Meißen, Mäser und Mormonen

Streit um ein Denkmal und eine Städtepartnerschaft

Heimliche Politik der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage

In Meißen herrscht derzeit viel Aufregung. Es geht um ein Denkmal, eine Städtepartnerschaft und eine Religiöse Sondergemeinschaft.

Am 23. März 2001 konnten die Meißener Bürger im Amtsblatt (Nr. 6/2001) lesen, dass die Stadt Privatquartiere für die Unterbringung von 45 Mitgliedern des Utah baroque Ensembles suche. Das Orchester gastiere aus Anlass der Unterzeichnung einer Städtepartnerschaft zwischen der „Wein- und Porzellanstadt Meißen“ mit der „Universitätsstadt Provo“ im US-Bundesstaat Utah. Im gleichen Amtsblatt war auch zu lesen, dass der Stadtrat auf seiner nächsten Sitzung eine Straßenbenennung in „Karl-Mäser-Platz“ vornehmen wolle.

Provo, Young und Mäser

Was scheinbar den Stadträten bei der Verhandlung entgangen war und nun erst einer Meißener Bürgerin angesichts dieser Lektüre auffiel, war die eigentliche Motivation der Amerikaner für diese Partnerschaft: Sie sind Mormonen.

Provo ist nicht einfach irgendeine amerikanische Universitätsstadt mit guter Wirtschaftskraft, sondern sie ist der Sitz der Brigham-Young-Universität, der zentralen Ausbildungsstätte der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, landläufig als „Mormonen“ bekannt. Benannt ist die Privatuniversität nach Brigham Young, dem Nachfolger von Prophet und Mormonengründer Joseph Smith, der die Mormonen nach Smith’ Tod in einem großen Treck an die Ufer des Salzsees führte und damit nicht nur Salt Lake City, sondern auch den späteren Staat Utah begründete. Einer der ersten Direktoren der früheren Brigham-Young-Academie war der oft als deren Gründer ausgegebene Karl Gottfried Mäser (1828-1901), geboren in Meißen. Mäsers Geburtsstadt gilt das Interesse der Mormonen, als solche ist sie für die Partner in Utah von Bedeutung - nicht wegen ihres Weines (Mormonen trinken keinen Alkohol) oder des Porzellans.

DenkmalMäser-Statue in Provo

Deutlich wird dies an dem Bemühen, ein Mäser-Denkmal in Meißen zu errichten: aus Bronze und 2,50 m groß, auf einem 1,50 m großen Sockel, eine Kopie des Standbildes vor der Brigham-Young-Universität in Provo. Etwa 80 000 DM kostet es, gestiftet von der finanzkräftigen Mäser-Familie in Utah. Seinen Standort sollte es vor dem neugebauten Berufsschulzentrum finden, das bei dieser Gelegenheit - ebenso wie der Platz davor - gleich ebenfalls Mäsers Namen erhalten sollte. Dies ist nun aufgrund großer öffentlicher Diskussionen wieder zurückgenommen worden. Ein alternativer Standort wird gesucht.

Heimlichkeiten?

Die Verbindung der geplanten Städtepartnerschaft mit den speziellen Interessen einer Religiösen Sondergemeinschaft wurde erst öffentlich, als eine aufmerksame Meißener Bürgerin in einer öffentlichen Anhörung darauf hinwies. Es muss die Frage gestellt werden, ob die beteiligten Entscheidungsträger der Stadt Meißen in dieser Sache bewusst getäuscht oder ihre (peinliche) Unwissenheit in diesem Punkt ausgenutzt wurde, wenn der mormonische Hintergrund der amerikanischen Partner bis dahin quasi geheim blieb. Weder in den Debatten, jedenfalls nicht in den öffentlichen Informationen war davon mit einer Silbe die Rede, obwohl dies für eine verantwortliche Entscheidung kein unwesentlicher Faktor ist.

Gewiss kann mit Recht argumentiert werden, dass in einem religiös neutralen Staat eine Stadt eine Partnerschaft mit einer anderen Stadt abschließen kann, ohne die religiösen Überzeugungen der Partner zu beurteilen. Richtig daran ist, dass es der Stadt nicht um eine religiöse Bewertung der Richtigkeit des Mormonenglaubens gehen kann und darf. Allerdings wird man von einem veranwortlichen und ehrlichen Stadtrat erwarten dürfen, dass die sozialen Folgen einer solchen Städte- und Bildungspartnerschaft(!) bedacht und umfassend geprüft werden, und nicht nur auf das Geld mutmaßlicher Investoren geschielt wird. Dazu gehört vor allem, dass „mit offenen Karten“ gespielt wird. Dies bedeutet, dass sowohl Entscheidungsträger wie Bürger über allewesentlichen Faktoren informiert werden. Dies war aber offensichtlich nicht der Fall.

Im Gegenteil, es entstand der Eindruck, dass hier die religiösen Bezüge und damit die eigentliche Motivation bewusst verschwiegen, verschleiert und herabgespielt wurden. Dass die Kirchen auf diese Mißstände deutlich hingewiesen haben, kann man ihnen natürlich leicht als Neidertum oder religiöse Intoleranz auslegen, das ändert aber nichts an den Vorfällen selbst. Dass es so gekommen ist, bedeutet kein gutes Vorzeichen für die geplante Partnerschaft.

