Rücksicht auf Religion?

Mit dem Nudelsieb gegen Religionsfreiheit

In Österreich und darüber hinaus füllt eine Aktion das Sommerloch in der Medienberichterstattung, die neben den griechischen, italienischen, portugiesischen und amerikanischen Finanzkrisen etwas Heiteres verbreiten will: Der österreichische Werbeunternehmer Niko Alm hat angeblich durchgesetzt, dass er auf dem Passbild seines Führerscheines ein Nudelsieb als „religiöse Kopfbedeckung“ tragen darf und damit dem Pastafarianismus offizielle Anerkennung verschafft. Passbilder würden nämlich Kopfbedeckungen nur aus religiösen Gründen erlauben, so hatte er es einer Broschüre der Polizei entnommen. Das ärgerte ihn. Also ließ er sich mit einem Nudelsieb auf dem Kopf fotografieren und beantragte mit diesem Bild seinen neuen Führerschein. Drei Jahre hätten die Behörden gebraucht, um die Genehmigung zu erteilen, berichtete die Zeitung „Der Standard“ in Österreich. Bereits am Tag darauf kam das Dementi: Es seien gar keine religiösen Gründe für die Zulassung des Bildes gewesen, denn bei Führerscheinfotos sind die Anforderungen weniger streng: Es muss lediglich das Gesicht vollständig erkennbar sein. Auch habe die Genehmigung keine drei Jahre gedauert, sondern Herr Alm habe seinen längst fertigen Führerschein nicht abgeholt. Trotzdem - die Meldungen gehen um die Welt und fachen lebhafte Diskussionen über den Umgang mit Religion an.

Pastafarianer

Das Nudelsieb verweist auf die Religionspersiflage des Pastafarianismus. Die Verehrung des „Fliegenen Spaghettimonsters“ wurde in den USA erfunden, um den Bestrebungen von Kreationisten im Kampf gegen die Evolutionstheorie eine ironische Karikatur zur Seite zu stellen. Alle pseudowissenschaftlichen Argumente des „Intelligent Design“ werden von den Pastafarianern auf ihr „Fliegendes Spaghettimonster“ als angeblichen Weltschöpfer bezogen und damit lächerlich gemacht. Über das Internet hat sich die Idee schnell verbreitet. Ursprünglich lediglich als Plädoyer für sachliche Unterscheidung von Religion und Wissenschaft angelegt, hat sich der Pastafarianismus bei einigen Unterstützern in eine nicht mehr nur heitere Form der Religionskritik verwandelt. Das Nudelsieb auf dem Führerscheinfoto ist ein Beispiel dafür, denn dem Initiator ist es mit seiner Religionskritik bitter ernst. Niko Alm ist nicht einfach nur ein Werbeunternehmer, sondern seit kurzem Vorsitzender des „Zentralrates der Konfessionsfreien“ in Österreich, also „Papst“ der dortigen Atheisten, wie ihn „Der Standard“ betitelte.

Keine Religion im Staat

Hintergrund seiner Aktion ist ein kämpferischer Atheismus, der sich an jeglicher Rücksichtnahme auf Religion in staatlichem Handeln stört. Der Staat und seine Organe dürften dieser Auffassung zufolge mit Religion rein gar nichts zu schaffen haben. Sie dürften sie daher auch nicht in irgendeiner Weise berücksichtigen. Aus der Möglichkeit, von dem Verbot von Kopfbedeckungen religiös begründete Ausnahmen zuzulassen, wird eine Diskriminierung aller Nicht-Religiösen konstruiert. Wie solle schließlich ein Atheist beweisen, dass ein Basecap seine religiöse Kopfbedeckung sei? Weil das nicht geht, soll diese Bestimmung weg, das ist die logische Konsequenz dieser Aktion.

Doch was wird damit gewonnen? Wem hilft die Streichung solcher Rücksichten, die im Namen der Gerechtigkeit die Aufgabe der Barmherzigkeit fordert? Letztlich sind diese Aktionen kämpferischer Atheisten nicht von Weisheit, sondern von Unverständnis geprägt. Was ich nicht verstehe, das darf es auch nicht geben. Auf mir Unverständliches darf auch niemand Rücksicht nehmen – so könnte man diese Haltung im Ergebnis zusammenfassen.

Alles oder Nichts

Nun hat das allgemeine Verbot von Kopfbedeckungen auf Passbildern durchaus einen nachvollziehbaren Sinn. Es soll das Erkennen der Person erleichtern, ohne von den wildesten Hutkreationen der verschiedenen modischen Geschmäcker irritiert zu werden. Allerdings gibt es Religionen, wie z.B. die der indischen Sikhs, denen das Tragen eines Turbans eine religiöse Pflicht ist. Diese tragen ihren Turban immer, ohne fühlen sie sich gleichsam nackt. Es ist kaum denkbar, dass ein solcher Mensch ohne Turban in eine Ausweiskontrolle gerät. Darum darf ein Sikh auch auf dem Passbild seinen Turban tragen. Diese Ausnahmeregelung ist ebenso sinnvoll wie das allgemeine Verbot. Herr Alm und seine Anhänger fordern statt dessen ein „Alles oder Nichts“-Prinzip ohne religiöse Ausnahmen. Dabei trägt Herr Alm sein Nudelsieb nicht täglich, sondern nur - wie er selbst berichtet - zu hohen Anlässen wie z.B. dem Führerscheinfoto. Die Wahrscheinlichkeit, ihn bei der nächsten Urlaubsreise ohne Nudelsieb auf dem Kopf die Grenze passieren zu sehen, ist sehr hoch. Für ihn wäre es folglich besser, ohne Nudelsieb auf dem Foto zu sein.

