Schwärmende Religionskritik

Umweltverantwortung, Spannung und religiöse Fragen in Frank Schätzings „Der Schwarm“

In diesem Sommer konnte man sicherlich nicht nur am Ostseestrand in den Händen vieler Urlauber einen Bestseller finden, der trotz seiner knapp 1000 Seiten inzwischen schon in der 7. Auflage verkauft wird: „Der Schwarm“ von Frank Schätzing. In dem Öko-Thriller geht es um das Verhältnis von Mensch und Natur, um atemberaubende Einblicke in das Universum unter Wasser und die gewaltigen Zerstörungen, die Menschen in vielen Teilen der Welt in den marinen Ökosystemen anrichten. Dies wird aber nicht schulmeisternd angeprangert, sondern in einer spannenden Story und in eine Flut anschaulich erklärter aktueller wissenschaftlicher Forschungserkenntnisse eingebettet.

Im Endergebnis ist dieses Buch aber noch mehr: Es ist ein Buch gegen die Religion an die Gebildeten unter ihren Befürwortern, wie man es in Abwandlung eines berühmten Titels von F. Schleiermacher formulieren könnte.1

Im ganzen Buch verstreut und geballt am Ende finden sich offene und hintergründige religionskritische - bzw. genauer: christentumskritische -Auffassungen vorgetragen. Die Kritik am Christentum, wie man sie hier massenwirksam formuliert findet, wird vermutlich von vielen deutschen Intellektuellen geteilt. Darum ist es angezeigt, sich etwas näher mit ihr auseinander zu setzen.

Ganzheitliche Lebensweisheit gegen Naturzerstörung

Schätzing vertritt die Position einer aufgeklärten Wissenschaft. Jegliche Esoterik ist ihm ein Gräuel, was mehrfach explizit formuliert wird. Diese Abgrenzung von der Esoterik erscheint allerdings auch nötig, weil er als kluger Zeitgenosse durchaus erkennt, wohin eine rein wissenschaftlich-technische Naturbetrachtung führen kann, der die religiöse Rückbindung fehlt: nämlich zur rücksichtslosen Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Kommerzielle Interessen setzen sich immer wieder gegen ökologische Erkenntnisse durch. Wir wissen, dass das Abholzen des Regenwaldes schwere Klimaprobleme und andere Folgeschäden verursacht, dennoch fährt die Menschheit damit ungehindert fort. Wissenschaftler schlagen Alarm, dass etliche Haiarten vom Aussterben bedroht sind wie einstmals die Wale - dennoch werden sie wie viele andere Fischarten erbarmungslos überjagt. Als Gegenmodell zu solcher Ausbeutung wird die Naturverbundenheit und die pantheistisch-ganzheitliche Sichtweise indianischer Stämme dargestellt. Kanadische Indianerhäuptlinge und Eskimo-Schamanen werden mit der Aussage zitiert, dass „Alles eins“ sei.

Das Christentum erscheint im Buch als Gegenüber zu diesen auf ihren atheismusverträglichen spirituellen Extrakt gefilterten Indianerweisheiten lediglich in Gestalt machtbesessener und vorurteilsbeladener US-Amerikaner. Der Verweis auf Gott, den sie oft im Munde führen, dient ihnen lediglich dazu, ihre eigenen Meinungen, Absichten und Vorurteile zu bestärken. Prototyp dieser Sorte von Christen, die als maßgeblich verantwortlich für das ökologische Desaster gezeichnet werden, ist der Präsident der USA.

Selbstgerechtes Christentum

In dieser Darstellung kommt ein Hauptvorwurf gegen das Christentum zum Ausdruck, der durchaus ernst genommen werden sollte: Die aus dem biblischen Schöpfungsbericht geschlussfolgerte Gottebenbildlichkeit des Menschen und seine Stellung als „Krone der Schöpfung“ sei maßgeblich Schuld daran, dass die Menschen sich als Herren aufführen und nicht mehr als Teil der Natur verstehen würden. Diese menschliche Überheblichkeit begünstige die Ausbeutung der Natur aus kommerziellen Interessen. Im Buch „Der Schwarm“ argumentieren die Amerikaner in solchen oberflächlich christlich eingefärbten Selbstrechtfertigungen. Dasjenige aus der Tierwelt, das den Menschen - Gottes erwählter Rasse, und natürlich insbesondere Amerika, „Gods own country“ - gefährlich wird, ist eine Ausgeburt der Hölle und gehört vernichtet. Vorsicht, weil wir nicht genug verstehen, welche Funktion diese Organismen im Ökosystem haben, kann bei solchen religiös überhöhten Gewissheiten nicht aufkommen. Dummheit gepaart mit Macht und religiös verkleidet zeigt sich hier als der eigentliche größte Feind der Menschheit.

Fürsorge statt Ausbeutung

Die Aussage in 1. Mose 1,28, dass der Mensch sich die Erde und die Tierwelt „untertan“ machen und über sie „herrschen“ solle, ist in der Geschichte immer wieder zur Ausbeutung der Natur missbraucht worden. Insofern trifft Christen hier durchaus eine Mitschuld. Allerdings hat sich die theologische Wissenschaft bemüht, klarzustellen, dass das Herrschen in erster Linie eine Fürsorgepflicht beinhaltet, wie es im Vergleich mit akkadischen Texten aus dieser Zeit deutlich wird. Christen sind aber auch in ihren täglichen Lebensvollzügen gefordert, der Verantwortung für die gesamte Schöpfung gerecht zu werden, die mit den Möglichkeiten zu ihrer Manipulation einhergeht. Im „Konziliaren Prozess“ für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung hat diese Weltverantwortung aus christlicher Motivation viele Impulse erhalten.

