Reizwort Mission

Glaubensbezeugung zwischen Gleichgültigkeit und Zwang

„Ich will nicht missionieren“. Das ist eine Äußerung, die man auch von durchaus engagierten Christen manchmal hören kann. Manche Christen erheben die Mission zum Dauerthema ihres Glaubens, andere wehren sich heftig dagegen. Es gibt wenige Kernbereiche des christlichen Glaubens, die so stark umstritten sind, wie die Mission. Wie kommt das und welche Möglichkeiten gäbe es zur Lösung des Problems?

Der Grund für diesen Streit sind - leider real existierende - Zerrbilder christlicher Mission, welche das berechtigte Anliegen der Mission gelegentlich so in Misskredit bringen, dass viele Christen sich gar nicht mehr an „Mission“ heran wagen wollen und sich sogar deutlich davon zu distanzieren bemühen. Diese Zurückhaltung ist angesichts der Konfliktgeschichte auch der christlichen Mission bis in die Gegenwart verständlich. Allerdings ist darüber auch das Anliegen so in den Hintergrund getreten ist, dass es manchmal kaum noch wahrnehmbar ist. Auch auf kirchenleitender Ebene beginnt man seit einiger Zeit, diesen Mangel wahrzunehmen. Es bleibt eine deutlich Diskrepanz festzustellen zwischen den großen Bekenntnissen zur missionarischen Ausstrahlung der Kirche und der Praxis in vielen Gemeinden. Dahinter stehen in vielen Fällen unbewältigte Anfragen an Theorie und Praxis der Mission.

Mission ist Fürsorge

Ein Glaube, der nicht missionarisch ist, ist tot. Hinter diesem Satz steht die anthropologische Grundeinsicht, dass Menschen in der Regel gern in Harmonie mit ihrer Umgebung leben und daher von ihrer Umgebung Zustimmung zu den von ihnen vertretenen Auffassungen und Werten erhoffen. Die Weitergabe von eigenen Anschauungen und Überzeugungen mit dem Wunsch, auch Menschen in der eigenen Umgebung von diesen Auffassungen zu überzeugen, gehört grundlegend zum menschlichen Leben. Dies betrifft Dinge des Alltags ebenso wie religiöse Anschauungen. „Wes das Herz voll ist, dem geht der Mund über“ lautet eine Volksweisheit, die etwas davon ausdrückt. Wir finden dies auch in der Bibel wieder, wenn in der Apostelgeschichte die Jünger zum Schweigen verpflichtet werden sollen und sich dem mit den Worten widersetzen „Wir können nicht schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg. 4,20). Neben dem Wunsch nach Harmonie und Bestätigung ist eine solche Weitergabe der eigenen Überzeugungen von der Voraussetzung getragen, dass das, was ich für mich selbst als gut und hilfreich erfahren habe, auch für andere Menschen gut und nützlich ist. Das Wohlwollen für Andere ist folglich ein zweiter wichtiger Grund missionarischer Überzeugungsarbeit. Wer von vornherein und generell auf die Weitergabe eigener Meinungen verzichtet, ist entweder selbst nicht wirklich davon überzeugt, oder lässt wesentliche soziale Kompetenzen vermissen. Gegenseitige Überzeugungsversuche sind darum ein wesentlicher und selbstverständlicher Bestandteil jeder gelingenden menschlichen Gemeinschaft. Mission gehört zum Leben dazu.

Mission und Freiheit

Dass dieses Überzeugen nicht immer so gelingt, wie man es sich erhofft und erwünscht, ist freilich auch eine Erkenntnis, die jeder Mensch immer wieder in diesem Zusammenhang machen kann. Für das menschliche Leben gibt es unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten und individuelle Präferenzen. Zu den Rahmenbedingungen eines jeden empfehlenden und auf Überzeugung ausgerichteten Gespräches - handelt es sich nun um Waschmittelempfehlungen, Geschäftsideen, Backrezepte oder Wahlwerbung – gehört es, dass es verschiedene Optionen gibt. Damit leben zu können, dass sich andere Menschen anders entscheiden, ist eine wichtige Voraussetzung für soziales Verhalten.

Dies – und das ist wichtig – hebt nicht die eigene Meinung auf, dass die eigene Option auch für den Anderen besser wäre. Ich bin z.B. aus eigener Erfahrung davon überzeugt, dass Apple-Computer für viele Anwendungen nicht nur für mich die bessere Lösung darstellen. Es gehört zur Freundschaft, diese Meinung auch nicht zu verschweigen, wenn die Sprache darauf kommt. Dennoch muss ich akzeptieren, dass manche meiner Freunde aus den verschiedensten Gründen sich weiter mit Windows herumärgern wollen. Zu respektieren, dass sich trotz aller Bemühungen andere der eigenen Sichtweise nicht anschließen und ungeachtet dieser Spannung einen normalen Umgang zu pflegen, ist nicht immer leicht. Aber nur solches Verhalten ermöglicht friedliches Zusammenleben. Wenn das Zusammenleben an die Bedingung geknüpft werden soll, dass alle Beteiligten auf gegenseitige Überzeugungsversuche verzichten, wäre das für die Gemeinschaft genauso verheerend, wie ein Zwang zur Zustimmung. Das erste würde die Empathie und das gegenseitige Interesse aneinander, wovon jede menschliche Gemeinschaft lebt, nachhaltig beeinträchtigen. Dann müsste mir egal sein, wie die anderen zurechtkommen. Das zweite würde die individuelle Freiheit zerstören und damit die Gruppe zu einem diktatorischen Regime verkommen lassen. Damit sind die beiden größten Feinde der jeder Mission benannt: einerseits die Gleichgültigkeit, andererseits der Zwang. Das Perfide daran ist, dass beide sich gegenseitig immer wieder neu hervorbringen, sobald sie auftreten.

