Rebellion im Namen des Gehorsams?

Zu Besuch bei der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX)

Der Eklat um die päpstliche Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) hat große Wellen geschlagen. Die AG Catholica des Evangelischen Bundes Sachsen hat dies zum Anlass genommen, um die Dresdner Niederlassung der Bruderschaft zu besuchen.

Hinterhofkellerkapelle

In einem Hinterhaus auf der Kesselsdorfer Straße in Dresden-Löbtau hat die Piusbruderschaft den Keller eines Wohnhauses zu einem bescheidenen Gottesdienstraum ausgebaut. Das wenig feierliche Äußere ist der Isolation der Bruderschaft geschuldet – kirchliche Räume waren für sie nicht zu erwerben. Im Inneren ähnelt das Ambiente einer kleinen vorkonziliaren katholischen Dorfkirche: Kirchenbänke, Kreuzwegbilder, eine Marienstatue und der Altar an der Stirnseite des Gebäudes. Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils wird in der Bruderschaft abgelehnt. Diese hatte die klassischen Hochaltäre überflüssig und den Altar wieder zu einem Tisch werden lassen, hinter dem der Priester steht und mit dem Gesicht zur Gemeinde die Messe zelebriert. Bei den Piusbrüdern steht im Zentrum des Altars unter dem Kruzifix der Tabernakel, jenes wertvoll gestaltete Gehäuse, in dem die bei der Messe zum Leib Christi gewandelten übrigen Hostien aufbewahrt werden.

Unser Aufenthalt im Gottesdienstraum währte nur kurz, weil unser gastgebender Priester vor dem Heiligsten keine profanen Streitgespräche führen wollte. Also drängten wir uns in den kleineren, aber mit ausreichend Stühlen vorbereiteten zweiten Raum hinter dem Altar.

Entwicklung einer Parallelstruktur

Dort berichtete uns Pater Steinle, der von Berlin aus die kleine Dresdner Gemeinde betreut, von der Geschichte der Priesterbruderschaft, die 1972 in Reaktion auf die Umwälzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils entstand. Unter Priesteramtskandidaten hatte es Streit um das neue Messbuch gegeben. Der neue „Geist des Konzils“ beunruhigte einige der Seminaristen, die sich in ihrem Priesterseminar nicht mehr wohl fühlten. Sie wandten sich an den eigentlich bereits aus dem aktiven kirchlichen Dienst zurückgezogenen Erzbischof Marcel Lefebvre, der daraufhin die Priesterbruderschaft St. Pius X. gründete. Primäre Intention dabei sei die Priesterausbildung gewesen, denn durch das Priestertum sollte auch die Kirche erneuert werden – genauer gesagt eben nicht erneuert, sondern in den alten Traditionen bewahrt und gestärkt. Da es nach der Liturgiereform nur noch wenige Priester gab, welche die Messe im alten Stil feierten, seien zunehmend Menschen aus anderen Gemeinden gekommen und hätten von diesen Priestern auch Seelsorge und Sakramente wie Taufen und Firmungen erbeten. So seien eigene Priorate entstanden, die eine Parallelstruktur zu den kirchlichen Einrichtungen bilden, erläuterte Pater Steinle. Den eigentlichen Vorgang der Trennung von der röm.-kath. Kirche durch die von Lefebvre entgegen ausdrücklichem päpstlichen Verbot vorgenommenen Bischofsweihen thematisiert Pater Steinle nicht, sondern berichtet von der Organisationsstruktur und religiösen Praxis der Priesterbruderschaft.

Rosenkranzgebet und Kinderkreuzzug

Insgesamt gehören derzeit weltweit 491 Priester und 215 Seminaristen zur Priesterbruderschaft St. Pius X. Die Organisation betreibt 6 Seminare, 88 Schulen und zwei Universitätsinstitute. Das sind Zahlen, die auch einen Papst nicht kalt lassen, wie aus dem persönlichen Schreiben von Benedikt XVI. zur Begründung der Aufhebung der Exkommunikation hervorgeht. Ein besonderer Schwerpunkt der Verbreitung liegt in Frankreich. In Deutschland leben etwas über 40 Priester, ferner gibt es drei Grundschulen und zwei weiterführende Schulen in Trägerschaft der Priesterbruderschaft. Die Berliner Gemeinde hat zwei Priester sowie eine Schwester und einen Bruder, die zusammen mit einem Vorseminaristen in einer klosterähnlichen Gemeinschaft leben – mit z.T. gemeinsamen Mahlzeiten und zwei täglichen Messen sowie Rosenkranzgebet. Zur Gemeinde gehören ca. 100-150 Gläubige, für die im Jahr 2006 eine eigene Kirche vollendet wurde und demnächst geweiht werden soll. Die Dresdner Gemeinde versammelt wöchentlich ca. 15-20 Personen zum Gottesdienst. Außer der Hl. Messe wird auch Katechismusunterricht angeboten. Die Brüder der Ordenskongregation verpflichten sich zum täglichen Rosenkranzgebet sowie einer Hore am Tag, den Verzicht auf Fernsehkonsum (außer Nachrichten) sowie zur Teilnahme an den Exerzitien.

