Schriften der AMJ
Schriften der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland

Messiasnachfolgernachfolger

Begegnung mit der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft

Die Sehnsucht nach einer Erlösergestalt ist so alt wie die Religionen. Im Islam gibt es eine Richtung, die diese Hoffnung auf den Messias, den Gesalbten Gottes, der die Welt erlöst, in einer ganz eigentümlichen Weise einerseits neu belebt und andererseits auch konserviert hat: Die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft. In Sachsen ist diese Gemeinschaft zwar zahlenmäßig klein, aber durch die nun bereits jahrzehntelangen Debatten um Moscheebauprojekte in Leipzig und Erfurt häufiger in der öffentlichen Diskussion. Der Evangelische Bund Sachsen hat sich mit dem sächsischen Imam der Gemeinschaft in der Dresdner Gemeinde zum Gespräch getroffen.

 

Der endzeitliche Mahdi

Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es in Indien eine Vielzahl von Bewegungen, die sich gegen die britische Vorherrschaft auflehnten und damit zum Teil auch religöse Motive verbanden. So bekam auch die im Islam nicht unbekannte Idee eines Imam Mahdi neuen Zulauf. Von diesem „Rechtgeleiteten“ wird erwartet, dass er in der Endzeit auftauchen und das Unrecht der Welt beseitigen wird. Eine solche Vorstellung gibt es auch in einigen Gruppen des sunnitischen Islam. Besonders ausgebaut wurde sie allerdings bei den Zwölfer-Schiiten, die davon ausgehen, dass der 12. Imam als „Muhammad al-Mahdi“ im Verborgenen lebt, bis Gott sein Erscheinen befehlen wird. Im Iran ist dieser verborgene Mahdi laut Verfassung das eigentliche Staatsoberhaupt – der Klerus regiert lediglich in dessen Stellvertretung bis zu seinem Erscheinen. 

Mirza Ghulam Ahmad

Ab dem Jahr 1882 erhob Mirza Ghulam Ahmad den Anspruch, ein von Gott Auserwählter und Erneuerer (Mudschaddid) der islamischen Religion zu sein. Er war als Nachfahre des Stadtgründers von Qaidan in Nordindien (Punjab) Angehöriger der Oberschicht. Ende 1888 lud er in einer öffentlichen Bekanntmachung alle Menschen „die Sucher der Wahrheit sind“ ein, ihm einen Treueeid zu leisten. Diese Zeremonie, die 1889 in Ludhiana stattfand, gilt als das Gründungsdatum der Ahmadiyya-Bewegung. Zwei Jahre später begann Ghulam Ahmad, sich als den angekündigten Imam Mahdi zu bezeichnen. Eine Besonderheit ist dabei, dass er auch diverse Wiederkunftserwartungen anderer Religionen aufgenommen und auf seine Person bezogen hat. So verstand er sich ebenso als der wiedergekommene Christus wie auch als hinduistischen Avatar von Vishnu in Krishna, als Erscheinung des Endzeit-Buddhas Meitreya, sowie des im Zoroastrismus erwarteten Mesio Darbahmi. Mit der Meinung, er sei die Inkarnation aller Propheten von Adam bis Jesus und Mohammed, beanspruchte er nicht weniger als die Vereinigung aller Religionen in seiner Auffassung des Islam. 

Mohammed und Ahmad

Auch wenn der Name der Ahmadiyyas über die Jahrhunderte zur Bezeichnung einer islamischen Sonderrichtung wurde, ist es doch wichtig zu sehen, dass der eigentliche Anspruch der Bewegung darauf zielt, nichts anderes als den eigentlichen Islam zu verkörpern. Darauf verweist mittelbar auch die Namensgebung, die ein arabisches Wortspiel beinhaltet. Muhammad – geläufig als Name des Propheten und islamischen Religionsgründers – ist eigentlich kein Name, sondern eine Passiv-Form von „Loben, Preisen“ und heißt „der zu Lobende“ bzw. „der Gepriesene“. Ahmad ist dasselbe Wort in seiner Aktiv-Form („der Lobende“, „der Preisende“). Gemäß Sure 61,7 ist das ebenso auch ein Name für den Propheten Mohammed. In der Betonung dieses Zusammenhanges zeigt sich auch, dass die Ahmadiyyas in ihrem Selbstverständnis nichts anderes als Muslime sein wollen und keine Sonderrichtung darstellen, sondern den eigentlichen Islam predigen und erneuern möchten.

