Mission ja - aber wie?

Impulse von der 6. Begegnungstagung des Evangelischen Bundes Sachsen mit Leitern freier Gemeinden in Sachsen

Das missionarische Anliegen, den christlichen Glauben weiterzutragen, verbindet Evangelische Landeskirchen und Freikirchen. Über das richtige „Wie“ dieser Vermittlung des Glaubens gibt es aber verschiedene Auffassungen und Erfahrungen – quer durch alle Kirchen. Mission ist Anliegen aller Kirchen, aber auch immer wieder Gegenstand öffentlicher Kritik. Warum ist das so? Was sind Fehler der Mission? Welches Verständnis von Mission ist dem biblischen Zeugnis angemessen? Welche Fehler früherer Zeiten sollte man heute nicht wiederholen?

Diese und weitere Fragen bildeten den Rahmen für die Gespräche auf der sechsten Begegnungstagung zwischen Leitern freier charismatischer Gemeinden in Sachsen und Pfarrern der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, die Ende November 2009 an der Evangelischen Akademie Meißen stattfand. Die nachfolgende Zusammenfassung versteht sich als Ergebnisbericht, nicht als Wortprotokoll. Das bedeutet, dass der Text weder zeitlich, noch nach den Personen sortiert ist, welche die Gedanken beigesteuert haben. Statt dessen wurde versucht, aus verstreuten Beträgen einen inhaltlichen Faden zusammenzuspinnen, in dem das Garn aller Teilnehmer verwoben ist.

Der Grund der Mission

Im Neuen Testament gibt es keinen speziellen Begriff für „Mission“. Dies bedeutet aber nicht, dass Mission kein Thema wäre, sondern eher das Gegenteil: Weil es keinen Spezialbegriff gibt, ist Mission immer mit gegeben, wo das Evangelium gelebt wird. All die verschiedenen Begriffe (evangelisieren, lehren, reden, verkündigen etc.) handeln davon, wie die gute Nachricht nach innen und außen vermittelt wird. Kirche ohne Mission wäre eine Kirche ohne Evangelium. Mission ist daher kein Sektor kirchlicher Arbeit, sondern ein Wesensmerkmal von Kirche. Dies stellte Prof. Thomas Knittel von der EFH Moritzburg in seinem Referat heraus. Mission bedeutet wörtlich „Sendung“. Ihre Begründung findet die Mission in der Sendung Gottes. Bereits in der Schöpfung und in der Aussage von der Gottebenbildlichkeit des Menschen (1. Mose 1,26) zeigt sich der Gemeinschaftswille Gottes. Sünde geschieht, wenn Menschen diese Gemeinschaft zerstören – gegenüber Gott, gegenüber den Mitmenschen und gegenüber Pflanzen und Tieren. Gott lässt dies aber nicht auf sich beruhen. Damit beginnt die Geschichte seiner Sendung, seiner „Mission“. Er sendet Propheten, er sendet seinen Sohn, Christus sendet Jünger. Mission ist der Prozess, in dem Gott auf die Welt zugeht. Alles Wirken von Missionaren ist daher lediglich Anteilhabe an dieser Mission Gottes. Die Kirchen sind gut beraten, diesen Grund der Mission stets deutlich werden zu lassen. Ziel der Mission ist nicht in erster Linie, die kirchlichen Bänke aufzufüllen, um kirchliche Selbstbestätigung zu erhalten. Ziel der Mission ist die Verkündigung der Gegenwart Gottes. Die Missionsaufträge stehen in der Bibel nicht ohne Grund im Zusammenhang mit den Ostergeschichten, denn Mission bedeutet Teilhabe an der Auferstehung.

Neutestamentliche Missionspraxis

In der Praxis ist Mission Aufgabe der ganzen Gemeinde – auch wenn es in der Urgemeinde mit der Wahl der Armenpfleger zu Aufgabenteilungen kommt. 1. Kor 14 zeigt den Testfall: Wie wirkt es auf einen Ungläubigen, der in den Gottesdienst kommt, wenn alle durcheinander reden und beten? Mission ist zugleich eine universale und eine konkrete Aufgabe. Der so genannte Missionsbefehl (Mt. 28) spricht von der Sendung an alle Völker, weil schon in der Schöpfung die Sendung Gottes an die gesamte Welt beginnt. Zugleich muss sie konkret organisiert werden. Paulus muss pflanzen, andere sollen gießen (1. Kor 3, 5-7). Es braucht eine Arbeitsteilung der Mitarbeiter im Werk Gottes, wobei sowohl diejenigen, die pflanzen als auch diejenigen, die das Gepflanzte dann regelmäßig gießen jeweils auf ihre Weise missionarisch tätig sind.

