Aufstand der Unzufriedenen
In Dresden demonstriert es sich gut. Diese Erfahrung machen jedenfalls die Initiatoren von PEGIDA. Das Akronym steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Der Name ist Programm. Zahlreiche Äußerungen auf der zugehörigen Facebook-Seite zeigen deutlich, dass hier Menschen gesammelt werden, die ihre Heimat vor der Gefahr einer „Islamisierung“ verteidigen wollen. In wenigen Wochen ist es den Organisatoren gelungen, die Teilnehmerzahlen der „Abendspaziergänge“ auf (nach Polizeiangaben) bis zu 25 000 Teilnehmer zu steigern. Der Umgang mit PEGIDA ist inzwischen zum politisch und medial intensiv diskutierten Thema geworden - auch international.
Themen
Nun gibt es schon lange Muslime auch in Deutschland und die Debatte um Asylverfahren ist ebenfalls nicht neu. Warum bringt das Thema plötzlich die Menschen in solcher Zahl auf die Straße? Offenbar ist es ein schwer durchschaubares Konglomerat von Gründen, welche in ihrem Zusammenwirken PEGIDA diese Dynamik verleihen. Deren wichtigste sind:
1) Islamangst: islamistischer Terror
Die Bilder von der Schreckensherrschaft der Gruppe, die sich selbst als „Islamischer Staat“ (IS) bezeichnet, verbunden mit den militärischen Erfolgen im Irak, scheinen alle latenten Ängste und Vorurteile zu bestätigen, die islamkritische Kreise schon lange verbreiten. Diese werden verallgemeinert und auf den Islam als Ganzes bezogen: Der Islam sei seinem Wesen nach gewalttätig und sein Expansionsstreben eine ernstzunehmende Gefahr. Wenn jetzt nicht gegensteuert werde, würden „die Deutschen“ in wenigen Jahren nur noch eine kleine mehr oder weniger geduldete Minderheit im eigenen Land darstellen und sich einer Scharia-Gesetzgebung unterwerfen müssen – so die immer wieder auf der PEGIDA-Facebookseite geäußerten Gruselprognosen. Jeder neue Gewaltakt wie z.B. das Attentat in Paris am 7. 1. 2015 wird als Bestätigung dieser Befürchtungen aufgenommen.
2) Fremdenangst: Flüchtlingsunterbringung
Das zweite Element hängt auch damit zusammen: Der starke Anstieg beim Zustrom von Flüchtlingen aus diesen vom Krieg gezeichneten Gebieten sorgt in vielen Kommunen für nicht geringe organisatorische Probleme. Die Vorstellung, dass bald in der eigenen unmittelbaren Nachbarschaft lauter Menschen einziehen, die weder mit deutscher Sprache noch Kultur vertraut sind, lässt die Angst vor dem Fremden aufleben.
PEGIDA verknüpft nun sehr geschickt diese beiden Elemente miteinander und formuliert als Demonstrationsmotto „Keine Glaubenskriege auf deutschem Boden“. Es wird damit unterstellt, mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus diesen Ländern würde nicht nur die „Islamisierung“ Deutschlands vorangetrieben, sondern auch die eigene Sicherheitslage nachteilig beeinflusst, weil unter diesen eben auch Gewalttäter sein könnten.
3) Kriegsangst: Ukrainekrise
Auf den PEGIDA-Demonstrationen wird auch die deutsche Politik im Blick auf die Kämpfe in der Ukraine thematisiert. Transparente fordern: „Kein Krieg mit Russland“. Man sieht weiße Friedenstauben auf den Schildern. Demonstranten äußern Ängste, dass Deutschland auf einen Krieg zusteuert und manche sympathisieren mehr oder weniger deutlich mit Putin, mitunter werden auch krude Verschwörungstheorien laut.
4) Politikverdrossenheit
Auffällig ist die immer wieder zu hörende pauschale Absage an die gegenwärtige Politik. Viele von denen, die bei PEGIDA zusammenlaufen sehen dies als einen Weg, um ihren Frust über eine Politik auszudrücken, der die Meinung der Bürger egal zu sein scheint.
