Gülen-Bewegung in der Diskussion

Verfassungsschutz Baden-Württemberg legt Bericht vor

Die Bewegung um den islamischen Prediger Fetullah Gülen hatte die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes auf sich gezogen. Im August 2014 legte die Behörde einen Prüfbericht vor, der u.a. ausführlich auf die Gründe eingeht, die Anlass für die Untersuchung gaben.

Hizmet

Fethulla Gülen (*1941; Erzurum/Türkei) ist Prediger und Kopf der von seinen Anhängern als „Hizmet“ bezeichneten Bewegung. Der Begriff bedeutet „Dienst“ und verweist damit auf den Grundgedanken der Strömung, Gott in der Form der Verbindung religiöser und wissenschaftlicher Gewissheiten zu dienen. Das heißt, die Religion soll für Bildung und Wissenschaft zielgebend sein und erhebt den Anspruch, universell gültige moralische Werte zu vermitteln. Die Wissenschaft wird nur dann als wahr angenommen, wenn sie mit dem Inhalt der Glaubenssätze vereinbar ist.

Tatsächlich sind Mitglieder der „Gülen-Bewegung“ stark im Bildungsbereich aktiv. Das schließt beispielsweise 24 staatlich anerkannte Privatschulen, diverse Lehrerfortbildungen und über hundert Nachhilfeeinrichtungen ein.

Anfang der 1990er Jahre setzte die Institutionalisierung der ursprünglich türkischen Bewegung in Deutschland ein. Seitdem verzeichnet sie großen Zuwachs vor allem unter türkischstämmigen Bürgern. Neben der Bildung wird Wert auf den interreligiösen Dialog und die Integrationsförderung gelegt. Außerdem gehören Presse, Wirtschaftsunternehmen und politisches Engagement zu weiteren Aktionsbereichen, die in etwa 300 Vereinen ihren Ausdruck finden. Auch wenn die „Hizmet-Bewegung“ in Deutschland aktuell keine dominante Macht darstellt, versucht sie, vor allem bei der türkischstämmigen Bevölkerung, ihren Einfluss zu steigern. Die Strömung ist nicht nur in Deutschland aktiv, sondern zeigt auch international ein rapides Wachstum.

Kritik

Zwei zentrale Kritikpunkte werden der Gülen-Bewegung immer wieder vorgeworfen:

  • intransparente Strukturen
  • Täuschung der Öffentlichkeit in Bezug auf die wahren Ziele der Organisation.


Das Erscheinungsbild einer säkularen Bildungseinrichtung verschleiere die streng konservativ-islamische Grundlage. Manche Kritiker sprechen von einer einseitigen Selbstinszenierung, die auf der Verbindung zu möglichst wirkmächtigen gesellschaftlichen und politischen Ebenen und einer ausdrucksstarken Öffentlichkeit basiert.

Auffällig ist, dass Gülens Name und seine Lehren bei öffentlichen Aktionen untergeordnet sind. Es werden Angelegenheiten in den Vordergrund gestellt, die mit öffentlicher Akzeptanz rechnen können. Auf der einen Seite wird der interreligiöse Dialog betont. Auf der anderen, sich aber von religiösen Haltungen distanziert, um von säkularer Bildung zu sprechen. Das Schrifttum wird bevorzugt intern verbreitet und entspricht inhaltlich Gülens konservativem Islamverständnis. Es beinhaltet unter anderem die Ungleichbehandlung der Geschlechter und widerspricht auch dem westlichen Verständnis von Religionsfreiheit. Unter bestimmten Umständen sei nach Gülen die Gewaltausübung zur Verbreitung des religiösen Bekenntnisses legitim.

Strukturell fällt es schwer, die zahlreichen verschiedenen Institutionen organisatorisch eindeutig der Bewegung zuzuordnen, denn oftmals wird Gülen von den Einrichtungen nur als Ideengeber genannt. Das lässt viel Spielraum offen, welche konkreten Haltungen Gülens vertreten und welche außen vor gelassen werden.