Um die Jugendarbeit kümmert sich die „Katholische Jugendbewegung“ (KJB). Der von der Organisation propagierte „eucharistische Kinderkreuzzug“ soll noch auf Papst Pius X. zurückgehen. Dieser habe Kindern Gebetsanliegen zur Beendigung des Ersten Weltkrieges gegeben, weil aufgrund deren kindlicher Reinheit ihre Gebete besonders gut erhört würden. Die Priesterbruderschaft gibt heute auf diesem Wege den Kindern u.a. die Sorge um die Priesterausbildung weiter und publiziert monatlich aktuelle Gebetsanliegen z.B. für Priesterberufungen oder um die Rücknahme der Exkommunikation. Auf diese Weise werden die Kinder aufgewertet und mit wichtigen Anliegen betraut, welche zugleich ihr Denken und Wollen prägen. Auch Pater Steinle selbst hat durch die Jugendarbeit der KJB zur Bruderschaft und dann auch den Weg zum Priesteramt gefunden. Eine „normale“ katholische Gemeinde scheint Pater Steinle in den prägenden Phasen seines Lebens nicht kennengelernt zu haben.

Papstgehorsam unter Gewissensvorbehalt

Im weiteren Verlauf der Begegnung antwortete Pater Steinle auf Fragen aus der Gruppe. Interessant ist seine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis der Priesterbruderschaft zum Papst. Selbstverständlich sei die Priesterbruderschaft dem Papst als Heiligem Vater verpflichtet, was ihnen beim gegenwärtigen Amtsinhaber leichter falle als bei seinen letzten Vorgängern. Auch hätten sie die Pflicht, dem Papst zu gehorchen – soweit es das Gewissen erlaubt. In Lehrfragen sei das Urteil des Papstes auch für sie verpflichtend, wenngleich differenziert werden müsse zwischen Ex-cathedra-Entscheidungen des päpstlichen Lehramtes und privaten Überzeugungen des jeweiligen Amtsinhabers. Man müsse unterscheiden zwischen definierten Lehrwahrheiten und den Dingen, die nicht Dogma sind. Mit dem Dogma stimme die Priesterbruderschaft überein, nicht aber mit manchen Elementen der Ausführung. Das Zweite Vatikanische Konzil sei auch nur in wenigen Dingen dogmatisch gewesen. Folglich müsse man sich an die übrigen Dinge nicht halten, könnte die Fortsetzung dieses Satzes lauten, die Pater Steinle aber nicht aussprach. Hier scheint eine merkwürdig verzerrte Wahrnehmung vorzuliegen. Die Öffnung der Kirche für die Anliegen der Welt, und die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils einschließlich der Liturgiereform waren doch keine Privatmeinung eines Papstes, sondern durchaus lehramtliche Aussagen. Ebenso widersprachen die von Lefebvre vorgenommene Bischofsweihen nicht irgendwelchen persönlichen Meinungen, sondern dem offiziellen Kirchenrecht der letzten 500 Jahre, welches die Bruderschaft ja gerade verteidigen zu wollen behauptet. Es ist erstaunlich, wie sich Menschen die Dinge zurechtbiegen können, damit sie in die eigene Vorstellungswelt passen.

