Wege zum Frieden?
Der russische Krieg gegen die Ukraine führt in Deutschland auch in den Kirchgemeinden zu kontroversen Diskussionen. Einigkeit besteht in der Regel darüber, dass der Krieg furchtbar ist und großes Leid verursacht. Darum sollte er so schnell wie möglich beendet werden. Aber wie das geschehen kann, darüber besteht große Ratlosigkeit.
Das Dilemma
Eigentlich könnte es ganz einfach sein: Der Krieg ist sofort zu Ende, wenn Russland seine Truppen aus dem Gebiet der Ukraine zurückzieht. Danach sieht es aber momentan nicht aus. Damit sind eine Reihe von Fragen zu klären:
1. Hat die Ukraine ein Recht, sich zu verteidigen? Ganz klar ja. Das ist völkerrechtlich wie moralisch überhaupt keine offene Frage.
2. Gibt es ein Recht – oder sogar eine Pflicht – unschuldig angegriffenen Menschen beizustehen und ihnen Hilfe und Unterstützung zuteilwerden zu lassen? Das wird wohl auch kaum ein Mensch, der zur Empathie fähig ist, verneinen wollen.
3. Gilt diese moralische Pflicht zur Unterstützung nur „zum Verbinden der Wunden“, oder fordert sie auch, „dem Rad in die Speichen zu fallen“ (wie es Dietrich Bohoeffer ausgedrückt hatte) und dem Angreifer wirksam Einhalt zu gebieten – um damit weiteres Leid und Zerstörung zu verhindern?
Hier wird es schwierig und wir stecken mitten in dem Dilemma. Das muss als solches klar benannt werden. Es gibt hier keine Lösung, bei der wir ohne Schuld herauskommen.
a) Wir könnten sagen, dass wir nur die sozialen und humanitären Folgen abmildern, geflüchtete Menschen aufnehmen, Geld und Lebensmittel spenden, aber keinesfalls Waffen liefern sollten. Damit vermeiden wir, möglicherweise selbst Kriegspartei zu werden und beteiligen uns nicht selbst an dem Töten. Diese Meinung gibt es. Stimmt sie? An jedem Übel sind nicht nur diejenigen Schuld, die es begehen, sondern auch diejenigen, die es nicht verhindern. In jedem Fall müssen wir uns dann den Vorwurf gefallen lassen, dass wir Menschen, die einfach nur in Freiheit leben wollen, einer Diktatur ausliefern. Ferner bedeutet dies, das Unrecht gewähren zu lassen, das Verbrechen mit Erfolg zu belohnen und damit auch zur weiteren Nachahmung anzuregen.
b) Wenn wir aber Waffen liefern, damit die Ukraine sich wirksam verteidigen kann, dann leisten auch wir einen Beitrag zur Fortsetzung des Krieges. Dann geht es weiter mit Granaten und Raketen, mit Tod und Zerstörung – und keiner von uns kann sagen, wann das wirklich zu Ende sein wird. Militärstrategen sprechen von einem „Ermüdungskrieg“. Ein furchtbares Wort angesichts der tausenden von Toten, die nach der „Ermüdung“ sich nicht wieder erholen. Der geht so lange, wie auf beiden Seiten Kämpfer und Material vorhanden sind.
Es fällt schwer, eine der beiden Positionen vollkommen zu verurteilen, denn beide haben sie ihre berechtigten Punkte, aber beide haben sie auch ihre furchtbaren Problematiken. Das Dilemma bleibt. Darum sollten wir gnädig miteinander umgehen, falls wir an dieser Stelle zu verschiedenen Positionen neigen, denn niemand hat die ganze Wahrheit auf seiner Seite.
Bröckelndes Großreich ohne NATO
Keine Frage aber ist, dass der russische Angriff auf die Ukraine ein eklatanter Bruch des Völkerrechts ist. Dieser Angriff ist für so viele Menschen mörderisch. Das zu verharmlosen und mit angeblichen russischen Sicherheitsinteressen gegenüber der Nato zu rechtfertigen ist sachlich wie moralisch vollkommen daneben und lediglich ein Wiederkäuen russischer Propaganda. Das ist keine legitime Position in einer Debatte, die Menschenrechte und das Völkerrecht als Grundlage hat. Natürlich gibt es berechtigte russische Sicherheitsinteressen. Aber dieser Krieg dient ihnen nicht. Er kommt aus einer imperialen Ideologie. Wenn etwas den Beitritt osteuropäischer Länder zur Nato beschleunigt, dann ist das dieser Angriff.