Demokratie?

Gülen selbst zielt auf eine demokratische Verfassung, welche allerdings den islamischen Gesetzen unterliegen soll. Die bestehende westliche Form der Demokratie sei demnach unvollkommen. Weil Gülen verlangt, den Islam als ganzheitliches Regelsystem sowie dessen Überlegenheitsanspruch anzuerkennen, sprechen Kritiker hier von islamistischen Zielvorstellungen.

Neben der Demokratiedistanz wird der Bildungsbegriff der Anhängerschaft Gülens kritisiert. Es fehle ihm an Kontroversität und Konfliktfähigkeit, außerdem diene er vorwiegend der Verbreitung islamischer Normen. Für Verteidiger hingegen stellt die Bildungsarbeit einen wichtigen Teil der Integrationshilfe dar. Fraglich bleibt, ob die Verbindung zwischen Anhängern der Bewegung, die für säkulare Bildung eintreten und Gülens religiöser Zielvorstellung verkannt wird.

Er selbst sieht keine Unvereinbarkeit zwischen seiner islamischen Überzeugung, Demokratie und Menschenrechten, allerdings mit der Einschränkung, dass sie mit den Normen des Islam im Einklang stehen müssen. Das für moderne Demokratien grundlegende Verständnis der Volkssouveränität, die sich direkt aus der Menschenwürde ableitet, sowie die Gewaltenteilung vertragen aber keine derartigen religiösen Vorbehalte und Einschränkungen.

Reaktionen

Mit der „Stiftung Dialog und Bildung“ der Gülen-Bewegung wurde auf die Vorwürfe der Intransparenz reagiert und es entstand eine Institution für öffentliche Anfragen. Demokratie, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter sind Beispiele der repräsentierten Werte. Auch in diesem Fall scheint es jedoch Kontrastpunkte zwischen dem erstellten Selbstbild und den internen Auffassungen zu geben.

Während einige Kritiker in der Gülen-Bewegung den Versuch politischer Einflussnahme sehen, bestreiten das Befürworter und setzten gesellschaftliche Bestrebungen in den Vordergrund. Ursache für die vielfältigen Bewertungen ist wohl die Mehrdeutigkeit der Aktionen, welche vor allem aus der Diskrepanz zwischen äußeren Vorgängen und inneren Grundsätzen resultiert.

Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) untersuchte, ob konkrete Anzeichen für verfassungswidrige Aktionen seitens der „Hizmet-Bewegung“ in Baden-Württemberg gegeben seien. Nur die Teile der Lehre Gülens, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen und sich in spezifischen politischen Aktionen äußern, waren Gegenstand der Untersuchung, die allein aus öffentlichen Quellen schöpfte. Im Ergebnis zeigten sich zwar eine Reihe verfassungskritischer Aspekte in der Lehre Gülens. jedoch fehlten nachprüfbare Beweise für gezielte politische Aktivitäten zur Umsetzung der verfassungsfeindlichen Lehrinhalte durch die deutschen Vereine. Damit steht die Gülen-Bewegung nicht länger unter Beobachtung des LfVs.

Die Debatte um die Hizmet-Bewegung scheint nach einem solchen Ergebnis noch lange nicht beendet zu sein. Stattdessen lässt sie einiges an Spielraum offen, sowohl für Kritiker als auch Befürworter, die sich beide in ihren Argumenten bestärkt sehen. Es sollte gut sortiert werden, an welchen Stellen kraft vorurteilsbehafteter „Islam-Angst“ die Gülen-Bewegung zu schnell abgewertet wird und wann von ihr tatsächlich eine Gefährdung für Demokratie und Menschenrechte ausgeht.

Elisabeth Sachse

war 2014 Praktikantin an der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens.

Artikel-URL: https://confessio.de/index.php/artikel/321

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2014 ab Seite 08