Frühstück für den Buddha

Zu Besuch beim Sumati-Zentrum für Mahayana-Buddhismus der Neuen Kadampa-Tradition in Dresden

Äußerlich ist es ein ganz normales Wohnhaus in Dresden. Innerlich ist es ein buddhistischer Tempel. Zumindest teilweise, denn es wohnen auch noch andere Parteien im Haus. Zusammen sind sie 12 Buddhisten: ein Mönch, vier Nonnen und Laienpraktizierende, die gemeinsam das Zentrum betreiben. Die Arbeitsgemeinschaft Religiöse Gemeinschaften des Evangelischen Bundes Sachsen hat es im März 2009 besucht. 1997 von der maßgeblichen Autorität der Neuen Kadampa Tradition (NKT), Geshe Kelsang Gyatso gegründet, hatte das Zentrum einige Jahre seinen Sitz in Dresden-Pieschen, bevor es an die Grenze zwischen Johannstadt und Striesen in die Schubertstraße umzog. Die Buddhisten bezeichnen ihr Zentrum als ein „Geschenk an die Stadt“. Dort sollen auch gestresste Dresdner Bürger einen Ort bekommen, an dem sie zur Ruhe kommen und Frieden finden können.

Keine Mission?

„Wir Buddhisten missionieren nicht“ meint zwar unsere Gesprächspartnerin, weil man ja nicht Buddhist werden müsse, um Meditieren zu dürfen. Angesichts der gebotenen Aktivitäten wirkt dies aber wie eine oft geübte Schutzbehauptung, um einer offenbar weit verbreiteten Sorge vor religiöser Vereinnahmung zu begegnen. Einladenden und werbenden Charakter haben die Angebote des Zentrums auf jeden Fall, und davon gibt es eine ganze Menge. Dienstags finden Vorträge für die Öffentlichkeit statt, bei denen praxisnahe Lösungen für Alltagsprobleme aus der buddhistischen Tradition im Mittelpunkt stehen. Es geht um Themen wie Stress überwinden, Wut kontrollieren etc. Die Vorträge, zu denen durchschnittlich 15-20 Besucher kommen, werden mit einer Meditation eröffnet, damit die Teilnehmer zur Ruhe kommen und lernen, sich zu sammeln. Spezieller um die Meditation geht es beim Kurs „Meditation für Anfänger“. Stolz wird uns berichtet, dass die Teilnehmer aus allen Religionen kommen, sogar ein christlicher Pfarrer sei dabei. In der Meditation geht es darum, die Methoden der Liebe und des Mitgefühles zu vermitteln. Der Kurs ist so beliebt, dass er bereits geteilt werden musste. Solche Veranstaltungen werden nicht nur in dem Dresdner Zentrum angeboten, sondern es wird an einem Netz von Zweigstellen in ganz Sachsen gearbeitet. So finden Vorträge auch in Meißen, Freiberg, Chemnitz, Plauen und anderswo statt. Sonntags wird unter dem Titel „offener Sonntag“ in zwangloser Weise zum Gespräch eingeladen. Weiterhin finden auch Tageskurse statt wie z.B. zum Thema „Nie mehr Frust und Ärger.“ Auch intensivere persönliche Betreuung wird angeboten: Eine Frau, deren Mann an Krebs gestorben war, wohnte z.B. eine Woche im Gästezimmer des Zentrums.

Zur Vertiefung der Lehren für die Mitglieder dienen die Studienprogramme. Das Grundlagenprogramm beinhaltet Meditation und Diskussionen. Die Lehrer-Ausbildung in der NKT ist sehr umfangreich und auf 12 Jahre konzipiert.

Internationale Festivals

Die Neue Kadampa Tradition (NKT) bildet einen eigenen Zweig des (tibetischen) Buddhismus, der kaum Kontakte zu anderen buddhistischen Richtungen pflegt. Zu dieser speziellen Familie buddhistischer Zentren gehören über 1000 Zweigstellen, wobei etwa 20 Zentren in Deutschland angesiedelt sind. Der internationale Zusammenhalt ist stark: dreimal pro Jahr fahren viele zu den internationalen Festivals der NKT. Das Frühlingsfestival in England dauert knapp eine Woche, das ebenfalls im Manjushri-Zentrum im Nordwesten Englands stattfindende Sommerfestival geht über reichlich zwei Wochen. Das Herbstfestival findet an wechselnden Orten auf dem Globus statt - Paris, Singapur, New York - oder 2009 in Italien. Ca. 4000 Anhänger der NKT versammeln sich bei diesen Events, lauschen den Vorträgen, meditieren gemeinsam und empfangen spezielle Segnungen („Ermächtigungen“). Diese sind mit den Namen tibetischer Schutzgottheiten verbunden und werden als besonderer Höhepunkt der Veranstaltung beworben.

