Düstere Mode
Nicht jeder, der schwarzgewandet umherläuft, ist ein Satanist. Eine andere jugendliche Subkultur ist in letzer Zeit immer mehr zur Modeerscheinung geworden: Die Gothics.
Dunkle Erscheinung
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Die Anfänge dieser Szene liegen im England der späten 70er Jahre und haben sich aus dem Punk heraus entwickelt. Bands wie The Cure, Sisters of Mercy, Depeche Mode u. a. prägten den neuen Musik- und Modestil.
Heute ist die Szene aber in sich enorm vielfältig – sowohl was die Musik als auch das Erscheinungsbild und die vertretenen Ideen angeht. Das macht eine gemeinsame Beurteilung schwierig. Ein deutliches Merkmal ist vielleicht die trotz dominantem Schwarz zur Schau getragene Individualität. Es wird eifrig geschminkt, toupiert, gestylt und behängt. Künstlich verstärkte Augenringe, blasse Gesichter, lange Lodenmäntel, schrille Frisuren und dazu Amulette, Ketten, Eisen Nieten und Totenköpfe prägen die Erscheinung. Die Symbolik kreist dabei um die mystische und dunkle Seite des Daseins - Tod, Vergänglichkeit stellen zentrale Themen dar.
Gepflegte Melancholie
Damit verbindet sich ein besonderes Lebensgefühl, das im Gegensatz zur vorherrschenden Kultur steht. Schwarz drückt die Abgrenzung zur Spaßgesellschaft aus, die Sterben und Vergänglichkeit verdrängt. Statt nüchterner Leistungsgesellschaft flüchtet man in eine düstere Phantasiewelt, in der Kirchenruinen und stille Landschaften, Grabmale und Friedhöfe, Engel und Dämonen immer wiederkehrende Motive sind. „Gothic zu sein bedeutet für die meisten nicht, ständig unter Depressionen zu leiden, sondern die schwarze Seite des Lebens zuzulassen.“ drückt ein Insider sein Lebensgefühl aus.
Heidnische Religion
Gothic ist zunächst einmal eine Moderichtung, die auf bestimmte gesellschaftliche Defizite reagiert und diese nun – zum Teil in extremer Weise – zum Programm erhebt. Als solche ist sie ohne religiöse Festlegung und es gibt auch christliche Jugendliche, die dieser Szene angehören. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass sich mit dem Interesse an Magie und Mystik eine starke Affinität zu neuheidnischer Religiosität verbindet. Kelten und Druiden, Germanische Gottheiten und neues Hexentum finden in der Szene Interessenten. Damit verbindet sich wiederum nicht selten eine deutlich antichristlicher Affekt. Namen von Bands wie „Christian Death“ und deren Texte lassen es an Deutlichkeit nicht fehlen. Protestcharakter und eigene Religiosität stehen dabei nebeneinander. Das Szenemagazin „Orkus“ schreibt z. B., das Anliegen der amerikanischen Band „Christian Death“ sei es, „mit häretisch anmutenden Texten die verlogene Gottesfürchtigkeit und sexuelle Verklemmtheit ihrer Landsleute offenzulegen und zu stigmatisieren“. „Die Untoten“ publizierten 1999 ihre CD „Schwarze Messe“. Auf ihr Verhältnis zum Satanismus angesprochen äußerten sie: „Wir fürchten weder Gott und seine Anhänger noch Satan, denn (es mag ein Geheimnis sein!) es gibt sie beide nicht. Es gibt nur die Hölle auf Erden und den Himmel und das Feuer über und in uns. Im herkömmlichen Sinne aber sind wir: Antichristen!“
Manch einer trägt sein Kreuz dann auch verkehrt herum am Hals. Was er damit verbindet, muss erfragt werden. Mit Fremdinterpretationen sollte man vorsichtig sein – zu groß ist die innere Vielfalt der Szene. Mit Satanismus im engeren Sinn will die Masse der Gothics nichts zu tun haben und bemüht sich um eine Abgrenzung. Diese ist Angesichts manch äußerlicher Nähe aber auch nötig.
Gleiches gilt übrigens gegenüber der Unterwanderung durch rechte Ideologie. Durch das gemeinsame Interesse an heidnischen Kulten, nordischer und germanischer Mythologie ergeben sich Berührungspunkte. Eine Abgrenzung ist im Gange, es existiert eine breite Bewegung „Grufties gegen rechts“, aber eben auch einen rechten Rand innerhalb der Szene.
Romantiker
Im Unterschied zur stärker aggressiven Dark–Metal–Szene sind Gothics in der Regel strikt gewaltlos. Gewalt gilt ihnen als Ausdruck von primitivem Geist und Unfähigkeit zum Reden. Gothics reden über alles - über ihre Probleme, ihre Musik, ihre Freunde, sie schreiben Gedichte, lesen Novalis und Nietzsche. Sie sind moderne Romantiker, und haben als solche manch erstaunliche Parallele zu den Begründern der deutschen Romantik, sowohl was den Hang zum Vergänglichen wie die gesellschaftliche Außenseiterrolle angeht. Übrigens würden Grufties (wie sie auch manchmal genannt werden) niemals auf dem Friedhof randalieren – sie zerstören doch nicht ihr Wohnzimmer.
Das Spektrum innerhalb der Bewegung ist breit. An den Rändern kommt es mitunter zu Grenzüberschreitungen, die nicht zu tolerieren sind. Hier ist die Szene selbst gefordert, deutliche Abgrenzungen vorzunehmen. Aber auch über die Konsequenzen mancher Liedtexte müsste etwas kritischer nachgedacht werden. Kritik ist aber nicht unbedingt eine Stärke einer Szene, die radikale Individualität mit einer eigenen Event-Kultur verbindet. Davon profitieren Rechtsextreme und Satanisten gleichermaßen. Hüten muss man sich aber vor Verallgemeinerungen und falschen Gleichsetzungen, denn: Grufties sind (meist) keine Satanisten.
Harald Lamprecht, 9/2001Link zum Thema: Ästhetik des Vergehens. Zum Lebensgefühl der Gothic-Szene