista Re mit Schreiben vom 21. Januar 2009 die Exkommunikation von vier Bischöfen der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) aufgehoben. Um die Tragweite dieser Mitteilung zu erfassen, ist ein kleiner Ausflug in die neuere Geschichte der römisch-katholischen Kirche notwendig.

Vaticanum I - Höhepunkt des Papsttums

Im Laufe ihrer Geschichte hat sich die römisch-katholische Kirche vom lateinischen Patriarchat der einen „allgemeinen“ (d.h. „katholischen“) christlichen Kirche zur römischen Konfessionskirche entwickelt. Höhepunkt der Abgrenzung von anderen christlichen Kirchen einerseits wie von allen modernistischen Zeitströmungen andererseits stellt die Zeit des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) dar. Das Papsttum befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht und Papst Pius IX. ließ auf dem Konzil – gegen Widerstand vieler deutscher Bischöfe – die päpstliche Unfehlbarkeit dogmatisieren. Diese Linie bestimmte auch in den folgenden Jahrzehnten den Kurs der röm.-kath. Kirche.

Vaticanum II - Wendung zur Welt

Als Papst Johannes XXIII. vor genau 50 Jahren das Zweite Vatikanische Konzil ankündigte, war dies für viele eine große Überraschung. „Aggiornamento“, das „Heutigwerden“ der Kirche, die Öffnung für die Welt und ihre Probleme wurde prägend für den neuen Geist des Konziles. An vielen Stellen wurden tiefgreifende Reformen unternommen, welche die Isolation der römisch-katholischen Kirche zurücknahmen und einen Geist des Aufbruches verkündeten, der auch ökumenisch sehr fruchtbar war.

Traditionalisten

Auch hier gab es Kräfte, die mit dieser neuen Linie nicht einverstanden waren und statt dessen den Geist des Ersten Vatikanischen Konzils bewahren wollten. Sie betrachteten die Öffnungen des Zweiten Vatikanischen Konzils als Irrlehren, welche die Substanz der Kirche angreifen und zum Spielball moderner Beliebigkeit machen würde. Ihr Wortführer wurde Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991), der 1970 die Priesterbruderschaft St. Pius X. gründete. 1976 wurde er vom Bischofsamt suspendiert, weil er ohne Genehmigung Priesterweihen vorgenommen hatte. Als bekannt wurde, dass er auch noch Bischofsweihen beabsichtigte, kam es 1988 zu Verhandlungen mit Rom. Es wurde ein Protokoll unterzeichnet, das der Priesterbruderschaft die kirchliche Anerkennung zusicherte, wenn die Priesterbruderschaft ihrerseits die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils akzeptiert. Verhandlungsführer auf römischer Seite war niemand anderes als der damalige Kardinal Josef Ratzinger. Lefebvre widerrief wenige Tage später die Vereinbarung und weihte – trotz ausdrücklichen Verbots – sogar vier neue Bischöfe: Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta. Daraufhin wurde er ebenso wie die von ihm geweihten Priester umgehend von Papst Johannes Paul II. exkommuniziert. Seit Lefebvres Tod 1991 steht Bernhard Fellay der Bruderschaft vor.

Lateinische Messe

Kernpunkt der Kritik der Priesterbruderschaft war die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils, welche die Messe in der Volkssprache einführte und eine stärkere Beteiligung der Gemeinde als Volk Gottes förderte. Demgegenüber hielten die „Lefebvrianer“ an der bis 1964 praktizierten Form der lateinischen tridentinischen Messe fest.

Als ein Entgegenkommen an die Traditionalisten hatte Papst Benedikt XVI. 2007 die Feier des lateinischen Ritus in der Fassung von 1962 mit bestimmten Auflagen freigegeben, dabei aber daran festgehalten, dass die neue Form der Normalfall bleibt.

Ökumene und andere Religionen

Die Ablehnung der Traditionalisten richtete sich ebenso gegen den veränderten Umgangston des Zweiten Vatikanischen Konzils zu anderen Christen und anderen Religionen. Jegliche Ökumene gilt ihnen als Abfall vom wahren Glauben, der nur in der römisch-katholischen Kirche der traditionellen Form erblickt wird. In polemischer Überzeichnung werden die Bemühungen um innerchristliche Annäherung mit der als „Ursünde der Freimaurerei“ gebrandmarkten „Gleichstellung aller Religionen“ gleichgesetzt. Weder das Anliegen der Ökumene noch des interreligiösen Dialoges wurden wirklich verstanden.

