Diasopra in der Diaspora

Zu Besuch bei der Alt-Katholischen Kirche

Es ist eine normale Wohnung in einem normalen Wohnhaus in Dresden–Strehlen. Ein Schild an der Tür und ein Schaukasten verraten, dass sich dort das Gemeindezentrum der Alt-Katholischen Kirche in Dresden befindet. Die AG Catholica vom Evangelischen Bund Sachsen hat es besucht.

Wir werden von Pfarrer Mass empfangen, der uns in den Andachtsraum führt. Um einen Altar sind in einem Halbkreis ca. 12 Stühle aufgestellt. In der rechten Ecke befindet sich ein Tabernakel, hinter dem Altar ein Kreuz an der Wand, links eine Marienstatue und eine Ikone. Der Raum ist geschmackvoll eingerichtet, aber seine bescheidene Größe weist schon auf die besondere Situation der Alt-Katholischen Kirche hin. Zunächst erläutert Pfr. Mass die Geschichte der Alt-Katholischen Kirche in ihren Grundzügen.

Keine päpstliche Unfehlbarkeit

Zur Zeit des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) befand sich das Papsttum auf dem Höhepunkt seines Machtanspruches. Greifbar wurde dies durch die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes bei „ex cathedra“–Entscheidungen zu Lehr– und Sittenfragen. Gegen diesen Akt erhob sich insbesondere bei einigen deutschen Bischöfen großer Widerstand. Diese sahen in den neuen Dogmen eine Abweichung von dem Prinzip der Katholizität. Aus ihrer Sicht sollte das Prinzip des Vinzenz von Lerinum aus dem 5. Jahrhundert Gültigkeit behalten, demzufolge als katholisch das zu gelten habe, „was überall von allen geglaubt“ werde. Vor diesem Hintergrund empfanden sie es nicht als Abspaltung von, sondern als Erhalt der ursprünglichen Katholischen Kirche, als sich diese Bischöfe nach dem Ersten Vaticanum von Rom trennten und sich mit einer schon zuvor von Rom gelösten Richtung in den Niederlanden zur Utrechter Union verbanden. Dies ist die Geburtsstunde der Alt-Katholischen Kirche.

Öffnungen

Maßgeblich für die Alt-Katholische Kirche sind die altkirchlichen Entscheidungen der ersten Jahrhunderte, nicht jedoch alle späteren römischen Festlegungen. Das macht sie freier in der Ausgestaltung ihres Glaubenslebens entsprechend den Bedürfnissen der Zeit. Relativ bald ging man dazu über, die Messe in der jeweiligen Landessprache zu feiern (wie es in der römischen Kirche erst nach dem II. Vatikanischen Konzil eingeführt wurde). Das Priesterzölibat wurde bereits 1878 abgeschafft. Seit 1996 steht das Priesteramt auch Frauen offen. Wiederverheiratete sind zur Kommunion zugelassen und können unter Umständen auch ein zweites Mal kirchlich heiraten. Die Eucharistie wird immer in beiderlei Gestalt (also mit Hostie und Wein) der Gemeinde gereicht. In der Kirchenorganisation bemüht sich die Alt-Katholische Kirche, trotz bischöflicher Verfassung mit apostolischer Sukzession das synodale Prinzip auf allen Ebenen durchzuhalten.

Ökumenische Kontakte

Von Anfang an hat sich die Alt-Katholische Kirche um intensive ökumenische Kontakte bemüht. Sie ist Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland. Mit den orthodoxen Kirchen fühlte man sich sehr verbunden und trat sofort nach der Gründung in intensive Verhandlungen. Es gab seitdem diverse theologische Erklärungen, die weitreichende Übereinstimmung feststellen konnten. Der strittige Zusatz des „filioque“ im Glaubensbekenntnis wurde gestrichen, das Eucharistieverständnis entspricht dem orthodoxen. Dennoch blieb dies alles ohne Konsequenzen und es ist bis heute nicht zu einer Anerkennung der Alt-Katholischen Kirche durch die Orthodoxie gekommen. Inzwischen ist diese Aussicht durch die Einführung der Frauenordination in der Alt-Katholischen Kirche in weite Ferne gerückt.

Darin zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma mancher ökumenischer Annäherungen: Ein Schritt in Richtung protestantischer Kirchen ist ein Schritt weg von den Orthodoxen. Mit der Anglikanischen Kirche besteht seit dem Bonner Abkommen von 1931 volle Kirchengemeinschaft mit gegenseitiger Anerkennung der Ämter. Seit 1985 besteht die gegenseitige Einladung zum Abendmahl zwischen EKD und Alt-Katholischer Kirche.

Modernisierte Tradition

In der Meinung vom kirchlichen Amt fühlen sich Altkatholiken der röm.-kath. Kirche sehr nahe. Der Papst als Ehrenprimas ist für sie durchaus vorstellbar. Mit evangelischen Christen feiern sie gern Gottesdienst – aber nur mit ordinierten Amtsträgern. Im Gottesdienst entspricht die Liturgie im wesentlichen der römischen Liturgie, wobei lediglich manche Anleihen bei den orientalischen Kirchen genommen wurden. So bekam z.B. die Herabrufung des Heiligen Geistes (Epiklese) ein besonderes Gewicht. Die Alt-Katholische Kirche versteht sich selbst nicht als Kirche der Reformation - obwohl sie viele Elemente und Einsichten davon aufgenommen hat. Identitätsstiftend ist vielmehr der Rückbezug auf die ungebrochene katholische Tradition. Sie wollen keine neue Kirche sein, sondern lediglich ein „Notbistum“, weil die Sakramente denen verweigert wurden, welche die neuen kirchenspaltenden Dogmen ablehnten. So zeigt sich in vielen Punkten der Versuch einer Balance zwischen Bewahrung der Tradition und Aufnahme von aktuellen Anpassungen. In die Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils der röm.-kath. Kirche ist das alt-katholische Messbuch mit eingeflossen. Der Beichtzwang wurde aufgehoben, die Beichte aber als Sakrament behalten. Ebenso gibt es keine festgelegte Pflicht, am Sonntag die Messe zu besuchen, wohl aber das Bemühen, dies eine selbstverständliche Gewohnheit werden zu lassen.

