Und Gott schuf Darwins Welt
Im „Darwin-Jahr“ 2009 häufen sich die Darstellungen von Darwins Werk und seiner Wirkung. Nicht selten findet man dabei einen Widerspruch zwischen christlichem Glauben und Erkenntnissen der Wissenschaft formuliert, konkretisiert in der Auseinandersetzung zwischen Evolutionstheorie und christlichem Schöpfungsglauben. Hansjörg Hemminger hat in seinem Buch „Und Gott schuf Darwins Welt“ sehr kenntnisreich dargelegt, dass die eigentlichen Differenzen anderswo liegen. Christentum und Naturwissenschaft vertragen sich sehr gut und ihre gemeinsamen Gegner sind diejenigen, welche die Größe Gottes leugnen, weil sie sie nicht begreifen. Das sind auf der einen Seite kreationistisch denkende Christen, die Gott in die Schöpfung einsperren wollen, die theologischen Schöpfungsaussagen als naturwissenschaftliche Berichte missverstehen und sich bei dem Versuch, einen Kurzzeitkreationismus als bessere Naturwissenschaft zu präsentieren in unlösbare logische Widersprüche verstricken.
Das sind ebenso auf der anderen Seite populäre ideologische Ausweitungen wissenschaftlicher Aussagen zu einer Weltdeutung, die Gott ausschließen will. Solche Versuche können sich nicht mehr auf Wissenschaft berufen und liegen letztlich auf der gleichen Ebene wie das kreationistische Missverständnis: Beide haben keinen Mut zum Glauben. Die einen wollen ihren Glauben wissenschaftlich absichern und beweisen, die anderen wollen ihren Unglauben hinter einer Fassade scheinbarer Wissenschaftlichkeit verstecken. In beiden Fällen wird die Wissenschaft zu Zwecken missbraucht, die ihr wesensfremd sind.
Brisanz der Debatte
Hinter dem aktuell auch politisch brisanten Streit zwischen Kreationismus und Evolutionsbiologie steht nichts weniger als die Frage nach Gott und dem erlaubten Einfluss von Religion auf das öffentliche Leben. Der Kreationismus behauptet, dass eine unvoreingenommene Naturwissenschaft den Glauben an Gott und die Bibel bestätigen müsste. Damit greift er einen Grundpfeiler der modernen Kultur an: die Unterscheidung von Religion und wissenschaftlicher Vernunft. Eine Naturwissenschaft, die den Glauben der Bibel beweisen will, läuft aber auf eine kulturelle Machtübernahme des christlichen Glaubens hinaus, also einen politischen Kampf, wie man ihn derzeit in den USA beobachten kann.
In Deutschland sieht das Grundgesetz ausdrücklich vor, dass auch die Religionen ihren Beitrag zum öffentlichen Leben leisten. Es gibt Kräfte, denen dies zuviel erscheint, die die Religionen in den Bereich des Privaten zurückdrängen möchten. Diesen ist der Kreationismus ein willkommenes Schreckgespenst. Seine Skurrilitäten dienen ihnen zur Darstellung der Absurdität jeglicher Religion. Seine Bekämpfung wird zum Kampf gegen Religion an sich. Die Christen können es diesen ideologischen Kritikern der Religion leicht oder schwer machen.
Typen des Kreationismus
Der Begriff „Kreationismus“ meint nicht jede Form von Schöpfungsglauben, sondern das Missverständnis der Texte von 1. Mose 1 als naturwissenschaftliche Beschreibungen.
Der sogenannte „Langzeit-Kreationismus“ deutet die 7 Tage der Schöpfungsgeschichte als Epochen der Erdgeschichte. Dieses Verständnis verträgt sich mit den Zeiträumen von Astrophysik, Geologie und Paläontologie, lehnt aber die Abstammungslehre ebenso wie die Theorie der natürlichen Auslese ab.
Der „Vorzeit-Kreationismus“ schiebt zwischen die beiden ersten Sätze des Schöpfungsberichtes eine lange Pause ein und geht genaugenommen von zwei Schöpfungen aus, bei denen die erste durch den Fall Luzifers in Verwirrung gestürzt wurde und die Fossilien ausgestorbener Lebewesen hervorgebracht habe, woraufhin erst später eine neue Schöpfung in 6 Tagen erfolgt sei. Langzeit- und Vorzeitkreationismus werden gegenwärtig kaum vertreten.
Der „Kurzzeit-Kreationismus“ ist gegenwärtig am weitesten verbreitet, obwohl er die größten Konflikte mit der modernen Naturwissenschaft heraufbeschwört. Er betrachtet die Schöpfung als ein Werk von sechs Erdentagen und kommt in seinen Berechnungen auf ein Weltalter von 6000 bis max. 12 000 Jahren. Weite Teile der Kosmologie, Biologie, Physik und Geologie sind damit in ihrem aktuellen Kenntnisstand unvereinbar – was von den kreationistischen Autoren ignoriert oder negiert wird.