Religionsfreiheit

Von diesen Positionen her kommt es auch zur expliziten Ablehnung der Religionsfreiheit, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil erklärt hat. Aufgabe des Staates sei es nach der Meinung der Priesterbruderschaft, die wahre katholische Religion zu fördern und alle anderen im öffentlichen Raum zu beschränken. Dieser reaktionäre Rückfall in imperiale Machtansprüche ist nicht nur theologisch vollkommen inakzeptabel, sondern fordert auch in gesellschaftlicher Hinsicht vehementen Widerspruch heraus.

Päpstlicher als der Papst erlaubt

Die römischen Traditionalisten stecken in einem Dilemma, in dem sie ihren eigenen Prinzipien untreu werden. Einerseits vertreten sie eine Auffassung, welche dem Papsttum und dem damit verbundenen kirchlichen Lehramt eine abgehobene Position jenseits aller rationalen (oder auch biblisch begründeten) Kritik einräumen. Andererseits scheint dieses hehre Prinzip für sie selbst nur so lange zu gelten, wie der Papst inhaltlich auf ihrer Linie liegt. Faktisch haben die „Papsttreuen“ selbst dem Papst den Gehorsam verweigert. Das macht sie mit ihrem Anliegen unglaubwürdig.

Amt der Einheit

Erzbischof Lefebvre ist tot. Sein Nachfolger, der von ihm geweihte Bischof Fellay, war dem Vernehmen nach mehrfach in Rom zu Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Über deren Ergebnisse ist nichts bekannt geworden. Lediglich die Fakten sind zu sehen: Bischof Fellay hat in Rom um die Aufhebung der Exkommunikation gebeten und sie ist gewährt worden. Leider ist nirgends etwas Verbindliches über die Bedingungen dieses Entgegenkommens zu lesen? Wozu haben sich die Oberen der Piusbruderschaft verpflichtet? Oder haben sie sich noch gar nicht verpflichtet und das ganze Unternehmen ist auf Hoffnung angelegt? Benedikt XVI. versteht sein Papstamt als Amt der Einheit der Kirche. Von daher ist das Bemühen um die Überwindung einer Kirchenspaltung (Schisma) grundsätzlich begrüßenswert. Allerdings ist die Einseitigkeit zu bemängeln, mit der dies geschieht. Während die Hereinnahme des rechten Randes ihm ein großes Anliegen zu sein scheint, kann man im Blick auf andere Strömungen kein vergleichbares Engagement beobachten. Man muss auch fragen, was dies für das Gesicht und die Gestalt der Kirche bedeutet. Will Benedikt XVI. eine schrittweise Rücknahme des Zweiten Vatikanischen Konzils, an dem er einst selbst aktiv beteiligt war? Der Termin der Verkündung der Aufhebung der Exkommunikation der vier Traditionalistenbischöfe gibt zu dieser Sorge Anlass: unmittelbar vor dem Jubiläum der Ankündigung des Zweiten Vatikanischen Konzils hat ein solcher Schritt eine nicht unbeträchtliche Symbolbedeutung. Auch wenn in der Kurie sicherlich Pannen passieren (s.u.), dieses Datum war bestimmt im Bewusstsein des Papstes und ist wohl (leider) keine Panne.

Kirchenrechtliche Stellung

Das Schisma mit der Piusbruderschaft ist durch die Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe nach Auskunft deutscher katholischer Kirchenführer noch nicht beseitigt. An der grundsätzlich kritischen Haltung der deutschen Bistümer zur Piusbruderschaft ändert sich zunächst erst einmal nichts. Deren Bischöfe sind noch suspendiert, d.h. sie dürfen ihre bischöflichen Vollmachten nicht ausüben. Sie sind lediglich persönlich - als Mensch sozusagen - in die Gemeinschaft der röm.-kath. Kirche wieder aufgenommen worden. Eine Tür wurde geöffnet, nun sind sie dran zu zeigen, dass sie die Autorität des Papstes und damit auch das Zweite Vatikanische Konzil anerkennen, so heißt es aus Kirchenkreisen. Wie das allerdings konkret aussehen soll und welche Schritte zur vollständigen Aufhebung des Schismas führen würden, ist unklar.