In der vorgenommenen undifferenzierten Heftigkeit wird dies aber eine Absage an das ganze politische System der parlamentarischen Demokratie. Das ist mit Sicherheit nicht jedem Demonstranten so bewusst und auch nicht immer beabsichtigt. Wo aber pauschal die Meinung vertreten wird, alle Politiker und Parteien hätten versagt und könnten keine Hilfe bringen, wird das System insgesamt in Frage gestellt. Eine Reihe von Kommentatoren wollen auch ausgemacht haben, dass es zu einem großen Anteil Nichtwähler sind, die sich bei PEGIDA Ausdruck verschaffen.
5) Medienkritik
Parallel zur Absage an die Politik läuft die Grundsatzkritik an die Massenmedien, deren Unabhängigkeit ebenso pauschal bestritten und ihnen eine Verflechtung mit der regierenden Politik unterstellt wird. Auf den Demonstrationen wird „Lügenpresse“ skandiert und der angebliche Verlust der Meinungsfreiheit beklagt, weil Pegida-Anhänger in ihrer Umgebung mit Widerspruch und Ablehnung konfrontiert sind. Es wird suggeriert, dass eine weitreichende politische Zensur bestehe und nur in das Schema passende Beiträge politisch zugelassen würden. Nun lässt sich ja leicht beobachten, dass dies nicht stimmt und selbst auf der PEGIDA-Facebookseite auch immer wieder Medienberichte zustimmend weitergegeben werden. Aber selbst damit wird der Eindruck einer „Systempresse“ untermauert, indem solche Artikel regelmäßig mit dem Begriff „Zensurversager“ einleitend kommentiert werden.
Dazu können ständig weitere Themen treten, die von Demonstrationsteilnehmern genannt werden, warum sie hier sind: Mehr Geld für Schulen, Angst vor Altersarmut, Brüsseler Bürokratie, die Mautdebatte, Abschaffung der GEZ usw. Mitunter gewinnt man den Eindruck, für manche genügt eine allgemeine Unzufriedenheit mit beliebigen Aspekten gegenwärtiger Politik, um bei PEGIDA mitzulaufen und ihrem diffusen Gefühl damit Ausdruck zu verleihen. Aber wen und was unterstützen sie damit?
Wer sind die Pegidianer?
Erste stichprobenhafte soziologische Untersuchungen der TU Dresden kommt zu dem Ergebnis: „Der „typische“ PEGIDA-Demonstrant entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit aus und stammt aus Dresden oder Sachsen.“(Prof. Dr. Hans Vorländer: Wer geht warum zu PEGIDA-Demonstrationen?, S. 2.) Darüber hinaus lässt sich sagen, dass sich die Kunst- und Kulturschaffenden der Stadt sowie die Mehrheit der Dresdner Studenten eher bei den Gegendemonstrationen einfindet. Auf der Pegida-Seite steht dem ein Mix aus der Bevölkerung gegenüber mit starker Beteiligung der Fußball-Fankultur und organisierter rechtsextremer Kräfte. Deutlich ist auch, dass auf verschiedenen Ebenen Sympathien zu Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) bestehen.
Demokraten?
Bei den Demonstrationen dominieren Deutschlandfahnen und Sprechchöre „Wir sind das Volk.“ Dieser Ruf aus den Montagsdemonstrationen in der ausgehenden DDR wird von PEGIDA benutzt, um eine ähnliche Situation zu suggerieren: Bürger gehen gegen ein selbstgerechtes und versagendes politisches System auf die Straße. Sie lassen sich ihre Meinung nicht verbieten („Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“) Sie hoffen damit (wie beim historischen Vorbild) einen Politikwechsel erzwingen zu können. Welche Welten zwischen der SED-Herrschaft und der heutigen rechtsstaatlichen Demokratie liegen, wird dabei zunehmend vernebelt. Erinnerung ist eben immer selektiv. Die Selbstinszenierung als wahre Demokraten bei PEGIDA geschieht mit den Forderungen nach Volksentscheid und dem Anspruch zur Wahrung der Volksinteressen gegen eine korrupte Politikergilde. Die Konkretionen sind durchweg mit starker Nationalisierung verbunden: Europaskepsis, zuwanderungsfeindliche und ethnopluralistische Positionen weisen den Weg zu einem Bild vom „Volk“ als scheinbar homogener Größe, in das keine „fremde Kultur“ passt.
