Reich Gottes zwischen Utopie und neuer Vision
Vom Reich Gottes ist in der Bibel oft die Rede. Doch was ist damit gemeint? Und wie betrifft uns das heute in verschiedenen Konfessionen? Darüber wurde im November 2017 in Meißen bei der 14. Begegnungstagung diskutiert, die vom Evangelischen Bund Sachsen mit pfingstlich-charismatischen Gemeinden organisiert wurde.
Gleichnishafte Rede
Marco Frenschkowski, Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig, stellte in seinem Beitrag heraus, dass „Reich Gottes“ ein Kernbegriff in der Verkündigung von Jesus war. Bei Paulus oder im johanneischen Schrifttum gilt das nicht mehr. Zugleich fällt auf, dass Jesus den Begriff des Reiches Gottes nirgends eindeutig erklärt oder definiert hat. Er spricht nur in Bildern und Gleichnissen davon. Die Evangelien setzen den Begriff als selbstverständlich voraus und akzentuieren ihn lediglich. So entsteht die merkwürdige Diskrepanz, dass das Gottesreich zwar stark thematisiert wird, dabei aber zugleich eigentümlich schillernd unbestimmt bleibt.
Die „Malkut“ (Königsherrschaft) ist ein jüdischer Begriff, der sich im griechischen Basileia tou theou wiederspiegelt und mehr auf eine Person (den König) konzentriert ist, als auf den Staat als Organisation. Interessant an den Gleichnissen vom Reich Gottes ist: Sie sind oft Kontrastgleichnisse: Ein winziges Saatkorn bringt ein riesiges Ergebnis hervor. Sie nehmen Bilder aus dem jüdischen Alltagleben auf. Dabei ist die Lebenswelt von Männern und Frauen gleichermaßen berücksichtigt (Samenkorn und Sauerteig). Offensichtlich ist die Lebenswelt von Frauen genauso gleichnisfähig für das Reich Gottes wie die der Männer.
Räumliche und zeitliche Bestimmungen des Reiches Gottes stehen ebenso nebeneinander wie verschiedene apokalyptische Bilder vom Anbruch des Gottesreiches (mal in Friedenszeiten, mal in Kriegszeiten). Auch Naherwartung und Parusieverzögerung stehen in Spannung zueinander. Gegen den Versuch zur Berechnung apokalyptischer Zeiträume steht die Feststellung, das Reich Gottes sei „in euch“.
Erhellend war die Zusammenstellung von Prof. Frenschkowski zu unterschiedlichen Modellen der Zuordnung von Reich Gottes und Reich der Welt, die im Laufe der Kirchengeschichte entworfen wurden und vielfach bis heute ihre jeweiligen Vertreter finden.
Utopie?
Ist das Reich Gottes eine Utopie? Christian Zacke von der Vineyard-Gemeinde Dresden wies in seinem Beitrag darauf hin, dass der Begriff der Utopie ein griechisches Wortspiel darstellt und sowohl den Nicht-Ort als auch den guten Ort beschreiben kann. Der Begriff wurde von dem Roman „Utopia“ von Thomas Morus 1516 geprägt, der darin eine aus seiner Sicht ideale Gesellschaftsorganisation auf einer Insel beschreibt. Die Idee der Utopie ist freilich viel älter als der Begriff und begegnet uns bereits in der Antike. Die negative Form der Utopie, die Dystopie, ist in der Gegenwartskultur, in Theater, Film und Fernsehen, wesentlich verbreiteter. Für Utopien kann man bestimmte Wesensmerkmale feststellen:
- Sie beschreiben einen optimalen (gesellschaftlichen) Gegenentwurf zum Hier und Jetzt. Darum müssen sie anderswo spielen – entweder räumlich (z.B. auf einer Insel, in einem Kloster) oder zeitlich (in naher oder ferner Zukunft).
- Utopien handeln von den großen Themen: Gerechtigkeit, Herrschaft der Vernunft, sittliches Leben.
- Sie gehen davon aus, dass es im Grunde durchaus in der Möglichkeit des Menschen liegt, diese Utopie – zumindest näherungsweise – zu realisieren. Utopien beschreiben also etwas, was zwar derzeit und hier nicht ist, aber sein könnte.
Reich Gottes oder Reich des Terrors?
Punkt 1 und 2 zeigen große Parallelen zur christlichen Rede vom Reich Gottes. Auch dieses beschreibt einen Gegenentwurf zum Hier und Jetzt und handelt von Gerechtigkeit, der Überwindung der Sünde, der Gegenwart Gottes. Der dritte Punkt aber markiert einen wesentlichen Unterschied: Wäre das Reich Gottes durch Menschen machbar, wäre es ein Produkt der Schöpfung. Auf ein weiteres Problem hat Christian Zacke hingewiesen: Weil Utopien den (aus ihrer Sicht) besten Zustand beschreiben, wäre jede Abweichung davon eine Verschlechterung. Darum kann es eigentlich keinen Platz für Andersdenkende geben. Soziale Utopien sind darum fast immer Antipluralistisch. Solange sie ihr Modell lediglich räumlich experimentell ausleben wollen - sei es im Kloster oder im Kibbuz, und alle Beteiligten auf freiwilliger Entscheidung daran teilnehmen, mag es angehen. Zeitliche Utopien haben aber eher einen universellen Anspruch: Sie wollen überall die neue bessere Gesellschaft verwirklichen und haben deshalb keinen Platz für die Andersdenkenden vorgesehen. Das konnte man z.B. in der Geschichte des Kommunismus deutlich studieren.
In der Moderne wechselte die Thematik der verbreiteten Utopien von der Religion (Kloster, Milleniarismus) zur Herrschaft der Vernunft, Wissenschafts- und Fortschrittsglauben. Gegenwärtig sind Utopien mit Reich-Gottes-Bezug vor allem in rechtsevangelikalen Kreisen der USA präsent. Die Sehnsucht nach einer besseren Welt als das Hier und Jetzt ist offenbar der Menschheit ins Herz gelegt. Die Versuche, das Idealbild aus eigener Kraft herbeizuzwingen sind aber bislang immer gescheitert, wie auch das Täuferreich in Münster gezeigt hat. Gott selbst wird dafür sorgen, dass sein Reich sich ausbreitet.
Vision vom Reich Gottes
Jesus kam, um das Königreich seines Vaters zu gründen. Die Erlösung etc. sind lediglich Begleiterscheinungen davon, meinte Keith Warrington, langjähriger Mitarbeiter von „Jugend mit einer Mission“. Gott ruft in die Königsherrschaft, die aber weder geografisch noch politisch gefasst ist, sondern eine Unterordnung und Eingliederung in die Verwaltung des Heiligen Geistes erfordert. Praktisch geschieht dies vor allem in einem intensiven Gebetsdienst. Dies kann die Weltverantwortung mit der Glaubensbeziehung verbinden.
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