Tai Chi und Qi Gong – Gefahr? Chance?

Eine Beurteilung aus christlicher
Sicht

Kampfkünste, Sport oder Religion?

Tai Chi und Qi Gong sind in ihrer heutigen in Europa praktizierten Form keine Kampfkünste, sondern ganzheitliche Übungen zur Pflege der Lebenskraft (chinesisch „Qi“ genannt). Qi ist ein Begriff für eine Vielzahl der uns innewohnenden Kräfte und Fähigkeiten, die sich als „Körperkraft, als geistige Wachheit, als Mut, als Inspiration, als Initiative, als die Kraft, etwas auszuhalten, als Ausdauer, als Gelassenheit“[1] zeigen. Während ursprünglich Qi Gong zur körperlichen und geistigen Festigung und Tai Chi als Kampfkunst entwickelt wurde, haben sie sich heute zu eigenständigen Systemen weiterentwickelt und in viele Schulen verzweigt. Die Übungen haben einen sportlichen Aspekt, der je nach Ausrichtung mehr oder weniger zu Tage tritt. Sie stammen aus China und ihre Begriffe und Körpersicht sind in vielen Punkten mit der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) verbunden. Eine eigene Religion bilden sie aber nicht. Es gibt allerdings Schulen, die eine sehr exklusive und auch weltanschaulich fest gebundene Form des Qi Gong anbieten. In Deutschland verbreitet und öffentlich sehr aktiv ist die Falun Gong-Bewegung. Hier wird mittels der Übungen ein ganzer Heilsweg propagiert, der religiös, oder besser kultisch, zu verorten ist. Ihr Ziel geht weit über die unten genannten Ziele hinaus.

 

Ziel: Kultivierung der Lebenskraft

Das Ziel ist die Kultivierung der Lebenskraft. Der Begriff Qi Gong enthält schon sein Programm: Gong heißt Übung, beharrliches Bemühen oder auch Ergebnis der Übung und Qi wurde oben bereits beschrieben. Zu Deutsch also „Übung der Lebenskraft“. Die Übungen bestehen größtenteils aus körperlichen Bewegungen, die manchmal bekannten gymnastischen Übungen ähneln. Darüber hinaus gibt es komplexere Übungen, die entweder den Kampf mit einem imaginären Gegner zu Grunde legen (so hauptsächlich im Tai Chi, bei uns als Schattenboxen bekannt) oder Nachahmung von Tierbewegungen beinhalten oder aus medizinischen Einsichten gewonnen wurden (so im Qigong Yangsheng). Markant ist auch die intensive Arbeit mit der Vorstellungskraft und Bildern. Sie sollen helfen die Konzentration zu lenken. Ziel der heute am meisten praktizierten Formen ist eine Verbesserung der Gesundheit, der körperlichen Konstitution, der Konzentration und damit der geistigen Klarheit. Qi Gong wird von Ärzten der TCM auch zur gezielten Behandlung von Krankheiten oder Störungen eingesetzt, was aber ein intensives Studium erfordert. Falsche Ausübung oder Anwendung im falschen Fall führt nachweislich zur Beeinträchtigung der Gesundheit (Schmerzen, Schwindel u.ä.) Während in Deutschland auch Tai Chi als Gesundheitsübung (manchmal auch Gesundheitssport) angeboten wird, praktiziert man es in China hingegen häufiger als eine der traditionellen Kampfkünste. Einige Lehrer tun dies auch im deutschsprachigen Raum. Grundlegend ist dabei die Idee, die Kraft und Energie des Angreifenden zu verwenden und umzulenken. Der Effekt soll durch Lenkung des Qi und nicht durch Kraftanstrengung oder gar brachialer Gewalt erreicht werden.

 

 

 

 

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Tai Chi ist weist eine eindeutige Nähe zur Kampfkunst auf und enthält spektakulärere Bewegungen und geht aus der geschichtlichen Entwicklung traditioneller chinesischer Kampfkünste hervor (Wushu). Qi Gong hat eher reduzierte, symmetrisch ausgewogene Bewegungen, die mehr an Gymnastik erinnern. Es gibt auch stilles Qi Gong, was äußerlich eher Sitzmeditationen ähnelt.