Strategie oder Charisma?

Ist erfolgreiche Mission eine Frage der Strategie oder ein Charisma, eine Gnadengabe Gottes? Bei Paulus stehen diese Aspekte nicht im Widerspruch zueinander. Einerseits zeigt sich durchaus eine planvolle Ausrichtung seiner Missionstätigkeit: Bewusst ging er in die Metropolen, in die Hauptstädte der Provinzen (Thessalonich, Philippi, Ephesus). Dort blieb er jeweils für einen längeren Zeitraum (3 Jahre). Dabei entstanden Hausgemeinden, zu denen sicher anfangs nicht mehr als 20-30 Personen gehörten. Doch diese Zentren hatten einen Leuchtturm-Effekt: Sie strahlten selbständig in ihre Umgebung aus. Eine solche Netzwerkbildung ist typisch für die Mission des Paulus. Zugleich weiß er, dass es nicht seine Aktivitäten sind, sondern allein der Geist Gottes bewirkt, dass Menschen in Verbindung mit Christus kommen.

Formen missionarischen Handelns

Die Bibel zeigt ein weites Spektrum missionarischen Handelns. Prof. Knittels Zusammenstellung wurde durch die Teilnehmer noch weiter ergänzt.

• Mission als Bibelgespräch (Apg. 8 Philippus und der Kämmerer) zeigt, dass die Bibel auch für sich sprechen kann und nicht zwangsweise mit einer Predigt eingeleitet werden muss. Das offene Bibelgespräch bietet ungeahnte Chancen.

• Mission als interreligiöser Dialog: Paulus ist in Athen positiv auf die vorhandenen Religionen eingegangen – zwar nicht gerade lobend, aber doch wertschätzend und anknüpfend. Zugleich geht er deutlich auf Christus ein. Dialog und Klarheit schließen einander nicht aus. Konfrontation muss nicht das Erste sein.

• Mission als Rechenschaftslegung (1. Petrus 3,15): Seid allezeit bereit zur Verantwortung über die Hoffnung, die in euch ist. Als Rechenschaft über den Glauben kommt der Theologie und der offenen theologischen Diskussion eine wichtige Rolle zu.

• Mission als Gottesdienst: 1. Kor 14,23-25 zeigt: Der Gottesdienst ist keine reine Insider-Veranstaltung.

• Mission als bürgerliches Wohlverhalten: Fürchtet Gott, ehrt den König (1. Petr. 2,13-17) wird auch als missionarische Handlung gesehen. Angreifern soll durch gute Werke das Maul gestopft und diese auf Gott hingewiesen werden.

• Mission als Versöhnungsarbeit: 2. Kor 5, 18-20 zeigt, dass Paulus wie ein politischer Botschafter unterwegs ist.

• Mission als Bekehrungspredigt: Die Pfingstpredigt des Petrus (Apg. 2, 37-38) gipfelt im Aufruf zur Taufe.

• Mission als heilendes Handeln: Die Aussendungsrede an die Jünger (Mt. 10, 7-8) zeigt, dass Trennendes überwunden werden soll – Aussätzige werden rein.

• Mission als Inkulturation: In 1. Kor 9 will Paulus den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche werden, um sie für Christus zu gewinnen.

• Mission als neue Gemeinschaft: Trennendes wird überwunden, wenn der gemeinsame Glaube Verbindung untereinander schenkt. Solches wirkt auch nach außen (Joh. 17).

• Mission als Feier: Feste öffnen die Türen, laden ein, an der Freude teilzuhaben.