Im Hintergrund dieses Angriffes steht nicht primär die Abwehr der NATO, sondern ganz eigene geostrategische Interessen. Die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (FEST) hat in bislang zwei sehr empfehlenswerten Publikationen politische und religiöse Hintergründe beleuchtet, die deutlich komplexer sind als einfach den Gegensatz Russland – USA zu fokussieren.1 Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion endete die bipolare Weltordnung der wirtschaftlichen Systemkonkurrenz. Ein neues Ringen um Einflusssphären ist entstanden. Putin will Russland als Großmacht im globalen Maßstab platzieren. „Zum Sortiment der seitens der Großmacht verwendeten Politikformen gehören insbesondere die Unterstützung ‚freundlicher‘ Staaten in der Auseinandersetzung mit ‚abtrünnigen‘ Staaten; die Stabilisierung ‚freundlicher‘ Regierungen etwa gegen oppositionelle Bestrebungen; verschiedene Formen des versuchten Regime Change; oder die Förderung von Autonomie- oder Sezessionsbestrebungen in Regionen, die als Siedlungsgebiet ‚zugehöriger‘ ethnischer Minderheiten gelten.“2 Seit 1989 sind eine ganze Reihe Konflikte in Osteuropa entstanden, die strukturell dem Ukraine-Konflikt ähneln und z.T. andauern. In Estland und Lettland gibt es Konflikte um die Autonomie der jeweiligen russischsprachigen Minderheiten. In Georgien erklärten die an Russland grenzenden Gebiete Abchasien (1990) und Südossetien (1992) ihre Unabhängigkeit von Georgien – tendenziell um sich Russland anzuschließen – und Russland hat dies militärisch unterstützt. Eine analoge Konstellation gibt es in Transnistrien, das sich - mit Unterstützung russischer „Friedenstruppen“ von der Republik Moldau lösen will. Die von Russland militärisch forcierten Sezessionsbestrebungen der Krim sowie der selbsternannten Volksrepubliken im Donbas seit 2014 haben also etliche Parallelen. Es mischen sich hier verschiedene Elemente:
- Konflikte innerhalb dieser Staaten um die Frage, ob sie sich künftig politisch, ökonomisch und militärisch mehr nach Osten oder Westen orientieren sollten.
- Machtinteressen Russlands einschließlich des Wunsches nach verlässlich prorussisch orientierten Regierungen in den umgebenden postsowjetischen Ländern. Von denen wurden aber etliche in prodemokratischen Revolutionen gestürzt; 2000 „Bulldozer-Revolution“ in Serbien gegen Slobodan Milošević, 2003 „Rosenrevolution“ in Georgien gegen Eduard Schewardnadse, 2004 „Orangene Revolution“, 2004 in der Ukraine gegen Janukowitsch, 2005 „Tulpenrevolution“ in Kirgisien gegen Askar Akajew, 2022: Proteste in Kasachstan – mit russischem Militär eingedämmt.
- Die Frage nach Autokratie oder Demokratie in diesen Ländern und in Russland. In dem Maß, wie die Ukraine demonstriert, dass eine Lösung von Russland mit stärkerer Westorientierung möglich ist und dazu die Bekämpfung von Korruption und mehr Demokratie das Leben der Menschen effektiv verbessert, ist dies für die russischen Pläne eine Bedrohung. Es könnte auch für all die anderen Länder Vorbildcharakter entwickeln.
Natürlich gibt es im Hintergrund auch eine Grundspannung zwischen Russland und den USA bzw. der NATO. Aber um die geht es hier nicht. „Zugespitzt formuliert würde sich die Frage, inwieweit Russland den osteuropäischen Staaten das Recht zugesteht, über ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu entscheiden, wahrscheinlich auch dann stellen, wenn es keine EU und keine NATO gäbe. Nur hätten diese dann gar keine Wahl.“3
Der Traum von der „Russischen Welt“ (Русский мир)
Nun ist die Aussage „Wir wollen aus machtpolitischen Gründen unsere Nachbarstaaten in Abhängigkeit halten und an eigenen Entscheidungen hindern“ wenig geeignet, breite Sympathien in der Bevölkerung zu erringen. Deshalb wird ein anderes Bild entworfen, das diese Handlungen als notwendige Konsequenzen für ein erstrebenswertes höheres Ziel einordnet: Die Vorstellung einer „Russischen Welt“, in der der „Russische Frieden“ wirkt.4 Das Wortspiel hängt daran, dass мир im Russischen sowohl „Welt“ als auch „Frieden“ bedeutet. Assoziationen an die Pax romana schwingen vielleicht auch mit: die Befriedung der Völker unter einer starken Zentralherrschaft.