Neonazis?
Von Anfang an fanden sich die PEGIDA-Demonstrationsteilnehmer mit dem Vorwurf konfrontiert, die Sache rechtsextremer Gruppen zu betreiben. Übliches Reaktionsmuster ist die gebetsmühlenartig wiederholte Rechtfertigung, sie seien doch keine Nazis. Solche Unterstellungen wären nur Versuche der „linken“ Gegner, denen unliebsame Themen durch Ausgrenzung mit der „Nazikeule“ zu erschlagen. Dass auch prominente NPD-Kader bei den Demos mitlaufen, hänge daran, dass die Veranstaltung allen offen stehe und man niemanden ausschließen wolle, der die Veranstaltung nicht stört. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Tatsache, wie weit sich die Themen entsprechen oder eine direkte Abgrenzung blieben bislang seltene Ausnahmen.
Nun ist es sicher richtig, dass die überwiegende Mehrzahl der PEGIDA-Demonstrationsteilnehmer keine direkte Verbindung zur organisierten Neonaziszene hat und mit dieser nicht einfach gleich gesetzt werden darf. Ebenso richtig ist es aber auch, dass die Themen, mit denen PEGIDA angetreten ist, zuvor von rechtsextremen Parteien vertreten wurden und mit z.T. ganz analoger Argumentation deren Wahlkampfthemen waren: Fremdenfeindlichkeit, Ablehnung von Unterkünften für Asylbewerber, gezieltes Schüren von Ängsten vor „kriminellen Ausländern“, Ablehnung des politischen Systems insgesamt mit dem Ruf nach einer Alternative, Kritik der Medien als „Systempresse“ usw. Ebenso war schon in den Anfangstagen der Bewegung auffällig, welche Befürwortung und Mobilisierung sie aus dem rechtsnationalen und rechtsextremen Lager bekommen hat. Die „Blaue Narzisse“, eine Internetzeitung der „Identitären Bewegung“ und intellektuelle Vordenker der Neuen Rechten, bejubelte die Demonstrationen und prägte mit einem Artikel vom 28. Oktober den Slogan „Dresden zeigt wie es geht“.
Die Verflechtungen sind also offensichtlich, wenn man etwas genauer hinschaut. Jedoch haben sich die Dresdner Pegida-Organisatoren stets bemüht, keine allzu offensichtlichen Naziparolen auf der Veranstaltung laut werden zu lassen. Der Legida-Ableger in Leipzig erscheint demgegenüber wie eine demaskierte Pegida: Dort sind die Parolen härter und die Anmelder deutlich aus dem rechtsextremen Milieu.
Rassisten?