Heilige sind in der Dresdner Kapelle keine zu sehen. Zwar gibt es nach wie vor einen liturgischen Kalender mit Heiligen, doch wurde dieser „gereinigt“, wie Pfarrer Mass berichtete. In der Alt-Katholischen Kirche ist zwar auch die Fürbitte zu den Heiligen möglich, liturgisch haben sie jedoch eine vergleichsweise geringe Bedeutung.

Die kleine Schar

Als Alt-Katholik muss man reisefreudig sein, denn eine Massenorganisation ist die Alt-Katholische Kirche nie geworden. Insgesamt gehören in Deutschland ca. 25 000 Mitglieder zur Alt-Katholischen Kirche, in ganz Europa sind es unter 100 000 Menschen. In Ostdeutschland sind die Zahlen deutlich geringer. Das Gemeindegebiet von Pfr. Mass umfasst ganz Sachsen, in dem verstreut acht Gemeinden bestehen. Seine nächstgelegenen Kollegen wirken in Berlin und Varnsdorf in Tschechien. Der für Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständige Kollege betreibt dies lediglich ehrenamtlich. Einen richtigen bezahlten Pfarrer gibt es erst wieder in Bayern. Schwerpunkte bestehen im Rheinland und im Schwarzwald, auch in Österreich und der Schweiz ist ein normales Gemeindeleben möglich. In Preußen, Hessen und Baden wurde die Gemeinschaft sofort als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannt – dort nehmen sie auch am Kirchensteuereinzugsverfahren teil. Anders in Sachsen. Hier gab es bis 1945 keine Altkatholiken, erst durch Flüchtlinge aus dem Sudentenland entstand eine erste Gemeinde in Leipzig. Eigene Kirchen hat die Gemeinschaft in Sachsen nie gehabt. Die Gottesdienste werden in der Regel als Gast in einer anderen (evangelischen) Kirche gefeiert, in Dresden in der Diakonissenhauskirche.

Heimat der Unzufriedenen?

Die Beziehung der Alt-Katholischen Kirche zu ihrem großen römischen Bruder bleibt ambivalent.

Inhaltlich besteht eine eigentümliche Spannung aus Nähe und Abgrenzung. Dies gilt auch personell: Die römisch-katholische Kirche bleibt die große Nährmutter. Die meisten Mitglieder sind Christen, die in der römisch-katholischen Kirche mit bestimmten Dingen unzufrieden waren, aber doch die vertraute geistliche Heimat nicht völlig aufgeben wollten. Wenn der Schritt in die evangelische Kirche zu groß erscheint, bietet sich die Alt-Katholische Kirche quasi als Bindeglied dazwischen an. Fast alle Priester der Alt-Katholischen Kirche sind ehemalige römisch-katholische Priester, die geheiratet haben. Ein solcher Konfessionswechsel, der durch einen spezifischen Konfliktpunkt ausgelöst wird, ist oft mit persönlichen Verletzungen verknüpft. Entsprechend den Kapazitäten bemüht man sich, eine eigene Ausbildung zu gewährleisten. An der Universität Bonn gibt es ein Priesterseminar der Alt-Katholischen Kirche, auch in Utrecht (NL) und in Bern (CH) können Alt-Katholiken Theologie studieren.

Die Alt-Katholische Kirche bringt ihr eigenes Profil in das ökumenische Spektrum ein und ist aus verschiedenen Gründen für die Ökumene wertvoll: Sie zeigt, dass man durchaus „katholisch“ und für die Ökumene offen sein kann. Sie zeigt, dass verschiedene Brauchtümer nicht zwangsläufig zu einander ausschließenden Kirchen führen müssen. Und man kann an ihr studieren, wie viel leichter der Schritt auf andere Christen zu erfolgen kann, wenn nicht das Gewicht einer Weltkirche daran hängt.

Harald Lamprecht  
 

Das „Bonn Agreement“

Für die gegenseitige Erkärung der Kirchengemeinschaft zwischen Alt-Katholischer und Anglikanischer Kirche genügten 1931 lediglich drei Sätze:

  1. Jede Kirchengemeinschaft anerkennt die Katholizität und Selbständigkeit der andern und hält die eigene aufrecht.
  2. Jede Kirchengemeinschaft stimmt der Zulassung von Mitgliedern der andern zur Teilnahme an den Sakramenten zu.
  3. Interkommunion verlangt von keiner Kirchengemeinschaft die Übernahme aller Lehrmeinungen, sakramentalen Frömmigkeit oder liturgischen Praxis, die der anderen eigentümlich ist, sondern schließt in sich, daß jede glaubt, die andere halte alles Wesentliche des christlichen Glaubens fest.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/254

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2010 ab Seite 16