Kopfwäsche und mehr
Der Salon „Brockmann & Knoedler“ gehört mit zu den ersten Adressen in Dresden: direkt in der Innenstadt, auf mehreren Etagen und stilvoll eingerichtet. Er hat einen erstklassigen Ruf und gilt als das Flaggschiff einer Branche, die er aus dem Sumpf der alltäglichen Bedeutungslosigkeit führen will. Thomas Brockmann-Knoedler vergleicht es gern mit Hochleistungssport, was in seinem Salon geschehen soll. Es sind hohe Ziele, die sich die Inhaber des Unternehmens gesteckt haben. Nicht weniger als die „Weltherrschaft auf dem Friseurmarkt“ wird angestrebt – so kann man es in Mitschriften von Seminaren lesen. Auf dem Weg dahin haben sie schon manches erreicht. Angefangen hat es mit einem Friseursalon in Chemnitz. Inzwischen gibt es neben dem „Flagship-Store“ an der Frauenkirche Filialen mit dem bedeutungsvollen Namen „hier und jetzt“ in Dresden-Loschwitz und im Wallgässchen sowie als „BrockmannundKnoedlerFriends“ in Chemnitz und Zwickau. Im Barockviertel der Dresdner-Neustadt residiert eine BuK-Academy für berufliche Aus- und Weiterbildung auch jenseits des Friseurhandwerkes und die BuK-Managment GmbH koordiniert die verschiedenen geschäftlichen Aktivitäten, schließt Verträge, vergibt interne Kredite. BuK-Marketing und Design vermarktet Gestaltungsideen, Ladeneinrichtungen und Innenarchitektur und der „Organic Lifestyle Shop“ verkauft Haarpflegemittel und Wellnessprodukte.
Sektenvorwürfe
Doch der schöne Schein hat einen bitteren Beigeschmack: Seit Jahren klagen (ehemalige) Mitarbeiter über sektenhafte Methoden in dem Unternehmen. In einem Bericht des Fernsehmagazins „MDR Exakt“ Ende Januar 2014 meldeten sich ehemalige Mitarbeiter zu Wort und berichteten von Methoden, die an Scientology erinnern. Seitdem hat es zahlreiche Presseberichte gegeben. Es wird Zeit für eine Zusammenschau von dem, was bis heute zu diesem Fall bekannt geworden ist.
Alles organisch
Brockmann & Knoedler (intern oft zu BuK abgekürzt) haben eine besondere Haarschneidetechnik, genannt „Organic Hair-Cutting“, entwickelt und international patentieren lassen. Dazu gehört eine ganze Firmenphilosophie, die als „Organic Lifestyle“ bezeichnet wird. Nicht nur Werbepublikationen tragen diesen Titel. Um diese Philosophie im Unternehmen zu verankern, gibt es ein sogenanntes „Mitarbeiter-Credo“ als A6-Heftchen. Auf 13 Seiten werden die Elemente der Philosophie erläutert, die den Kunden in den Mittelpunkt stellt und Mitarbeitern ein organisches Wachstum und ständige Weiterbildung verheißt und abverlangt. Der Inhalt ist nicht ungewöhnlich, wohl aber der damit verbundene Anspruch, der dies als „die Bibel unserer Unternehmung“ bezeichnet und verlangt, dieses Credo „immer bei sich“ zu tragen. Organisch werden bei BuK auch diverse Produkte genannt, von Handtaschen bis Haarpflege. Organisch soll eben auch der Umgang im Team und mit den Mitarbeitern sein. Das liest sich sehr positiv. Allerdings muss sich die Realität an diesem Anspruch messen lassen. Dabei werden dann doch einige Defizite sichtbar.