Mäßigung nicht ersichtlich

Eine spürbare Trendwende ist bei der Piusbruderschaft derzeit jedenfalls nicht sichtbar. Immerhin sind die krassen polemischen Verzeichnungen des Zweiten Vatikanischen Konzils auf der Webseite der FSSPX inzwischen nicht mehr direkt verlinkt, die Bereiche „Apologetik“ und „Frömmigkeit“ befinden sich derzeit „in Überarbeitung“. Immer noch zu lesen sind aber die Auslassungen des Distriktsoberen Pater Schmidberger über die „Zeitbomben des Zweiten Vatikanischen Konzils“. In diesem aktualisierten Referat wettert er gegen jede Form ökumenischer Annäherung der Kirchen - ja schon gegen den Gebrauch des Wortes „Kirchen“ im Plural und ebenso gegen die Kollegialität der Bischöfe, welche die (päpstliche) Autorität lähme. Gegen die freundlichen Töne im Konzilsdekret über die nichtchristlichen Religionen Nostra aetate wird heftig polemisiert, so dass man fast von einem Hassprediger reden kann. Dazu gehört ebenso, dass er die Juden explizit nicht als „unsere älteren Brüder im Glauben“, sondern als „des Gottesmordes mitschuldig“ bezeichnet.[1]

Da wundert es dann auch nicht mehr, dass vom deutschen Distriktsoberen auch die Religionsfreiheit heftig verdammt wird: „Mit der Erklärung zur Religionsfreiheit hat es die Entchristlichung der Gesellschaft eingeläutet; wenn nämlich der Staat alle Religionen so betrachten soll, als würden sie sich auf die Würde der menschlichen Natur gründen, dann begreift man nicht mehr, warum nicht auch der einzelne Mensch dies tun soll. So öffnet die Religionsfreiheit des Konzils die Türe zur religiösen Indifferenz und zum Abfall vom Glauben.“ (Zeitbomben, S. 15)

Will Papst Benedikt XVI. wirklich solche – kirchlichen konziliären Beschlüssen zuwiederlaufenden – Irrlehren in der Kirche hoffähig machen? Was ist der Preis für diese Einheit?

Holocaustleugner

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Preis in einer ganz anderen Hinsicht viel teurer wird, als geplant: Massives Medienecho und heftige öffentliche Proteste begleiten die Wiederaufnahme der Piusbischöfe, seit bekannt wurde, dass einer von ihnen, Bischof Williamson, den Holocaust geleugnet hat und diesbezüglich in Deutschland bereits strafrechtliche Ermittlungen laufen. Sogar Staats- und Regierungschefs haben in nicht gekannter Direktheit den Papst diesbezüglich kritisiert. Der Chefredakteur von Radio Vatikan, Eberhard von Gemmingen äußerte in einem Zeitungsinterview, dass Organisationsmängel und unzureichende gegenseitige Information im Vatikan zu dieser Panne geführt hätten. Nun kann man sicherlich nicht die gesamte Priesterbruderschaft St. Pius X. in Sippenhaftung nehmen, zumal der eben zitierte deutsche Distriktsobere, Pater Franz Schmidberger, sich in einer im Internet publizierten Stellungnahme „erschüttert“ über die Äußerungen von Bischof Williamson zeigte und von jedweder Äußerung dieser Art distanzierte.[2] Gleichwohl gilt es zu bedenken, dass eine gewisse inhaltliche Affinität und innere Nähe von den autoritären und rückwärtsgewandten Positionen der FSSPX, die eben auch eine deutlich artikulierte religiös begründete Judenfeindschaft einschließen, zu den rechtsnationalen Kreisen, in denen Holocaustleugner verkehren und bejubelt werden, nicht von der Hand zu weisen ist.

Fazit

Das an sich zunächst ehrenwerte Vorhaben von Papst Benedikt XVI., eine Kirchenspaltung zu überwinden, droht angesichts dieser Begleitumstände zum schweren Schaden für die Kirche zu werden. Es bleibt zu hoffen, dass es gelingt, den Schaden zu begrenzen, der dadurch bereits im Verhältnis zum Judentum und dem Christentum insgesamt im öffentlichen Ansehen entstanden ist. Zudem kann man nur hoffen, dass es eine reinigende Krise ist, die das Bewusstsein dafür stärkt, dass eine einseitige Ausrichtung am rechten Rand kein Weg ist, der in eine gute Zukunft führt.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/214

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2009 ab Seite 10