Diese „Russische Welt“ prägt die Vorstellung eines Kulturraumes, der weit über die Grenzen des heutigen Russland hinaus reicht und über die Sprache ein gemeinsames Fühlen und Denken und ein gemeinsames Gefüge an positiven Werten postuliert. Diese „geistig-moralischen“ Werte werden in etlichen Punkten als dem Westen entgegengesetzt akzentuiert. Vor allem mit Verweis auf die wachsende Akzeptanz von Homosexualität und der Auflösung starrer Geschlechterklischees im Westen werden Ressentiments geweckt und dies mit Akzeptanz für autoritäre Gesellschaftsentwürfe verknüpft. Der angeblichen Dekadenz des Westens in der Globalisierung wird die russische Seele gegenübergestellt, die bereit sei, unter großen Opfern für die Heimat und die traditionelle Ordnung der Werte einzustehen. Die russisch-orthodoxe Kirche spielt in dieser ideologischen Auseinandersetzung eine eigene unrühmliche Rolle. Zu dieser imaginierten „Russischen Welt“ gehören selbstverständlich auch die baltischen Länder sowie die Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion. Entsprechend ist deutlich, dass im Falle eines militärischen Erfolges von Russland in der Ukraine auch deren Sicherheitslage sich nicht gerade verbessern würde.
Friedensethik in der Defensive
Seit dem Beginn der neuen russischen Offensive im Februar 2022 (der Krieg an sich begann bereits vorher mit der Annexion der Krim) waren immer wieder Stimmen zu hören, die christliche Friedensethik mit ihrem Pazifismus sei jetzt obsolet geworden. Dem ist mit Nachdruck zu widersprechen. Das Gegenteil ist wahr. Es zeigt sich, wie weitsichtig und tragfähig u.a. die Aussagen in der EKD-Friedensdenkschrift von 2007 „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ bis heute sind, obwohl eine solche Situation damals nicht am Horizont stand.
Die EKD-Friedensdenkschrift hat die traditionellen auf Augustinus zurückgehenden Regeln zum „Gerechten Krieg“ zum Konzept eines „Gerechten Friedens“ weitergebildet. Frieden ist nicht einfach die Abwesenheit von Gewalt, sondern ein Zusammenleben in Gerechtigkeit. Es ist eben nicht so, dass nur die Extreme zur Auswahl stünden: Entweder wirklichkeitsfremder idealisierter radikaler Pazifismus auf der einen oder ungebremster Militarismus mit dem Recht des Stärkeren auf der anderen Seite. Gemäß der Friedensdenkschrift beruht Frieden auf drei Säulen:
- Zivile Konfliktlösungen haben unbedingten Vorrang vor militärischen Interventionen.
- Das Prinzip vom „Gerechten Frieden“ sieht Gerechtigkeit als Voraussetzung einer stabilen Friedensordnung.
- Gewalt ist ausschließlich als rechtserhaltende Gewalt zulässig. Dabei ist diese Gewalt nicht notwendig militärisch – sogar nur im Ausnahmefall. Aber diesen Ausnahmefall kann es geben.
Das bedeutet: Die christliche Friedensethik predigt keinen naiven völligen Gewaltverzicht. Aber sie bindet die Gewalt streng an die Funktion, die Herrschaft des Rechts sicherzustellen und zu ermöglichen. Dabei kommt einer kooperativ verfassten internationalen Zusammenarbeit auf Weltebene – namentlich den Vereinten Nationen – eine zentrale Rolle zu.
Nun ist seit 2007 auch in der evangelischen Friedensethik einiges passiert. Die Gedanken wurden weiter bewegt und vertieft. Im wissenschaftlichen Fachverlag Springer gibt es eine ganze Buchreihe zum Thema „Gerechter Frieden“5 mit inzwischen 27 Bänden zu vielen Grundsatz- und Detailfragen dieser Debatten. Niemand von denen, die von dem Ende der christlichen Friedensethik faseln, hat das wirklich gelesen.