Teure Schulungen
Regelmäßig gibt es Kurse an der BuK-Academy für Friseure aus nah und fern, um diese Technik des „organischen“ Umgangs mit den Haaren (und deren Trägern) in Seminaren und Trainings an andere Friseurunternehmungen auf dem Lizenzweg zu verkaufen. Deren Preise haben sich in Richtung des oberen Endes des Marktsegmentes entwickelt. Der Lizenzweg besteht aus einer ganzen Reihe von Kursen. Die Preisliste für 2013 weist für das Gesamtpaket der Lizenz „Organic Hair-Cutting“ bei 31 Seminartagen einen Preis von 13.505 EUR (zuzüglich 2.565,95 EUR MWST) aus. Daneben gibt es eine extra Lizenz für „Organic Hair Coloring“ (32 Seminartage, 13.480 EUR + MWST). Die Lizenzen sind jährlich mit einer (kostenpflichtigen) Lizenzprüfung (ca. 700€) zu erneuern. Warum bezahlen Friseure – eine klassische Niedriglohnbranche – solche Summen für ihre Weiterbildung? Und sie bezahlten z.T. noch viel mehr, wenn sie an der BuK-Business-Academy in die Trainer-Ausbildung investiert hatten.
Die erste Antwort ist einfach und naheliegend: Weil sie besser werden wollen. Brockmann & Knoedler haben handwerklich echtes Geschick und die Friseure berichten, dass die Seminare Spaß machen, weil wirklich viel gelernt wird und sie spüren, wie die eigene Qualität steigt. Die Kunden akzeptieren dann auch Preissteigerungen, die sich aber im Rahmen halten. Man müsste schon die Preise erheblich erhöhen, besonders viele Kunden haben oder aber sehr lange Haare schneiden, um die Seminar- und die jährlichen Lizenzprüfungskosten unter betriebswirtschaftlichen Aspekten rechtfertigen zu können.
Faszination Erfolg
Es muss also noch eine zweite Antwort geben: Weil Erfolg anziehend ist. Brockmann & Knoedler strahlen das mit ihrer ganzen Lebensart aus. Ihr „Lifestyle“ verbreitet Glamour und Reichtum, wie er in den Illustrierten dieser Welt mit den „oberen Zehntausend“ in Verbindung gebracht wird. Aber sie selbst scheinen ja der lebende Beweis dafür, dass es geht, dass man sich auch als kleiner Friseur hocharbeiten kann auf diese Ebene mit einem Salon an der Frauenkirche. Durch Fleiß und Anstrengung, durch große Ziele, die konsequent verfolgt werden scheint es möglich zu sein. Das will ich auch, das kann ich auch, sagen sich insbesondere junge, hoffnungsvolle Menschen, die von dem Erfolg angelockt werden. Für sie sind „Petra und Thomas“ zum großen Vorbild in nahezu allen Bereichen des Lebens geworden. Die anfänglichen Erfolge bestärken den Eindruck: es funktioniert. Wenn man bei den Besten dabei sein kann, wenn man diesen Olymp des Friseurhandwerks mit besteigen kann - wer wird denn da so kleinlich sein, und den eigenen finanziellen Gewinn nachrechnen?
Visualisieren
Das Unternehmen lebt von großen Zielen. Und Ziele entstehen im Kopf. In den Kursen und in der Arbeit im Salon wird der eigenen Vision eine wirklichkeitsbestimmende Kraft zugeschrieben. Bevor man sich an die Arbeit macht, soll eine klare Vision von dem künftigen Ergebnis generiert werden. Im Blick auf die neue Frisur eines Kunden ist das unmittelbar einleuchtend. Aber dem Konzept des Visualisierens wird mehr aufgeladen. Da geht es nicht nur darum, das Ergebnis einer Haargestaltung abzuschätzen. Wenn z.B. keine Kunden im Salon sind, dann soll der Salonleiter die Kunden visualisieren. Wenn er diese Aufgabe richtig löst, dann seien die Kunden auch da – so die Erwartung. Nicht nur die Ziele, die gesamte Wirklichkeit entstehe nach der bei Brockmann & Knoedler vermittelten Auffassung zuerst im Kopf. Das gilt auch negativ: Wenn im Salon eingebrochen wurde oder wenn ein Dieb die Kasse gestohlen hat, dann sind das nicht einfach bedauerliche Unfälle, sondern Versäumnisse der Salonleiter, die die Zustände in ihrem Salon nicht klar genug visualisiert hätten. Darum sollte in solch einem Fall die Salonleiterin den Schaden aus eigener Tasche bezahlen.