Gewissensbindung

Vielleicht wäre es in der Diskussion hilfreich, den Begriff der religiösen Rücksicht für die atheistisch-Unverständigen in eine innerweltliche Kategorie zu übersetzen und statt dessen von der „Bindung an das Gewissen“ zu sprechen. Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer persönlichen (auch religiösen) Überzeugungen in ihrem Gewissen gedrängt sind, in bestimmter Weise zu handeln. Dies hat - mit gewissen Einschränkungen - sogar die DDR-Führung anerkannt, indem anstelle einer Kriegsdienstverweigerung wenigstens die Möglichkeit eines Wehrdienstes ohne Waffe als Bausoldat eingeräumt wurde. Die Ehrlichkeit einer Gewissensentscheidung ist unter anderem daran zu erkennen, dass die Bereitschaft dazugehört, notfalls persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen, um ihr zu folgen. Wenn ein Mensch von seinem Gewissen zu einer bestimmten Bekleidung oder Kopfbedeckung gedrängt ist, sollte ein freiheitlicher Staat darauf Rücksicht nehmen dürfen.

Beurteilungsprobleme

Allerdings ist es für einen Staat oder die öffentliche Verwaltung nicht leicht festzustellen, in wieweit tatsächlich eine solche Gewissensbindung vorliegt, die das Gepräge einer Laune übersteigt. Das Gewissen ist ebenso wie das religiöse Empfinden dem Wesen nach eine innere Instanz, die sich einer äußeren Beurteilung prinzipiell entzieht. Ob der Verweis auf das persönliche Gewissen ernsthaft ist, lässt sich – wenn überhaupt – dann nur aus einer Beurteilung des gesamten Erscheinungsbildes ableiten. Bekannte und etablierte Religionen haben es dabei naturgemäß leichter, denn es gibt aus dem täglichen Umgang zahlreiche Erfahrungen darüber, wie sich die Überzeugungen der Angehörigen dieser Religion im Alltag üblicherweise auswirken. Prinzipiell steht auch kleinen, unbekannten und möglicherweise ungewöhnlichen Religionen das gleiche Recht zu, die Gewissensbindung der Angehörigen anerkannt zu bekommen. Aber wie soll z.B. ein Beamter einer Führerscheinstelle zwischen dem religiösen Empfinden einer Wicca-Priesterin und dem Realitätsverlust eines Jedi-Ritters unterscheiden, der die Star-Wars-Serie für das wahre Leben hält? Immerhin haben auch die Jedis inzwischen ihre „Church of Jediism“ gegründet und kämpfen um ihre religiöse Anerkennung (vgl. Confessio 6/2009 S. 3). Was kennzeichnet ein echtes religiöses Anliegen im Unterschied zu einem fiktionalen Rollenspiel oder gar einer lediglich behaupteten Religiosität, die in Wahrheit aber einer Verspottung gleichkommt?

Ernsthaftigkeit

Dass die Unterscheidung schwer ist, bedeutet nicht, dass es keinerlei Maßstäbe oder Kriterien dafür gäbe. Freilich: mit einem Rückzug auf rein formale Punkte ist dem wohl nicht beizukommen. Entscheidend scheint letztlich zu sein, ob das jeweilige Deutungs- und Sinnsystem zu einem tragenden Grund des persönlichen Lebens geworden ist. Der existenzielle Bezug ist für echte religiöse Identifikation unverzichtbar. Eine begeisterte Life-Action-Rollenspielerin (LARP) kann auch große Teile ihrer Zeit mit der Durchführung magischer Anrufungen und der Auseinandersetzung zwischen Hexen und Zwergen zubringen. Dennoch wird sie in der Regel nicht ihr Leben darauf gründen und die Spielwelt auch nicht zur Grundlage des persönlichen Überzeugungssystems werden lassen.