Anspruch: Alternative Wissenschaft
Der Kreationismus versteht sich genau genommen nicht als Spezialgebiet der Theologie, sondern als Naturwissenschaft. Der führende Vertreter des Kreationismus in Deutschland, die „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“, bezeichnet sich als „wissenschaftlichen“ Verein. Ihr Anliegen ist es, eine wissenschaftliche Theorie vorzulegen, welche die vorhandenen Daten besser erklärt als die Evolutionstheorie – und sich zudem im Einklang mit dem Wortlaut des biblischen Schöpfungsberichtes befindet. Dieses Anliegen, eine „alternative“ Deutung in kritischer Auseinandersetzung mit säkularen Denkvorstellungen zu bieten, ist an sich nicht zu bemängeln. Unakzeptabel sind aber die Methoden, die teilweise dafür angewendet werden. Die von kreationistischer Seite vorgetragenen naturwissenschaftlichen Theorien haben nämlich das Problem, dass sie entgegen ihrem Anspruch keine wirklichen Alternativen zum Evolutionsmodell bieten, weil ihnen die wissenschaftliche Plausibilität fehlt und sie sich in schwerwiegende Widersprüche verstricken. Beispiel: Es gibt vielfältige physikalische und chemische Methoden zur Altersbestimmung. Am anschaulichsten ist die Dendrochronologie, welche anhand der Jahresringe von Bäumen ohne großen Aufwand eine Folge von Jahren dokumentieren kann. Bereits wenige Exemplare der extrem langlebigen Gebirgskiefer (Alter bis zu 5000 Jahre) im amerikanischen Südwesten können eine Folge von Sommern und Wintern darstellen, welche es nach Ansicht des Kurzzeit-Kreationismus gar nicht gegeben haben dürfte.
Lügen für die Wahrheit?
Statt die eigene Theorie im Zusammenhang darzustellen, wird daher häufig indirekt argumentiert und aus angeblichen Schwächen und ungeklärten Detailfragen der Evolutionstheorie eine Plausibilität für die eigene Position zu schlagen versucht. Diese Darstellungen der Evolutionstheorie sind oft unvollständig, irreführend oder direkt sachlich falsch. Immer wieder muss man in Diskussionen hören, die Evolution sei ja nur eine Theorie, welcher sich viele Wissenschaftler selbst gar nicht sicher seien und darum höchst fragwürdig etc.
Richtig daran ist, dass die Evolution – wie jede wissenschaftliche Aussage – eine Theorie ist, welche bestehende Daten interpretiert und ggf. durch eine bessere Theorie auch abgelöst werden kann. Falsch ist es hingegen, aus dieser wissenschaftstheoretischen Einschränkung den Schluss zu ziehen, die Evolutionstheorie an sich sei in der Wissenschaft unsicher oder umstritten, wie es von kreationistischer Seite oft behauptet wird. Das glatte Gegenteil ist der Fall: es gibt kaum eine andere wissenschaftliche Theorie die solch breite Anerkennung genießt und durch viele andere Untersuchungen gestützt ist. Diesen Fakt zu leugnen und öffentlich immer wieder falsch darzustellen, ist grobe Irreführung. Natürlich gibt es auch in der Evolutionsbiologie offene Fragen in einzelnen Details. Diese beeinträchtigen aber nicht die Akzeptanz der Evolution als Rahmentheorie. Kann man wirklich glauben, dass man der Wahrheit dienen kann, wenn man dazu bewusst Lügen verbreitet? Einer christlichen Ethik entspricht solches Vorgehen jedenfalls nicht.
Intelligentes Design als Ausweg?
Für etliche Christen scheint das Konzept des „Intelligent Design“ (ID) ein annehmbarer Kompromiss zu sein – schließlich legt man sich damit nicht auf einen wissenschaftlich schwer haltbaren Kurzzeit-Kreationismus fest und bestreitet lediglich die blinden und ziellosen Vorgänge der Mutation und Selektion als Triebkräfte der Entwicklung. An ihre Stelle wird Gott als intelligenter Planer eingesetzt. Dabei nimmt das Konzept des ID für sich weltanschauliche Neutralität in Anspruch: es wird lediglich aus der Komplexität der Natur auf einen planenden Designer geschlussfolgert – ohne über dessen Gestalt nähere Aussagen zu machen. Was spricht dagegen?