Rüstungsspirale
Vor diesem Hintergrund ist es erschreckend, wie infolge des Angriffskrieges nun plötzlich rein militaristische Logiken fröhliche Urstände feiern und man an vielen Orten den Eindruck hat, als hätte es all diese klugen und zukunftsweisenden Überlegungen nie gegeben. Scheinbar gilt plötzlich nur noch das Recht des Stärkeren. Aus dem Stand heraus wird der Bundeswehr ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro zugeschoben, ohne dass es eine öffentliche Debatte darüber gäbe, 1. wo das Geld herkommt (d.h. weggenommen wird) und 2. was damit gekauft werden soll und 3. wie dies dem Frieden dienen soll. Sicherheit entsteht durch Reduktion von Bedrohung, nicht durch Ausbau militärischer Kapazitäten. Von der alten und sehr sinnvollen Forderung, die Ausgaben für zivile Konfliktlösung und Friedensinfrastruktur in gleicher Höhe wie die Rüstungsausgaben zu halten, ist fast nichts mehr zu hören. Rüstungskonzerne gehören zu den großen Gewinnern der Situation.
Wie Desinformation wirkt
Das Unbehagen an dieser neuen Rüstungsspirale und den fortgesetzten Grausamkeiten des Krieges ist insbesondere in der friedensbewegten Szene stark – zu Recht. Darum verfängt eine Petition, die Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer gestartet haben mit dem Appell an den Bundeskanzler, Waffenlieferungen zu stoppen auch bei eigentlich klügeren Menschen. Beispielhaft für viele ähnliche Argumentationen lohnt darauf ein genauerer Blick. In seiner Analyse bezeichnet Dirk Specht den Text als „inhaltlich wertlos“, weil er sachlich nur völlig unstrittige Inhalte präsentiert, zu den wirklich interessanten Fragen aber keinerlei konkrete Ansätze oder Begründungen präsentiert. Die dahinter erkennbare Agenda macht ihn aber zutiefst „verwerflich“.6
Die Struktur dieser und ähnlicher Argumentationen folgt meist dem Muster: 1. Krieg ist furchtbar und wir sind für Frieden. (Da wird jede/r zustimmen.) 2. Die Ukraine führt diesen Krieg. (Die russische Aggression wird nicht entsprechend thematisiert.) 3. Wir helfen durch die Waffenlieferungen mit. 4. Gegen die Atommacht Russland könne die Ukraine gar nicht gewinnen, also soll sie doch lieber heute als morgen aufhören zu kämpfen, dann wäre der Krieg vorbei. Damit das so kommt, sollten wir keine Waffen liefern.
Das ist die Aussage der Petition und nicht wenige Debatten folgen diesem Muster. Dies liegt inhaltlich vollkommen auf der Linie Putins. Es wäre aber auch der „Worst Case“ für das Völkerrecht. Dass durchaus auch eine Atommacht zum Rückzug bewegt werden kann, haben u.a. die Kriege in Vietnam und Afghanistan bewiesen.
Frieden?
Frieden entsteht nicht einfach dadurch, dass man aufhört zu kämpfen. Wenn Russland jetzt die Kampfhandlungen einstellt, wäre dieser Krieg vorbei. Wenn die Ukraine jetzt aufhört, wäre die Ukraine vorbei. Vor der Offensive vom Februar 2022 hatte Russland rund 4% des ukrainischen Territoriums besetzt und dies genutzt, um die Invasion vorzubereiten. Jetzt sind es um die 20%. Es gibt erschütternde Zeugnisse darüber, was mit den Menschen in den besetzten Gebieten passiert. Marina Weisband, eine deutsche Jüdin mit ukrainischen Wurzeln, schilderte das Vorgehen in einem Podcast folgendermaßen:
„In den besetzten Orten werden alle Intellektuellen zusammengetrieben, alle politischen Führungsfiguren, alle Journalist:innen, die Familien von Soldaten, die kommen alle in sogenannte „Filtrationszentren“. Was sind Filtrationszentren? Man muss sich nackt ausziehen, man wird überprüft auf Tattoos, das eigene Handy wird durchsucht, es wird nach Verbindungen geguckt: Bist du verdächtig, bist du nicht verdächtig, uns Probleme machen zu können? Wenn du nicht verdächtig bist, verbringst du an diesem menschenunwürdigen Ort nur um die drei Tage. Wenn du verdächtig bist, kommst du in irgendeine Folterzelle. Auf diesem Territorium findet Folter statt, finden Vergewaltigungen statt, und zwar massenhaft. Wir haben in Butscha an den Massengräbern gesehen, was dort passiert. Ich will nicht darauf warten, was wir in Mariupol sehen werden – aber es wird schrecklich sein. Das ist die Realität für die Menschen da. Kinder werden entführt - sehr systematisch. Das ist ein Anzeichen für Völkermord.“ 7