Feindbild: andere Religionen

Insbesondere werde von der Priesterbruderschaft die Erklärung des II. Vaticanums über die anderen Religionen abgelehnt, erklärte Pater Steinle. Zwar verurteilt die Bruderschaft den Antisemitismus, jedoch widersprechen sie der Auffassung, die Juden seien als ältere Brüder religiös gleichwertig, denn die Katholische Kirche ist alleinseligmachend. Nur durch Jesus ist das Heil zu erlangen. Die Entgleisungen von Bischof Williamson bezüglich des Holocaust bedauerte unser Gesprächspartner. Williamson komme nach außen aggressiver rüber als es von ihm gedacht sei. Bereits bei seiner Firmung in Bonn habe Pater Steinle von Williamson ähnliche Äußerungen gehört, wofür dieser gemaßregelt worden sei. Bischof Williamson sei ein Eiferer für die Wahrheit bzw. das, was er als Wahrheit erkannt zu haben glaubt. Pater Steinle ist überzeugt, dass Williamson im 3. Reich mit dem gleichen Eifer gegen das Regime aufgestanden wäre. In bedauerndem Ton bekannte Pater Steinle mehrfach, dass derzeit keine Instanz über der Bruderschaft bestünde, die sie maßregelt – doch wirkt diese Aussage etwas selbstwidersprüchlich, denn die Instanzen gäbe es schon, nur werden sie nicht akzeptiert. Außerdem wirft der Fall ein bezeichnendes Licht auf die (nicht vorhandene) Fähigkeit zur internen Selbstregulation.

Antimodernisteneid

Der von Papst Pius X. 1910 zur Abwehr „modernistischer“ Strömungen in der Kirche eingeführte und von Papst Paul VI. 1967 wieder abgeschaffte „Antimodernisteneid“ wird in der Priesterbruderschaft immer noch vor jeder höheren Weihe abgelegt. Mit der Frage, ob die Theologie nicht gerade die Aufgabe habe, das Evangelium für jede Zeit neu zu übersetzen, konnte Pater Steinle wenig anfangen. Tradition versteht er als Bewahrung des Glaubens, welcher nur in Akzidenzien, nicht aber in der Substanz verändert werden dürfe. Wie gering der verbleibende Spielraum ist, zeigt sein Plädoyer für die Beibehaltung der alten Form des Ave Maria: „die du gesegnet bist unter den Weibern“. Schon die sprachliche Anpassung zu „unter den Frauen“ bereitet Probleme.

Ökumene? Fehlanzeige.

Auffällig war, wie oft Pater Steinle andere „Konfessionen und Religionen“ in einem Atemzug nannte. Offenbar besteht aus seiner Perspektive dazwischen kein wesentlicher kein Unterschied. Das wichtigste ökumenische Gremium in Deutschland, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) schien ihm unbekannt. Evangelische Kirche kommt nur als Lieferant von Räumen in den Blick, die in falsch verstandener Liberalität in einigen Fällen weniger Probleme als die römisch-katholische Kirche hatte, ihre Räume an eine Anti-Ökumenische Gruppierung abzugeben. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre betrachtet Pater Steinle kritisch – aber das verwundert auch nicht mehr.

Religionsfreiheit?

Besonders kritisch ist auch die Staatsauffassung der Piusbrüder. Nach den Ausführungen von Pater Steinle ist der Staat dem Schöpfer verpflichtet und hat folglich dort, wo eine katholische Mehrheit besteht, sich auch zu katholischen Prinzipien zu bekennen bis hinein in die Gesetzgebung. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass anderen religiösen Minderheiten kein Recht zur öffentlichen Religionsausübung zustehe. Die private Religionsfreiheit wolle man nicht beschränken, aber ein öffentliches Recht könne dem Irrtum anderer Religionen (und Konfessionen) nicht zugestanden werden.

Wie weiter?

Gegenüber röm.-kath. Normalgemeinden gibt es seitens der Piusbruderschaft immer noch Vorbehalte, denn die neue Form der Messe erscheint für sie nach wie vor unakzeptabel. Das Modell der Petrusbruderschaft, die sich 1988 von den Piusbrüdern abgespalten und mit Rom versöhnt hatte, erschien Paters Steinle keine Lösung, denn diese hätten sich verpflichtet, keine Kritik zu üben, was er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne. Für den Fall einer Einigung mit Rom hält er den Status einer Personalprälatur analog zum Opus Dei für möglich. Die entstandenen Parallelstrukturen würden damit aber nicht aufgelöst, sondern quasi päpstlich approbiert – mitsamt ihren innewohnenden Konflikten vor Ort. Mehrfach wies Pater Steinle darauf hin, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. sehr lange isoliert gewesen sei und sich daraus einige extreme Positionen ergeben hätten. Er setzte Hoffnungen auf die Beendigung der Isolation. Bis dahin bleibt aber noch ein weiter Weg zu gehen – vor allem für die Piusbrüder.

Harald Lamprecht

 

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2009 ab Seite 12