Wer heilt, hat Recht?

Von Ursachen und Täuschungen

„Wer heilt, hat Recht.“ Das ist ein Satz, der in der Alternativmedizin sehr beliebt ist. In der Regel wird er verwendet, um das Unbehagen zu überbrücken, das angesichts ungeklärter Wirkzusammenhänge bei einer alternativmedizinischen Heilung gelegentlich aufkommt. Was zählt, ist das Ergebnis. Ende gut, alles gut.

Da aber dieser Satz auch gern zum Beweis der Wirksamkeit verschiedenster alternativer Therapieverfahren eingesetzt wird, sind ein paar kritische Rückfragen angebracht.

Wer heilt wirklich?

Im Prinzip möchte man zustimmen: Wer heilt, hat ja ein positives Ergebnis hervorgebracht. Aber wer oder was hat im konkreten Fall tatsächlich die Heilung bewirkt? Das lässt sich oft nicht mit der gleichen Sicherheit sagen. Auch ist es ein (zwar weit verbreiteter, weil anschaulicher) Trugschluss, dass eine zeitliche Abfolge zweier Ereignisse immer auch eine Ursache-Wirkung-Beziehung darstellen muss.

Wenn ich heute nicht ordentlich aufesse und es morgen regnet, weiß ich, dass kein wirklicher Zusammenhang zwischen beiden besteht. Wenn ich an Bach-Blüten-Essenzen rieche und am nächsten Tag die Magenschmerzen weg sind, soll aber plötzlich zweifelsfrei das eine für das andere ursächlich sein. Vielleicht geht es mir auch besser, weil ich erfahren habe, dass die Prüfung verschoben wird oder dass die Bank den benötigten Kredit gewährt.

Das Komplizierte in der Medizin ist, dass es eben nicht so leicht zu sagen ist, ob ein bestimmtes Medikament oder Therapieverfahren, oder andere veränderte Rahmenbedingungen eine Zustandsänderung bewirkt haben. Darum wird in langwierigen und teuren Studien versucht, an möglichst vielen Patienten unter möglichst gleichen Rahmenbedingungen zu testen, ob bei einem bestimmten Medikament in der Regel eine bestimmte Wirkung auftritt, oder nicht.

Irrtumswahrscheinlichkeit

Wo solche Studien nicht vorliegen oder aus therapiespezifischen Gründen nicht möglich sind, heißt dies nicht, dass diese Therapie aus Prinzip unwirksam sein muss. Aber es bedeutet, dass man mit einer viel höheren Rate an Irrtum rechnen muss. Zum Beispiel gibt es etliche Krankheiten, bei denen die Beschwerden zyklisch verlaufen: es gibt akute Phasen, zwischen denen Zeiten ohne Probleme liegen. Besucht man gegen Ende einer akuten Phase einen Therapeuten, kann dieser leicht die bald darauf eintretende Besserung für sich und seine Methode reklamieren. Dabei hätte sie sich auch ergeben, wenn gar nichts passiert wäre. Ob die Therapie beim nächsten mal wieder wirkt, hängt in solch einem Fall sehr vom Zeitpunkt des Besuchs beim Therapeuten ab.

Schließlich gibt es - auch in der Schulmedizin - eine nicht zu unterschätzende Quote von sogenannten Spontanheilungen. Ohne dass man sagen könnte, woran es gelegen hat, verschwinden plötzlich die Beschwerden und der Patient kann als geheilt entlassen werden. Manche Religionsgemeinschaften wie Christian Science oder der Bruno-Gröning-Freundeskreis sammeln systematisch solche Erlebnisberichte und reklamieren den Heilungserfolg für ihren Glauben. Anderswo gehen die Patienten einfach so glücklich nach Hause, ohne dass dies irgendwo erfasst und registriert würde.

Wer heilt, hat recht? Christen können für jede Heilung Gott dankbar sein. Vorschnellen und ungeprüften Zuordnungen auf eine bestimmte Methode darf man aber mit Recht skeptisch gegenüberstehen.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/63

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2004 ab Seite 17