Von Darwin zu Dawkins
Das Thema lockt – die Veranstaltungshalle ist überfüllt und manche Besucher streiten lautstark mit den Sicherheitskräften, weil sie nicht mehr hineingelassen werden. Auf dem Podium sitzen der Biologe und Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas, der Vorsitzende der kreationistischen Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“, Dr. Reinhard Junker und die Baseler Theologin Dr. Christina Aus der Au Heymann. Die drei kurzen Vorträge der Referenten könnten unterschiedlicher kaum sein.
Vaas: Jeder Schöpfungsglaube ist Kreationismus
Rüdiger Vaas hastet durch überladene Folien und will zuviel – nicht nur in zeitlicher Hinsicht: Evolution erklären, Kreationismus kategorisieren, die Existenz Gottes widerlegen. Die Grundlagen der Evolutionstheorie hat er noch ganz treffend skizziert: Nachkommenüberschuss und Ressourcenknappheit führen zu Konkurrenz unter den Individuen, wobei die phänotypische Variabilität in Verbindung mit der Selektion zur Evolution führt. Bei seiner Kategorisierung des Kreationismus entgleiten ihm jedoch die Maßstäbe, so dass er – anders als der allgemeine Sprachgebrauch – jegliche Form eines Schöpfungsglaubens als abzulehnenden „Kreationismus“ betrachtet. Sogar die EKD-Stellungnahme, die sich ausgesprochen kritisch mit dem Kreationismus auseinandersetzt (EKD-Text 94), wird von ihm als „Kryptokreationismus“ bezeichnet, weil auch in ihr Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt nicht abgeschafft ist. Pointiert vertritt er seine These: Der Darwinismus sei mit einem allwissenden und allgütigen Schöpfergott unvereinbar. Wer eine Existenzbehauptung aufstellt, hat die Beweispflicht. Der Beweis Gottes müsse noch angetreten werden, meint Vaas und sieht keinen großen Unterschied zwischen Darwin und seiner Theorie und den polemischen religionskritischen Auslassungen von Richard Darwkins in seinem Buch „Der Gotteswahn.“
Junker: Schöpfung hat nichts mit Naturprozessen zu tun
Nahezu gänzlich ohne Wissenschaft und Evolutionstheorie bleibt der Vortrag von Dr. Reinhard Junker, der sich ganz auf die Darlegung seines Verständnisses der Bibel konzentriert. Im ersten Punkt „Jesus als Schöpfer“ entwickelt Junker aus den neutestamentlichen Berichten von Jesu vollmächtigem Wirken bei Heilungen (Leprakranker Mk 1,40-42, Auferweckung des Lazarus Joh 11,43) oder bei der Sturmstillung (Mk 4,30) eine Charakteristik des Schöpfungshandelns (!) von Jesus. Kern der Aussage ist, dass die Schöpfung durch das Wort prinzipiell etwas anderes als natürliche Entwicklung darstellt, ja geradezu im Gegensatz zu natürlichen Vorgängen steht und folglich nicht mit diesen gleichgesetzt werden könne. Evolution beschreibt einen völlig anderen Vorgang – eben einen bloßen Naturprozess. Abenteuerlicher werden die theologischen Pirouetten im zweiten Teil „Jesus als Retter“. Aus der Adam – Christus – Typologie im Römerbrief wird die Schlussfolgerung gezogen: „Ohne Adam als ersten Menschen und ohne den Fall des Menschen hat die Rechtfertigungslehre keine Basis.“ Die gesamte christliche Heilslehre wird von Junker an die buchstäbliche Existenz und den persönlichen Sündenfall des ersten Menschenpaares gekettet: ohne Adam keine Erlösung. Dass das hebräische Wort „Adam“ auch ganz grundsätzlich „Mensch“ bedeutet (wie es auch das Kirchentagsmotto zeigt), kommt dabei nicht in den Blick.
Verbindender Perspektivenwechsel
Erfrischend ist demgegenüber die konzentrierte und klare Darstellung von Christina Aus der Au Heyman, die im Unterschied zu ihren beiden Vorrednern dezidiert für die Vereinbarkeit von Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben eintritt. Sie löst den Widerspruch mit dem Hinweis auf die Unterscheidung der Perspektiven, die wir in vielen alltäglichen Zusammenhängen auch ganz selbstverständlich und ohne innere Konflikte vornehmen.
Die Evolutionstheorie gehört in den Bereich der Naturwissenschaft, deren Wesen es ist, Natur von außen zu beschreiben. Ein Forscher bringt sich als Person nicht ein, das soll er auch gar nicht, denn darin besteht das Wesen der Wissenschaft: dass die Ergebnisse überall und von anderen reproduziert werden können. Die Perspektive der Wissenschaft ist die der 3. Person. Schöpfungsglaube geschieht aber nicht in der Perspektive der 3. Person, er kann nicht abstrakt von außen betrachtet werden, sondern ist immer eine innere Beziehungsaussage. Ingo Dalferth hat „Gott“ als ein Indexwort bezeichnet. Wie ein Zeigefinger, der auf etwas zeigen kann, aber dennoch mit der Hand verwachsen bleibt, oder wie die Begriffe „hier“ und „jetzt“ nicht losgelöst von ihrem Zusammenhang sinnvoll zu gebrauchen sind, so ist auch die Rede von Gott als dem Schöpfer nicht losgelöst von der Person möglich, die diese Aussage macht. Die Perspektiven der 1. und 2. Person (ich und du) beschreiben keine abstrakten Ursache-Wirkungs-Beziehungen, wie die Naturwissenschaft, sondern personale Beziehungen. Ein Chirurg, der einen Patienten operiert, muss über die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge im Organismus Bescheid wissen. Wenn der Patient sein Freund ist und er ihm später wieder begegnet, wird derselbe Arzt demselben Menschen in einer ganz anderen Perspektive begegnen. So integrieren wir als Menschen im Alltag in der Regel problemlos unterschiedliche Perspektiven. Am Beispiel einer optischen Illusion, die je nach Betrachtungsweise ein Frauengesicht oder einen Saxophonspieler darstellen könnte, illustriert sie, dass sich die Perspektiven zwar nicht miteinander vermengt werden können (man kann nicht zugleich das Gesicht und den Saxophonspieler sehen), aber dennoch nicht sich gegenseitig ausschließen (beides sind korrekte Deutungen).
Die Verbindung beider Ebenen erfolgt in der 1. Person: ich kann als Christ und Wissenschaftler beide Perspektiven einnehmen, weil es ein „mich“ gibt und Gott zuerst mich geschaffen hat. Dies ist eine Perspektive des Glaubens.