Buddha in Dresden

Evangelischer Bund Sachsen zu Besuch im Vietnamesisch-Buddhistischen Kulturzentrum

Das, was im Rheinland die Türken, das sind in Sachsen die Vietnamesen: die größte Bevölkerungsgruppe aus einem anderen Religions- und Kulturkreis, die vor mehreren Jahrzehnten durch zwischenstaatliche Verträge und Arbeitsmigration ins Land gekommen sind und nun schon in zweiter und dritter Generation unter uns leben und wie selbstverständlich zum Straßenbild gehören. Anders als bei den türkischen Muslimen spielte aber die angestammte Religion der Vietnamesen, der Buddhismus, in Sachsen keine vergleichbare Rolle. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass der Vertragspartner der DDR die Sozialistische Republik Vietnam gewesen ist. Religiöse Institutionen hatten in allen am Kommunismus orientierten Ländern einen schweren Stand. Nordvietnam ist deshalb ähnlich säkularisiert wie Ostdeutschland. Viele Vietnamesen waren in ihrem ganzen Leben noch nie in einer buddhistischen Pagode und kennen sie nur von außen, so wie viele Sachsen ihre Kirchen. Das gilt in besonderer Weise für die Funktionäre der kommunistischen Führung und ihre Familien, denen die Auszeichnung zuteil wurde, in der DDR studieren und z.T. auch leben zu dürfen.
Dennoch: Religion lässt sich nur schwer unterdrücken. Auch unter diesen gab es einige, die trotz strikten Verbots den Buddhismus innerhalb der eigenen Wohnung praktizierten und bewahrten. Nach der politischen Wende waren die Vietnamesen plötzlich unerwünscht. Sie bekamen 3500 DM, um in ihre Heimat zurückzukehren. Viele von denen, die noch nicht so lange hier waren, gingen zurück nach Vietnam. Wer jedoch schon 10 Jahre oder länger in Sachsen lebte, ist meistens geblieben. Inzwischen hat sich die vietnamesische Gemeinschaft stabilisiert, neue kamen hinzu, so dass inzwischen ca. 2000 Vietnamesen in Dresden wohnen (ca. 8000 in Sachsen) und beginnen auch ein religiöses Leben gemäß den eigenen Traditionen zu organisieren. Mitarbeiter der AG Religiöse Gemeinschaften des Evangelischen Bundes Sachsen haben sich im September 2015 mit Vertretern des Vereins „Vietnamesisch buddhistisches Kulturzentrum in Sachsen e.V.“ (www.phatgiaosachsen.com) getroffen und deren Andachtsstätte in Dresden besucht.

Kultur und Religion

Der Verein wurde 2011 gegründet und verfolgt das Ziel, „die asiatische Kultur in der Tradition des vietnamesischen Buddhismus zu pflegen.“1 Dazu gehören u.a. die Durchführung der buddhistischen Zeremonien, Riten und Festlichkeiten im Laufe des Jahres.
Von anfangs 50 ist der Verein auf über 300 Mitglieder angewachsen. Dazu kommen viele die „dem Buddha nahestehen“, sich also religiös indifferent, aber nicht ablehnend verhalten, an einzelnen Feierlichkeiten teilnehmen, aber keine „Zuflucht genommen“ haben. Die sogenannte Zufluchtnahme zum Buddha, zum Dharma (der Lehre) und zur Sangha (der buddhistischen Gemeinschaft) markiert den Übertritt und die Annahme der Religion im Buddhismus. Sie entspricht in ihrer religiösen Bedeutung etwa der Taufe im Christentum.
Die Gemeinschaft trifft sich jede Woche sowie am 1. und am 15. Vollmondtag im Monat.

Bildungsaufgabe

Die Intensität des religiösen Engagements der vietnamesischen Sachsen ist (ähnlich wie bei den christlichen Sachsen) unterschiedlich verteilt: Zu den großen Festen kommen viele, die praktische Arbeit im Alltag wird aber von vergleichsweise wenigen Engagierten getragen. Dazwischen sind die Übergangsriten im Lebenslauf typische Kontaktpunkte. Das Wissen über die Inhalte der buddhistischen Lehre ist sehr gering und so sieht es der Verein als seine Aufgabe, neben der praktischen Einübung der Riten die Lehrgrundlagen zu vermitteln. Von Zeit zu Zeit kommen Mönche aus Vietnam, um die religiöse Unterweisung zu vertiefen.

Ahnenkult

Als der Buddhismus sich in Asien ausbreitete, hat er in starkem Maß die bestehenden, vorbuddhistischen Religionsformen integriert und buddhistisch umgedeutet. Auf diese Weise entstand eine starke Verschmelzung mit dem traditionellen Ahnenkult, der auch für den vietnamesischen Buddhismus prägend ist. So gibt es in jedem Haus einen Ahnenaltar. In der Trauerkultur spielen die erste bis dritte, der 49. und der 99. Jahrestag des Todes eines Verwandten eine besondere Rolle. Dies verdeutlicht bereits die großen Zeiträume, in denen die Ahnen in der Erinnerung wichtig bleiben.

