Coronaverschwörer auf gelbem Grund

Bauanleitung für eine Verschwörungsideologie

Wie streue ich einen Verschwörungsverdacht, ohne dass mir jemand auf die Schliche kommt?

Geheime Absprachen zum Machterwerb („Verschwörungen“) gibt es durchaus. Sie werden von investigativem Journalismus regelmäßig früher oder später enttarnt, indem harte Fakten sauber recherchiert werden. Davon zu unterscheiden sind Verschwörungsideologien, die diffuse Verdächtigungen streuen und damit als universelle Erklärung für eigene empfundene Benachteiligungen fungieren. Wie solche Verschwörungsideologien funktionieren und sich verbreiten ist am besten zu verstehen, wenn man sich den Bauplan dazu anschaut. Hier kommt das Handwerkszeug dazu. 

Was wird benötigt?

 

1) Ein reales Problem

Irgendetwas allgemein bekanntes, wo sich schon viele Leute darüber aufgeregt haben. Je bekannter, desto besser. Je ärgerlicher und schlimmer, desto wirksamer. Sehr praktisch ist ein Zusammenhang mit einer öffentlichen Institution.  Besonders gut geeignet ist ein Mißstand und ein Problem, unter dem möglichst viele Menschen leiden, das Angst macht oder eine Ungerechtigkeit, die Empörung verursacht. Sie brauchen etwas mit Energie. Unfälle, Katastrophen oder Terroranschläge mit vielen unschuldigen Opfern sind ideal. Sie schreien förmlich nach alternativen Erklärungen, weil die vorhandenen nicht zufriedenstellend sind.

Beispiel (absichtlich etwas simpel, wir wollen ja nicht, dass es jemand glaubt): „Warum gibt es so unglaublich viele Katzenvideos im Internet?“

 

2) Eine Sammlung von Details

Sammeln Sie Details zu dem Vorgang. Egal was. Hauptsache viel. Es ist gut, wenn das meiste davon stimmt, aber ganz wichtig ist das nicht. Hauptsache kleinteilig und möglichst kompliziert.

 

3) Ein Verdacht von Tiefe

Der erste Schritt: Ziehen Sie die offizielle Darstellung zu dem Vorgang in Zweifel. Achtung: Machen Sie das nicht zu direkt. Viel effektiver ist, nichts zu behaupten, sondern nur einen Verdacht zu formulieren. Andeutungen sind etwa zehnmal wirksamer als klare Behauptungen. Behauptungen müssen stimmen oder zumindest etwas plausibel sein. Die bloße Vermutung, das da möglicherweise noch andere Ursachen dahinter stehen könnten, als offiziell bekannt, ist hingegen absolut unwiderlegbar. Zudem entspricht sie der allgemeinen Intuition und noch besser: Sie weckt die Neugier des Forschers, der die Wahrheit sucht und den Dingen auf den Grund gehen will. Damit ist der Fisch schon so gut wie an der Angel.

 

4) Fragen stellen und Zusammenhänge herstellen

Im nächsten Schritt kommt Ihre Detailsammlung ins Spiel. Versuchen Sie, Ungereimtheiten zu finden oder unterstellen Sie diese einfach, indem Sie danach fragen. Das Gute an den Fragen ist: Sie müssen nichts beweisen. Es muss weder logisch noch wahrscheinlich sein  – Sie fragen ja nur. Sie können auch sehr gut in den Fragen Behauptungen verstecken. Diese werden weniger entdeckt, wenn Sie diese mit möglichst vielen Details zudecken. Das suggeriert nämlich exaktes Fachwissen und solide Detailkenntnis, da steigen die meisten Kritiker aus, weil sie nicht mitkommen.

Beispiel: „Warum bringen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nur noch Sendungen über Katzen und kaum über Hunde? Könnte das daran liegen, dass Angela Merkel eine Katze hat?“

Keine Angst, niemand wird das so schnell überprüfen. Und wenn doch, macht es nichts, denn die Medien lügen ja immer. Fragen Sie nach Zusammenhängen und Hintergründen.  Verwandeln Sie Korrelationen in Kausalitäten, Zufälliges in Ursachen. Unterstellen Sie das Schlimmste, aber sprechen Sie es nicht aus! Immer nur diffuse Andeutungen machen. Nichts konkretes behaupten.

Auch immer nützlich: Drücken Sie auf die Tränendrüse und prangern Sie Unrecht an! Das aktiviert Emotionen und verschafft Anhänger, auch wenn das gar nichts mit der Sache zu tun hat.

„Könnte es sein, dass da mehr dahinter steckt, als es den Anschein hat? Wo sind die Hunde hin? Wissen Sie, wie die armen Wesen im Tierheim leiden müssen? In welch winzigen Käfigen die manchmal zusammengesperrt werden? Will da jemand verhindern, dass die Menschen ein positives Verhältnis zu Hunden entwickeln? Hat da jemand Angst vor so treuen und stets wachsamen Freunden des Menschen?“

 

5) Feinde identifizieren und zu Schuldigen machen

Für den Nächsten Schritt brauchen Sie etwas Vorwissen über Ihre Zielgruppe. Wer sind deren Hauptgegner? Wem trauen sie alles Schlechte zu? Ist es das internationale Finanzkapital oder die mächtige Pharmalobby? Sind es die kulturfremden Migranten oder die Militärs. Sind es die Neonazis oder die grün versifften Eliten? Geben sie jetzt nicht einfach denen die Schuld. Das wäre zu plump. Besser: Unterstellen Sie - natürlich wieder als Frage - dass diese Gruppe einen Vorteil aus dem beklagten Mißstand zieht. Stellen Sie dann die entscheidende Frage: Wem nützt es? Wichtig: Lassen Sie immer die anderen, die Zuhörer oder Leser die Schlussfolgerungen ziehen. Diese Geduld zahlt sich aus.