Mehrfach äußerten Pegida-Mitläufer, sie seien keine Rassisten, denn der Islam sei ja keine Rasse. Von Anfang an bestand jedoch eine enge Zusammenarbeit mit dem antiislamischen Hetzportal „Politically Incorrect“ (pi-news.de), dessen Banner oft zusammen mit dem PEGIDA-Banner in Berichten von den Demonstrationen auftaucht. Was sich bei „Politically Incorrect“ in Nachrichtenbeiträgen und Blog-Diskussionen abspielt, ist von Analysten schon vor Jahren als religiös verbrämter Rassismus klassifiziert worden (vgl. Confessio 6/2010 , Seite 8ff). Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus hat sich in dem Flyer „Antimuslimischer Rassismus“ genau mit diesem Thema auseinandergesetzt: „Rassismus bedeutet, dass einer (ethnischen, nationalen, kulturellen oder religiösen) Gruppe bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, die sich von den Eigenschaften der eigenen Gruppe unterscheiden. Diese Eigenschaften werden als, mehr oder weniger, unabänderlich gesehen und sie werden, meist negativ, bewertet. […] Der Begriff des antimuslimischen Rassismus soll verdeutlichen, dass es sich um einen Prozess der Ausgrenzung und Abwertung von Muslimen handelt, der von den ausgrenzenden Menschen ausgeht und nicht in der Religion begründet ist.“ Fundamentalisten (die es in jeder Religionsgemeinschaft gibt) werden als Vertreter des „wahren“ Islam angesehen und der Islam nicht als Teil, sondern als Gegenentwurf zu unserer Gesellschaft dargestellt.
Übersteigerte Islamangst
Die Möglichkeit, islamische Religion konform zu demokratischen Gesellschaften und im friedlichen Miteinander mit anderen Religionen zu leben, wie dies tausendfach geschieht, wird rundweg bestritten. Die komplexen Problemlagen aus korrupten Regimes, innenpolitischen Machtkämpfen, ethnischen Konflikten und Stammesfehden in verschiedenen Ländern, in denen der Islam verbreitet ist, werden radikal vereinfacht und insgesamt dem Islam als Religion zugeschrieben. Daraus folgend werden Schreckenszenarios konstruiert, die eine unvermeidlich drohende Übernahme Deutschlands durch radikale Islamisten binnen weniger Jahre vor Augen stellen. Sämtliche bürgerliche Freiheitsrechte seien dann in Gefahr, wenn nicht jetzt energisch gegengesteuert würde, solange wir noch die Macht haben und dem Islam Einhalt gebieten können.
Gegenläufige Fakten spielen in den Diskussionen keine erkennbare Rolle und entfalten keine mäßigende Wirkung. Im Ergebnis sind es ganz normale Bürger, die aufgepeitscht durch solche Angstszenarios für die Zukunft ihrer Kinder auf die Straße gehen, um die Politik in Richtung einer stärkeren Ausgrenzung des Islam zu verändern.
Nun gibt es ja in der Tat eine Reihe von Beispielen dafür, dass unter Berufung auf den Islam Menschenrechte eingeschränkt und auch Gewalttaten begangen wurden. Das zu ignorieren wäre auch nicht richtig. Aber man kann nicht ein Unrecht durch ein anderes Unrecht wieder gut machen wollen. Wo unter Berufung auf den Islam die Religionsfreiheit missachtet wird, sollte gemeinsam mit Muslimen darauf hin gearbeitet werden, dass dieses Menschenrecht respektiert wird. Definitiv keine Lösung kann es sein, die Religionsfreiheit für Muslime einzuschränken, wie dies mehrfach auf der PEGIDA-Facebookseite gefordert wurde.
Das Positionspapier
Welche Äußerungen im Umfeld von PEGIDA können als Ausdruck der Bewegung gewertet werden, und welches sind nur Einzelstimmen von Mitläufern, die aber nicht den Organisatoren angelastet werden können? Seit dem 10. Dezember 2014 gibt es ein „Positionspapier“, welches Klarheit schaffen soll und ohne Hinweis auf Verfasser und Autorisierung über die PEGIDA-Facebookseite verbreitet wurde. Diese 19 Punkte stehen teilweise in einem merkwürdigen Kontrast zu der Atmosphäre, die bei den Demonstrationen und auf der Facebook-Seite vorherrscht. Offensichtlich bemüht sich das Positionspapier darum, die Kritik, PEGIDA sei ausländerfeindlich, rassistisch oder neonazistisch, zu entkräften. Die Eingangsaussagen, für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen zu sein, tragen allerdings nicht viel aus, solange auf den Demonstrationen und in den Facebook-Äußerungen die zur Unterbringung vorgesehenen Geflüchteten recht pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge klassifiziert werden. Auf den Demonstrationen wurde das Positionspapier bislang auch nicht wirklich inhaltlich vorgestellt oder im Detail diskutiert, sondern nur in dieser Funktion verwendet. So wurden z.B. am 5. Januar gegen den medialen Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit die freundlichen Aussagen des Positionspapiers hochgehalten. Nachdem das geklärt war, konnte sich der Rest der Veranstaltung ausschließlich gegen den Islam und Zuwanderung und Asylbewerber wenden. Auf die Außenwahrnehmung bezüglich des Charakters von PEGIDA hatte das Positionspapier folglich bislang keinen prägenden Einfluss.