Arbeit = neue Familie
Die Einbindung in das Unternehmen ist stark – vor allem in zeitlicher Hinsicht. Bei Brockmann & Knoedler arbeitet ein junges und dynamisches Team. So gut wie niemand hat eine eigene Familie. Kindergartenschließzeiten passen nicht zur Unternehmensphilosophie. Ein entsprechendes Experiment mit der Anstellung einer jungen Mutter muss als gescheitert betrachtet werden. Alle ehemaligen Mitarbeiter, mit denen Gespräche geführt wurden, berichteten übereinstimmend von extrem langen Arbeitszeiten. Der Salon öffnet 9:00 Uhr, eine Stunde vorher soll man da sein, um alles vorzubereiten. Dienstschluss nach 21:00 Uhr ist keine Seltenheit. Nach Ladenschluss ist noch alles aufzuräumen, Mitarbeiter haartechnisch zu versorgen, und wenn es irgendwelche Probleme gab, dann werden zu nächtlicher Stunde noch Teamgespräche angesetzt. Am nächsten Tag geht es dann früh wieder weiter. Im Arbeitsvertrag steht, dass täglich bis zu drei Überstunden gefordert werden können. Das ist – so die Berichte – der Normalfall und nicht die Ausnahme. Wann diese abzusetzen seien – danach fragt man nicht einmal. Das ist nicht üblich. Denn wenn doch, dann offenbart das nach der gängigen Interpretation, dass mit einem Selbst etwas nicht in Ordnung sein muss, dass man irgendwelche Probleme hat, die in einem Kommunikationstraining geklärt werden müssen. Wer mit seiner Arbeit zufrieden ist, braucht keine Freizeit. Das ist ein ungeschriebenes Dogma bei Brockmann & Knoedler, wenn man den Berichten der ehemaligen Mitarbeiter glaubt. Eine genaue Abgrenzung ist zudem schwer, weil durch die vielen gemeinsamen Aktivitäten der Mitarbeiter auch außerhalb des Salons private Zeit und Arbeitszeit im Unternehmen verschwimmen.
Auszubildende waren von dieser zeitlichen Vereinnahmung nicht ausgenommen. Durch die Wochenendaktivitäten standen sie (trotz Jugendarbeitsschutzgesetz) zum Teil wochenlang ohne einen freien Tag im Unternehmenskontakt. In einem Fall sind innerhalb eines Jahres über 550 Überstunden aufgelaufen – ohne dass diese ausgeglichen wurden. Deren Bezahlung musste erst gerichtlich erstritten werden.
Huber und Progredi
Seit ca. 2006 beginnt ein Mann im Unternehmen Brockmann & Knoedler immer mehr Einfluss zu gewinnen, der mit seinen damals 53 Jahren den Altersdurchschnitt in der Firma hebt. Er wird den Mitarbeitern als „Hans Peter Huber“ vorgestellt. Dass dies nicht sein richtiger Name ist, spielt zunächst keine Rolle. Normalerweise wird er einfach nur „Hans“ genannt. Petra Brockmann äußerte 2011, dass sie ihn schon 10 Jahre kennen würde. Er fungiert nominell als „Präsident“ der Progredi-AG, die ihren Sitz in der Schweiz hat und als Unternehmensberatung mit psychologisch orientierten Schulungen wirbt. Deren Webseite macht zwar viele Worte, bleibt dabei aber auffällig inhaltsleer. Schrittweise übernahm „Hans“ alle Seminare an der BuK-Academy, die sich nicht im engeren Sinn mit Haarschnitt- und Färbetechniken befassten, sondern „Kommunikation“ und Business-Fertigkeiten vermitteln sollten. Über seine Biografie erfuhren die Seminarteilnehmer auch auf Rückfrage nichts. Seine Ausbildung, seine früheren Tätigkeitsfelder, seine Qualifikationen – das blieben gut gehütete Geheimnisse. Nichtsdestotrotz wird die Progredi AG in Gestalt von Hans Peter Huber und seinen Mitarbeiterinnen Eva-Maria Kuss und Shelly (genannt: Easula) Sedlmaier zentraler Seminarpartner von Brockmann & Knoedler.