Mission in Europa

Welche Rolle spielt Mission in einem sich gegenwärtig neu konstituierenden Europa? Verschiedene Modelle stellte Friedemann Walldorf vor, der an der FTH Gießen Missionstheologie lehrt. In der Zeit zwischen 1979 und 1992 traten drei Modelle hervor:

a) Vor allem von Papst Johannes Paul II. wurde die Kirche als Seele Europas gesehen. Bei diesem ekklesiozentrischen Inkulturationsmodell geht es um die Bekehrung der bereits Getauften (vgl. die Enzyklika Redemptoris Missio).

b) Am anderen Ende des Spektrums steht ein kosmozentrisches Dialogmodell mit den Bemühungen, die Gegenwart Gottes in der Welt zu entdecken (Missio Dei). Damit verbindet sich eine Blickrichtung von außen nach innen. Es gilt zu akzeptieren, dass auch die Christen in Europa nicht „Träger“ d.h. „Besitzer“ des Evangeliums sind, sondern dass das Evangelium gebracht wird. Mission ist hier geprägt von dem gemeinsamen Leben in der Welt.

c) Ausgehend von der Lausanner Konferenz wird das bibliozentrische Übersetzungsmodell propagiert: Nicht die Kirche garantiert das Evangelium, auch nicht die Kultur, sondern der biblische Text. Den Europäern Christus zu bezeugen ist darum ein Übersetzungskonzept. Wie kann trotz unterschiedlicher Kulturen verstanden werden, was gemeint ist?

Heutige Missionstheologie sollte von allen drei Modellen lernen. Wichtig ist die Kirche als eine sichtbare Gemeinschaft, welche die Mission trägt. Dabei ist Gottes Mission aber größer als kirchliche Strukturen. Zugleich gibt es normative Konstanten, die verhindern, dass sich alles in Beliebigkeit auflöst.

Gegenwärtige Probleme

Für Spannungen sorgen unterschiedliche Verständnisse von Mission in den verschiedenen europäischen Ländern. Insbesondere die Russisch-Orthodoxe Kirche beklagt sich immer wieder über evangelikale und pfingstliche Missionseinsätze, die aus ihrer Sicht eben nicht Mission, sondern Proselytenmacherei darstellen würden, da Russland bereits orthodox sei.

Der Begriff der Postmoderne spiegelt Chancen, aber auch Probleme für die Mission: Die Pluralität der Rationalität, in der es keine verbindlichen Definitionen mehr zu geben scheint, gibt auch der Religion wieder eine Chance, das Leben zu erklären. Andererseits ist der Anspruch auf Wahrheit über Kulturgrenzen hinaus im Rahmen der allgemeinen Relativierung schwerer vermittelbar.

Im Bereich der EKD ist die Auseinandersetzung um Mission oder Dialog wieder aufgebrochen. Während Bischof Huber die Selbstsäkularisierung der Kirche anprangerte und in Greifswald das Institut für Evangelisation und Gemeindeaufbau eingerichtet wurde, sprachen Kritiker von einer evangelikalen Besoffenheit der EKD. Michael Herbst, der Leiter des Greifswalder Institutes, stellte die Frage: Dürfen wir Menschen gewinnen wollen? Mission bleibt nun einmal eine intentionale, absichtsvolle Kommunikation.

Angst vor Mission?

Warum haben Menschen Angst vor Mission? Offenbar gibt es eine Diskrepanz, wie Missionare ihre Arbeit verstehen, und wie sie ankommt. Mission hat weithin ein negatives öffentliches Image und ist verknüpft mit der Vorstellung gewaltsamer Bekehrung. Sie wird dann oft missverstanden als „Indoktrination“. Woher kommt das? Und wichtiger noch: Wie kann das vermieden werden?