Missbrauch der Mission

Das Problem des Wortes „Mission“ ist, dass es für viele zu sehr von immer wieder geschehenem Missbrauch geprägt ist. Missbrauch sind alle Formen, die mit irgendeiner Art von Druck oder Zwang arbeiten. Dazu gehören nicht nur direkte Gewalt und finanzieller oder sozialer Druck, sondern ebenso ein subtiles Drohen mit den Gefahren der Hölle. Wer Mission auf Angst aufbaut, schadet dem Anliegen.

Eine häufig genannte Begründung für die Ablehnung von Missionsbemühungen lautet, dass man doch niemanden zwingen könne, die eigenen Prämissen für den Lebensentwurf zu übernehmen. Wie kann ich wissen, ob mein Glaube auch für meinen Gesprächspartner richtig ist? Überhebe ich mich nicht, wenn ich meine, es besser zu wissen? Ja und nein. Ja, denn ich kann und darf tatsächlich niemanden zwingen. Nein, denn selbstverständlich gehört es zur persönlichen Ehrlichkeit, einem Mitmenschen die eigene Meinung nicht zu verschweigen, wenn es darauf ankommt. Ob diese besser ist, weiß letztlich nur Gott. Aber darum muss sie nicht von vornherein schlechter sein. Diese Mitteilung der eigenen Überzeugung aber so zu gestalten, dass sie ehrlich bleibt, aber nicht in irgend einer Weise unterschwellig Druck ausübt, ist die eigentliche Kunst und Aufgabe.

Mission und Da‘wa

Was viele Menschen am Islam am meisten abschreckt ist nicht das fromme Gebet der Muslime in der Moschee, sondern die Furcht vor Übergriffen und die Furcht, dass anderen die Lebensweise des arabischen Mittelalters als vermeintlich göttliches Gebot aufgezwungen werden soll. Diese Gestalt des Islam ist abschreckend. Die Absicht zur gewaltsamen Mission im Dschihad ist darum ein Hauptvorwurf von christlicher Seite an den Islam. Interessanterweise ist dies anders herum ganz ähnlich. Für Christen ist es verwunderlich, wenn Muslime behaupten, sie würden keine Mission betreiben, sondern lediglich Da‘wa, die Einladung zum Islam aussprechen. Dazu muss man wissen, dass das Wort „Mission“ für viele Muslime so mit Gewalt verquickt ist, wie in christlichen Ohren der Dschihad. Darum wollen sie nichts mit der gewalttätigen Mission zu tun haben, vor der sie sich ebenso fürchten.

Gegenbeispiel Buddhismus

Krasses Gegenbeispiel ist der Buddhismus. Obwohl er in Deutschland missionarisch wesentlich erfolgreicher ist, als der Islam, kann man immer wieder hören, Buddhisten würden nicht missionieren. Diese Religion hat in Europa ein friedliches Image. Zwar gibt es auch strenge Regeln für engagierte Buddhisten - insbesondere für die Mönche. Aber diese sind weitgehend frei von der „Du-müsstest-eigentlich-auch-so-wie-ich-leben-Attitüde“. Klare Regeln, aber kein Zwang im Glauben, keine Bevormundung - das ist auch in einer modernen Gesellschaft für etliche Menschen attraktiv, wie die Zahlen belegen.

Ausstrahlungskraft

Wichtig für jede Mission ist das Vertrauen in die Ausstrahlungskraft der eigenen Überzeugungen. Wer dies nicht hat und meint, mit Bevormundung weiter zu kommen, irrt. Eine Religion, die meint, äußeren - physischen oder psychischen - Druck zu benötigen, um ihre Ideen weiterzugeben, hat es nicht verdient, dass sie verbreitet wird.

Aufgrund der Missverständnisse stellt sich die Frage, ob der Begriff der Mission überhaupt noch geeignet ist. Besser, weil weniger bevormundend, ist die Rede vom eigenen Zeugnis. Ein Zeugnis von eigenen Erfahrungen und eigenen Überzeugungen zu geben ist nicht aufdringlich. Es regt zum Nachdenken an, aber belässt die Freiheit.

Gemeinschaft

Die Attraktivität religiöser Überzeugungen erschließt sich über mehrere Wege. Von diesen ist die intellektuelle Überzeugung von der Richtigkeit einer bestimmten Lehre lediglich ein Faktor. In vielen Fällen ist die praktische Ausstrahlung einer Gemeinschaft wichtiger. Wenn Menschen spüren, dass durch den Glauben der Mitglieder eine echte Gemeinschaft entsteht, dann kann der Wunsch, ebenfalls dazugehören zu wollen, eine große missionarische Kraft entwickeln.

Die neue Missionserklärung des Lutherischen Weltbundes[1] stellt nicht ohne Grund die Diakonie an die erster Stelle in der Aufzählung der Elemente, welche die missionarische Dimension der Kirche ausdrücken. Verkündigung und Dialog gehören ebenso dazu, aber wahrhaftig und überzeugend wird beides nur im Rahmen helfender Zuwendung.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2008 ab Seite 04