Zunächst sollte klar sein: ID ist keine naturwissenschaftliche Theorie, sondern ein philosophischer Entwurf und postuliert das Einwirken einer transzendenten Intelligenz auf den Kosmos. Der Wiener Kardinal Schönborn vertritt unter Berufung auf Thomas von Aquin und seinen teleologischen Gottesbeweis diese Richtung. Genau dort liegt aber auch die Falle. Kann man Gott aus der Natur „beweisen“? Die Kritik an den Gottesbeweisen in der neuzeitlichen Theologie und Philosophie verneint dies. Gott lässt sich nicht mathematisch „beweisen“. Er ist – und er will es so – nur im Glauben zu erkennen. Die Versuche dazu reduzieren Gott zu einem Lückenbüßergott, der die Erklärungslücken der Naturwissenschaft ausfüllen soll. In dem Maß, wie diese Lücken kleiner werden, würde auch Gott immer kleiner. So verlockend das Konzept des ID auf den ersten Blick erscheint, ist es doch ein Holzweg. Für die Entstehung auch komplexer Lebensformen gibt es plausible natürliche Erklärungen. Gewiss: ein Wirbelsturm montiert auch aus allen Teilen auf einem Schrottplatz keine Boeing 747. Weil aber – im Gegensatz zum Wirbelsturm – die evolutiven Veränderungen nicht unabhängig voneinander ablaufen, sondern sich gleichgerichtete Veränderungen gegenseitig verstärken, kann durchaus auf natürlichem Wege Intelligenz und Ordnung entstehen. Beispiel: Nach einem Regenguss bilden Millionen unabhängiger Wassertropfen ohne höhere Planung einen sauberen Abflusskanal, weil jede zufällige Vertiefung mehr Wasser zu dieser Stelle lenkt. Das ist bewundernswert, aber kein zwingender Beweis für ein wundersames Eingreifen Gottes. Zudem sind etliche natürliche Entwicklungen auch ambivalent und wenig intelligent. Was ist mit den Sackgassen der Evolution? Planungsfehler im Intelligenten Design?
Glaube und Wissenschaft
Was ist die Konsequenz daraus? Dass es aufgrund der Evolutionstheorie keinen Gott geben kann? Keineswegs. Denn ebensowenig, wie man aus den Naturabläufen beweisen kann, dass Gott in ihnen wirkt, lässt sich aus naturwissenschaftlichen Aussagen ableiten, dass Gott nicht existiert. Eine Wissenschaft, die meint, den Schöpfungsglauben widerlegen zu können, irrt sich genau so und überschreitet ihre Grenzen. Eine solche ideologische Inanspruchnahme der Naturwissenschaft für Weltdeutungskonzepte hat es immer wieder gegeben und sie ist auch in der Gegenwart sehr aktuell. Kreationismus und atheistischer Naturalismus sind sich jedoch erstaunlich ähnlich: Beide reduzieren die unerforschliche Größe des Schöpfergottes auf das, was sie in menschlicher Sprache ausdrücken können: die einen, um den klein gedachten Gott in ihr Weltbild einzubauen, die anderen, um ihn zu eliminieren.
Biblischer Schöpfungsglaube
Die Bibel beschreibt das Schöpfungshandeln Gottes nicht nur am Anfang, sondern an vielen Stellen, z.B. auch in den Psalmen, als einen andauernden Vorgang. Dieses Handeln Gottes steht nicht in Konkurrenz zu natürlichen Vorgängen. Es ist keine Erklärung der Details der Weltentstehung, sondern es beschreibt eine Beziehung zwischen Gott und Menschen. Eine der grundlegenden Aussagen des Schöpfungstextes am Anfang der Bibel besteht in der Trennung der Sphären, in der Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf: die Natur, die Bäume, die Tiere, die Sterne am Himmel – all dies sind keine Götter, sondern Bestandteile der Schöpfung. Der Bericht von der Schöpfung in sechs Tagen hat seine eindeutige Pointe in der Einsetzung des Sabbats als Ruhetag auch für die Menschen. Alle Schöpfungstexte handeln von diesem Beziehungsgeflecht zwischen Gott und Menschen. Diese Beziehung ereignet sich in und durch die Abläufe der Natur. In diesem Sinn kann ein Christ die Evolutionsbiologie einer Glockenblume kennen und zugleich Gott für ihre Schönheit danken.
Glaube und Unglaube
Die Beschäftigung mit den Grenzen der Wissenschaft führt zu existenziellen Fragen. Religiöse und unreligiöse Wissenschaftler unterscheiden sich in ihrer Antwort auf die Frage, ob es realistische Erkenntnis über die Vernunft hinaus gibt. Man kann das eine oder das andere meinen, man kann diese Entscheidung aber nicht wissenschaftlich begründen. Der Entscheidung für oder gegen den Glauben lässt sich nicht wirklich ausweichen, auch nicht durch Flucht in die Pseudoreligion des „wissenschaftlichen Weltbildes“. Hansjörg Hemminger plädiert dafür, die Größe Gottes gelten zu lassen, die das menschliche Verstehen übersteigt. „Der Versuch, die Wahrheit in menschlichen Sätzen zu sichern, spiegelt den Vernunftglauben der Moderne und rückt den Menschen an die Stelle Gottes.“ Eine Zusammenfassung dieses gehaltvollen Buches von 200 auf vier Seiten muss verkürzen. Darum sei allen, die sich für diese Fragen interessieren, die Lektüre nachdrücklich empfohlen.