Aufdringliche Mission

Erfahrungen mit der Missionstätigkeit der Zeugen Jehovas können helfen, sich typischer Fehler bewusst zu werden. Die Unbeliebtheit der Zeugen Jehovas in weiten Kreisen der Bevölkerung wurzelt neben ihrer gesellschaftlich isolierten Stellung maßgeblich in der als aufdringlich empfundenen Praxis der Haustürmission. Aber aufdringlich ist das Gegenteil von eindringlich. Pfr. Gottfried Walther berichtete, dass nach dreistündigem Gespräch mit dem Meißner Ältesten der Zeugen Jehovas dessen Humorlosigkeit das Anstrengendste gewesen sei. Negativ aufstoßend ist der Gestus, ganz genau wissen zu wollen, was Gott mit anderen Menschen vor hat. Menschen sind aber nicht Gott. Sie können nicht hinein schauen, wie Gott mit anderen Menschen handelt. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, dass die Zuschreibung zum Reich Satans höchst problematisch ist. Zeugen Jehovas wehren damit das gesamte Christentum ab, ohne sich näher damit befassen zu müssen. Das zeigt, wie solche Zuschreibungen blind dafür machen können, wo Gott schon lange und vielfältig wirkt. Die Denkweise, Missionare kommen, um Unbekehrte aus der Macht Satans zu entreißen, hat von daher ihre Fallstricke und eignet sich nicht als pauschale Beschreibung von Mission.

Effektive Missionsmethoden?

Die Begriffe von „Effektivität“ und „Methode“ haben im Zusammenhang mit Mission ihre Schwierigkeiten, denn sie suggerieren, die Zuwendung zum Glauben sei etwas durch Menschen Machbares. Mission ist statt dessen besser als eine Haltung zu beschreiben, welche die Sendung in die Welt verinnerlicht hat. Es geht darum, den eigenen Ort inmitten der Welt einzunehmen und dort in Liebe für die Umgebung zu wirken. Die Leute merken es schnell, ob jemand den Ort, an dem er steht, bejaht, oder ob er ins Jenseits einladen will. Auch über das Jenseits muss man weltbezogen reden – mit Worten oder Taten. Wo Menschen aus der Welt hinausgenommen werden sollen, wird Mission falsch. Der Herrschaftswechsel, den eine Übergabe des eigenen Lebens an Christus bringt, soll zu einem neuen Leben in der Welt befähigen. Mission bedeutet, dass Gott eine Geschichte mit der Welt hat, dass Menschen besser leben können. Darin liegt die Herausforderung, jeden Tag als Christ zu leben, und nicht nur bekehrt zu sein, um das ewige Leben zu bekommen.

Konvivenz

Die beste „Strategie“ der Mission ist das alltägliche Zusammenleben („Konvivenz“). Wer dort persönlich glaubwürdig seinen Glauben lebt, gewinnt Ausstrahlung. Mission fängt daher immer bei dem einzelnen Christen an. Wie lebt er die christliche Botschaft? Das Zusammenleben muss dabei von gegenseitigem Respekt geprägt sein. Wer anderen mit arroganter Überheblichkeit entgegentritt, gewinnt keine positive Ausstrahlung. Wenn Theologen mit dem Gestus auftreten, sie wüssten alles über das Leben, so ist das der Mission eher hinderlich. Menschen sollen vom Evangelium überwältigt werden, nicht vom Missionar. Die Aussage „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde“ (1. Tim. 2) beinhaltet, dass Gott zu jedem Menschen schon eine Haltung der Liebe und der Offenheit hat. Nicht der Missionar bringt daher Gott zu den Menschen, sondern Gott ist schon da. Der Missionar kann lediglich Lust wecken, ihn selbst zu entdecken. Dazu ist jeder Christ berufen – wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Man kann auch an der Kasse im Supermarkt Missionar sein. Entscheidend ist: Kann das eigene Leben als ein Brief Christi gelesen werden?

Begrifflichkeiten

Sollte am Begriff „Mission“ festgehalten werden? Es gibt viele Situationen, in denen man ihn besser vermeidet, da er vielfach mit negativen Assoziationen überfrachtet ist. Das gilt insbesondere für die Verbform „missionieren“. Mittlerweile scheint die Aussage, man wolle nicht missionieren, zur Vorbedingung erfolgreicher Mission zu gehören. Buddhisten beruhigen damit regelmäßig verunsicherte Bürger, während sie zu ihren Vorträgen und Meditationen einladen. 