Gemeinsam ist die starke Verbindung der Arbeit an Körper und Geist, innerer und äußerer Bewegung, die Einsetzung der Vorstellungskraft, der Wechsel von Polaritäten wie heben/senken, öffnen/schließen, einatmen/ausatmen, den Prinzipien Yin und Yang.

 

Stehen wie eine Kiefer

In der Praxis werden Bewegungen, Bewegungsabläufe und Standübungen geübt, die jeweils verschiedene Körperregionen ansprechen und beeinflussen. Eine Standübung z.B. kann so aussehen, dass man sich aufrecht hinstellt, die Beine schulterbreit auseinander, Becken leicht nach vorn gebeugt, Wirbelsäule gerade, Kopf aufrecht, Kinn leicht angezogen. Die Arme werden an der Seite leicht aufgespannt, so dass sie leicht angewinkelt sind und die Handflächen zum Körper zeigen. Diese Haltung, „Stehen wie eine Kiefer“ oder auch Pfahlübung genannt, dient einem sicheren Stand, guter Körperhaltung, Stärkung und Sammlung. Sie ist eine Basisübung des Qi Gong. Obwohl diese Übung äußerlich einfach erscheint, gibt es doch über 30 Übungsanforderungen, die nach und nach zu beachten sind.

Gelehrt werden Qi Gong und Tai Chi in Deutschland an eigenen Schulen und Zentren, in manchen Kliniken (z.B. Reha-Kliniken), an Volkshochschulen und im Universitätssport. Die Qualität der Kurse schwankt allerdings erheblich. Ebenso gibt es eine Vielzahl von Stilen und Schulen, was eine einheitliche Bewertung schwierig macht.

 

 

Religiöse Hintergründe

Durch ihre Entstehungsgeschichte sind die Übungen mit dem chinesischem Taoismus, Buddhismus und der Lehre von Yin und Yang verbunden. Das kommt daher, dass die Bewegungen, die von dem Mönch Bodhidharma erfunden wurden, in buddhistischen und taoistischen Klöstern gelehrt und verbreitet wurden. Dieser indische Mönch kam Ende des 5. Jahrhunderts nach China und einige Jahre später in ein taoistisches Kloster und stellte fest, dass die Mönche aufgrund der langen Meditationen in einem schlechten körperlichen Zustand waren. Er selbst war in damaligen Kampfkünsten erfahren und entwickelte ein Übungssystem zur körperlichen Ertüchtigung für die Mönche. In der Folgezeit verbanden sich im Süden Chinas eher buddhistische Anschauungen mit den Übungen, während in Mittelchina hauptsächlich daoistische Philosophie einfloss. Es haben sich dann viele verschiedene Schulen entwickelt die mehr oder weniger stark religiöse Elemente beinhalten.

Wohl weniger bekannt als der Buddhismus ist der Daoismus. Er geht auf den Gelehrten, Astrologen und Weissager Laozi (Lao Tse) zurück. Laut daoistischer Philosophie wird das Universum in einem Gleichgewicht gehalten. Dieses entstehe durch harmonische Wechselwirkungen gegensätzlicher Kräfte (Yin/Yang). Jede Störung dieses Gleichgewichtes bringe Chaos. Um als Mensch Ausgewogenheit zu erreichen, soll er zum Einklang mit Natur und Universum gelangen. Im daoistisch geprägten Tai Chi sollen die Bewegungen dazu helfen diese Ruhe zu erlangen.

Im heutigen China gibt es jedoch auch staatlicherseits geförderte Stile (v.a. im Tai Chi), die auf die therapeutische und gesundheitliche Wirkung ausgerichtet sind. Diese werden auch in Europa verbreitet, ja direkt exportiert.

 

 

Als Christ diese Übungen praktizieren?

An einer gesundheitlich vorbeugenden Ausrichtung der Übungen sehe ich grundsätzlich kein Problem. Allerdings erreicht man auch auf anderen Wegen eine bessere Körperhaltung, Ausdauer, Gelenkigkeit und Körpergefühl. Für Qi Gong und Tai Chi mag sprechen, dass stark auf die eigenen Fähigkeiten und körperlichen Möglichkeiten geachtet wird und es nicht um Leistung (um jeden Preis) geht. Auch die ästhetischen Bewegungen des Tai Chi sind für viele Praktizierende ein Anreiz. Weltanschauliche Inhalte werden in einigen Kursen gar nicht vermittelt und in anderen nur zur Erklärung einzelner Bewegungsabläufe herangezogen. Konservativere Schulen gehen jedoch davon aus, dass ohne eine spirituelle und philosophische Vertiefung keine Fortschritte zu erwarten sind.