Friedhof

Im Zusammenhang mit dieser Bedeutung des Ahnenkultes im buddhistischen Gewand ist es zu sehen, dass auf Betreiben des Vereins am 27. September 2015 die erste buddhistische Grabstelle Osteuropas auf dem Heidefriedhof in Dresden eingerichtet wurde. Haben viele vietnamesische Familien ihre Verstorbenen bislang noch nach Vietnam überführt, so kann sich nun die „zweite Heimat“ zur richtigen Heimat entwickeln. Im Zentrum der Grabstätte ist eine Statue des Buddha Shakyamuni als Symbol für die Erleuchtung aufgestellt. Von dort bewegen sich 8 Wege, die den achtfachen Pfad symbolisieren, an die Seiten und die vier Ecken der Grabstätte. Dort befinden sich Statuen von vier Bodhisattvas, welche die Barmherzigkeit (Avalokiteshvara), die Weisheit (Manjushi), die Handlung (Samantabhadra) und die Opferung (Kshitigarbha) verkörpern sollen. Die Einrichtung der Grabstätte „Ort der Rückkehr“ geschah zwar auf Inititative des vietnamesischen Vereines, sie wurde aber so vorgenommen, dass alle buddhistischen Richtungen sich darin wiederfinden können.

Schulrichtungen

Der Buddhismus hat in seiner geschichtlichen Entwicklung drei Hauptrichtungen ausgeprägt: Theravada („Weg der Alten“), der klassische Mönchsbuddhismus als strenger Weg der Selbsterlösung (auch „kleines Fahrzeug“ genannt), Mahayana („großes Fahrzeug“) als hauptsächlich verbreiteter Volksbuddhismus mit Bodhisattvas als Erlösungshelfern und Vajrayana („diamantenes Fahrzeug“) als besondere Form des tibetischen Buddhismus in Verschmelzung mit der vorbuddhistischen schamanistischen Bön-Religion. Formal gehört der vietnamesische Buddhismus zum Mahayana. Unsere Gesprächspartner lassen durchblicken, dass sie einer zu dinglichen Volksfrömmigkeit und noch mehr dem Mystizismus des Vajrayana eher distanziert gegenüberstehen. Deshalb sind die Kontakte zu anderen buddhistischen Gruppen in Dresden an der Oberfläche zwar freundlich, aber nicht besonders tiefschürfend. Die Leitung des vietnamesischen Vereins will mehr das Gewicht auf die ursprüngliche Lehre des historischen Buddha legen. Sie wollen keinen Aberglauben fördern, sondern die Lehre Buddhas im täglichen Leben anwenden. Dem Mahayana fühlen sie sich insofern verbunden, dass sie nicht nur das eigene innere Heil in den Blick nehmen, sondern gemeinsam an dem großen Wagen ziehen wollen, um auch andere auf dem Weg mitzunehmen. Bodhisattvas sind darum wichtige und allgegenwärtige Symbolisierungen dieser unterstützenden Kräfte im Mahayana-Buddhismus.
Übrigens: Die hierzulande in Baumärkten und auf Bücherregalen anzutreffenden dicken Buddhas sind eigentlich nur in China und Ostasien üblich. Die Leibesfülle erklärt sich daraus, dass der Buddha eine in sich ruhende Zufriedenheit ausdrücken soll. In einer mehrheitlich hungernden Gesellschaft ist das offenbar mit überreichlichem Essen leichter vorstellbar. Buddhafiguren in Vietnam und Kambodscha sind üblicherweise schlank.

Ost und West, Nord und Süd

Die vietnamesische Gemeinschaft in Deutschland ist tief gespalten und die Wunden des Vietnamkrieges (1964-1975) wirken bis heute nach. In Ostdeutschland leben überwiegend die Nachfahren der früheren kommunistischen Delegierten aus Nordvietnam. Die im Westen Deutschlands heimisch gewordenen Vietnamesen sind hingegen vielfach aus Südvietnam gekommen und unter großen Opfern vor der kommunistischen Herrschaft geflohen. Einer Versöhnung steht im Weg, dass in Vietnam die kommunistische Regierung nach wie vor im Einparteiensystem herrscht und sich um Kon­trolle des religiösen Bereiches auch in Deutschland bemüht. Die Spaltung betrifft daher die Buddhisten in der Weise, dass z.B. die Dresdner Gemeinde keine engeren Verbindungen zu der Leipziger Pagode. Diese ist nämlich von westdeutsch/südvietnamesisch geprägten Personen initiiert worden und eine Tochtergründung der Pagode in Hannover. Darum werden mangels regionaler nordvietnamesischer religiöser Autoritäten zu den Zeremonien der Jahresfeste in Dresden auch jedes Mal die Mönche direkt aus Vietnam eingeflogen. Versuche zur Überwindung der Trennung hat es gegeben, sie waren aber bisher nicht von Erfolg gekrönt.

Die dritte Sangha

Eine dritte Sangha vietnamesischer Buddhisten, die weder von den nord- noch von den südvietnamesischen Autoritäten direkt abhängig ist, entsteht in Deutschland seit 2007 im Umfeld des Mönches Thich Nath Hanh. Das von ihm gegründete Zentrum in Waldbröl (Nordrhein-Westfalen) gewinnt eine erhebliche Ausstrahlung und seine Bücher verkaufen sich als Bestseller. Auch in Dresden spricht man mit zustimmender Anerkennung von ihm als spirituellem Lehrer und es werden bewegende spirituelle Erfahrungen aus Waldbröl berichtet. Ob diese Einflüsse die Kraft haben werden, das politische Zerwürfnis innerhalb der vietnamesisch-buddhistischen Gemeinschaft zu überbrücken? Es wird sehr an den individuellen Biografien hängen.
Der Dresdner Verein sucht jedenfalls Kontakt zur Öffentlichkeit und beteiligt sich aktiv an interreligiösen Aktivitäten wie z.B. einem interreligiösen Kulturfestival am 13. September 2015 in Dresden. Die buddhistische Szene in Sachsen ist durch ihn wieder ein Stück breiter und lebendiger geworden.

 

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2015 ab Seite 16