Friede in einer gefährdeten Welt
„Wer nicht in Prävention investiert, verliert jedes Recht und jede Legitimation zu militärischen Einsätzen – und sei es im Sinne polizeilicher Maßnahmen.“ erklärte der Friedensbeauftragte der EKD und Schriftführer der Bremischen Kirche, Renke Brahms, im Rahmen einer Bibelarbeit zu Richter 7 auf der Generalversammlung des Evangelischen Bundes, die vom 27.-29. 10. 2016 in Berlin stattfand und in Kooperation mit der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr stattfand.
Das Militär in Deutschland strebt nach einer Aufstockung seiner Mittel und Möglichkeiten. Die Rede ist von angestrebten 2% des Bruttoinlandsproduktes (BiP) für den Militärhaushalt. Das käme fast einer Verdopplung im Vergleich zu bisher gleich. Dabei schaffen wir es nicht einmal, 0,7% des BiP für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden und die dafür vorgesehenen Mittel schrumpfen im kommenden Jahr. Diese Entwicklung steht nicht nur im Widerspruch zu dem biblischen Vorbild einer unglaublichen Abrüstung im Richterbuch (das Heer wird von 32 000 auf 300 Mann reduziert), sondern auch im Widerspruch zur EKD-Denkschrift1, die den Vorrang von zivilen, nichtmilitärischen Konfliktlösungen betont. Prävention und Früherkennung von Krisen sind aber wichtig und frühzeitige Reaktionen und stetiges Bemühen um vertrauensbildende Maßnahmen sind unerlässlich, um Konflikte einzudämmen.
„Du sollst nicht töten“
Konflikte entstehen durch Ungerechtigkeit und Angst und werden durch gezieltes Schüren von Ängsten befeuert. Christen sollten demgegenüber Anstifter zur Versöhnung sein, wie Dr. Dirck Ackermann vom Amt der Seelsorge in der Bundeswehr in seiner Erläuterung des Tötungsverbotes im 5. Gebot darlegte. Das hebräische „Lo tirzach“ (Du sollst nicht töten) umschließt alle Verhaltensweisen, die direkt oder indirekt den Tod anderer Menschen zu verantworten haben. Das betrifft nicht nur denjenigen, der die Waffe führt, sondern z.B. auch König Ahab als politisch Verantwortlichen für Nabots Tod (1 Kön 21). Die 10 Gebote richten sich an jeden und niemand kann sagen, das ginge ihn nichts an. Für die Situation in Syrien und Mali sind nicht nur Politiker verantwortlich, sondern auch globale Verhältnisse und unsere Lebensumstände. Militär kann keinen Frieden schaffen. Das Militär kann maximal Raum schaffen, damit andere friedensschaffende und friedenserhaltende Mittel greifen können. Gerechtigkeit, Vergebung und Wahrheit sind unerlässlich, wo Versöhnung geschehen soll.
Friedenstheologie
In diesem Sinn berichtete Dr. James Jacob Feher vom Deutschen Mennonitischen Friedenskommitee in Heidelberg von dem christlichen Leitbild des „Gerechten Friedens“ und dem Konzept des „Just Policing“ im Umgang mit Konflikten. 1948 erklärte der Ökumenische Rat der Kirchen bei seiner Gründung - noch unter dem Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkrieges - programmatisch: „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein.“ Dies ist ein Paradigmenwechsel weg von der Idee des „gerechten Krieges“. Die von Jesus gebotene Feindesliebe ist kein Schönwetterprogramm, sondern gilt für den äußersten Fall. Der Mythos von der erlösenden Gewalt ist stark aber falsch. Hollywood suggeriert uns immer wieder, dass die Bösen nur durch ihre eignen Mittel besiegt werden könnten und dass Gewalt in den Händen der Guten auch etwas Gutes sei. Darum wird Gewalt oft nicht als das letzte, sondern gleich als das erste Mittel eingesetzt. Dagegen zeigt die Lebenserfahrung: Gewalt ist immer schädlich.
Friedenstheologie ist keine lammfromme Träumerei, sondern kontinuierliche Arbeit in Friedensbildungsinitiativen, internationaler Konfliktbearbeitung und aktivem Widerstand - aber ohne Waffen. Das Gegenteil von Krieg ist nicht Frieden, sondern Friedensdienst.
Das Konzept des „Just Policing“ enthält ein englisches Sprachspiel aus der doppeldeutigkeit von „just“, was sowohl im Sinne von „gerecht“ als auch im Sinne von „nur“ gelesen werden kann. Just Policing meint ein Handeln in Konflikten, das „nur“ auf Polizeikräfte und keine Militärinterventionen setzt, um lokale Gerechtigkeit herstellen zu helfen und damit Versöhnung und Frieden in Konfliktherden stiftet. In Verbindung mit ausgebildeten zivilen Kräften (Peacekeepers) und Trainings zu Deeskalation und unbewaffneter Konfrontation sollen insbesondere lokale Kräfte und Autoritäten eingebunden werden. Es gibt viele Beispiele dafür, in denen die Zusammenarbeit von ausländischen Friedenskräften mit der lokalen Bevölkerung zu verstärkter Stabilität in der Region geführt hat.