Wer an der Lehrer-Ausbildung teilnimmt, verbringt jedes Jahr noch einmal weitere drei Wochen gemeinsam mit anderen Studierenden. Es ist offensichtlich, dass ein solches Engagement neben einer normalen Berufstätigkeit kaum zu leisten ist. Für die Mönche und Nonnen, die ihr bürgerliches Leben aufgegeben haben, sind diese Zusammenkünfte jedoch wichtige Stationen des gemeinsamen Lebens.

Wann ist man Buddhist?

Es gibt im Buddhismus kein der Taufe direkt vergleichbares Ritual zur Annahme der Religion und zur Aufnahme in die Gemeinschaft der Buddhisten. An dieser Stelle steht lediglich ein Satz, die sogenannte Zufluchtsformel: Ich nehme Zuflucht zum Buddha, ich nehme Zuflicht zum Dharma (Lehre des Buddha), ich nehme Zuflucht zum Sangha (Gemeinschaft der Mönche). Dabei genügt es nicht, diesen Text einfach gedankenlos auszusprechen. Es geht um den inneren Entschluss, sich endgültig auf Buddha, die Gemeinschaft und die Lehre zu verlassen.

Warum?

Unsere Gesprächspartnerin ist – wie die meisten deutschen Buddhisten – Konvertit, d.h., sie hat erst im Laufe ihres Lebens durch eigenen Entschluss zum Buddhismus gefunden. Während ihrer Kindheit und Jugend war sie in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens beheimatet, die Eltern kirchlich engagiert. Während des Studiums in Dresden war sie jedoch spirituell auf der Suche, probierte Yoga und Meditation bis sie eines Tages bei einem Vortrag „ihren Meister gefunden“ hat. Seine Präsentation des Buddhismus hat sie angesprochen. Daraus entstand eine Bindung, die sie nicht nur zum Buddhismus führte, sondern auch zu dem Entschluss, als Nonne ihr Leben ganz der Suche nach spiritueller Vervollkommnung zu widmen.

Was ist das Besondere der NKT?

Buddhistische Lehrer müssen versprechen, die Lehre rein zu erhalten, d.h. nichts hinzuzufügen und nichts wegzulassen. Zu diesem Zweck sind im Laufe der Jahrhunderte immer umfangreichere - aber auch unverständlichere Kommentarwerke entstanden. Zudem sind diese in der Regel für tibetische Schüler verfasst worden. Für moderne westliche Menschen ergeben sich daraus fast unüberwindliche Hindernisse. Geshe Kelsang Gyatso, der Gründer der NKT, lebt seit über 30 Jahren in der westlichen Welt und hat die buddhistische Lehre im Zusammenhang und speziell für westliche Schüler neu präsentiert. Dies, so wird uns versichert, sei sein größtes Verdienst. Der Schwerpunkt dabei liegt auf der alltagspraktischen Präsentation zur konkreten Problemlösung.

Auf das Verhältnis zu anderen buddhistischen Richtungen im Westen gehen unsere Gesprächspartner nur auf Nachfrage und zurückhaltend ein. Lama Ole Nydahl mit seinen Diamantweg-Zentren biete zwar auch eine westliche Form des Buddhismus, aber nicht so treu an den klassischen buddhistischen Lehren wie Geshe Kelsang Gyatso. Die verschiedenen Hauptzweige des Buddhismus werden als mehrere Stufen erklärt, wobei die höheren die jeweils niederen umfassen. Buddha habe das Rad des Dharma in drei Umdrehungen gelehrt: Im klassischen Hinayana-Buddhismus ist das Ziel die eigene Befreiung aus dem leidvollen Daseinskreislauf. Im Mahayana-Buddhismus lautet das Ziel, die volle Erleuchtung und damit selbst die Buddhaschaft zu erlangen. Der in Tibet entstandene Vajrayana-Buddhismus gehört nach dieser Darstellung zum Mahayana Buddhismus. Als „schnelles Fahrzeug“ bietet er tantrische Mittel und Methoden, um das Ziel des Mahayana schnell zu erreichen.