Warum ist das so? Niemand möchte von einem Fanatiker bedrängt werden. Pascal Ugenyi, Pastor der Leipziger Living Water Gemeinde berichtete, dass er einige Zeit im Leipziger Zentralstadion gearbeitet hatte. „Versuche nicht, mich zu bekehren“ – so wurde ihm vom Chef Mission strikt verboten. Doch später bat derselbe Chef: „Bete, dass der Rasen gut funktioniert.“ Plakative, aufdringliche Aktionen, wie sie mit dem Missionsbegriff oft leider assoziiert werden, sind und bleiben unbeliebt. Die Offenheit für überzeugend gelebte religiöse Handlungen kann dennoch sehr erheblich sein.

Trotz der gelegentlichen Missverständnisse ist es sinnvoll, den Begriff der Mission zurückzugewinnen, damit er nicht nur noch für militärische Missionen verwendet wird. Eine Missionsgesellschaft sollte auch weiterhin so heißen. Darum hat das Evangelische Missionswerk eine Kampagne für den Begriff und die Anliegen von Mission gestartet: „Mission - um Gottes willen“ (www.mission.de).

Im röm.-kath. Bereich ist statt „Mission“ häufiger der Begriff „Evangelisation“ üblich. Darin kommt die lehrmäßige Komponente des Weitersagens der guten Botschaft zum Ausdruck. Im evangelischen Bereich wird unter „Evangelisation“ eher eine spezifische Missionsmethode verstanden, bei der in besonderen Veranstaltungen Menschen zu einer öffentlichen Bekehrung und zur Übergabe ihres Lebens an Jesus motiviert werden sollen.

Dietrich Bonhoeffers Mission

Zwar hat Dietrich Bonhoeffer kein ausgearbeitetes Missionskonzept vorgelegt und auch keine Missionsgesellschaft begründet. Dennoch war seine Theologie in vielen Bereichen missionarisch, indem er sich Gedanken über die Weitergabe des Evangeliums in der modernen Welt machte, wie Pfr. Stephan Brenner berichtete. In seinen Briefen aus der Haft reflektierte Bonhoeffer über die Ablehnung der Beschneidung als Bedingung zum Heil. Auch die Kirche sollte demnach keine Grenzen aufrichten, die Gott nicht haben will. Die Frage nach Gott bricht oft an den Grenzen des Lebens auf. Zwar soll Jesus in der Mitte des Lebens sein, und nicht nur, wenn es brenzlich wird. Allerdings scheint das religiöse Sehnen weniger ausgeprägt, wenn alles gut geht. Die Defiziterfahrung führt stärker zum Glauben als der Wohlstand. Dies zeigt sich auch immer wieder, wenn in der Gesellschaft etwas Schlimmes passiert. Dann ist die Kirche gefragt. Sie hat eine Funktion an den Grenzen. In mancher volkskirchlichen Situation beerdigt der Pfarrer mehr Menschen, die er nicht kennt, als die er kennt. Eine solche rituelle Erwartungshaltung mit der Bitte an Christen, an Eck- und Wendepunkten des Lebens mit Gebet und Begleitung aus Gottes Wort Begleitung und Hilfestellungen zu geben, ist ein legitimer Wunsch, der nicht versagt werden sollte. Gewiss - das kann nicht die ganze Kirche sein. Sie würde untergehen, wenn sie nur ritueller Betrieb wäre, der als spiritueller Cateringservice punktuell Feiern ausgestaltet. Aber es ist nicht recht, jemanden, der um einen Fisch bittet, diesen zu verweigern, weil er nicht jede Woche im Angelverein zur Sitzung kommt. Bonhoeffer brachte dies auf die Formel: Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Nicht herrschend sondern helfend und dienend.