Seltsame Seminartechniken
Die Seminare von „Hans“ waren anders als die seines Vorgängers in der BuK-Academy. Es gibt keine Seminarunterlagen für die Teilnehmer mehr. Alles findet nur im Gespräch statt, wird im direkten Miteinander entwickelt und allenfalls an ein Flipchart geschrieben. Wo es schriftliche Anweisungen und Erläuterungen gab, wurden diese in streng abgezählten Mappen ausgeteilt, die zum Seminarende sofort wieder eingesammelt wurden, damit niemand sie mit nach Hause nehmen kann. Diese Geheimniskrämerei hat offenbar Gründe, wie sich später noch zeigen wird.
Was in den Seminaren passiert ist, wird von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr unterschiedlich bewertet. Manche sind nach wie vor positiv von Techniken eingenommen. Andere wiederum reagierten darauf zutiefst verstört. Von was für Techniken ist dabei die Rede?
a) Persönlicher Fragebogen
Vor dem Beginn der Seminartätigkeit von Hans Peter Huber bzw. der Progredi AG stand in den allermeisten Fällen die Beantwortung eines detaillierten Fragebogens mit vielen Fragen zu persönlichen Situation. Es soll nicht nur nach Medikamenten und Mitgliedschaft in Organisationen gefragt worden sein, sondern auch nach persönlichen Problemen, Stärken, Schwächen, Wünschen etc. Leider war es bislang nicht gelungen, ein Exemplar dieses Fragebogens zu erhalten. Fakt ist aber, dass die dort gegebenen Antworten im weiteren Kontakt benutzt wurden, um emotional bedeutsame Punkte geschickt argumentativ, wenn nicht sogar manipulativ einzusetzen.
b) Worterklären und Binnenwortschatz
Systematisch sollten diverse Wörter im Wörterbuch nachgeschlagen und zu jeder dort aufgeführten Bedeutung weitere Beispielsätze dazu gesucht werden. Das Ganze wurde bis zu einer gewissen Ermüdung der Teilnehmer betrieben.
Richtig an der Übung ist, dass unverstandene Fremdwörter durchaus das Verständnis von Texten behindern können. In vielen Fällen erschließt sich eine Bedeutung aber auch aus dem Zusammenhang. Zudem gibt es auch unverständliche Sätze, in denen alle Wörter bekannt sind. Wenn eine solche Technik des Worterklärens aber einmal eingeübt ist, dann wundert man sich nicht mehr über abweichende Wortbedeutungen. Somit lässt sich leichter ein gruppenspezifischer Binnenwortschatz etablieren. Ein solcher erschwert eine Verständigung mit der Außenwelt und verstärkt dadurch zugleich das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe, in der man sich dann besser verstanden fühlt.
Ansatzweise ist dies auch bei Brockmann & Knoedler durchaus geschehen. So hat sich ein spezifischer Sprachgebrauch mit eigenen Formeln und Floskeln herausgebildet, die mit dem Friseurhandwerk nichts zu tun haben. Es geht z.B. immer wieder darum, man müsse etwas „konfrontieren“ können, man solle „seine Zyklen abschließen“ und „sein Thema bearbeiten“, eine „hohe Wahrnehmung“ haben usw.
c) Nullpunkt-Übungen
Bei der hier so genannten „Nullpunkt-Übung“ sitzen sich die Teilnehmer gegenüber und sollen sich so lange wie möglich regungslos gegenseitig in die Augen schauen. Sobald jemand zuckt, lacht oder in irgendeiner anderen Weise sich davon abbringen lässt, wird die Übung abgebrochen und von vorn begonnen.