Beispiel: „Ist Ihnen auch aufgefallen, dass das Katzenfutter in letzter Zeit immer teurer geworden ist? Wissen Sie, welche Milliardenumsätze mit Katzenfutter gemacht werden? Und an unserer Schule reicht das Geld nicht mal für ein sauberes Klo! Wer hat einen Vorteil von diesem Katzenkult? Cui bono?“

 

6) Der Plan

Jetzt zeigt sich, ob Sie gut gewählt haben. Wenn Sie den Gegnern Ihrer Zielgruppe Bösartigkeiten unterstellen, wird niemand nach Beweisen fragen. Sie bestätigen ja nur erneut, was dort ohnehin jeder meint. Kritikreflexe sind da ziemlich unterdrückt. Sehr beliebt, weil einfach: Unterstellen Sie unklare Finanzströme. Man hat da mal was gehört, dass die Redaktion von XY von der Katzenlobby unterstützt wurde...

Der Knackpunkt einer jeden Verschwörungstheorie besteht in der Aussage: Das ist alles geplant! Erst die Unterstellung planvollen Handelns führt ans Ziel, denn nur dann leistet die Theorie einen Beitrag zur Erklärung der Zustände. Überlegen Sie vorher, ob Merkel, Trump oder Putin zu den Guten oder zu den Bösen gehören sollen. Noch besser: Alle drei sind nur Marionetten der eigentlichen Drahtzieher im Hintergrund. Wer das ist, dürfen Sie keinesfalls zu früh verraten.

Immer gut ist es auch, am Schluss die Hälfte wieder zurück zu nehmen und zu relativieren und dann an die Urteilskraft des Zuhörers/Lesers zu appellieren. Solcherart vorbereitet und eingespurt werden die Resonanzen mit den eigenen Vorurteilen in vielen Fällen ihr Werk vollbringen. 

Beispiel: „Ist das Ganze möglicherweise Bestandteil eines heimlichen großen Umerziehungsprogrammes? Soll uns da etwa der treue deutsche Schäferhund verleidet werden? Sozusagen der Genderwahn auf animalisch. Statt Geradlinigkeit und aufrechter Kampfkraft nur schleichendes Geschnurre! Statt scharfer Zähne, die den Feind packen, nur feige Krallen, die den Freund kratzen und sich gleich wieder verziehen. Sollen wir alle über die seichte Katzenvideoberieselung mental umprogrammiert und unserer Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit beraubt werden, um uns in eine plüschige Kissenwelt zurückziehen statt bei Wind und Wetter auf die Pirsch zu gehen? Ist das nicht auch ein Ausfluss der Dekadenz der Eliten, die in ihren abgehobenen schicken Innenstadt-Loft-Wohnungen den Bezug zur urwüchsigen Natur und zum Volk verloren haben? Diejenigen, die das voranbringen wollen, planen offensichtlich die Zersetzung des Volkes, damit es leichter beherrscht werden kann! Wer das ist? – Denken Sie selbst darüber nach. Vielleicht ist das Ganze ja auch ein Irrtum. Betrachten Sie alles kritisch, und ziehen Sie ihre eigenen Schlüsse!“ 

 

6) Andeutungen statt Fakten

Bleiben Sie stets vage. Sprechen Sie nur in Andeutungen.

Das hat gleich zwei entscheidende Vorteile:

  1. Sie bleiben unangreifbar. Sie haben ja gar nichts gesagt, niemanden konkret beschuldigt, keine nachvollziehbar falschen Aussagen getroffen.
  2. Andeutungen regen die Phantasie der Zuhörer an. Das lockt den eigenen Forschungstrieb heraus. Was man selbst herausgefunden hat, ist viel tiefer als eigene Überzeugung verankert, als nur Gehörtes oder Gelesenes. Das weiß jeder, der mit Bildung zu tun hat.

Wenn Sie Ihre Zielgruppe gut analysiert haben und die angeblichen Schuldigen für die ganze Misere in der Richtung der größten bestehenden Vorurteile platzieren, müssen Sie nur die Idee auf's Gleis setzen und ganz leicht schubsen, dann rollt sie von ganz allein erstaunlich weit.

Deshalb hat sich die Spechtverschwörung nie so richtig durchgesetzt – auch wenn bei ihr sonst alles passt. Sie geht davon aus, dass die Spechte insgeheim überlegene Intelligenz entwickelt haben und nun die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Das hatte Revolutionäre Anti-Kleintierfront (RAKF) am der TU-Dresden schon 2007 herausgefunden. Aber in der urbanen Gesellschaft gibt es nicht genügend Spechthasser, so dass die Erkenntnisse der RAKF weitgehend unbekannt blieben.

Deshalb: Am klügsten ist es, wenn Sie die Frage nach den eigentlichen Drahtziehen in der Schwebe lassen. Es ist auch nicht wichtig, ob es nun die Illuminaten oder die Pharmafirmen, die Reptiloiden oder die Spechte sind - wichtig ist allein dass es sie gibt, diese fiesen mächtigen Verschwörer, die das Volk betrügen und einlullen wollen und letztlich an allem Elend schuld sind. Denn dann hat die eigene Wut eine Richtung und an die Stelle gefühlter Ohnmacht tritt neue Handlungsfähigkeit. Dass es dann ein paar Opfer gibt, nicht nur unter Katzen und Spechten, das ist dann eben der Preis für diese neue gewonnene Sicherheit.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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