Die Konkurrenz schläft nicht

Wie neue Atheisten missionieren - von Andreas Finke

Das weiß ich noch aus Kindertagen: Wenn kleine Schweinchen große Fragen stellen, dann handelt es sich um die wirklich entscheidenden Themen der Zeit. In diesen Tagen ist ein Kinderbuch erschienen, in welchem von einem munteren Ferkel und einem aufgeweckten Igel berichtet wird. Beide begeben sich auf die Suche nach Gott. Leider machen sie keine gute Erfahrung. In Synagoge, Kirche und Moschee werden sie so sehr brüskiert, dass sie ihre Suche einstellen und in Zukunft ein Leben ohne Gott führen. So sitzen sie am Ende der Geschichte auf einer Parkbank und haben, wen wundert’s, „einen Heidenspaß“. Daher lautet die atheistische Moral: Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht.

SchweinchenDieses Kinderbuch, das „frechste Kinderbuch aller Zeiten“ (Verlagswerbung), wäre keine weitere Beachtung wert, wenn es nicht für bemerkenswerte Veränderungen in der Szene der Atheisten und Freidenker stehen würde. Denn in den letzten Jahren haben sich die Kirchenkritiker mehrmals völlig neu aufgestellt. Zwar ist die Zahl der organisierten Freidenker n

ach wie vor bescheiden, es gelingt ihnen jedoch immer besser, interessante Themen attraktiv zu besetzen. Anfang der 1990er Jahre gründete man in Berlin den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD). Das war ein erster Schritt raus aus der sektiererischen Enge der alten, Westberliner Freidenker. In Berlin macht der HVD inzwischen eine flotte Arbeit und ist mit seiner Jugendweihe („Jugendfeier“) und dem Lebenskundeunterricht längst in der Gesellschaft angekommen. So sehr, dass man dieses Fach derzeit auch in Brandenburg einführt, zum Schuljahresbeginn 2008 die erste Privatschule mit atheistischem Profil eröffnen wird und in absehbarer Zeit einen Antrag auf Anerkennung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ stellen dürfte. Das wäre dann die erwünschte Gleichstellung mit den Kirchen - zumindest in juristischer Hinsicht.

Gleichzeitig profilieren sich auch noch andere Freidenker. Im Hunsrück hat eine Giordano Bruno Stiftung (GBS) unter dem kecken Motto „Glaubst du noch oder denkst du schon?“ ihre Arbeit aufgenommen. Die Stiftung möchte atheistische Weltbilder fördern und hat sich binnen weniger Monate zu einer erstaunlich pfiffigen, antikirchlichen Plattform entwickelt. Dabei setzt man weniger auf geistige Auseinandersetzung, als vielmehr auf medienwirksames Spektakel. Ihr Sprecher, Michael Schmidt-Salomon, profiliert sich gern mit plakativen Angriffen auf das Christentum. Vor einiger Zeit erklärte er, der Christenheit käme unter allen Religionen die Sonderstellung als „dümmste Religion“ zu. „Christen glauben nicht nur trotz Hitler, Hunger, Haarausfall an die Allgegenwart eines allmächtigen, allgütigen Gottes. Ihr Gott leidet zudem auch noch an einer höchst seltsamen multiplen Persönlichkeitsstörung...“ Damit meint er die Trinität.

Der zweifellos cleverste Schritt dieser Stiftung war jedoch die Unterstützung ehemaliger Muslime, als diese in Köln den „Zentralrat der Ex-Muslime“ gründeten. Dieser Zentralrat stößt auch international auf großes Interesse, weil sich hier erstmals Muslime offen von ihrem Glauben lossagen. Ein im Islam gefährlicher Schritt. In Anbetracht des großen medialen Interesses an diesem Zentralrat war die Unterstützung wohl nicht ganz uneigennützig.