Buddha und Gott

Wer ist Buddha? Nach buddhistischer Lehre hat Buddha vier Körper, wobei seine beiden Wahrheitskörper nicht sichtbar sind und lediglich seine beiden Formkörper gesehen werden können. Sein Ausstrahlungskörper konnte zur Zeit seiner irdischen Gegenwart als Buddha Shakyamuni gesehen werden, aber er kann auch heute noch überall dort gesehen werden, wo seine Segnungen empfangen werden. Buddha kann somit auch durch Menschen sprechen. Sein Wahrheitskörper ist hingegen nicht direkt wahrnehmbar. In ihm manifestiert sich allwissende Weisheit. Buddha kann sich in allen äußeren Formen manifestieren. In diesen Elementen bestehen durchaus Ähnlichkeiten zu den Gottesvorstellungen anderer Religionen, meint unsere Gesprächspartnerin. Die Entsprechungen gehen so weit, dass sie in ihrer religiösen Praxis auch direkt zu Buddha betet. Der historische Buddha sei nicht der erste Buddha gewesen, sondern er war schon erleuchtet und habe lediglich den Weg gezeigt. Aus der langen Reihe der Buddhas vor und nach dem historischen Buddha Shakyamuni richte sich ihr Gebet jeweils an den Aspekt Buddhas, der für das jeweilige Anliegen passend erscheint.

Hausaltar

Im Meditationsraum wird die Stirnseite von einer beachtlichen Anzahl kunstvoller Buddhastatuen geprägt. Die Abbilder sollen daran erinnern, dass Buddha wirklich da ist. Sie stehen für die verschiedenen Aspekte der Buddhaschaft. Diese Statuen haben eine große religiöse Bedeutung. In der Regel bestehen sie aus kunstvoll vergoldetem Messing. Bei ihrer Herstellung werden sie innen mit Mantras gefüllt, also mit Texten, die in bestimmter Reihenfolge und unter Gebeten eingefüllt werden.

Der Umgang mit diesen Statuen ist von großer Ehrerbietung geprägt: Wie einem Freund werden ihnen Geschenke gemacht und Speisen vorgesetzt. Die Wasserschalen stehen ebenso wie die übrigen Weihegaben für die 7 Darbringungen: Trinkwasser, Wasser zum Waschen, Blumen, Weihrauch, Licht, parfümiertes Wasser, Speise. Dazu kommt noch eine achte Schale für die Musik. Diese Willkommensgeschenke für Buddha werden täglich erneuert. Die Blumen stehen für die Harmonie in der Gemeinschaft, die Kerze mit dem Docht für die Ungewissheit als Ursache aller Probleme und dem Wachs für die Probleme und Leiden, die von der Flamme der Weisheit verbrannt werden. Auch selbstgekochte Marmelade oder gekaufte Schokoladenstäbchen können den Buddhas vorgesetzt werden. Wenn diese dann durch frische Speisen ersetzt werden, gelten sie als besonders gesegnet, weil sie als Opfergaben fungiert haben. Die dominanten Farben sind rot, welches bei den Kleidern für die Ordination und die Konzentration steht, sowie gelb für die Weisheit. Oft sind beide auch verbunden, denn es gibt keine Weisheit ohne Konzentration.

Personenkult?

Vor den Buddhafiguren im Zentrum ist herausgehoben der Thron des Lehrers platziert, auf dem ein Bildnis des Gründers Geshe Kelsang Gyatso ruht. Solcher für Außenstehende befremdlicher Personenkult wird damit erklärt, dass der spirituelle Lehrer die gegenwärtige Ausstrahlung Buddhas verkörpert. Er repräsentiert für den Schüler gleichsam Buddha selbst, weshalb dieser ihm mit der gleichen Ehrerbietung und Hingabe begegnen sollte. Der Thron sei so verstanden nicht für den Lehrer, sondern für die Lehre, die er bringt – auch wenn faktisch der Lehrer auf diesem Thron Platz nimmt. Diese Erklärung versucht der Architektur etwas die Schärfe zu nehmen, aber so oder so bleibt es dabei, dass der Lehrer eine ausgesprochen dominante Stellung besitzt. Es sind für die Dresdner Buddhisten nur wenige Szenarien denkbar, in denen ein Widerspruch und Kritik am Lehrer angemessen erscheinen würde. Immer wäre es etwas wie eine Kritik an Buddha selbst – geäußert von einem unverständigen Schüler. Eine solche Machtfülle bei einem Menschen – und ein solcher bleibt auch ein buddhistischer Lehrer – ist aus Außensicht grundsätzlich gefährlich. Die Bedeutung des Gründers als Person innerhalb der NKT zeigt sich auch darin, dass alle von ihm Ordinierten seinen bürgerlichen Namen „Kelsang“ übernehmen. So trägt z.B. die - ebenfalls aus Deutschland stammende - Leiterin des Zentrums nun den Namen Kelsang Kyobpa.