Dass das Positionspapier mit der Stimmung auf den Demonstrationen so wenig deckungsgleich ist, vergrößert die Schwierigkeit, PEGIDA als Bewegung und vor allem die einzelnen Demonstrationsteilnehmer sachgerecht einzuschätzen. In mancher Hinsicht sind die Positionen von Demonstranten und Gegendemonstranten sehr dicht beieinander. Gegen islamistischen Terrorismus sind auch die Gegendemonstranten. Für menschenwürdige Unterbringung von (Kriegs-)Flüchtlingen und bessere Ausstattung der Asylbehörden, ja sogar für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen (nach Königsteiner Schlüssel, Punkt 4) spricht sich das PEGIDA-Positionspapier aus. Man muss also schon sehr genau hinsehen und nach den Motiven der einzelnen Teilnehmer fragen. Hängt vielleicht bei manchem die Entscheidung, auf welcher Seite der Demo jemand steht, schlicht daran, von welchem Nachbarn er zuerst angesprochen und mitgenommen wurde? Allerspätestens auf der Demo selbst sollte allerdings jeder Mensch erkennen können, wo er hingeraten ist. An der inneren Einstellung zu Flüchtlingen markiert sich der Unterschied dann doch deutlich.
Warum Dresden?
In Dresden hat der Zulauf zu PEGIDA bis Anfang Januar 2015 kontinuierlich zugenommen, während der Versuch, die Idee in andere Städte zu exportieren, weit weniger erfolgreich war. Zwar gibt es bundesweit Ableger, die aber mit deutlich kleineren Teilnehmerzahlen auskommen müssen und von den Gegendemonstrationen weit übertroffen werden. Am 5. und am 12. Januar 2015 standen in allen anderen deutschen Städten mit Anti-Pegida-Protesten weitaus mehr Pegida-Gegner als Befürworter auf der Straße.
Warum funktioniert Pegida in Dresden so gut? Zunächst muss festgehalten werden, dass PEGIDA kein spezielles Dresdner Phänomen ist, sondern auf ganz Sachsen bezogen werden muss, denn die Demonstranten kommen aus vielen sächsischen Orten (und darüber hinaus) angereist. Oftmals wird dies mit einem Schild mit dem Ortsnamen verdeutlicht. Es wird von einem PEGIDA-Bustourismus berichtet, der Menschen von den Dörfern einsammelt und zur Demonstration nach Dresden fährt. Dresden hat sich zum Wallfahrtsort unzufriedener Bürger entwickelt.
Warum also Sachsen? Zwei Erklärungen bieten sich an:
- Weil es in Sachsen so wenige Ausländer gibt. Zahlreiche Studien haben inzwischen nachgewiesen, dass die Ausländerangst dort am größten ist, wo es die wenigsten Ausländer gibt. Das ist auch logisch, denn dort ist die Fremdheitserfahrung am größten. Zwar gibt es auch keine nennenswerten Konflikte vor Ort, aber ändert in einer medial vernetzten Gesellschaft gar nichts. Die schlechten Nachrichten aus aller Welt von Anschlägen und Konflikten sehen sie jeden Abend im Fernsehen oder im Internet. Zudem kommen reiselustigen Sachsen auch nach Köln oder Frankfurt und hören in der Straßenbahn lauter fremde Laute. Sie haben aber mehrheitlich keine entsprechenden Alltagserfahrungen, die sie diese Menschen als ganz normale Mitbürger erleben lassen. Das lässt die Ängste ungebremst wuchern – mit diesen sichtbaren Auswirkungen.