Religionsmissbrauch

Gegenwärtig ist an verschiedenen Stellen ein Missbrauch des Religionsbegriffes zu erleben. Dabei werden eigentlich ganz anders gelagerte Tätigkeiten und Interessen kurzerhand zur Religion erklärt, um in den Genuss der damit verbundenen besonderen Rücksichten zu gelangen. Den Betreibern dieses Missbrauches kommt zugute, dass es schwer bis unmöglich ist, Religion abschließend zu definieren und ihren Charakter in der Praxis eindeutig einzuschätzen. Zudem sind unter den Bedingungen der religiösen Pluralität staatliche Stellen zur Neutralität verpflichtet. Dies beinhaltet, dass sie nicht selbst aufgrund religiöser Kriterien andere religiöse Auffassungen bewerten dürfen. Daraus folgt eine große Zurückhaltung und oftmals der Rückzug auf rein formale Kriterien. Aus diesem Dilemma versuchen nicht nur die Scientologen seit Jahrzehnten handfestes Kapital zu schlagen, indem sie ihre Psychotechniken als Religion bezeichnen. Auch Anhänger der Filesharing-Szene versuchten kürzlich in Schweden das freie Tauschen von Dateien zur Religion zu erklären, um sich staatlicher Verfolgung besser entziehen zu können (vgl. S. 2 in diesem Heft). Das sind durchsichtige Aktionen, aber sie werden vermutlich noch zunehmen. Der Pastafarianismus hat seine Berechtigung in der Abgrenzung von Religion und Wissenschaft. Wo er aber wie hier zur angeblich ernsthaft betriebenen Religion ausgebaut wird, betreibt er Religionsmissbrauch, denn eine Religion ist er gerade nicht. Kein Pastafarianer glaubt vermutlich ernstlich an die Schöpferkraft des Fliegenden Spaghettimonsters, denn das Wesen einer Persiflage besteht darin, ihren Gegenstand gerade nicht ernst zu nehmen. Was geschieht nun, wenn versucht wird, unter Verweis auf diese „Religion“ Regelungen in Anspruch zu nehmen, die für (echte) Religionsgemeinschaften bestimmt sind? Dies erscheint ebenso lächerlich wie ein Mensch mit Nudelsieb auf dem Kopf. Bedeutet dies, dass die Religionen und die für sie vorgesehenen Bestimmungen genauso lächerlich sind? Es ist das erklärte Ziel der Aktionen, diesen Eindruck zu erwecken – und bei manchen Menschen gelingt ihnen das auch. Aber es ist ein Missbrauch dieser Bestimmungen, der niemandem nützt. Was haben wir in der Gesellschaft gewonnen, wenn eine wohl begründete Rücksicht auf das ernsthafte Empfinden eines anderen Menschen nicht mehr erlaubt sein soll, nur weil man selbst dieses Empfinden nicht hat? Ist dies die höhere Moral, zu welcher der Zentralrat der Konfessionslosen in Österreich die religiös Befangenen befreien will? Atheismus kann durchaus auch eine respektable Weltanschauung sein. Wo er aber mit solch fundamentalistischem Alleingültigkeitsanspruch auftritt, stellt er eine Gefahr für die Freiheit dar.

Die Gesellschaft ist gut beraten, diese Fragen nicht nur im Sommerloch zu bedenken. Atheistische Engstirnigkeit schließt kreative Ideen für die eigene Propaganda nicht aus. So gab es inzwischen schon Nudelsieb tragende Flashmobs in Wien und Wettbewerbe für die kreativsten „konfessionellen“ Kopfbedeckungen (pimp your head http://www.kirchen-privilegien.at/pimp-your-head). Das Christentum kennt keine allgemein verbindlichen Bekleidungsvorschriften. Das bedeutet aber nicht, dass Christen nun lautstark mit einstimmen in den beißenden Spott über diejenigen, die in ihren religiösen Vorstellungen engeren Vorgaben folgen. Vielmehr wird es eine zunehmend wichtige Aufgabe, für die Religionsfreiheit zu streiten - und das bedeutet eben auch die Freiheit zur gelebten Religion.
 

Harald Lamprecht

Pastafarianismus - Das Fliegende Spaghettimonster als Weltschöpfer

Pastafari ist eine Persiflage auf die Versuche, göttliches Handeln naturwissenschaftlich beweisen zu wollen. Die „Kirche“ und der Kult um das als Weltschöpfer ausgegebene „Fliegende Sphaghettimonster“ (FSM) sind eine Erfindung des US-amerikanischen Physikers Bobby Henderson. Dessen Anhänger haben einen Preis von mittlerweile eine Million Dollar jedem versprochen, der beweisen kann, dass Jesus nicht der Sohn des Fliegenden Spaghettimonsters ist. Dabei geht es ihnen nicht darum, solches zu behaupten, sondern die Unmöglichkeit eines derartigen Beweises im Bereich der Naturwissenschaft zu demonstrieren. Angereichert mit weiteren absurden Lehrmeinungen (z.B. dass die Ursache für Klimaerwärmung und Naturkatastrophen allein in der sinkenden Zahl von Piraten zu suchen sei) hat der Pastafarianismus einen hohen Spaßfaktor. Von manchen Aktivisten wird er allerdings als grundsätzliche Religionskritik missverstanden. Dabei liegt seine eigentliche Zielrichtung lediglich in der berechtigten Abgrenzung von Glaube und Wissenschaft.
 

 

HL / de.wikipedia.org/wiki/Pastafarianismus

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