Dorje Shugden

Auch wenn er bei unserem Besuch beinahe unerwähnt blieb und nur auf Nachfrage hin Auskünfte dazu gegeben wurden: Eine für die NKT sehr wichtige Figur ist der Schutzgott Dorje Shugden. Wie vieles im tibetischen Buddhismus wurde er aus vorbuddhistischer Volksreligiosität in den Buddhismus integriert. Sein Schwert gilt nun als Schwert der Weisheit gegen eigene innere Feinde, sein zorniges Gesicht sei keineswegs wütend, sondern er sei zornig aus Mitgefühl. Der Dalai Lama möchte seit längerem den Kult um Dorje Shugden abschaffen und stößt damit insbesondere bei der NKT auf erbitterten Widerstand. In dieser Auseinandersetzung soll es in Tibet sogar zu Mordfällen unter den Mönchen gekommen sein. Geshe Kelsang Gyatso und seine „International Kadampa Buddhist Union“ stehen deshalb im Konflikt mit dem Dalai Lama.

Auf dem Hausaltar im Dresdner Zentrum ist auch eine Statue von Dorje Shugden zu finden – umgeben von einer Reihe Ferrero Küsschen und weiterer besonderer Köstlichkeiten. Seine eigentliche Bedeutung wird aber in den Werbeschriften für die englischen Festivals deutlich. Dort heißt es: „Dorje Shugden ist eine Manifestation der Weisheit aller Buddhas und erscheint im Aspekt des Dharmabeschützers. Er ist unser höchster spiritueller Freund, der uns vor negativen Kräften beschützt, die den Erfolg unserer spirituellen Praxis verhindern, und der uns, indem er unseren Geist segnet, Unterstützung gibt, unsere Weisheit vergrößert und alle für uns nötigen Bedingungen bereitstellt, um den Pfad zur Erleuchtung zu vollenden. Das Empfangen dieser Ermächtigung ist eine besondere Methode, eine kraftvolle Verbindung zu diesem heiligen Wesen herzustellen und seine Segnungen zu empfangen.“[1]

Buddhistische Sekte?

Die NKT sieht sich des Öfteren mit dem Vorwurf konfrontiert, sie bilde so etwas wie eine Sekte innerhalb des Buddhismus. Sogar in ihrer Selbstdarstellung sieht sie sich genötigt, den Vorwurf zurückzuweisen, die Dorje-Shugden-Praktizierenden seien eine Sekte.[2] Nun hat der Begriff „Sekte“ ein weites Bedeutungsfeld, von dem etliches sicher nicht auf die NKT zutrifft. Klagen über akute Probleme im Umgang mit den Mitgliedern sind jedenfalls in Sachsen nicht aufgetreten und auch sonst sind keine aktuellen Vorfälle bekannt. Der Vorwurf zielt vermutlich eher auf die isolierte Position der NKT innerhalb des gesamten Buddhismus. Dabei sind folgende Punkte möglicherweise ausschlaggebend:

  • Die NKT ist nicht Mitglied der Deutschen Buddhistischen Union.
  • Geshe Kelsang Gyatso hat keine Verbindung mit dem Dalai Lama.
  • Die NKT versteht sich nicht als Teil des tibetischen Buddhismus, sondern als eigene unabhängige buddhistische Tradition.
  • Es wird ein modifizierter Exklusivanspruch vertreten mit der Behauptung: „Geshe Kelsang ist der einzige tibetische Lama, der eine vollständige Neu-Präsentation des buddhistischen Pfades im Einklang mit den Bedürfnissen und Neigungen der modernen Welt gegeben hat.“[3]
  • Es gibt keine offiziellen Kontakte zu anderen buddhistischen Richtungen.

Auch wenn die früher einmal gegebene Anweisung, die Schüler sollten keine anderen Bücher als die von Geshe Kelsang lesen, zurückgenommen wurde, bleibt die Beobachtung bestehen: Die NKT-Familie ist sich selbst genug. Dies ist kein Verbrechen, aber man sollte im Kontakt mit der NKT wissen, dass es sich um eine spezielle Richtung innerhalb des Buddhismus handelt.

 


[1] Internationale Buddhistische Festivals der NKT-IKBU, Frühling und Sommer 2009 in England, S. 8.

[2] Moderner Kadampa Buddhismus. Eine Einführung, 2007, S. 13f.

[3] Moderner Kadampa Buddhismus, a.a.O., S. 9.

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/228

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2009 ab Seite 04