Hexentanz in den Mai?
Die Nacht vom 30. April zum 1. Mai erobert sich als „Walpurgisnacht“ zunehmend einen Platz im neuheidnischen Festkalender. Folgt man den Beschreibungen der Harzer Tourismusindustrie, so sollen in jener Nacht die Hexen in großer Zahl zum Brocken bzw. zum „Blocksberg“ geflogen sein und auf dem Hexentanzplatz wilde infernalische Orgien gefeiert haben.
Die Verbindung mit den Hexen ist für die Einen identitätsprägendes Marketing für eine Region, welches den Schauer von Sex & Crime vergangener Epochen ausschlachtet. Von Seiten neuheidnisch orientierter „Neuer Hexen“ wird das Thema unter anderem Gesichtspunkt instrumentalisiert. Dort geht es darum, eine eigene neuheidnische religiöse Identität durch Anknüpfung an vermeintlich ursprüngliches volksreligiöses Brauchtum zu legitimieren. Für sie fällt auf diesen Tag das keltische Frühlingsfest Beltane.
Für die große Mehrzahl der Bevölkerung ist der Beginn des Mai hingegen ein schöner Anlass für ein Gartenfest, bei dem ein prasselndes Lagerfeuer stets große Anziehungskraft für Jung und Alt hat.
Was hat das alles mit Walpurgis zu tun? Zunächst einmal nichts. In der modernen Aufnahme dieses Datums sind Motive und Strömungen zusammengeflossen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten. Die geschichtlichen Zusammenhänge hatte der Historiker Thomas P. Becker bereits 2007 beleuchtet.[1]
Äbtissin Walburga
Namensgeberin von Walpurgis ist Walburga, die Nichte des Heiligen Bonifatius und Tochter des angelsächsischen Königs Richard, die ca. 710 in Devonshire geboren wurde, dann nach Germanien kam und ab 761 bis zu ihrem Tod als Äbtissin die Leitung des Doppelklosters Heidenheim innehatte. 870 wurden ihre Gebeine nach Eichstätt überführt, worauf wenig später ihre Heiligsprechung erfolgte. Als ihr Festtag wurde der 1. Mai festgesetzt, dessen Feierlichkeiten mit der Vorabendmesse beginnen.
Keltisches Frühlingsfest?
Aus neuheidnischen Kreisen kann man immer wieder die These vernehmen, Walpurgis sei bewusst auf das ältere keltische Frühlingsfest „Beltane“ gelegt worden, um dieses zu verdrängen. Was bei Weihnachten stimmt, entbehrt im Blick auf Walpurgis jeglichen Anhalts an den historischen Quellen. Es gibt derzeit „nicht den geringsten quellenmäßigen Beleg dafür, dass ein irgendwie geartetes keltisches Frühlingsfest in Deutschland die Antike überdauert hat.“[2] Keine Gerichtstexte, keine pastoralen Warnungen, keine Bußbücher erwähnen irgendwelche keltischen Frühlingsbräuche. Ein Zusammenhang zwischen dem Festtag der Walburga und Beltane muss von den Quellen her verneint werden. Dafür spricht auch, dass sich die Walburga-Verehrung schnell nach Norden ausgebreitet hat, wo kein keltisches Einflussgebiet gewesen ist. Die Meinung, dass Kirchenvertreter Gruselgeschichten um Hexensabbate in dieser Nacht erfunden haben sollen, um das heidnische Fest zu diskreditieren, ist demzufolge absurd.
Walpurgisnacht und Hexentanz?
Woher kommt dann die Verbindung des Feiertags der frommen Äbtissin mit dem wilden Treiben der Hexen? Aus den zahlreichen Protokollen der Hexenverfolgung jedenfalls auch nicht, das haben die Historiker in gründlicher Forschungsarbeit herausgefunden. In den unter der Folter erfundenen Geständnissen kommen alle möglichen Zeiten und Orte für die angeblichen Hexentreffen vor - auch mal der Brocken und die Walpurgisnacht, aber weitaus öfter der Hügel vor der Stadt am nächsten Donnerstag.
Unterhaltende Enthüllungsliteratur
Erst mit dem Abklingen der Hexenverfolgung entsteht jenes Buch, das die Verknüpfung schafft: 1668 erscheint von Johann Praetorius eine reißerisch aufgemachte Sammlung von Hexengeschichten und Hexenmythen, vermischt mit landschaftlichen Schilderungen mit dem sprechenden Titel „Blockes=Berges Verrichtung / Oder Ausführlicher Geographischer Bericht / von den hohen trefflich alt=und berühmten Blockes=Berge: ingleichen von der Hexenfahrt / und Zauber-Sabbathe / so auff solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland / Jährlich den 1. Maij in Sanct Walpurgis Nachte anstellen sollen“. Der Autor hatte sich an der Universität nicht halten können und verdiente seinen Lebensunterhalt mit der Schriftstellerei, wobei als Enthüllungsliteratur erscheinende reißerische Sachbücher schon damals gutes Geld brachten. Praetorius wurde nicht nur gelesen, sondern auch immer wieder zitiert. Als 1808 Johann Wolfgang von Goethe seine Schilderung der Walpurgisnacht in den Faust einbaute, basierte dies auch auf dem Buch von Praetorius. Damit war die Verbindung von Walpurgisnacht und Hexentanz zum volkstümlichen Allgemeingut geworden - fernab aller historisch ermittelbaren Fakten.
Tanz in den Mai mit Hexenbrennen
Dem Volksbrauchtum sind die historischen Ermittlungen zunächst egal: an vielen Orten auch in Sachsen findet in dieser Nacht der „Tanz in den Mai“ statt, oft synonym als „Maifeuer“, „Hexenfeuer“ oder „Hexenbrennen“ angekündigt. Dazu gehört ein großes Lagerfeuer und oft eine mit verbrannte hexenähnliche Strohpuppe. Welche Position sollten Kirchgemeinden zu diesem Brauchtum einnehmen?
Prägende Teilnahme
Auch wenn es manche Vorbehalte gegen das angeblich heidnische Brauchtum oder den grausamen Brauch des Hexenbrennens gibt – die einfachste Regel lautet: dabei sein, nur dann kann man darauf Einfluss nehmen. Es ist wichtig, die Volksfeste nicht kommentarlos Neuheiden und zunehmend auch rechtsextremen Nationalisten zu überlassen. Wenn die Junge Gemeinde zum Lagerfeuer die Gitarre mitbringt und Lieder singt, freuen sich auch viele, die selbst nicht mitsingen. Wer die Gitarre hat, bestimmt die Liedauswahl. Wenn der Kantor die Volkslieder anstimmt, kann es nicht die rechte Kameradschaft tun. Kirchgemeinden können auch aktiv nach vorn gehen: Informationen über das Leben von Walburga sind zwar spärlich, aber schon an der Aussage, dass sie keine Oberhexe, sondern eine christliche Missionarin war, die mit Bonifatius das Christentum nach Germanien gebracht hat, hängt genug Stoff zum Berichten. Feste muss man feiern, wie sie fallen - aber vor allem gestalten.
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[1] in: Materialdienst der EZW; 4/2007, 142-148
[2] Becker, a.a.O, 143.