Der Zentralrat der Ex-Muslime ist nicht der erste Zentralrat, für dessen Gründung sich die GBS engagiert. So versuchte man vor einiger Zeit, zahlreiche atheistische und freidenkerische Organisationen zur Gründung eines „Zentralrats der Konfessionsfreien in Deutschland“ zu bewegen. Die Idee scheiterte vorerst, weil die freidenkerische Szene in Deutschland sehr disparat ist und man sich nicht auf gemeinsame Positionen einigen konnte. Umstritten war die Idee aber auch, weil einige im Übereifer meinten, der Zentralrat der Konfessionsfreien könnte mal eben alle Konfessionslosen in Deutschland repräsentieren. Ein Ansinnen, das in Anbetracht der verschwindend geringen Mitgliederzahl aller freidenkerischen Organisationen von etwa 15 000 bei ca. 30 Millionen Konfessionslosen recht übermütig wäre.

Eine andere, geschickte Initiative der neuen Atheisten war die Gründung einer Nachrichtenagentur, die als „Humanistischer Pressedienst“ (hpd) firmiert und religions- bzw. kirchenkritische Informationen zugänglich macht. Der Auftritt im Internet ist flott gestaltet und erfreut sich zahlreicher Zugriffe von Journalisten. Ebenso ansprechend gemacht ist die Datenbank „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ (fowid). Was man auf den ersten Blick nicht bemerkt: auch fowid ist ein Projekt der GBS und wird von Kirchenkritikern und Freidenkern betrieben. Es handelt sich also keineswegs um ein unparteiisches Informationsportal, sondern um einen geschickt lancierten Coup. Sozialwissenschaftler, Journalisten und Kirchenvertreter haben fowid inzwischen entdeckt und empfehlen das aufgeräumte Portal weiter. Denn erst beim genaueren Hinsehen wird der freidenkerische Hintergrund sichtbar: Auch wenn die Daten überwiegend verlässlich recherchiert sind, so ist ihre Auswahl tendenziös. Geboten wird, was für die Kirchen negativ ist.

Die Stärke des HVD und der GBS besteht darin, dass sie an den alltäglichen Atheismus in Deutschland anknüpfen. Wie aussichtsreich das sein kann, zeigt auch der Erfolg von Richard Dawkins Buch „Der Gotteswahn“. Seit einiger Zeit steht es auf den Bestsellerlisten, obwohl seine hemdsärmelige Religionskritik recht ermüdend ist. Auf 575 Seiten will er den Leser zum Atheismus bekehren. Ferkel und Igel machen das auf 34 Seiten und lassen dabei noch Platz für bunte Bilder. So könnte man das Kinderbuch als „Dawkin for kids“ bezeichnen. Die GBS hat übrigens das Kinderbuch finanziell gefördert und Richard Dawkins in diesen Tagen mit einem Preis für sein religionskritisches Wirken geehrt.

Wenn kleine Schweinchen große Fragen stellen, dann sollten sie gute Antworten bekommen. Der neue Atheismus positioniert sich laut und frech - gibt aber dürftige Antworten. Das jedoch ist nur ein kleiner Trost. Denn die entscheidende Frage lautet: Welche Antworten geben wir? Haben wir als Kirche überhaupt begriffen, in welch ernstzunehmende Konkurrenz wir geraten sind? Die Kirchen sind oft viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, kirchliche Verkündigung ist häufig zu innerkirchlich. Wir müssen uns dem Gespräch mit den Konfessionslosen stellen. Längst machen die organisierten Atheisten denen schöne Augen. Dawkins Bestseller dürfte die Atheisten beflügeln; dass ein amerikanischer Evolutionsbiologe den Glauben als „Gotteswahn“ bezeichnet, gefällt ihnen. Wer die Feuilletons aufmerksam verfolgt, merkt, dass der aggressive Atheismus merklich an Boden gewinnt. Wir brauchen als Kirchen daher eine neue Sprachfähigkeit.

Dr. Andreas Fincke

ist Leiter der Stadtakademie und Studentenpfarrer in Erfurt. Zuvor war er u.a. Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. 

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2007 ab Seite 06