Allerdings hat schon zu Lebzeiten des Gründers dessen messianischer Anspruch wie auch seine Auslegung des Koran zu Widerspruch in der muslimischen Bevölkerung geführt. Es ist ihm nicht gelungen, diesen Anspruch auf Repräsentanz und Erneuerung des gesamten Islam auf breiter Linie einzulösen. Bereits die Eintragung der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft als eigene islamische Gruppe bei der Volkszählung in Indien 1901 markiert diese Formierung einer eigenständigen Bewegung. 

Khalifat ul-Masih

Am 26. Mai 1908 starb der Gründer Hazrat („seine Heiligkeit“) Mirza Ghulam Ahmad. Zwei Tage später wurde Hazrat al-Hajj Hakim Nur-ud-Din (1841-1914) zu seinem Nachfolger gewählt und erhielt den Titel, den fortan alle Führer der Ahmadiyya-Bewegung tragen: Kalifat ul-Masih – Nachfolger des Messias. Ihm folgte mit Mirza Baschir ud-Din Mahmud Ahmad (1889-1965) ein Sohn des Gründers. Die weiteren Kalifat ul-Masih waren Mirza Nasir Ahmad (1909-1982) und Mirza Tahir Ahmad (1928-2003). Der gegenwärtige 5. Kalifat ul-Masih ist Mirza Masrur Ahmad, der seit dem 22. April 2003 im Amt ist. 

Der Nachfolger wird von einem Wahlkomitee bestehend aus 600-700 ausgewählten Mitgliedern der Gemeinschaft jeweils auf Lebenszeit gewählt. Die Wahl findet innerhalb von einem bis drei Tagen nach dem Tod des Kalifen und noch vor dessen Beerdigung statt, was angesichts der weltweiten Verteilung des Wahlgremiums eine logistische Herausforderung darstellt. Aufgabe der Kalifen ist es, die Mission des verstorbenen Gründers fortzuführen. Die Ahmadi-Muslime legen nach der Wahl ein erneuertes Treuegelübde (Baiat) auf den neuen Kalifen ab. Bis auf den Ersten gehörten bislang alle Kalifen der Familie des Gründers an. 

In der Ahmadiyya-Bewegung ist mit der Einrichtung der Khalifat ul-Masih die Messias­erwartung ihres wesentlichen Kerns beraubt worden. Aus der erhofften und ersehnten Erlösergestalt der Endzeit, der die Gerechtigkeit aufrichtet, die Menschheit mit Gott versöhnt und der keinen Nachfolger braucht, weil mit ihm die Geschichte zu ihrem Ziel gekommen ist, wurde hier ein (Papst-)Amt, das von Nachfolger zu Nachfolger weitergegeben werden kann und gerade nicht Endzeit repräsentiert, sondern den Fortbestand einer Organisation in der Welt mit all ihren Schwierigkeiten und Streitigkeiten sicherstellen soll.

Muslime oder nicht?

Die Ahmadiyya-Muslime werden von vielen anderen Muslimen als nicht-islamisch abgelehnt und in etlichen Ländern verfolgt. Mit der Teilung Britisch-Indiens in die beiden Staaten Indien und Pakistan 1947 verlegte die Ahmadiyya-Bewegung ihre Zentrale aus dem indischen Gründungsort Qadian in die neu gegründete Stadt Rabwah (seit 1999: Chenab Nagar) in Pakistan. In Pakistan gibt es nach wie vor weltweit die meisten Ahmadiyya-Mitglieder, allerdings auch starke Verfolgungen. Seit den 1950er Jahren verstärkten sich die Auseinandersetzungen mit der Tendenz, die Ahmadiyyas zu Nichtmuslimen zu erklären. In den 1970er Jahren erreichte der Konflikt eine neue Eskalationsstufe mit der Verfassungsänderung von 1974, in der die Ahmadis zu einer nichtmuslimischen Minderheit erklärt und damit aus weiten Bereichen der pakistanischen Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass denjenigen, die besonders gute Muslime sein wollen, in ihrem Ursprungsland viele muslimische Betätigungen untersagt sind. So dürfen die Ahmadis u.a. die islamischen Eulogien, den Gebetsruf (Adhan), die Begrüßungsformel Salam, die Einleitungsformel bismillah („Im Namen Gottes, des Erbarmers…) nicht verwenden und ihre Gebetsräume nicht als Moscheen bezeichnen. Jegliche Handlungen die „religiöse Gefühle“ von Muslimen verletzen könnten und Missionstätigkeiten sind untersagt.