Deutsche Sicherheitspolitik
Von all diesen Überlegungen und Impulsen zu ziviler Konfliktlösung blieb in der Darstellung der aktuellen Grundlinien deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch Ministerialdirigent Dr. Rüdiger Huth vom Verteidigungsministerium nicht viel übrig. Er stellte anhand des aktuellen „Weißbuches“ von 2016 die Linie der Bundesregierung vor. Dabei ist eine auffällige Inkongruenz festzustellen. Im analytischen Teil seiner Ausführung wie auch dem diesen zugrundeliegenden Weißbuch ist sehr stark davon die Rede, dass Sicherheit in der Gegenwart ein komplexes Phänomen darstellt und darum auch nur mit einem interdisziplinären vernetzten Ansatz zu verbessern ist. Die Bedrohungslagen gehen heute nicht in erster Linie von feindlichen Staaten(bünden) aus, sondern von diffusen Phänomenen wie dem internationalen Terrorismus und Angriffen aus dem „Cyberraum“. Die Zusammenhänge von ungerechter Verteilung knapper Ressourcen (Fischgründe, Wasser) und wachsenden Verteilungskonflikten sowie davon ausgelösten Migrationsbewegungen werden durchaus gesehen. Allerdings ist die Lösungsseite dann höchst einseitig auf das Militär und die Ausstattung der Bundeswehr fokussiert. In der Ausführung, wenn es um die Finanzierungsfragen geht, ist von der viel beschriebenen Interdisziplinarität nichts mehr zu spüren. Zivile Konfliktlösungen? Soziale Kräfte? Konfliktvermeidung durch Entwicklungszusammenarbeit? Alles kein Thema bei einer Sicherheitspolitik, die im Verteidigungsministerium konzipiert wird. Da geht es nur noch um die Aus- und Aufrüstung der Truppe.
Im Kontext eines anderen Workshops berichteten Vertreter von Brot für die Welt, dass die EU-Kommission sogar Mittel der zivilen Konfliktbearbeitung für Militärfinanzierung zweckentfremdet verwenden möchte.2
Christ und Soldat?
Mit Luthers Militärtheologie in Form seiner Antwort auf die Frage, ob „Kriegsleute“ im „seligen Stand“ sein können, befasste sich Prof. Dorothea Wendebourg in ihrem Referat. Ritter Asser von Kram war der Führer der sächsischen Reiterei in der Schlacht bei Frankenhausen, die entscheidend für die Niederschlagung des Aufstandes im Bauernkrieg war. Nun plagten den Ritter Gewissensbisse und grundsätzliche theologische Fragen. Kann man zugleich ernsthafter Christ und zugleich Soldat sein?
Im Gegensatz zur Theologie vergangener Jahrhunderte bejaht Luther diese Frage vor dem Hintergrund der aus diesem Anlass entfalteten Zwei-Regimenten-Lehre. Solange nicht alle als Christen nach dem Willen Gottes leben, gibt es in der Welt Streit und Gewalt, der durch äußere Ordnung Einhalt geboten werden muss. Daher ist auch die Existenz von Gewalt ausübenden Institutionen wie Polizei und Militär Ausdruck von Gottes Liebestätigkeit. Die früheren zwei Ethiken für „normale“ und „besondere“ Christen (Mönche) ersetzt Luther durch zwei Ethiken innerhalb eines jeden Christenmenschen: Soweit es um den eigenen Vorteil geht gilt die pazifistische Ethik der Bergpredigt. Soweit es um die Verantwortung für andere geht, erfordern es die Zustände der Welt, ggf. auch mit Gewalt für Recht und Ordnung zu sorgen und im Extremfall auch Krieg zu führen.
Allerdings formuliert Luther auch deutliche Kriterien. Ausschließlich Verteidigungskriege sind nach Luther zulässig, und nur wenn alle gewaltfreien Alternativen fehlgeschlagen sind. Niemals legitim seien Aufstände geg en eine Herrschaft. Obrigkeiten wiederum dürften nicht zum Aufstand Anlass geben. Wenn ein Untertan erkennt, dass seine Obrigkeit einen ungerechten Krieg führen will, so ist er durch den Glauben zur Befehlsverweigerung verpflichtet. Das hat Luther auch im konkreten Fall in der sog. „Wurzener Fehde“ 1542 angewendet und die Soldaten zum Desertieren aufgefordert.
Die EKD-Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben“ hat Luthers Modell zur Rede vom „Gerechten Frieden“ weiterentwickelt. Sie ist die Leitlinie für das Friedenshandeln der Evangelischen Kirche.