Auch jenseits der Frage nach der religiösen Bewertung der mormonischen Auffassungen ist die Kenntnis darum für eine Bildungspartnerschaft keineswegs unerheblich. Es ist geplant, dass regelmäßig ein Schüleraustausch stattfinden soll. In welche Familien kommen dort die Meißener Kinder? Was wird dort geglaubt, gelehrt, an Werten vermittelt? Eltern haben ein Recht auf eine Beantwortung dieser Fragen - erst dann können sie verantwortlich entscheiden. Gleiches gilt selbstverständlich für die Stadträte. Erst die systematische Ausblendung dieser berechtigten Fragen hat den Tumult ermöglicht, der gegenwärtig in Meißen tobt.

Mäserkunde

Auch in Bezug auf das Denkmal müssen sich die Stadträte unangenehme Fragen gefallen lassen. Dieses wurde offenbar quasi als Beigabe zur Städtepartnerschaft ohne großes Nachdenken zunächst akzeptiert. Die Aufstellung wurde beschlossen, die erforderlichen Genehmigungen eingeholt, ohne dass sich jemand mit der Person Mäsers intensiver beschäftigt hätte.

Erst aufgrund der öffentlichen Proteste wurden diese Erkundigungen zögerlich nachgeholt. Die Landrätin zog die bereits erteilte Genehmigung zur Denkmalsaufstellung wieder zurück, als diese Fehler bekannt wurden.

Die öffentliche Diskussion in Meißen trug mitunter skurrile Züge. Die ernsthafteren oder auch die polemisch zugespitzten Alternativvorschläge (z.B. Friedrich Gebhardt, Promovent an der Meißener LPG-Hochschule und stellv. DDR-Landwirtschaftsminister) zeigen die zugrundeliegende Problematik deutlich: Wer ist Denkmalswürdig? Wer Geld hat? Wer irgendwo auf der Welt für eine spezielle Gruppe wichtig geworden ist? Oder wer tatsächlich für den Ort, an dem das Denkmal aufgestellt werden soll, es zu einer Bedeutung gebracht hat, dass man an ihn erinnern und auf sein Vorbild verweisen möchte?

Die Bedeutung für Meißen ist ebenso wie der Vorbildcharakter von Mäser inzwischen heftig umstritten. Die Befürworter verweisen auf seine pädagogischen Leistungen beim Aufbau des Schulsystems in Utah, die Kritiker weisen darauf hin, dass Mäser gerade kein Beispiel für Toleranz gewesen sei, denn unter seiner Leitung konnte kein Nicht-Mormone an der Brigham-Young-Akademie studieren. Auch der Abschaffung der Polygamie habe er sich widersetzt und sei darum zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Auf seiner Sitzung am 30. Mai hat der Stadtrat die Denkmalsfrage aufgeschoben und zunächst eine wissenschaftliche Untersuchung der tatsächlichen Bedeutung Mäsers in Auftrag gegeben. Es wird also der erste Schritt nach dem zweiten nachgeholt - dass man dabei ins Stolpern gerät, ist nicht verwunderlich. Dennoch ist es besser so, als einmal angefangene Fehler ohne Rücksicht durchzuziehen. Bis das pädagogische Werk Mäsers wissenschaftlich aufgearbeitet ist, muss die Statue noch auf eine endgültige Entscheidung zur Aufstellung warten.

Kein Religionskrieg

Zwei Dinge sind bislang in der Meißener Diskussion allerdings ungenügend auseinandergehalten worden: Das eine sind die lokalpolitischen Fehler und die daraus resultierenden Proteste aus der Bevölkerung, das andere die religiöse Auseinandersetzung zwischen Kirchen und Mormonen und die Differenz in der Beurteilung des christlichen Charakters dieser Gemeinschaft.

Die mangelnde (eigene und öffentliche) Information über die Hintergründe der Partner in der Städtepartnerschaft einerseits und die gravierenden Mängel bei der Planung der Denkmalsaufstellung andererseits sind gesellschaftliche und politische, aber keine religiösen Probleme. Dass Kirchenvertreter zuerst auf sie aufmerksam gemacht haben, liegt an deren größerer Sensibilität für diese Fragen, verleiht den Vorgängen aber keinen anderen Charakter. Insofern ist es unangemessen von einem „Religionskrieg“ zu sprechen.

Die religiöse Kontroverse hängt damit nur mittelbar zusammen. Mormonen stellen sich in der Öffentlichkeit (entsprechend ihrem Selbstverständnis) gern als „Die“ Kirche Jesu Christi dar und verschleiern die tiefgreifenden theologischen Unterschiede zu allen anderen Kirchen der ökumenischen Christenheit. So auch auf der Bronzeplatte des Mäser-Denkmals, wo - für flüchtige Betrachter höchst missverständlich - nur verkürzt von „die Kirche“ die Rede ist. Demgegenüber müssen die Kirchen - auch in der Öffentlichkeit, wenn dies durch entsprechende öffentliche Präsenz der Heiligen der Letzten Tage veranlasst ist - auf ihre abweichende Sicht der Ding und diese wichtigen Unterschiede hinweisen dürfen, ohne darum als intolerant gelten zu müssen. Es bleibt dabei: Aufgrund des grundlegend anderen Gottesbildes, der Entwicklungslehre, der (freimaurerähnlichen) Tempelrituale und anderer Neubildungen sind aus evangelischer Sicht die Mormonen eher als synkretistische Neureligion mit christlichen Wurzeln denn als andere christliche Gemeinschaft anzusehen. Deswegen dürfen sie dennoch auch in Sachsen agieren und Mission betreiben - das kann und soll ihnen nicht verboten werden. Aber die Mission soll mit offenen Karten erfolgen, und nicht mit Verschleierungstaktiken einhergehen.

Harald Lamprecht, 6/2001

Artikel-URL: https://confessio.de/index.php/artikel/29