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Nur privat Fanatiker

Wieviel Engagement in einer Politsekte ist für Lehrkräfte zulässig?

Es ist eine vertrackte Situation für den Schulleiter eines Dresdner Gymnasiums. Eine Lehrerin für Französisch und Geografie an seiner Schule engagiert sich in ihrer Freizeit als Moderatorin bei kla.tv, einem Internetportal aus dem Umfeld des Schweizer Sektenführers Ivo Sasek und der von ihm begründeten „Organischen Christus-Generation“ (OCG) und der „Anti-Zensur-Koalition“ (AZK).

Von OCG zur AZK

Dieses Internetportal ist wohl mit Abstand das erfolgreichste Projekt der Sasekschen Unternehmungen. Die Aktionen der früheren Jahrzehnte, die unter dem Label der OCG entstanden, erreichten vor allem die ohnehin verbundenen Anhänger aus dem christlich-fundamentalistischen Milieu. Das betrifft Saseks Bücher und Vorträge, szenische Ton-Bild-Schauen, ebenso Oratorien und Musicals[1] und sogar Kinofilme.[2] Seit Ivo Sasek aber die „Anti-Zensur-Koalition“ gegründet hat, ist das anders. Zu deren Konferenzen holt er eine illustre Mischung von Personen auf die Bühne, die vor allem eine Gemeinsamkeit haben: Sie erhalten (aus guten Gründen) in der demokratisch orientierten Gesellschaft meist keine öffentlichen Podien: Scientologen, Holocaustleugner, Geschichtsrevisionisten, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker etc. Mit dem Pathos, gegen Zensur aufzutreten und unterdrückten Stimmen Gehör ermöglichen zu wollen, gibt er diesen Personen seine Bühne. Die Frage nach der Wahrheit der Ausführungen seiner Gäste delegiert er dabei an die Emotionen seiner Zuhörer: Sie sollen es kritisch im Herzen prüfen, und was wahr ist, wird ein gutes Gefühl auslösen.

Kla.tv

Klagemauer.tv (kurz: kla.tv) ist in diesem Kontext ein sehr umfangreiches Internet-Videoportal. Nahezu täglich erscheinen dort neue Beiträge, die überwiegend im Stil von Nachrichtensendungen gestaltet sind. Eine Moderatorin oder ein Moderator berichten zu einem Sachverhalt, während im Hintergrund dazu Bilder und Videos eingeblendet werden. Es gibt 16 verschiedene „Sendeformate“ in 12 Rubriken in bis zu 74 Sprachen. Um von Youtube-Sperrungen unabhängig zu sein, läuft alles auf eigenen Servern.

Die Inhalte der Beiträge haben schon seit Jahren – also auch lange vor der Corona-Pandemie – einen sehr starken verschwörungsideologischen Einschlag. Es wird von mächtigen Eliten geraunt, die im Hintergrund die Fäden ziehen und heimlich allerlei Übles für die Bevölkerung planen. Dieses Deutungsmuster durchzieht die Beiträge zu diversen tagespolitischen Ereignissen. Für Sasek und seine Anhänger sind diese Eliten auch noch von satanischen Kräften gesteuert und somit direkte Handlanger des absoluten Bösen. Desinformation und Dauerempörung, Verschwörungsmythen und eine hohe Überschneidung mit rechtspopulistischen Positionen kennzeichnen die Videobeiträge auf kla.tv. So wird die deutsche Schuld am 2. Weltkrieg relativiert und behauptet, „Die Juden erklären Deutschland den Krieg“ und in Reichsbürgermanier die deutsche Souveränität bestritten.[3] In der Corona-Pandemie ist das nicht weniger geworden. Es wird mit Lügen Angst und Panik vor Impfungen verbreitet und der Bundesregierung Abschaffung von Rechtsstaat und Demokratie vorgeworfen.

Im Leitungszirkel

Nun könnte man spekulieren, die freundlich in die Kamera lächelnde Dresdner Lehrerin sei nur ein einfaches OCG-Mitglied und ohne Wissen um das Ganze drumherum. Wie ein Artikel auf anonleaks.de anhand von Bildern und Dokumenten darlegt, ist sie hingegen „an der Spitze der Nahrungskette innerhalb der OCG und eine der Führungspersonen des Fake-News-Wissenschaftsleugnungs-Kanals KlaTV“[4]. Demnach ist sie mit der Organisation aufgewachsen und mittlerweile im Führungszirkel. So arbeite sie direkt mit Lois Sasek zusammen, wenn es um die Programmgestaltung bei Kla.TV geht. In der Urlaubszeit 2018 war sie quasi Stellvertreterin der Saseks, wenn es darum ging, kritische Medienberichte abzuwehren. „Sie weiß, wie sie damit umgehen muss und steht auch mit uns in Kontakt“ heißt es im internen „Infofluss“ (Nr. 27/2018). Der Beitrag zeigt sie auch auf einem Foto in einem Studio eines Reichsbürgers zusammen mit Ex-AfD-Politikern, rechten Hooligan-Bands und Aktivisten der Querdenker-Bewegung.