Aufgrund der Verfolgungssituation ging der 4. Kalif Mirza Tahir Ahmad 1984 nach London ins Exil, wo sich seitdem der Sitz der Kalifen der Ahmadiyya-Gemeinschaft befindet. 

Organisation

Während der Amtszeit des zweiten Kalifen gab es eine Spaltung. Nach einem Streit um die Bedeutung Ghulam Ahmads trennte sich die Bewegung in zwei Richtungen. Der größte Teil gehört zur sogenannten Qaidan-Richtung, die als „Ahmadiyya Muslim Jama’at“ (AMJ), bzw. Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde auftritt. Diese sehen in Ghulam Ahmad bis heute einen Propheten und endzeitlichen Mahdi. Daneben existiert die „Lahore-Gruppe“ (AAIIL), die Ghulam Ahmad lediglich als Reformer betrachtet. Letztere ist zahlenmäßig nahezu bedeutungslos, hat aber in Deutschland eine besondere Geschichte, da die 1925 entstandene erste Moschee Deutschlands in Berlin-Wilmersdorf zu dieser Lahore-Gruppe gehörte. Auch die Zeitschrift „Moslemische Revue“ und die 1939 erschienene erste deutsche Koran-Übersetzung kamen von der AAIIL-Richtung der Ahmadiyya-Gemeinschaft.

Die AMJ ist in Deutschland seit den 1950er Jahren aktiv und hat ihre deutsche Zentrale in Frankfurt am Main. 2013 erhielt sie in Hessen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, 2014 in Hamburg.

In Sachsen

Zur Dresdner Ahmadiyya-Gemeinde gehören derzeit 64 Mitglieder, von denen die meisten aus Pakistan kommen. Einige Syrer sind auch mit dabei. Zu den Veranstaltungen kommen bis zu 100 Personen. Der für Sachsen zuständige Imam Umer Malik ist in Wiesbaden geboren und hat in Deutschland an der theologischen Ausbildungsstätte der Ahmadiyya-Gemeinschaft in Riedstadt sieben Jahre islamische Theologie studiert, um nun als Imam und Gemeindeleiter arbeiten zu können. Seine Eltern waren 1990 aus Pakistan gekommen. 

Der Messias…

Das Verhältnis zwischen Mohammed und dem Gründer Mirza Ghulam Ahmad sei wie das von Mose zu Jesus, erklärt Umar Malik: Beide seien Propheten Gottes, einer hat das Gesetz gegeben, der andere hat es erklärt. So habe auch Ghulam Ahmad den Koran nicht ergänzt, sondern lediglich interpretiert.

Aus christlicher Sicht ist Jesus der Messias, was sich in der Bezeichnung Jesus Christus direkt ausdrückt, weil „Christus“ nichts anderes als die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes „Messias“ („Gesalbter“) ist. Von daher sind mit dem Messias-Titel Vorstellungen verknüpft, bei denen die christlichen Gesprächspartner Mühe haben, sie mit Mirza Ghulam Ahmad in Verbindung zu bringen. Eine erlösende Funktion kommt ihm in der AMJ auch nicht zu, so wird erläutert, denn prinzipiell ist jeder Mensch für seine Taten selbst verantwortlich. Fürbitte ist zwar möglich, aber Vergebung kommt von Gott. Darum sollte jeder danach streben, anderen kein Leid zuzufügen und wenn ein Mensch anderen nicht vergibt, dann kann Gott ihm auch nicht vergeben. 

…und sein Kalif

Kalifen müsse es geben, weil die Lebenszeit des Messias nicht ausreiche, um sein Programm zu verwirklichen. Im Unterschied zu Mohammed, der auch einen Regierungsauftrag wahrgenommen hat, wirken die jetzigen Kalifen der AMJ aber rein spirituell für die Gemeinschaft. Insofern ist die Herrschaft des Messias schon angebrochen. Die Endzeit habe schon begonnen, denn der Messias wirke nun durch seine Nachfolger mit der Herrschaft über die Herzen zur Einheit der Gläubigen. 

