Naturheilverfahren oder Alternativmedizin?
Naturheilverfahren wirken durch Kräfte, die aus der Natur selbst stammen – Licht, Luft, Wärme, Kälte, Wasser, Erde, Bewegung, Ruhe, Ernährung, Nahrungsenthaltung und Heilpflanzen. Das Ziel dieser Verfahren ist es, durch eine dosierte Ent– und Belastung des Organismus, seine Selbstheilungskraft zu stärken.
- Durch eine Reduktion von Reizen, Abstinenz schädlicher Substanzen oder Verzehr verträglicher Nahrung soll eine Schonung erreicht werden.
- Dadurch, dass der Patient natürlichen Einflussfaktoren ausgesetzt wird, soll eine Reaktion provoziert werden, die den Körper regulieren hilft.
- Mit der Anpassung an diese Naturfaktoren im Sinne einer Abhärtung wird eine Kräftigung des gesamten Organismus angestrebt.
Der Begriff „Naturheilkunde“ wurde von dem Arzt Lorenz Gleich im Jahre 1848 geprägt. Er forderte die Anwendung natürlicher Therapien, vor allem aber jene mit Wasser. Durch medizinische Laien wie den Landwirt Vinzenz P. Prießnitz (1790–1851) oder Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) erhielt diese Therapieform im Laufe der Zeit den heute so typischen Charakter, den man als klassische Naturheilkunde beschreibt.
Prof. Dr. med. Hans–Dieter Hentschel von der Arbeitsgemeinschaft klassischer Naturheilverfahren an der Technischen Universität München, zählt nur sechs Verfahren zu den sog. „klassischen Naturheilverfahren“. Diese Verfahren sind größtenteils wissenschaftlich fundiert und sind seit 1993 Prüfungsgegenstand in der medizinischen Grundausbildung der Ärzteschaft.
• Bewegungstherapie: Erkrankungen werden mittels aktiver und gezielter muskulärer Beanspruchung behandelt: z. B. zur Vermeidung bzw. Behandlung von Funktionseinbußen nach längerer Bettlägerigkeit, nach Operationen oder
im Rahmen von Krankengymnastik.
• Ernährungstherapie: Hier wird erkrankungsvorbeugend (z. B. gegen Herzkrankheiten, Übergewicht) oder krankheitsbegleitend (z. B. bei Diabetes mellitus, Schwangerschaftsgestose) dem Patienten eine optimale Ernährung
empfohlen, die individuell angepaßt ist und Fehlernährungen vorbeugen soll. Die Grenze zu fragwürdigen „Krebs-Diäten“ oder Diäten gegen Multiple Sklerose ist fließend und teilweise für Laien schwer erkennbar.
• Hydrotherapie: Wasserbehandlung im Rahmen der physikalischen Medizin. Sie beruht im wesentlichen auf der Anwendung von Wasser als Wärmeträger (kaltes bzw. warmes Wasser). Man unterscheidet Waschung, Abreibung, Teilbäder, Wickel, Bein–/Sitz– /Halbbäder, Schöpf– und Bürstenbäder, Halbpackungen, Sauna, Duschen, Vollguß, Überwärmungsbad, Dampfbad oder Ganzkörperpackung.
• Phytotherapie: Behandlung von Erkrankungen mit Pflanzen oder Pflanzenteilen, Teemischungen, Kräutermischungen oder aus Pflanzen hergestellten Cremes, Pasten oder Dämpfen.
• Thermotherapie: Therapeutische Anwendung von Wärme (z. B. Kurzwellengerät) zur Anregung des Stoffwechsels, Zunahme der lokalen Durchblutung, Herabsetzung des Muskeltonus oder der Anwendung von Kälte (z. B. Kaltluft) zur Hemmung akuter Entzündungen oder Schmerzlinderung.
Neben den genannten klassischen Verfahren gibt es noch weitere Therapierichtungen, die dem Bereich der Naturheilverfahren zugeordnet werden:
• Massagen: Hierbei werden konventionelle Massagetechniken verwendet, die im Rahmen der physikalischen Therapie zur Entspannung und zur Geschmeidigmachung muskulärer Strukturen dienen.
• Balneologie: Die Lehre von der therapeutischen Anwendung natürlicher, ortsgebundener Heilmittel und ihrer Anwendungsformen (z.B. Höhenluft, Heilwässer, Radon– oder Salzluftinhalation in Bergstollen bzw. Sohlebädern).
• Heliotherapie: Die therapeutische Anwendung natürlicher Sonnen– und Himmelsstrahlung (UVA– bzw. UVB–Strahlung) in Meeres– oder Hochgebirgsklima zur Behandlung von Vitamin–D–Mangel, saisonaler Depression, Haut– und Lungenerkrankungen.
• Klimatherapie: Eine systematische Krankenbehandlung unter Anwendung spezieller klimatischer Bedingungen. Das wesentliche Therapieprinzip ist die funktionelle Anpassung des Patienten an die jeweilige Umgebung – ein Prozess, der im Durchschnitt 4 Wochen benötigt. Wichtige Indikationen sind Herz–Kreislauf–Erkrankungen oder vegetative Funktionsstörungen.
• Ordnungstherapie: Auf Maximilian Oskar Bircher–Benner (gest. 1939) zurückgehendes, eher fragwürdig naturheilkundliches Verfahren. Nach neun vorgegebenen „Ordnungsgesetzen“ soll das Leben des Patienten „geordnet“ werden, wobei der Arzt eine gewisse Erzieherrolle ausübt.
Diese genannten Verfahren zählt man heute zur (klassischen) Naturheilkunde. Andere Verfahren wie Reizstromtherapie, Neuraltherapie, Konstitutionsmedizin, Homöopathie, Akupunktur, chin. Medizin u.v.m. sind keine naturheilkundlichen Verfahren
Was ist Alternativ–/Komplementärmedizin?
Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffes „Alternativmedizin“ gibt es nicht. Man könnte Alternativmedizin pauschal als jene Formen der Medizin bezeichnen, die es seit ihrem Bestehen (z.T. reichen diese Formen bis in die Antike, meist aber in das 15.–19. Jahrhundert zurück) nicht zu einem glaubwürdigen, wiederholbaren Beweis ihrer Wirksamkeit gebracht haben. Solche Therapiesysteme sind meist religiös fundiert und entziehen sich oft bewußt einer Überprüfung.Die Alternativmedizin gewann in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung; dies vor allem vor dem Hintergrund einer zunehmend ökologisch orientierten Gesellschaftströmung. Wo soll man aber die Grenzen zwischen „schulmedizinisch orientierter Naturheilkunde“ und Alternativtherapie ziehen? Die nachfolgenden Listen geben einen ersten Überblick über Verfahren, die in den Bereich der Alternativtherapie/–diagnostik oder in den Bereich Esoterik fallen.
1 THERAPIEVERFAHREN aus dem Bereich Alternativmedizin und Esoterik
• Aromatherapie
• Aura–Heilung und magnetische Massage
• Aurikolotherapie (Ohrakupunktur)
• Autologe Arzneimittel
• Bach–Blüten–Therapie
• Biochemie nach Schüssler
• Bioresonanz
• Chelattherapie
• Colonhydrotherapie
• Cranio–Sacral–Therapie
• Edelsteinmedizin
• Eigenbluttherapie
• Eigenharntherapie
• Enzymtherapie
• Farbtherapie
• Feldenkrais
• Fußreflexzonenmassage
• Grinberg–Methode
• Hildegard–Medizin
• Homotoxikologie
• Kohlendioxid–Behandlung
• Lasertherapie
• Magnetfeldtherapie
• Mikrobiologische Therapie (Symbioselenkung)
• Neuraltherapie nach Huneke
• Nosoden
• Organotherapie
• Orthomolekulare Medizin
• Petechiale
• Saugmassage und Matrix–Regeneration (MRT)
• Reiki
• Rolfing
• Sauerstoffbehandlungen nach M. v. Ardenne
• Sehtraining
• Spagyrik
• Therapeutic Touch (Touch of Healing)
• Transkutane elektrische Nerven–Stimulation (TENS)
2 DIAGNOSEVERFAHREN aus dem Bereich Alternativmedizin und Esoterik
• Angewandte Kinesiologie
• Elektroakupunktur nach Voll (EAV)
• Elektro–Haut–Test
• Elektroneural–Diagnostik nach Croon (ENTH)
• Haarmineralanalyse
• Irisdiagnostik
• Kirlian–Fotografie
• klinische Ökologie
• Pendeln
• Thermoregulationsdiagnostik
Die im folgenden aufgelisteten Therapieverfahren sind inhaltlich sehr verschieden und manche können in Einzelfällen durchaus Wirkungen zeigen. Diese sind aber in ihrer Wirkungsweise nicht mit gegenwärtigen wissenschaftlichen Methoden nachweisbar.
• Wünschelrute
• Radiästhesie
• Geopathie
• Zungendiagnostik und die Diagnostik aus Hand, Fuß oder Ohr.
Lassen Sie sich nicht verunsichern! Aufgrund der Tatsache, dass oftmals alternativmedizinische Therapeuten die zweifellos vorhandenen Behandlungserfolge der klassischen Naturheilkunde dazu nutzen, um ihrem Verfahren das Deckmäntelchen einer quasi „natürlichen Wirksamkeit“ überzustreifen, wird man als Patient schnell verunsichert. Oft fällt dann noch das Wort „Naturheilkunde“ oder „Erfahrungsheilkunde“ und schon verstummt jegliche Kritik, da man als Patient unbewußt davon ausgeht, dass ein naturheilkundliches Verfahren eigentlich harmlos und positiv sein müsse und man die Erfahrung beim Therapeuten ja stets voraussetzt. Lassen Sie sich nicht täuschen! Diese Vermischung der Begriffe ist ein Kennzeichen in der Alternativmedizin. Wie schnell so etwas vor sich geht, wird am Beispiel schnell deutlich. Das Stangerbad, ein Verfahren aus dem schulmedizinischen Bereich der physikalischen Medizin, gehört zu den bewährten ärztlichen naturheilkundlichen Verfahren. Die Bioresonanz oder die Elektroakupunktur nach Voll hingegen gehört keinesfalls dazu. Gerade diese beiden letztgenannten „elektrischen Verfahren“ erwecken aber oft den Eindruck, als würden sie dem Bereich der physikalisch–therapeutischen Elektrotherapie entstammen oder zumindest auf ähnlichen Grundkonzepten begründet sein. So erweckt man den Eindruck, als sei man nur ein weiteres Verfahren aus dem Gebiet der „klassischen ärztlichen Naturheilkunde“. Und man erweckt beim Patienten dann den Eindruck, als habe man es bisher nur noch nicht zur allgemeinen klinischen Anerkennung gebracht, was aber nur noch eine Frage der Zeit sei. Aufgrund der populistischen, sich selbst nicht kritisch hinterfragenden, Sichtweise vieler Alternativmediziner erscheint es notwendig, ihre therapeutischen Vorstellungen im Einzelfall kritisch zu überprüfen. Der tatsächliche therapeutischen Wert einer alternativ-medizinischen Maßnahme kann nur so festgestellt werden. Letztlich entscheidet der Patient über die Therapieform und er alleine ist es, der sowohl das finanzielle als auch das gesundheitliche Risiko alternativmedizinischer Verfahren zu tragen hat.