Bei den (nicht immer angewendeten) gesteigerten Schwierigkeitsstufen versucht der Trainer, sein Gegenüber durch gezieltes necken, ärgern, anschreien oder Ähnliches aus der Fassung zu bringen. Bestanden ist die Übung, wenn man alle Störungen ignoriert und Beschimpfungen regungslos über sich ergehen lässt.
Schmackhaft gemacht wurden den Teilnehmern diese Übungen als Stressabbau und Mittel zur inneren Beruhigung. Faktisch werden bei einer solchen Übung etliche normalerweise vorhandene zwischenmenschliche Regungen gezielt wegtrainiert. Es bringt in einem harten geschäftlichen Umgang, wo es darum geht, andere Menschen zu dominieren, z.B. um ihnen ein bestimmtes Produkt zu verkaufen, durchaus Vorteile, wenn die Empathie mit dem Opfer nachlässt.
d) Baustein-Übungen
Immer wieder wurden die Mitarbeiter von Brockmann & Knoedler dazu angehalten, persönliche Problemsituationen ihres privaten Lebens mit Bausteinen aufzubauen und mögliche Szenarien zu deren Lösung damit durchzuspielen. Das betraf nicht nur die Mitarbeiter-Seminare an den Wochenenden, sondern auch die sogenannten „Kommunikationstrainings“ bei den Auszubildenden im Rahmen der Montagsausbildung. Anfangs wurde das oft als interessantes Spiel betrachtet und die Technik ist durchaus geeignet, auf manche Probleme des Lebens eine neue Perspektive zu gewinnen. Aber was geht das den Arbeitgeber an?
Das war kein Spiel, sondern bitterer Ernst. Es ging so weit, dass Azubis schon am Sonntag zu überlegen begannen, welches „Problem“ sie am Montag präsentieren könnten, damit es glaubwürdig klingt, aber doch kein echtes Problem ist. Denn wer seine wirklichen Probleme verraten hatte, wurde nicht mehr froh, denn dann wurde das Thema immer wieder aufgerufen - und wehe, man konnte keine Fortschritte präsentieren. Der mentale Zugriff auf das Privatleben ihrer Angestellten bei Brockmann & Knoedler ist durch diese Methoden erheblich – und wurde als unangenehm empfunden, weil auch mit großer Konsequenz dran geblieben wurde.
Die Logik dahinter besagte, dass die Arbeitsqualität nachlässt, wenn die Mitarbeiter mit ungelösten privaten Problemen beschäftigt sind. Bei Schwierigkeiten im Betriebsablauf wurde folglich nach Unvollkommenheiten beim Mitarbeiter gesucht, die dann mit „Coaching bei Hans“ in Form von Bausteinübungen geklärt werden sollten. So beginnt sich unter diesem psychischen Druck eine Doppelexistenz zu formen, die auf Dauer krank machen kann.
Wohlgemerkt: dies geschah nominell in bester Absicht zu helfen, wie man auch in einer Familie gegenseitig Anteil nimmt. Aber die Arbeitsstelle ist für Angestellte eben nicht die Familie und eine berufliche Weiterbildung ist keine Psychotherapie. Beide Grenzen wurden hier regelmäßig überschritten.
e) Dominanz-Übungen
Im Rahmen der ebenfalls von Progredi gestalteten Kurse der BuK-Business-Academy gab es weitere Übungen, die dazu anleiten sollten, mit der Dominanz des eigenen Willens die Kontrolle über den Körper anderer Personen zu übernehmen. Bei der „Übung VII: Körperkontrolle“ geht es darum, „einen anderen als seinen eigenen Körper ohne verbale Kommunikation zu bewegen.“ Für die Körperkontrolle sollen folgende Anweisungen verwendet werden:
„Schau auf diese Wand.“ - „Danke.“
„Geh hinüber zu dieser Wand.“ - „Danke.“
„Berühre diese Wand.“ - „Danke“.
