Wann gilt der Bekenntnisfall?
In verschiedenen theologischen Auseinandersetzungen seit der Reformationszeit wurde der Begriff eines „status confessionis“ benutzt, um eine theologische Grenzlinie zu markieren, welche die Gegenseite in dem Disput gerade nicht an dieser Stelle gezogen sieht. Im Wesentlichen geht es darum, dass mit der Erklärung dieses Falles bestimmte Dinge, Auffassungen oder Verhaltensweisen dem menschlichen Bereich, in dem unterschiedliche Beurteilungen möglich sind, entzogen werden sollen. Dahinter steht die Auffassung, dass hier grundlegende Fragen der göttlichen Ordnung der Welt berührt sind und damit das Wesen des christlichen Glaubens bzw. konkret des evangelischen Bekenntnisses zur Disposition steht. Der Begriff ist dabei zu verschiedenen Zeiten mit durchaus unterschiedlichen Akzenten benutzt und gefüllt worden. Gleichwohl sind zusammenhängende Bezüge erkennbar, die auch für die aktuelle Diskussion Wegweisung geben können.
1. Reformationszeit
Seine Wurzeln hat der Begriff in der Konkordienformel, die 1580 zusammen mit den vorherigen Bekenntnisschriften im Konkordienbuch veröffentlicht wurde und den Abschluss der lutherischen Bekenntnisbildung markiert. Im deutschen Text der „Solida Declaratio“ wird die Wendung mit „Bekenntnisfall“ übersetzt. Dort meint sie eine besondere Situation, in der ansonsten nebensächliche Dinge wichtig werden können, weil mit ihnen ein Bekenntnis verbunden ist.
Historischer Hintergrund ist die Niederlage der Evangelischen Stände im Schmalkaldischen Krieg. Daraufhin hatte Kaiser Karl V. im Augsburger Interim die Rückkehr zu katholischer Lehre und katholischem Gottesdienst gefordert. Melanchthon war unter diesen besonderen Umständen zu Zugeständnissen in äußeren Dingen (Messgewänder etc.) bereit, solange die evangelische Lehre bewahrt blieb. Darin sah sein Gegner Flacius einen Verrat an der evangelischen Sache und forderte auch in diesen „Mitteldingen“ Standhaftigkeit, weil eine besondere Bekenntnissituation besteht.
In den folgenden Jahrhunderten spielte der Begriff zunächst keine Rolle mehr.
2. Kirchenkampf
Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde der Begriff im Kirchenkampf wiederentdeckt, allerdings in anderer Weise verwendet. Nun ging es darum zu erklären, dass eine politische Entwicklung so stark in kirchliche Belange und das Leben der Christen eingreift, dass davon das Bekenntnis zu Jesus Christus als Erlöser berührt und behindert wird. Nicht mehr die „Mitteldinge“, sondern der Kernbestand der evangelischen Lehre ist angegriffen, weil ein sich selbst ideologisch überhöhendes Regime menschenverachtendes Verhalten von Christen einzufordern versucht.
Konkret ging es um die Anwendung des Arierparagraphen innerhalb der Kirche. Dietrich Bonhoeffer (Die Kirche vor der Judenfrage, 15. April 1933) sah nun die Kirche „in statu confessionis“. In ähnlicher Weise beruft sich der Pfarrernotbund (Sept./Okt. 1933) in seiner Verpflichtungsformel auf das Ordinationsgelübde der Pfarrer und wendet sich damit gegen den Arierparagraphen. Hier entsteht erstmalig das Bild, der status confessionis könne „erklärt“ werden, d.h. es könne festgestellt werden, dass eine bestimmte Situation bzw. politische Anordnung der christlichen Botschaft so elementar widerspricht, dass man ihr nicht folge leisten kann, wenn man mit dem evangelischen Bekenntnis in Übereinstimmung bleiben möchte. Dieses Verständnis des „status confessionis“ ist für die weitere Diskussion prägend geworden.
3. Friedensbewegung
In der Zeit des Kalten Krieges diskutierten die Kirchen ihre Verantwortung für den Frieden in der Welt angesichts der Bedrohung durch atomare Massenvernichtungswaffen. 1958 erklärten die christlichen Bruderschaften in der Frage der Atomwaffen den „status confessionis“ und meinten, dass Neutralität in dieser Frage christlich nicht vertretbar und eine Verleugnung aller drei Artikel des christlichen Glaubens sei.1
Der Reformierte Bund veröffentlichte 1982 ein Moderamen „Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche“, in dem es u.a. heißt: „Die Friedensfrage ist eine Bekenntnisfrage. Durch sie ist für uns der status confessionis gegeben, weil es in der Stellung zu den Massenvernichtungsmitteln um das Bekennen oder Verleugnen des Evangeliums geht.“ Diese Position sieht den status confessionis überall dort gegeben, wo der Christ und die Kirche sich Situationen gegenüber sehen, in denen das Menschsein an sich bedroht und damit das Evangelium von der Gnade Gottes in Frage gestellt wird.
Dagegen erhob sich grundlegender Widerspruch von lutherischer Seite. Die Kirchenleitung der VELKD erklärte, über die Wege zur Sicherung des Friedens könnten auch Christen verschiedene Meinungen vertreten. In ethischen und politischen Fragen gehe es daher um den Gehorsam des Glaubens, aber nicht um den status confessionis. Die Kirche steht und fällt mit ihrem Bekenntnis zu Jesus Christus. Ein status confessionis tritt nur ein, wenn dieses gefährdet wird. Der Ratsvorsitzende der EKD Bischof Lohse erklärte dazu: „Fragen des innerweltlichen Überlebens, so wichtig sie sind, dürfen nicht mit Fragen des Glaubens verwechselt und zu Bekenntnisfragen gemacht werden.“2
4. Apartheid
Diese Position wurde von der lutherischen Seite 1977 modifiziert. In jenem Jahr nämlich erklärte die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Daressalam die ethische Frage der Ablehnung der Apartheid in Südafrika zum status confessionis3 - allerdings mit einer entschieden ekklesiologischen Begründung: Wo Apartheid in die Kirche selber eindringt, Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verhindert und dadurch geistliche Gemeinschaft zerstört, da sind die Einheit der Kirche und der Glaube selber bedroht - und damit auch die Integrität des Bekenntnisses. Anlass für diese Erklärung war der ausgrenzende Charakter der Apartheid, welcher die Glaubwürdigkeit des allen Menschen ohne Ansehen von Rasse, Hautfarbe und Geschlecht verkündigten Evangeliums massiv gefährdet.
Fazit
Die Verwendung des Begriffes vom status confessionis hatte immer die Funktion, die befreiende Botschaft des Evangeliums gegen ungerechtfertigte Einschränkungen zu verteidigen. Ob man die Ausrufung eines status confessionis in ethischen Fragen für gerechtfertigt hält oder nicht, ist eine offene Streitfrage. Wichtig ist aber zu sehen: Wo bislang solches geschah, dann immer zur Überwindung ausgrenzender Diskriminierungen, und nicht zu ihrer Errichtung.