Führt Neuheidentum zum Rechtsextremismus?

Diskussion beim 34. Evangelischen Kirchentag in Hamburg

Heidentum ist die beliebteste Religion innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Das gilt auch dann noch, wenn unklar bleibt, was „Heidentum“ eigentlich ist. Mit dieser markanten Feststellung begann Prof. Dr. Józef Niewaidomski von der Theologischen Fakultät Innsbruck seine Ausführungen in der Werkstatt Weltanschauungsfragen des 34. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Hamburg.

Blut- und Boden-Religion

Lange Zeit war die Wahrnehmung der neuheidnischen Szene in Deutschland sehr eng mit Gemeinschaften verbunden, die ein klares völkisches Profil aufgewiesen haben. Prototyp dieser Verknüpfung von rechtsextremer politischer Betätigung mit einem dezidiert rassistisch geprägten neuheidnischen religiösen Profil war die Artgemeinschaft, deren Gründer und Führungsgestalt der frühere NPD-Vize Jürgen Rieger war. Andere Gruppen dieser Prägung sind der Armanenorden oder der eher populärreligiöse Züge tragende Wotanismus. Diese haben in Deutschland das völkische rechtsextreme Spektrum und deren Jugend befruchtet und den germanischen Zweig des Heidentums normativ geprägt. Was Heide sein bedeutet, konnte man gerade dort lernen. Rassentheorie, Antisemitismus und die Gegnerschaf zum Christentum sind dort eine enge Verbindung eingegangen. Die Begriffe Rechtsradikal - irrational - mythisch konnten in einem Atemzug zur Charakterisierung dieser Szene verwendet werden.

Ethnopluralismus

Veränderungen daran erfolgten u. a. ausgehend von dem Theoretiker der Neuen Rechten Alain de Benoist in Frankreich. Dieser hat seit den 1970er Jahren den Nimbus des Mythischen und Irrationalen weggenommen. „Man muss nicht an Wotan glauben, um in unserer Zeit Heide zu sein.“ Stattdessen hat er das Heidentum als einen rational verantworteten Rahmen für die Gestaltung der Politik in der Gegenwart diskutiert.

Die Gegnerschaft der Thesen von de Benoist zum Christentum ist grundsätzlicher Natur:
•Traditionelle („heidnische“) Religionen unterscheiden zwischen den eigenen Volksgenossen und den Fremden, den Barbaren. Im jüdisch-christlichen Begriff der Schöpfung und der Gottebenbildlichkeit des Menschen sind demgegenüber die Grundlagen gelegt, im universellen Sinn von einer „Menschheit“ zu sprechen. Der christliche Universalismus verankerte den Glauben, dass alle Menschen gleich sind, bereits lange vor seiner Durchsetzung im Rahmen politischer Postulate, erklärte Prof. Niewaidomski.
•Die christlichen prophetischen Visionen vom neuen Himmel und der neuen Erde machen eine Bodenreligion unwichtig - ebenso wie die klassischen Verbände und Volksgruppen.

Dies erkannte auch de Benoist und entwickelte im Gegensatz dazu seine Weltanschauung, die mit dem bisherigen Tabu des Rassismus brach. Allerdings beschrieb er dies verpackt in wohlklingende Begriffe wie „Ethnopluralismus“, die auf den ersten Blick mit linken Theoremen verwechselt werden können. Weil dieser Ethnopluralismus aber mit Blick auf das genetische Erbe beschrieben wird, drückt sich in ihm letztlich Rassismus aus.

Bekömmlicher Polytheismus

Zu der Zeit nun, als in Deutschland die Thesen von Alain de Benoist aufgegriffen wurden, vollzog sich auch eine andere Wandlung im intellektuellen Klima der Feuilletons und Talkshows.

War bisher der Monotheismus kulturpolitisch geschätzt, so wandelt sich dies grundlegend. Odo Marquards These, Polytheismus sei bekömmlich, während Monotheismus unverdaulich bleibe, markiert diesen Trendwechsel. Der Ein-Gott-Glaube sei intolerant, tendiere zum Blutrausch und zur Ausmerzung alles Fremden hieß es fortan – also mit Elementen, die bislang dem Rechtsextremismus zugeordnet wurden. Wo das Christentum als Religion der Intoleranz, Gewalt und inhaltsleerer Dogmen erscheint, wird Heidentum zur Glaubensalternative.

