Razzia und Kinderbefreiung auch in Frankreich
Eine Niederlassung der christlich-fundamentalistischen „Zwölf Stämme“ in Sus im Südwesten Frankreichs wurde von 200 Polizisten durchsucht. Vier Kinder wurden in Obhut genommen und ihren Eltern entzogen. Die Vorwürfe beziehen sich ähnlich wie in Deutschland auf drastische Erziehungsmethoden, Kinderarbeit, mangelnde ärztliche Betreuung etc. Zu der Gemeinschaft in Sus zählen 120 Personen, darunter 50 Kinder. Zeitgleich gab es in der Niederlassung in Perpignan eine Polizeiaktion. Insgesamt wurden 12 Personen festgenommen.
Bereits im März 2002 waren 19 Mitglieder der Gruppe in Sus von einem Berufungsgericht in Pau wegen der Missachtung elterlicher Pflichten verurteilt worden.
Offensive Medienarbeit in Deutschland
Im Prozess um die Kinder der „Zwölf Stämme“ aus Klosterzimmern in Bayern ist der Anwalt der Verteidigung zu einer offensiven Pressearbeit übergegangen. Diverse Stellen einschließlich Sektenberatungen werden mit häufigen Presseerklärungen bedacht, welche die Auseinandersetzung um Sorgerecht und Kindeswohl auf die Ebene eines Religionskrieges zu erheben versuchen. So wird behauptet, es gehe „nicht mehr um das Kindswohl, sondern gegen den Glauben“. Der Anlass: Der Autor des Buches „Der Teufel schläft nie“, der darin seine persönlichen Erfahrungen bei den Zwölf Stämmen schildert, wurde vor Gericht als Zeuge gehört. Daraus versucht die Verteidigung abzuleiten, es ginge nicht darum, das Fehlverhalten von Eltern zu untersuchen, sondern sie „für die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft zu bestrafen“.6 Bereits einen Tag später versteigt sich die Verteidigung in dem Protest gegen die Ablehnung ihres Befangenheitsantrages zu dem Vorwurf, der Schutz der Kinder vor ihren schlagenden Eltern durch die Behörden käme einem „Völkermord“ nahe. Dieser wird im Völkerstrafgesetzbuch als die Absicht, „eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“ definiert. Die Bemühungen des Jugendamtes, den Kindern das Kennenlernen eines Lebens außerhalb von mit Prügelstrafen durchgesetzten doktrinären Vorgaben zu ermöglichen, stilisiert die Verteidigung als Absicht zur Zerstörung der Gruppe.
Das Argumentieren mit der Religionsfreiheit in diesem Zusammenhang ist ein geschickter Schachzug. Der Schutz religiöser Minderheiten vor staatlicher Willkür stellt in der Tat ein unterstützenswertes Anliegen dar und kann daher Sympathien für die unter Druck stehende Gruppe wecken. Allerdings lenkt dieses Manöver stark von dem eigentlichen Problem ab: Dass nach den Vorgaben dieser Gemeinschaft Kinder systematisch und absichtsvoll geschlagen werden und Schläge als Erziehungsinstrument nicht nur geduldet, sondern geradezu gefordert werden. Wer es nicht glaubt, braucht nur die offizielle Homepage der Zwölf Stämme zu besuchen. Auf deren deutscher Startseite wirbt dominant ein Banner für den Film „Seitdem die Rute verboten wurde, ist die Hölle los“, der diverse gesellschaftliche Probleme mit dem Verzicht auf die Prügelstrafe zu erklären versucht und eine breit angelegte Apologie des Schlagens von Kindern darstellt.7
Religionsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut. Sie rechtfertigt aber nicht den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit anderer Personen – auch nicht der eigenen Kinder.