Jesus in Kaschmir

Zu den Lehrbesonderheiten der Ahmadiyya-Gemeinschaft zählt auch die Auffassung, dass Jesus seine Kreuzigung überlebt habe und danach unerkannt nach Indien gelangt sei. Dort habe er viele Jahre gewirkt bis er im Alter von 120 Jahren in Srinagar (Kaschmir) gestorben sei, wo man noch heute sein Grab besichtigen könne. Mirza Ghulam Ahmad hat dazu ein Sachbuch geschrieben (Masīh hindustān me/ Jesus in Indien).1 Als Prophet könne er nicht einen solch unehrenhaften Tod am Kreuz gestorben sein, das würde Gott nicht zulassen, zeigt sich auch Umer Malik überzeugt. Darum sei Jesus schnell vom Kreuz wieder abgenommen worden, seine Seitenwunde sei verheilt und er hätte seine Mission in Indien fortsetzen können. Schließlich seien die Afghanen Nachfahren der Stämme Israels und unter diesen verlorenen Stämmen Israels hätte Jesus noch intensiv gewirkt, denn auch das Klima in Kaschmir sei dem in Jerusalem vergleichbar.

Kein „heiliger Krieg“

Ein anderer Punkt, der Ahmadis von sunnitischen Muslimen unterscheidet, ist die Lehre vom Djihad („Anstrengung“, „Eifer“ [für die Sache Gottes], oft fälschlich verkürzend als „heiliger Krieg“ übersetzt). Grundsätzlich werden auch im sunnitschen Islam verschiedene Arten des Djihad unterschieden: 1) der „große Djihad“ ist der immerwährende Kampf gegen die eigenen schlechten Eigenschaften. 2) Daneben gibt es die Anstrengung zur Verkündigung der Wahrheit des Islam. 3) Erst am Schluss kommt der sogenannte „kleine Djihad“, der auch eine militärische Verteidigung des Islam einschließen kann. Ghulam Ahmad hat dies weitergeführt und der Lehre vom Djihad mit Waffengewalt eine grundsätzliche Absage erteilt. So sei die historische Situation der Schlacht von Badr, als 313 Muslime gegen 1000 Mekkaner kämpften, heute nicht mehr gegeben und die muslimische Umma nicht in dieser Weise bedroht. Zudem beendet das Erscheinen des Messias die religiösen Kriege. Heutige Kriege seien politisch motiviert und hätten keine religiösen Ursachen. Darum solle man auch nicht die Religion als Begründung dafür missbrauchen. 

Diese Absage an die Theologie eines gewaltsamen Djihad besteht seit der Gründung der Ahmadiyya-Gemeinschaft und gehört zu ihrem Kernbestand. Insofern ist es absurd, dass von Seiten der Gegner der Ahmadiyya-Moscheebauprojekte unter Verweis auf die Gräueltaten salafistisch-djihadistischer Gruppen, wie z. B. dem IS, Stimmung gegen Ahmadiyya-Muslime gemacht wird. Dies zeugt von grober Unkenntnis oder bewusst böswilliger Falschdarstellung. 

Juden und Muslime

Das Verhältnis zu Israel scheint – wie bei vielen Muslimen – nicht gerade entspannt zu sein. Imam Malik ist in Deutschland aufgewachsen und weiß um die besondere Sensibilität gegenüber dem Judentum. Auf Fragen zum Nahostkonflikt äußert er darum zutreffend, dass es dort um politische, nicht um religiöse Konflikte geht und dass es ein Anliegen sein muss, gerechte Lösungen für alle zu finden. Eine grundsätzliche, positive Aussage zum Existenzrecht Israels geht ihm aber nicht leicht von den Lippen. In den Predigten des Kalifen, die per Videostream weltweit verbreitet werden, geht es in Auslegung islamischer Geschichts­traditionen immer mal wieder um die Juden und deren spannungsvolle Geschichte mit den muslimischen Stämmen, wobei die Juden nicht im besten Licht erscheinen. Welche Wirkung das auf die Zuhörenden hat, ist nicht einfach abzuschätzen.