Seitdem sind zahlreiche neuheidnische Gruppen entstanden. In Island wurde 1973 die Asen-Gemeinschaft staatlich als Religionsgemeinschaft anerkannt, in Dänemark 2003 die „Alte Sitte“. Über die populäre Fantasy-Szene, über die Popularmusik, über Life Action Rollenspiele (LARP) und Schaukampfinszenierungen auf Mittelaltermärkten breitet sich eine diffuse Renaissance des Heidentums aus.

Richtungen im Neuheidentum

Der Pluralismus der Postmoderne ist auch bei den neuheidnischen Gruppen angekommen und äußert sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Richtungen. Niewaidomski unterschied drei Hauptzweige:
1.völkisch: Die klassische Klammer des Zusammenhalts der Gruppe sind die Bande des Blutes, mithin eine völkische Gemeinschaft. Dazu gehören Gruppen wie der Armanenorden, die Artgemeinschaft, die (mittlerweile aufgelöste) Deutsche Heidnische Front, der Arbeitskreis Nordrune etc. Diese Organisationen sind klar den Göttern des Blutes verpflichtet, folgerichtig verlangen sie ggf. einen Kirchenaustritt und die Zugehörigkeit zur „Germanischen Rasse“. Sie vertreten den „Ethnopluralismus“ in Reinkultur und bleiben ideologischer Pfeiler des Rechtsextremismus.
2.kulturell: Ökologische Neuheiden haben einen anderen Zugang. Sie argumentieren nicht mehr in erster Linie biologisch, sondern kulturell. Sie fühlen sich den Göttern der Landschaft verpflichtet. Damit gibt es zwar noch ein regionales Prinzip, aber es wird von der bloßen Abstammung entkoppelt. In diesen Kreis gehört z. B. die Germanische Glaubensgemeinschaft (GGG).
3.universell: Eine dritte Gruppe bilden universalistisch eingestellte Heiden, die in der Regel eine individualistische und synkretistisch eingestellte Bastelreligion vertreten, in der der jeweils individuelle Gottesbezug wichtig ist. Diese Gruppen wie der Eldaring, NorisÆgg und der Rabenclan wünschen erklärtermaßen Rassisten NICHT in ihren Reihen. Sie engagieren sich für eine Entkoppelung des Heidentums vom Faschismus und engagieren sich selbst für Menschenrechte. Damit geraten sie mitunter selbst in den Fokus neonazistischer Angriffe.

Rabenclan

Davon berichtete auch Julio Lambing vom Rabenclan. Dieser Verein zur Weiterentwicklung heidnischer Tradition beherbergt nicht nur Asatru-Anhänger, sondern auch Freunde ägyptischer, griechischer, römischer oder sonstiger Götterwelten. Weil die neuheidnische Szene so vom völkischen Denken dominiert war, wollte man ein organisiertes Gegengewicht schaffen. Schnell erkannten die Mitglieder, dass es nicht genügt, selbst keine völkischen Positionen zu vertreten, sondern dass auch und gerade Neuheiden aktiv an der Bekämpfung von Neonazis mitwirken müssen. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist das Ariosophieprojekt des Rabenclan, das auch außerhalb neuheidnischer Strukturen Anerkennung gefunden hat.

Fazit

Führt Neuheidentum zu Rechtsextremismus? Julio Lambing und der Rabenclan können als lebende Beweise dafür gelten, dass dies nicht zwingend der Fall ist. Fragen an das Heidentum, die Grundlagen seiner moralischen Bewertungen und seine Ideale blieben und konnten in dieser Veranstaltung nicht ausdiskutiert werden. Festhaltenswert ist aber noch die Antwort auf eine Frage aus dem Publikum: „Woran kann ich z.B. vor einem Werbeplakat erkennen, ob die jeweilige neuheidnische Gruppe nun rechtsextrem ist oder nicht? Antwort: Daran, dass (auch kulturelle) Reinheitskonzepte vertreten werden, wie z.B. auf dem Banner des antiislamischen Hetzportals „Politically Incorrect“, wo eine Wikingerbraut einen Turbanträger mit einem Fußtritt aus Europa befördert. Das Bild will eine territoriale Hegemonie bestimmter Kulturen festschreiben, die nicht „verunreinigt“ werden dürften. Gegenüber solchen Konzepten gilt es, wachsam zu sein.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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