Kontrovers: Der Ruf zur Entscheidung

Keine vollständige Einigkeit gab es in der Gewichtung des Rufes zur Entscheidung. Ein Problem steckt in der „Bekehrung“ an sich. Wenn sich jemand bekehren soll, wird das bisherige Leben abgewertet. Das mag in bestimmten Biografien und bei einzelnen Punkten durchaus seine Berechtigung haben. Wo allerdings eine generelle Forderung daraus erwächst und ein Bekehrungsdruck aufgebaut wird, der Menschen in die Enge treibt, entsteht ein Schwarz-Weiß-Denken, welches das Evangelium verdunkeln kann. Die Sehnsucht nach Gott soll aus der Erfahrung seiner Liebe erwachsen, nicht aus der Angst vor der Hölle. Drohungen und Angstmache haben deshalb in der Mission nichts zu suchen. Eine Bekehrung ist nicht auf den Ruf zur Entscheidung zu reduzieren, dennoch kann dieser auch seine Berechtigung haben. Eine Ehe ist ebenfalls mehr als der Moment des gegenseitigen Eheversprechens. Trotzdem braucht es dieses Versprechen, damit es eine Ehe wird. Richtig an der Frage nach der Bekehrung ist, dass es um das einzelne, persönliche Leben geht. Dies soll der Ruf zur Entscheidung ausdrücken. Gott hat keine Enkel, sondern nur Kinder. Das Vertrauen auf Gott kann man nicht erben, sondern es muss in jeder Biographie persönlich gewonnen werden. Wohl aber können die Eltern und das soziale Umfeld dabei entscheidende Hilfen leisten, wenn sie selbst aus dem Glauben leben.

Umkehr und Erneuerung

Wenn Mission zu nett ist, wenn sie gar keine Abwehrhaltung auslöst, stimmt auch etwas nicht, denn es geht um Umkehr und Erneuerung. Die eigentliche Kunst in der Mission besteht folglich darin, den Anspruch des Evangeliums deutlich zu machen und dennoch den Menschen mit der nötigen Achtung und Wertschätzung zu begegnen.

Nicht immer ist es nur der Begriff, der abgelehnt wird. Generell ist es so, dass der souveräne Mensch oft abblockt, wenn ein anderer ihm etwas sagen will, das an die Substanz geht. Mission erdreistet sich, einem Menschen zu sagen, wie er auch leben könnte. Aber diese Kritik, die in der Mission liegt, braucht unsere Gesellschaft. Mission bedeutet die Freiheit, einen Anderen von meiner religiösen Überzeugung her in Frage zu stellen. Diese Freiheit muss erhalten bleiben, sonst hat die Gesellschaft ein Problem. Sie muss natürlich ebenso umgekehrt gelten: Auch der Missionar muss bereit sein, sich in Frage stellen zu lassen. Nur in einer solchen Offenheit kann Mission fruchtbar werden. Wir sind es uns als Menschen schuldig, einander die Meinung zu sagen. In vielen alltäglichen Zusammenhängen geschieht das ständig: am Familientisch, in Betrieben etc.

Defiziterfahrungen

Das gezielte Anknüpfen bei aktuellen Krisen und Defiziterfahrungen hat seine Probleme. Eine aktuelle Studie über die Motive von Erwachsenen, die zum Glauben kommen, besagt, dass weniger als die Hälfte durch Krisenerfahrungen, während die Mehrheit mitten im „normalen“ Leben zum Nachdenken über Gott angeregt wurden. Es ist wichtig, dem Anderen auf Augenhöhe zu begegnen. Wie steht man sich gegenüber? Zusammengehockt, mit einem Problem, von dem man sich aufhelfen lassen soll? Es ist falsch, immer nur zu den am Boden liegenden gehen zu wollen. Manche Evangelisationsmethode hat erst zerschlagen und umgeworfen, um dann wieder aufhelfen zu können. Das ist fatal, denn ein solches Gefälle transportiert unterschwellig stets Arroganz und Abwertung („Werde du erstmal so wie ich, dann wird auch Gott dir helfen“). Das steht einer glaubwürdigen Verkündigung des Evangeliums im Wege. Statt dessen ist es wichtig, auch dem Leidenden auf Augenhöhe zu begegnen, bei den Schwachen selbst als Schwacher zu stehen – ohne Überheblichkeit. Jesus beginnt das Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen (Joh. 4) mit einer Bitte um etwas zu trinken. Für die Missionssituation bedeutet dies: Die erste Frage sollte sein, was kann der andere für mich tun? Wo kann ich von ihm etwas empfangen, etwas lernen? Dies impliziert Wertschätzung.

Übereinstimmend wurde berichtet, dass die meisten Mitglieder der freien Gemeinden nicht durch Leiderfahrungen zur Gemeinde getrieben wurden, sondern von der Gemeinschaftserfahrung angezogen sind. Das deckt sich mit den Ergebnissen der oben genannten Studie. Allerdings ist in der gegenwärtigen materiell gesättigten Gesellschaft die persönliche Einsamkeit wahrscheinlich die verbreitetste Not. Von daher ist diese Beobachtung kein Widerspruch, sondern eher eine Bestätigung der These, dass die Not zum Glauben führt.