„Dreh dich um.“ - „Danke“.
Bei der folgenden Stufe VIII „Unter allen Umständen gute Kontrolle ausüben“ soll der Trainer sich dem zu Trainierenden auf alle möglichen Arten widersetzen. In der Anweisung dazu heißt es: „Die Übung dient dazu, dem zu Trainierenden beizubringen, sich niemals, wenn er eine Anweisung gibt, von jemandem stoppen zu lassen. Ihm beizubringen, unter allen Umständen gute Kontrolle auszuüben, ihn lehren, wie man mit rebellischen Leuten umgeht; seine Bereitschaft zu entwickeln, andere Leute zu führen.“ Stufe X heißt „,Absicht ohne Einschränkung‘ an einer Person“. Davon gibt es dann noch die Steigerung in Übung XI „,Absicht ohne Einschränkung‘ an einem Gegenstand“, in der man einen Aschenbecher anschreien soll, um ihm gegenüber seine hohe Absicht auszudrücken.
Der Inhalt der Übung X wurde von Hubers Assistentin Eva-Maria Kuss gegenüber Mitarbeitern des MDR im Herbst 2013 als Abschlussprüfung vom Modul 1 der BuK-Business-Academy vorgestellt.
f) Kontrollstrukturen
Die „Standards“ werden im Unternehmen hoch gehalten und zu ihrer Einhaltung diverse Kontrollstrukturen errichtet. Das ist als Fakt zunächst nicht ungewöhnlich, doch liegt das Problem wieder mal in der Art der Gestaltung. So gibt es lange Checklisten, in denen die Mitarbeiter im Rahmen der Mitarbeiterseminare zu jedem der durchnummerierten Punkte der Salonordnung, des Mitarbeiter-Credos oder sonstiger Richtlinien mit Plus oder Minus kennzeichnen müssen, ob sie diesen im zurückliegenden Zeitraum vollumfänglich umgesetzt haben. Überall, wo kein Plus steht, soll dieser Punkt dann analysiert werden, warum das nicht erfolgt ist.
Es gibt die Aufforderung zu gegenseitiger Überwachung und zum Melden von Abweichungen von den Standards.
Dazu kommen umfangreiche Berichtspflichten. Die Trainer sollten wöchentlich einen Bericht über alle Vorkommnisse im Salon und bei den Schulungen sowie über ihren persönlichen Fortschritt bei der Anwendung der gelehrten Techniken auf einem festgelegten Dienstweg an Hans Peter Huber schicken. Es liegen der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen über 40 Seiten mit derartigen Wochenberichten in Kopie vor, die auch viele private Details preisgeben.
g) Ethik-Kommissionen
Verstöße gegen die internen Richtlinien wurden - außer der Analyse des Vorgefallenen - mit sogenannten „Wiedergutmachungen“ geahndet. Das sind diverse Arbeiten, die in irgendeiner Form dem Unternehmen oder der Allgemeinheit zugute kommen. Das Spektrum reicht von gegenseitigem Haareschneiden über Reinigungsarbeiten bis zu mitternächtlichen Kopierarbeiten. Die Überwachung der anderen Mitarbeiter sowie die Zuteilung und Kontrolle der geleisteten Wiedergutmachungen oblagen der „Ethik-Kommission“. Auch darüber wurden „Wiedergutmachungsprotokolle“ an „Hans“ geschickt.
Vergleich mit Scientology-Methoden
Die soeben unter a) bis g) geschilderten Elemente in den Seminaren sind allesamt in ganz ähnlicher Form und mit nur marginalen Modifikationen gängige Praxis bei Scientology. Im „Scientology-Handbuch“ sind sie zum Teil detailliert beschrieben.