Da die Übungen sich größtenteils durch Erfahrungen und Beobachtungen entwickelt haben ist ihnen eine Weisheit bezüglich Gesetzmäßigkeiten des Körpers und seiner Bewegung zuzuschreiben. Mit den Erkenntnissen westlicher Wissenschaft gibt es dann Spannungen, wenn es z.B. um Beschreibungen der inneren Organe geht, da der TCM eine andere Vorstellung des Körperaufbaus zugrunde liegt (Sezieren und Obduktion waren in China bis ins 20. Jh. verboten).

Mit christlichem Glauben ist die fehlende Vorstellung eines personalen Schöpfers/Gottes nicht vereinbar. Diese glauben Daoisten und Buddhisten nicht. Auch die daoistische Vorstellung der inneruniversalen Harmonie kann aus christlicher Sicht nicht (vollständig) aufrecht erhalten werden. Gott hat zwar einen Widersacher, der jedoch nicht gleich beschaffen, nicht gleich mächtig ist und Gottes Autorität unterliegt.

Vorsicht geboten ist bei Ansichten, die meinen, mit den Übungen übermenschliche Fähigkeiten erlernen zu können. Die Taoisten waren fasziniert von der Vorstellung leben zu verlängern. So wurde aus der Praxis, die Vitalität auch im Alter fördern sollte, der Versuch unsterblich zu werden. Es entwickeln manche Schulen eine Art Heilsweg, der bei allem Fortschritt jedoch innerhalb der Schöpfung verhaftet bleibt. Werden ein Heilsweg propagiert und/oder religiöse Inhalte gelehrt, halte ich diese Ausrichtungen für Christen nicht praktizierbar.

 

 

Prüft – und das Gute behaltet

Der Lehrer sollte offen für Fragen nach seiner Ausbildung und Methode sein. Verspricht er besondere Fähigkeiten, Heilungen? Welchen weltanschaulichen Hintergrund hat er? Soll der Schüler sich diesen aneignen? Welche Motivation führt den Lehrer zu seiner Praxis?

Auch sollte man sich bewusst machen, zu welchem Zweck man die Übungen lernen und praktizieren will. Ein Beispiel: Die Gesundheit zu fördern ist in Ordnung, die Gesundheit zu vergöttern ist ein verbreitetes Problem unserer Zeit.

Eine gute Basis um Fremdes kennen zu lernen, ist die Verwurzelung im eigenen Glauben. Wenn man sich in den Grundlagen sicher ist, wird man Anfragen aushalten und als Anregung aufnehmen können. Wer nicht nur Wissen über den Glauben hat, sondern aus Gebet, Glaubensgemeinschaft und Erfahrung lernt, muss keine Angst vor neuen Erfahrungen haben und kann sie bewerten.

 

Joachim Fleischer 27.9.07

Literatur:

- Jiao Guorui: Qi Gong Yangsheng. Chinesische Übungen zur Stärkung der Lebenskraft, Frankfurt/Main 52000

- Christian F. Hanche: Tai Chi. Traditionen, Grundlagen, Techniken, Stuttgart 2003

- Stiftung Warentest: Krista Federspiel/ Vera Herbst: Die Andere Medizin. „Alternative“ Heilmethoden für sie bewertet, Berlin 52005

- Werner Lind: Lexikon der Kampfkünste, Berlin 1999


[1] Jiao Guorui: Qi Gong Yangsheng. Chinesische Übungen zur Stärkung der Lebenskraft, Frankfurt/Main 52000.

- www.qigong-yangsheng.de

Medizinisch orientiertes Qi Gong

- www.tqj.de

Fachzeitschrift für Tai Chi und Qi Gong

- Sport und Bewegung in der Bibel - Ein Vortrag

Volker Steinbrecher zu Kirche und Sport im Rahmen der EKD

- Kurzer Bericht über Bibelbundtagung: Krankheit und Gesundheit

Ein kritischer Beitrag zur Thematik (Seite 5-6)

Artikel-URL: https://confessio.de/artikel/92

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2007 ab Seite 03