Jesus auf anderen Planeten?

Der zweite Kritikpunkt am Christentum wird am Schluss des Buches ausführlich entfaltet und bekommt dadurch ein besonderes Gewicht. Er hat mit dem Meer nichts mehr direkt zu tun, sondern eher mit dem Weltraum und ist ein Klassiker der Religionskritik, der schon während der Aufklärung diskutiert wurde:

Was ist, wenn es außer der Menschheit noch andere Formen intelligenten Lebens in diesem Universum gibt? Sind dies auch Geschöpfe Gottes? Hatten sie auch einen Sündenfall (oder hat Gott das dort besser hinbekommen)? Ist Jesus auch für diese gestorben? Oder musste Jesus wiederholt auf anderen Planeten inkarnieren, um auch diese Wesen zu erlösen? Oder war das dort gar nicht nötig? „Christi Tod war schmerzlich gewesen, aber unumgänglich, weil der göttliche und damit der einzige Weg. Im Angesicht von Alternativen jedoch: War es dann immer noch der einzig richtige Weg? Wie stellte sich Gottes Unfehlbarkeit dar, wenn Er zur Reinwaschung Seiner Schöpfung hier Seinen Sohn sterben ließ, dort aber nicht? War es ein Fehler gewesen, ihn zu opfern, den er auf anderen Welten keinesfalls wiederholen wollte? Und welchen Sinn sollte es haben, zu einem Gott zu beten, der die Dinge nicht verlässlich im Griff hatte?“ (Der Schwarm, S. 985)

Verzerrtes Gottesbild

Für Schätzing zeigen solche Fragen die Absurdität des Christentums. Allerdings beruhen sie auf einem verzerrten Gottesbild. Die Bibel beschreibt Gott nicht als einen Konstrukteur, der die Menschen wie Maschinen konstruiert hat, später erstaunt feststellt, dass sie nicht wie geplant funktionieren und dies nur durch ein einschneidendes Opfer wieder richten kann. Statt dessen bezeugen die biblischen Schriften deutlich:

Gott hat die Menschen als freie Wesen geschaffen. Die menschliche Entscheidungsfreiheit, die auch die Möglichkeit enthält, ohne bzw. gegen Gott leben zu wollen, ist kein Fehler der Schöpfung, sondern ein Erweis von Gottes Großzügigkeit.

Das Kommen von Jesus ist Ausdruck der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen. In radikaler Weise zeigt sich dies darin, dass Gott im Tod von Jesus am Kreuz am tiefsten Elend seiner Geschöpfe Anteil genommen hat.

Die Bibel handelt von der Erde und vom Verhältnis der Menschen zu Gott. Das ist ihr Horizont. Die Menschen sind ihre „Zielgruppe“, für sie gelten ihre Aussagen und Richtlinien.

Es ist möglich, dass es auch anderswo im Universum ebenfalls intelligentes Leben gibt. Gemäß dem, was die Bibel über das Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen zeigt, besteht kein Grund anzunehmen, dass Gott es weniger lieben würde. Gewiss wären die Formen und Gestalten dieses Gottesverhältnisses aber von den menschlichen Situationen grundverschieden. Diese Wesen müssten quasi ihre eigene Bibel haben. Insofern wäre es absurd, etwa die 10 Gebote auf spekulative Außerirdische oder intelligente Schwarmwesen von Einzellern übertragen zu wollen und den physiologischen Zelltod als Verstoß gegen das 5. Gebot anzuprangern. Oder wer fühlt sich etwa beim Haareschneiden eines solchen Vergehens schuldig? Für das zwischenmenschliche Zusammenleben und das Verhältnis der Menschen zu Gott enthält die Bibel aber sehr wohl gültige Aussagen, die auch dann nicht hinfällig werden, wenn in 3, 30 oder 300 Jahren das SETI-Projekt2 bei der Suche nach außerirdischer Intelligenz fündig wird.

Wie aktuell solche theologischen Debatten sind, die sich aus der gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Forschung ergeben, zeigen auch Diskussionsbände wie das von T. D. Wabbel herausgegebene Buch „Leben im All. Positionen aus Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie.“ (Patmos 2005).

Fehl am Platz ist in jedem Fall ein engstirniger menschlicher Hochmut, gegen den sich Schätzing zu recht wendet.3 Die Menschen sind von Gott in einer für irdischen Verhältnisse erstaunlichen Weise mit Verstand und manchmal auch Intelligenz gesegnet worden. Das bedeutet aber weder, dass wir zwangsläufig die Einzigen sein müssen, noch dass wir uns aus der Verantwortung stehlen können, die damit verbunden ist. In diesem Sinn ist „Der Schwarm“ trotz seiner Religionskritik ein empfehlenswertes Buch.

Harald Lamprecht

1. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799.

2. SETI = Search for extraterrestrial intelligence, www.seti.org

3. Ein Beispiel dafür wäre die christlich-reduktionistische Argumentation auf http://www.lichtarbeit-verführung.de/et.html

Artikel-URL: https://confessio.de/index.php/artikel/81

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2006 ab Seite 12