- Scientology beginnt viele Kundenkontakte mit einem Fragebogen („Oxford-Capazitäts-Anlayse“, OCA genannt). Dessen Auswertung verfolgt das Ziel, einen Menschen „auf Ruin zu setzen“, d.h. seine persönlichen Schwachstellen herauszufinden, die zu beheben man dann entsprechende Kurse verkaufen kann.
- Worterklären ist eine gängige scientologische Praxis, die in dieser Intensität nur dort so geübt wird.
- Die „Nullpunktübungen“ heißen bei Scientology „TR 0“ für Trainings-Rundown 0, dem dann 1 und 2 etc. folgen. Lediglich einzelne Begriffe sind ausgetauscht.
- Die Dominanz-Übung kann man z.B. in dem Fernsehfilm „Bis nichts mehr bleibt“ angewendet sehen.
- Ethik hat bei Scientology genau diese gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch veränderte Bedeutung im Sinn der Durchsetzung der eigenen Richtlinien – ganz wie bei den huberschen Unternehmungen.
- Die „Wiedergutmachungen“ bei Huber erinnern an die Rehabilitationslager bei Scientology. Zwar sind sie noch nicht auf dem dortigen Niveau, die Grundstruktur ist aber analog.
- Was bei Scientology die wöchentlich abzuliefernden Statistiken sind, das sind bei Huber die Wochenberichte der Trainer.
Diese Aufzählung ist nicht erschöpfend. Hinzu käme z.B. die Rede von den „8 Dynamiken“, verschiedene Ethik-Zustände (bei Scientology „Tonskala“ genannt). Auch die bei Scientology übliche Bezeichnung von Aufgabenbereichen als „Hüte“ u.a.m. lässt sich in den Mitschriften der Teilnehmer wiederfinden.
Scientology-Organisation?
Dass bei Brockmann & Knoedler eine ganze Reihe von Methoden wie aus dem Scientology-Lehrbuch eingesetzt wurden, ist eindeutig. Was bedeutet dies für die Verbindung mit der Organisation? Hängen Huber und seine Unternehmungen und auch Brockmann & Knoedler direkt mit Scientology zusammen? Oder ist es so, dass Herr Huber in früheren Jahren scientologische Kurse mitgemacht hat und nun die Technik auf eigene Rechnung anwendet?
Den betroffenen ehemaligen Mitarbeitern ist die Beantwortung dieser Frage relativ gleichgültig. Ihnen ist es egal, wie das System heißt. Sie wissen, was sie erlebt haben und dass sie das z.T. als massive psychomanipulative Übergriffe in ihre persönliche Integrität ertragen mussten. Etliche haben immer noch mit psychischen Problemen zu kämpfen. Das zerstörte Selbstvertrauen wieder aufzubauen, ist ein mühsamer Prozess. Mit den Folgen finanzieller Art haben auch einige noch zu kämpfen, denn auch im Finanzgebaren gibt es erschreckende Parallelen zu den Praktiken der Scientology-Organisation.
Seminarsystem
Schon vor dem Auftreten von Herrn Huber im Unternehmen gab es zahlreiche fachliche Seminare zum Erlernen der unterschiedlichen Friseurtechniken, die mit einigen nichtfachlichen Seminaren zur Persönlichkeitsbildung und Unternehmensführung ergänzt wurden. Unter Hubers Einfluss wurde das System in mehrerer Hinsicht umgebaut:
- Die Teilnehmer der fachlichen Seminare wurden zunehmend genötigt, als nächstes ein psychologisches Seminar zu buchen, bevor sie wieder ein fachliches Seminar belegen dürfen.
