Mission Gottesreich

Eine Diskussion über „Evangelikale“ und christlichen Fundamentalismus

Es war ein kleiner Buchladen in der Dresdner Neustadt, in den die Heinrich-Böll Stiftung zur Diskussion über die Probleme des christlichen Fundamentalismus eingeladen hatte. Der Raum hatte Platz für 25 Stühle, doch das Interesse war mit ca. 40 Zuhörern weitaus größer. So wurde kurzerhand eine Lautsprecherübertragung in den Hof organisiert.

Konfliktbereiche

Auf dem Podium referierten die beiden NDR-Journalisten Christian Bahr und Oda Lambrecht. In kurzen Sequenzen markierten Sie die Problempunkte im Zusammenhang mit „den Evangelikalen“, auf die sie im Rahmen der Recherchen zu ihrem Buch gestoßen waren:

  • Überzogene Heilungsversprechen: Zitate von Reinhard Bonnke im Rahmen seiner pfingstlichen Heilungsveranstaltungen wurden vorgelesen.
  • Dämonenfurcht und Exorzismus: Es wurde von versuchten Teufelsaustreibungen berichtet, unter anderem um damit homosexuelles Empfinden zu „heilen“. Titelfotos von Büchern von Christoph Häselbarth (Josua-Dienst e.V.) und Derek Prince werden herumgereicht.
  • Kreationismus: Kernaussagen aus einem Vortrag von Werner Gitt werden vorgestellt und beklagt, dass in evangelikalen Bekenntnisschulen auch im Biologieunterricht Schöpfungslehre unterrichtet werde.
  • Umgang mit Homosexuellen: Der enorme Druck wird beschrieben, dem homosexuell empfindende Menschen in diesen Kreisen ausgesetzt sind und mit Aussagen der Partei Bibeltreuer Christen belegt.
  • Autoritäre Kindererziehung und expliziter Aufruf zur Prügelstrafe in „evangelikalen“ Erziehungsratgebern.
  • Extremer missionarischer Sendungsdrang, der zu polemisch ausgrenzenden Abwertung von Menschen anderer Religionen führt und im Beispiel von JMEM Herrnhut-Ruppersdorf mangelhaft vorbereitete Jugendliche in gefährliche Situationen bringt. Die oft sehr martialische Sprache heizt Konflikte zwischen den Religionen an.
  • Wachsender Einfluss auf die Kirchen durch intensive Lobbyarbeit und gute medientechnische Ausstattung (Zeitschriften wie Idea Spektrum, Radio und Fernseharbeit im ERF, viele Internetseiten).
  • Verschwimmende Grenzen zwischen Landeskirchen und „Evangelikalen“, z.B. bei Events wie dem Christival oder Pro Christ, die mit landeskirchlicher Unterstützung stattfanden.


In der nachfolgenden zum Teil hitzigen Diskussion ging es vor allem um den Kreationismus und damit zusammenhängend um das angemessene Verständnis der Bibel. Dabei wurde deutlich, dass hier ein ein Schlüsselpunkt der Argumentation liegt. Schliesslich sehen sich die Verteter der kritisierten Praktiken von der Bibel zu solchem Handeln motiviert bzw. genötigt.

Ähnliche Veranstaltungen mit beiden Autoren hatten im Rahmen einer Leserreise auch in Leipzig und in Annaberg-Buchholz stattgefunden.

Notwendige Problemanzeige

Im Ergebnis sind daraus unterschiedliche Impulse mitzunehmen. Es ist deutlich geworden, dass die Autoren keine Hirngespinste auftischen. Sie haben solide recherchiert und präsentieren eine Reihe von Fakten zu Entwicklungen und Ereignissen, die in der Tat zu kritischer Bewertung herausfordern. Es kann und darf den Kirchen nicht gleichgültig sein, wenn im Namen des Christentums z.B. Kranke unter religiösen Leistungsdruck gesetzt werden, wenn Teufelsangst geschürt und zwischenmenschliche Probleme dämonisiert werden, oder wenn Kinder im Namen Gottes geschlagen werden. Wo derartige Misstände auftreten, müssen sie als solche benannt werden. Wenn kritische Journalisten wie hier diese Elemente aufdecken und anprangern, dann sind sie keine Feinde des Christentums, sondern leider manchmal notwendige Hilfen für einen kritisches Verhältnis gegenüber solchen Verirrungen.

Unpassende Verallgemeinerung

Allerdings ist den Autoren nicht in allen Punkten zu folgen. Insbesondere der Begriff „die Evangelikalen“ wird von ihnen zu verallgemeinernd verwendet und per Definition mit Fundamentalismus gleichgesetzt. Das hat zur Folge, dass die beschriebenen Missstände nicht exakt den Verursachern zugeordnet werden, sondern mittelbar allen angelastet werden, die sich als „evangelikal“ verstehen. Das ist in den meisten Fällen aber nicht sachgerecht und ruft entsprechende Gegenreaktionen hervor. Das führt dann leider dazu, dass sich der Fokus der Auseinandersetzung verschiebt: weg vom notwendigen Umgang mit den genannten Problemfeldern und hin zu einer Verteidigungshaltung derer, die sich zu Unrecht angegriffen fühlen. Solcherart in eine gemeinsame Frontlinie gedrängt kommt es nicht selten paradoxerweise gemäß der Fremdzuschreibung tatsächlich zu einem Schulterschluss zwischen „Evangelikalen“ und „Fundamentalisten“ zur Verteidigung des angegriffenen Christentums.

Vor diesem Hintergrund greift auch die Kritik an der Verflechtung von EKD und „Evangelikalen“ daneben. Es ist eben nicht so, dass sich die EKD von „den Evangelikalen“ distanzieren sollte, wie die Autoren das wünschen. Das Gegenteil ist der Fall: Christen die auf der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz stehen, haben selbstverständlich ihren Platz innerhalb der Kirchen der EKD. Gerade in ihrem Frömmigkeitsprofil können und sollen sie wichtige Partner in der Auseinandersetzung mit den oben beschriebenen Missständen sein. Denn das bessere Gegenüber zu missbrauchtem Glaube ist nicht kein Glaube, sondern lebendiger Glaube.

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://confessio.de/index.php/artikel/290

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2012 ab Seite 10