Ganzheitliche Mission

Mission muss den ganzen Menschen in den Blick nehmen, die geistige und die körperlich-soziale Situation berücksichtigen. Je nach persönlichem Frömmigkeitsprofil und Situation liegt in der Praxis der Schwerpunkt mal auf der materiellen, mal auf der spirituellen Seite. Brauchte vor 150 Jahren die Mission noch keine diakonische Komponente zu haben? Hatte das Predigen von einer Apfelsinenkiste einen größeren Nachhall? Es ist unglaubwürdig, vom Reich Gottes zu predigen, wenn davon keine Impulse ausgehen, um die realen sozialen Nöte anzupacken. Mission ist immer die Option für die Ausgegrenzten, für die Armen, für diejenigen, die sonst nichts mehr zählen. Man sollte keineswegs unterschätzen, welchen bleibenden Eindruck kontinuierliches soziales Engagement aus christlicher Motivation hat. Nichts schreit lauter als die Tat. Wenn Christen in Krisengebieten Schulen und Krankenhäuser einrichten, müssen sie nicht zwangsläufig noch Traktate verteilen. Die Menschen spüren auch so sehr gut, wenn aus Liebe zum Nächsten Dinge getan werden, die keinen persönlichen Vorteil bringen. Wenn aus diesem Staunen heraus genauer nach der Motivation gefragt wird, dann sollte allerdings auch offen und ehrlich geantwortet werden. Wer darauf nicht vorbereitet ist und diese Antwort aus falscher Scheu nicht zu geben wagt, bleibt den Menschen etwas Entscheidendes schuldig.

Mission und Inkulturation

Bei der Auslandsmission stellt sich immer wieder besonders die Frage nach dem Verhältnis von Evangelium und Kultur. Im Leipziger Missionshaus gibt es eine Zeichnung, auf der ein Missionar einen Blumentopf - die Pflanze des Glaubens - einem Afrikaner bringt. Dort geht die Pflanze ein. Dann zerschlägt der Afrikaner den Blumentopf, die Pflanze wird eingepflanzt und kann endlich wachsen. Mission transportiert nie nur die Pflanze, sondern immer auch die eigene Erde. Es braucht eine große Sensibilität und Kenntnis der Kultur der Menschen. Müssen Afrikaner erst Europäer werden, um dann vielleicht auch noch Christen werden zu können? Dürfen sie ihre Trommeln, mit denen sie vorher die Geister betrommelt haben, auch im Gottesdienst benutzen? Oder doch lieber das Harmonium? Wie geht man mit einem Massai um, der Christ wird, aber schon vier Frauen hat? Das bedeutet nicht, dass das Evangelium keine verändernden Impulse bringen dürfte. In der indischen Kultur der Kasten entwickelt das Evangelium eine enorme Sprengkraft. In Papua-Neuguinea gibt es viele jahrhundertealte Stammeskonflikte – immer noch mit dem Konzept der Blutrache. Christen gehen dort mit der Botschaft der Versöhnung dazwischen, bauen ihr Zelt mitten auf dem Schlachtfeld zwischen verfeindeten Stämmen auf und verhindern so blutigen Krieg. Es ist auf der anderen Seite für die Europäer mindestens ebenso wertvoll, davon zu lernen, wie sich das Evangelium in anderen Kulturen selbst ausdrückt. Naturverbundenheit und das Lob der Schöpfung können auch den Evangelisch-Lutherischen Glauben bereichern.

Christliche Mission ist immer die Einladung zum Glauben an Jesus Christus, seine Geschichte kennen zu lernen und ihm persönlich zu vertrauen. Dies verändert Menschen. Die Botschaft, dass in Jesus Gott den Menschen unvergleichlich nahe gekommen ist und durch Tod und Auferstehung einen neuen Zugang zu Gott ermöglicht hat, richtet sich an alle Menschen. Das Evangelium ist Ausdruck dieser Sendung, dieser Mission Gottes.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/253

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2010 ab Seite 08