- Weil in Sachsen die demokratische Kultur unterentwickelt ist. Bürgerbeteiligung ist für staatliches und kommunales Verwaltungshandeln immer lästig, weil sie Abläufe bremst und Pläne zunichte machen kann. Wo über 25 Jahre stabile Machtverhältnisse bestehen, erscheint diese lästige Übung auch auf Ortsebene weniger wichtig, als wenn sich an den Wählerstimmen die nächste Regierung entscheidet. Demokratie will gelernt und geübt sein. Darin gibt es in Sachsen noch Luft nach oben. Nicht nur die in der Umfrage der TU-Dresden geäußerte Unzufriedenheit über die Distanz der Politik zu den Bürgern, sondern auch die historisch niedrige Wahlbeteiligung von unter 50% bei der letzten Landtagswahl sind dafür ein Indikator.
Was bleibt zu tun?
Die scheinbar freundlichen Eingangsaussagen im PEGIDA-Positionspapier dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses stark mit Unterstellungen und Suggestionen arbeitet. Letztlich befördert es eine Grundstimmung, die sich gegen die Aufnahme von Asylsuchenden wendet. Wie die Opferberatung berichtet, haben Menschen mit Migrationshintergrund seit dem Aufkommen von Pegida vermehrt unter verbaler und tätlicher Gewalt zu leiden haben. Die Stimmung überträgt sich auf das Handeln.
Die Kirchen haben schon früh und deutlich Position für einen freundlichen Umgang Flüchtlingen - und damit auch gegen PEGIDA bezogen. Am 11. 11. 2014 wurde mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) ein Martinsaufruf verbreitet, der am Beispiel von Martin zur Hilfe für Notleidende auffordert. Posaunenchöre spielten auf den ersten Gegendemonstrationen, als noch keine internationale Presse zugegen war. Zu Weihnachten hat sich die Kirchenleitung der sächsischen Landeskirche an alle Christen in Sachsen gewendet, mit Blick auf das Flüchtlingskind Jesus die Not der Flüchtlinge nicht zu übersehen (Texte auf www.kirche-fuer-demokratie.de/pegida). Auch in vielen Predigten wurde dies thematisiert. Und nicht zu unterschlagen ist das Engagement Dresdner Christen im „Bündnis für alle“.
Eine wichtige Aufgabe scheint jetzt, einer zunehmenden Polarisierung des Konfliktes und damit der Gesellschaft entgegenzuwirken. Dass die Pegidianer ihre Meinung auf die Straße tragen, kann man als Wahrnehmung eines demokratischen Grundrechtes begrüßen, weil es ermöglicht, sich politisch dazu zu verhalten, was bei reinen Stammtischparolen nicht geht. Weil diese Versammlungen dazu benutzt werden, Demokratieverdruss zu vertiefen sowie Hass und menschenfeindliche Einstellungen zu verbreiten, sollten sie aber nicht tatenlos hingenommen werden.
Zum Dialog gibt es keine Alternative. Das Gespräch über die „berechtigten Ängste“ darf aber nicht die Abwertung von Menschengruppen salonfähig machen. Die Ängste von Migranten sind mindestens ebenso bedeutsam wie die Überfremdungsängste gut situierter deutscher Bürger, die sich weit weniger auf reale Fakten gründen lassen.
Es braucht in solchen Gesprächen das klare Eintreten für unteilbare Menschenrechte, für politische Mitbestimmung im Rahmen der parlamentarischen Demokratie und für die uneingeschränkte Religionsfreiheit. Wenn es den PEGIDA-Teilnehmern ernst damit wäre, die christlich-abendländische Kultur zu verteidigen, dann sollten sie auf diese Werte ansprechbar sein.