Religions- und Meinungsfreiheit

Gegenüber der Sächsischen Zeitung berief sich die Dresdner Lehrerin zunächst auf die Religionsfreiheit, die auch für Lehrkräfte gelte und auf die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit. Zudem habe sie ihre Lehrtätigkeit nie mit der ehrenamtlichen Tätigkeit bei KlaTV vermischt oder über Inhalte mit den Schülern und Schülerinnen diskutiert. Über ihren Unterricht hat es bislang keine Klagen gegeben. Wie ist mit solch einer Situation umzugehen?

Richtig ist, dass Religions- und Meinungsfreiheit selbstverständlich auch ihr zustehen. Es steht ihr vollkommen frei, Annahmen über das Wesen Gottes zu treffen oder auch nicht, Ivo Sasek für einen gottgesandten Propheten zu halten oder auch nicht, Gottesdienste zu besuchen wo immer sie möchte usw. Nur geht es in dieser Auseinandersetzung eben nicht um religiöse Fragen. Der Übergang von der OCG zur AZK ist auch ein Übergang von Religion zu Politik. Kla.TV ist in seinem Wesen kein religiöses, sondern ein dezidiert politisches Portal. Dass dessen politische Botschaften gelegentlich religiös aufgeladen werden („Satanismus“-Vorwurf an Politiker) ändert nichts an dieser innerweltlichen Zielrichtung und Begründungslogik. Außerdem ist zu unterscheiden zwischen „Meinungen“ und „Fakten“. Die Beiträge auf Kla.TV sind ständig dabei, diese Grenze zu verwischen. Immer wieder werden als Meinung getarnt Tatsachenbehauptungen erhoben, die nicht stimmen. Welche Auswirkungen hat es auf die Glaubwürdigkeit einer Lehrperson, wenn diese „rein privat“ in verantwortlicher Position an Unternehmungen beteiligt ist, die mit demagogischen Mitteln Lüge und Hetze verbreiten? Eine Diskussion über die Religionsfreiheit führt hier in die Irre. Welche Auswirkungen hätte es für einen muslimischen Lehrer, wenn dieser „in seiner Freizeit“ an islamistischen Hassportalen im Internet verantwortlich mitwirken würde? Würden wir das als „rein privat“ und von der Religions- und Meinungsfreiheit gedeckt beurteilen? Warum sollten für gesellschaftszersetzende Desinformationsportale mit (ehemals) christlichem Hintergrund andere Maßstäbe gelten? Welche Anforderungen an Wahrhaftigkeit für Personen im Bildungsbetrieb gelten sollen, muss in der Gesellschaft neu diskutiert werden. 

 

Harald Lamprecht

 


Nachtrag: 

Eine andere Frage ist, was der angemessene Umgang mit solch einer Person ist. Sie ist in der OCG aufgewachsen. Das lässt es möglich bis sogar sehr wahrscheinlich werden, dass sie sich vermutlich nicht in der Weise freiwillig für diesen Weg und dieses Engagement entschieden hat, wie es üblicherweise unreflektiert vorausgesetzt wird.

Das mindert nichts an der Unverträglichkeit vieler Aussagen auf KlaTV mit dem schulischen Bildungsauftrag. Aber es kann Konsequenzen für den persönlichen Umgang mit ihr haben. Vermutlich braucht sie mehr gewinnende Unterstützung und Freundschaft als Ausgrenzung. Nach allem, was wir über die OCG wissen, liegt der Verdacht nahe, dass sie in enormen Zwängen steckt. Ihre Familie einschließlich des Ehemannes sind in der OCG aktiv. Somit ist sie dort stets einem enorm starken Erwartungsdruck ausgesetzt, als Rädchen im Getriebe zu funktionieren. Falls sie das persönlich nicht will, bliebe ihr nur der totale Bruch und komplette Ausstieg aus ihrem gesamten sozialen Leben. Das ist möglich und kann eine große Befreiung sein. Aber es ist nicht leicht. So etwas schafft man weder von heute auf morgen noch allein. Die Videos von Simon Sasek, dem ältesten Sohn von Ivo Sasek, in denen er seinen Ausstieg und die Zeit davor schildert, vermitteln einen anschaulichen Eindruck von der Binnendynamik in der OCG und ihren Leitungsstrukturen, den Problemen eines Ausstiegs und dem neuen Leben danach: 

https://www.youtube.com/channel/UCGqONTSUTiABVpEJZukHTow/videos 

 

Fußnoten:

1 www.familie-sasek.ch/oratorien-musicals/

2 www.sasek.tv/spielfilme

3 kla.tv/14851

4 anonleaks.net/2021/optinfoil/katharina-w-eine-lehrerin-rechte-musik-und-die-ocg/

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2021 ab Seite 12