(K)ein Ende in Sicht
Wie kann dieser Krieg beendet werden? In Band 5 der Reihe FEST kompakt „Wege aus dem Krieg in der Ukraine. Szenarien – Chancen – Risiken“ haben die Wissenschaftlerinnen der Evangelischen Studiengemeinschaft sechs Szenarien durchgesprochen. Davon sind nur zwei einigermaßen wahrscheinlich und keins von diesen befriedigend. Es ist immer viel leichter, einen Krieg zu beginnen, als ihn zu beenden. Realistisch sind darum auch keine Kategorien von „Sieg“ oder „Niederlage“, sondern wie auch immer geartete Kompromisse. Nicht alle bedeuten „Frieden“. Über den unmittelbaren Konflikt hinaus sind aber auch die großen Linien zu bedenken. Dazu gehört die Geltung des Völkerrechts in Form der UN-Charta. „Gelingt es nicht, die tragenden Prämissen der Friedensordnung, wie sie im Gefolge der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mit der UN-Charta etabliert wurde, gegenüber den fundamentalen Anfeindungen zu behaupten, die mit dem russischen Vorgehen in der Ukraine offensichtlich geworden sind, so wird diese Ordnung weiter erodieren. Es wird etwas Neues an deren Stelle treten – ein Ordnungssystem, das Vorstellungen auch christlicher Friedensethik zutiefst widerspricht.“8
Wie es weitergehen wird, kann niemand konkret vorhersagen. Dazu sind die Situationen zu komplex und auch von etlichen Faktoren außerhalb der Ukraine abhängig – u. a. der Rolle von China.
Was kann getan werden?
Gegen das Gefühl der Ohnmacht scheinen vier Dinge wichtig:
- Bleiben Sie solidarisch für die Menschen in der Ukraine und für die Geflüchteten und helfen Sie, wo es möglich ist.
- Langfristig profitieren alle von einer stabilen Friedensordnung auf der Basis des Völkerrechtes. Sie können diese Regeln nicht selbst durchsetzen. Aber sie können für ihre Akzeptanz eintreten gegenüber den vielen subtilen Versuchen, ihre Geltung einzuschränken.
- Beten Sie auch für die Menschen in Russland, die ebenso unter dem Krieg leiden. Frieden kann nur wachsen, wo Feindbilder weichen.
- Ideologische Hauptursache dieses Krieges ist der Nationalismus. Das Denken, bestimmte Gebiete „gehörten“ zu einer bestimmten Herrschaft, ist der Anfang vom Übel. Dagegen argumentativ anzugehen lohnt immer und überall.
Die biblische Aussicht, dass die Menschen ihre „Schwerter zu Pflugscharen“ schmieden und „hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ (Micha 4,3) steht im Kontext einer Verheißung des endzeitlichen Heils. Darauf zu hoffen bleibt immer erlaubt.
Harald Lamprecht
1 Ines-Jacqueline Werkner, Madlen Krüger und Lotta Mayer (Hrsg.): Krieg in der Ukraine. Hintergründe – Positionen – Reaktionen, FEST kompakt, Bd. 4, Heidelberg 2022; Ines-Jacqueline Werkner, Lotta Mayer und Madlen Krüger (Hrsg.): Wege aus dem Krieg in der Ukraine. Szenarien – Chancen – Risiken, FEST kompakt, Bd. 5, Heidelberg 2022, beide sind als OpenAccess frei verfügbar: https://books.ub.uni-heidelberg.de/heibooks;
2 Lotta Meyer: Nicht einfach „Kalter Krieg 2.0“, in Werkner, Krüger, Meyer: Krieg in der Ukraine, S. 17.
3 Ebd., S. 19.
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Russki_Mir
5 https://www.springer.com/series/15668
6 https://www.mittellaendische.ch/2023/02/19/pamphlet-struktur-und-die-manipulation-ist-erkannt/ der Text der genannten Petition ist dort als Screenshot zu lesen.
7 Hoaxilla, Sendung vom 24. Februar 2023, ab 36:18
8 Stefan Oeter: Stärke des Rechts oder Recht des Stärkeren? Die völkerrechtlichen Implikationen der Szenarien, in: FEST-Kompakt, Bd. 5, S. 56
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