- Die psychologischen Seminare mussten „bestanden“ werden, bevor das nächste Seminar gebucht werden konnte. Ansonsten musste es (i.d.R. zum halben Preis) wiederholt werden. Die Kriterien für das Bestehen waren undurchsichtig und ihre Anwendung wurde mitunter als willkürlich erlebt. Auf diesem Weg verlängerte sich der (kostenpflichtige) Ausbildungsweg zum Teil beträchtlich, denn die Wiederholung war keine freiwillige Option, sondern ein Zwang, wenn man weiter kommen und irgendwann einen Abschluss erreichen wollte.
- Die Trainer durften ihre Leistungen erst abrechnen, wenn sie alle Teilnehmer des Seminars persönlich telefonisch kontaktiert hatten, um ihnen ein Folgeseminar zu verkaufen.
- Teilnehmer wurden motiviert, Kredite – zum Teil sogar von der BuK Management GmbH selbst – aufzunehmen, um die Weiterbildungskosten an der BuK-Academy bezahlen zu können. Damit wird das psychologische Abhängigkeitsverhältnis auch ein wirtschaftliches.
Buk und Progredi - eine Symbiose?
All diese Elemente wurden durch „Hans“ alias Johannes Huber – so sein richtiger Name – schrittweise bei Brockmann & Knoedler eingebracht. Nachdem nun öffentliche Kritik daran laut geworden ist, bemühen sich Brockmann und Knoedler um eine Schadensbegrenzung und versuchen, das Friseurunternehmen von den aus dem Ruder gelaufenen Psycho-Experimenten zu trennen. Die Progredi AG sei nur ein „externer Dienstleister“ gewesen, der zudem nur marginal zum Umsatz des Unternehmens beigetragen habe. Wenn dort tatsächlich scientologische Methoden eingesetzt worden sein sollen, so habe man davon nichts gewusst, lassen Brockmann & Knoedler gegenüber der Presse verlautbaren (Freie Presse 7. 3. 2014). Von BuK beauftragte Anwälte kämpfen für die Möglichkeit, dass sie diesbezüglich von Herrn Huber „mit krimineller Energie“ getäuscht worden seien. Inzwischen habe Herr Huber auch Hausverbot bei Brockmann & Knoedler bekommen.
Allerdings: Herr Huber dementiert nach wie vor seine Entlassung auf der Progredi-Homepage. Im Jahr 2011 verließen auf einen Schlag sechs Trainer das Unternehmen und nannten zur Begründung genau diese Beobachtungen: vereinnahmende Methoden ähnlich wie bei Scientology. Spätestens da hätten Brockmann und Knoedler doch wach werden müssen. Warum hat Herr Huber nicht bereits 2011 Hausverbot erhalten? An welchen Stellen distanzieren sich Brockmann und Knoedler nun tatsächlich von Herrn Huber und seinen Methoden? Davon war bislang noch nichts zu hören.
Solange auf diese Fragen keine zufriedenstellenden Antworten gegeben werden, können sich Brockmann und Knoedler nicht aus der Verantwortung stehlen. Letztlich haben auch sie davon profitiert: Die huberschen Methoden bescherten ihnen Mitarbeiter, die beseelt von großen Zielen wie Luftschlösser in selbstausbeuterischer Weise dem Unternehmen mit ihrer Arbeitsleistung gedient haben, ohne dafür in angemessener Weise bezahlt worden zu sein, und die ihre Ersparnisse für teure Kurse und Lizenzen zu opfern bereit waren. Oder sollten Brockmann und Knoedler gar keinen Gewinn davon gehabt haben, weil alle Überschüsse in unbekannte Strukturen oder sogar an die Scientology-Organisation abgeflossen sind? Diese Frage können zunächst sie nur selbst beantworten. Für die Betroffenen ändert diese Antwort allerdings nichts.
Fortsetzung
Hier geht es zu Teil 2 des Berichtes über Johannes Huber, die Progredi-AG und dessen Kundenaquise bei Friseuren, Immobilienunternehmern und unter Bosnienhelfern.