Islamische Mormonen

In verschiedener Hinsicht erinnert das Verhältnis der Ahmadiyya-Gemeinschaft zu den übrigen Muslimen an die Stellung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) im Kontext des Christentums. In beiden Fällen gibt es einen Konflikt einer im 19. Jahrhundert entstandenen Richtung zur jeweiligen Mehrheit der Religion. Dieser Konflikt hängt inhaltlich damit zusammen, dass in beiden Fällen die neue Gruppe für ihre Gründungspersönlichkeiten eine besondere Gottesnähe und Prophetenschaft beansprucht. Diese habe auch zu neuen Erkenntnissen über die Religion geführt. Die Angehörigen der neuen Gemeinschaft verstehen sich als die eigentlichen wahren Vertreter der jeweiligen Religion, die sie grundlegend erneuert und von innen heraus belebt zu haben meinen. Von der Mehrheitsreligion wird das abgelehnt. Die religiösen Autoritäten weisen diesen Anspruch nicht nur zurück, sondern stellen darüber hinaus die Zugehörigkeit der neuen Gruppe zu dieser Religion insgesamt in Frage. Im Fall der Mormonen beanspruchen diese, als einzige die wahre wiederhergestellte Kirche Jesu Christi zu repräsentieren und allein mit einer wirksamen Priesterschaft aufwarten zu können. Aus der Sicht der in der Ökumene verbundenen Kirchen handelt es sich durch die neuen Offenbarungen, das veränderte Gottesbild und diversen weiteren Elemente aber eher um eine nachchristliche amerikanische Tempelreligion. Im Fall der Ahmadis sehen diese in ihrem Gründer alle religiösen Heilserwartungen der Religionen erfüllt. Für die sunnitischen Autoritäten steckt darin eine solche Relativierung von Mohammed als Siegel des Prophetentums, dass sie ihnen die Zugehörigkeit zur islamischen Umma absprechen. 

In beiden Fällen sind die Vertreter der neuen Gemeinschaften wesentlich stärker missionarisch aktiv als die jeweilige Mehrheit der Religion. Sie sind motiviert, ihr besonderes Verständnis ihrer Religion weiterzutragen – und wiederum tun beide dabei zunächst so, als seien sie eben keine spezielle Richtung, sondern die ganz normalen Vertreter der jeweiligen Religion: Die Mormonen sprechen von sich selbst bevorzugt schlicht als „die Kirche Jesu Christi“, ebenso wie Ahmadis nicht müde werden zu betonen, sie seien doch eigentlich nur Muslime. 

Noch eine weitere Parallele ist zu benennen: Beide Gemeinschaften vertreten vergleichsweise konservative Familienbilder im Rahmen ihrer religiösen Traditionen. Während in der Mehrheit des Luthertums auch Frauen geistliche Ämter bekleiden können, bleiben bei den Mormonen die priesterlichen Ämter nur Männern vorbehalten. Es gilt ein hohes Familienideal, kein Sex vor der Ehe und deutliche Ablehnung von Homosexualität. Analog ist auch in der Ahmadiyya-Gemeinschaft die traditionelle islamische Rollenteilung zwischen den Geschlechtern besonders fest gezurrt. Frauen ohne Kopftuch wird man in den Gemeinschaften nicht antreffen. Bei den Veranstaltungen sind Frauen immer von den Männern getrennt, wenn nicht auf einer Empore oder in eigenen Räumen, dann wenigstens auf verschiedenen Seiten. Vorreiter liberaler Tendenzen gibt es im Islam durchaus, aber in der Ahmadiyya-Gemeinschaft sind sie bislang nicht besonders sichtbar geworden. Liberalisierungen ergeben meistens zusätzliche Konfliktfelder mit konservativen Hütern der religiösen Traditionen. Möglicherweise ist es ein Motiv für eine Gemeinschaft, die innerhalb der eigenen Religion um Anerkennung ringt, diese Konflikte nicht auch noch provozieren zu wollen. 

Ausblick

Die Ahmadiyya-Gemeinschaft gehört zum Spektrum des religiösen Lebens in Deutschland. Im Unterschied zum Herkunftsland Pakistan besteht in Deutschland Religionsfreiheit. Dazu gehört selbstverständlich auch das Recht auf Errichtung würdiger Gebetsstätten. Es bleibt zu wünschen, dass in der Bevölkerung an die Stelle von Vorurteilen ein Kennenlernen und die Begegnung mit Vertretern der Gemeinschaft tritt. Wo eine Begegnung in gegenseitigem Respekt und auf Augenhöhe erfolgt, können auch kritische Punkte angesprochen werden, die für ein Zusammenleben in der Achtung der Menschenwürde wichtig sind.

 

 


1 https://ahmadiyya.de/fileadmin/user_upload/bibliothek/hadhrat_mirza_ghulam_ahmad-jesus_in_indien.pdf

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2020 ab Seite 14