Dürfen Christen Yoga üben?

Beurteilungskriterien für esoterische Angebote

Immer wieder kann man erleben, dass Angebote, Praktiken und Anschauungsweisen aus dem Umfeld der Esoterik auch in christlichen Gemeinden auf Interesse stoßen und Aufnahme finden. Sei es die Meditationsgruppe, die neben den Taize-Liedern auch Zen-Meditationen ausprobiert, sei es die Müttergruppe, die zur Rückbildungsgymnastik einen Yoga-Lehrer engagiert, sei es der Heilpraktiker im Kirchenvorstand, der die Energie des Reiki für seine therapeutische Praxis einsetzen möchte, sei es der Architekt, der seine Bauten nach den chinesischen Regeln des Feng-shui konzipiert - sie alle benutzen Elemente aus anderen Religionen und Kulturkreisen. Dabei empfinden sie selbst in der Regel keinen Konflikt zu ihrer christlichen Beheimatung. Im Gegenteil: die neuen Elemente werden als Vertiefung und Bereicherung der bisherigen eigenen spirituellen Praxis erfahren, die damit keineswegs aufgegeben werden soll. Manche allerdings beginnen sich auch innerlich von der kirchlichen Form des Christentums zu entfremden, die dann gelegentlich als erstarrt, „dogmatisch“, in der Institution befangene „Amtskirche“ charakterisiert wird.

Reaktionen

Dieses Vordringen der Esoterik in den Bereich der Kirchen hinein stellt eine große Herausforderung dar. Verschiedene Reaktionsmuster lassen sich - hier etwas idealtypisch stilisiert - dabei beobachten:

  1. Motto „Türen auf“: Aus der Erfahrung, dass Menschen der Kirche entfremden, versucht man niedrigschwellige Einstiegsangebote zu offerieren und bemüht sich, die gesuchten Themen auch im Raum der Kirche anzubieten. Dann werden z. B. Yoga-Kurse im Gemeindehaus organisiert, therapeutische Klangschalenmeditation in Passionsandachten integriert oder Geomantieseminare als Gemeindeveranstaltung durchgeführt. Das Ziel dabei ist, auch Menschen mit esoterischen Interessen einen Raum innerhalb der Kirche zu gewähren, damit sie nicht „auswandern“ und sie vielleicht sogar andere für kirchliche Angeboten zu interessieren.
     
  2. Motto: „Türen verrammeln“: Aus der Einsicht, dass hier fremdreligiöse Elemente in den christlichen Glauben eindringen, erfolgt eine scharfe Ablehnung. Eine deutliche Grenze wird gezogen und alles, was nicht der eigenen Tradition entspricht, zurückgewiesen. Oft geschieht dies in Verbindung mit einer dualistisch-dämonisierenden Interpretation: den esoterischen Orakelpraktiken und Therapieformen wird durchaus Wirksamkeit zugestanden, aber nicht vermögens göttlicher, sondern dämonischer Kräfte. Wer eine Bach-Blüten-Therapie in Anspruch nehme, begebe sich damit in den Einflussbereich böser Mächte. Ziel dieser Reaktionsweise ist es, den christlichen Bereich gleichsam „rein“ zu erhalten und nicht durch Vermischung zu beeinträchtigen.

Probleme

Beide Reaktionsmuster sind problematisch, enthalten aber auch richtige Elemente und Einsichten. Der Versuch, die Esoterik in den christlichen Raum hereinzuholen, kann in der Konsequenz zum ununterscheidbaren Verschmelzen im esoterischen Strom führen. Für kirchliche Angebote lassen sich Menschen auf diese Weise kaum gewinnen. Darüber hinaus lassen sich bei näherer Betrachtung keineswegs alle Elemente des Esoterikmarktes bruchlos in ein christliches Glaubenssystem einfügen. Auch wenn von Vertretern esoterischer Angebote immer wieder anderes behauptet wird - vieles passt eben nicht zusammen bzw. schliesst sich gegenseitig aus. Die Aufgabe der Kirchen und Gemeinden ist es, Christus zu verkündigen, nicht Yoga, Zen oder schamanische Krafttiere. Ihre Aufgabe ist es auch, kritisch gegenüber falschen Heilsversprechen zu sein. Auf der anderen Seite ist aber nicht alles Ungewohnte und Fremde automatisch unchristlich. Wir sollten nicht den Fehler begehen, unsere Kulturprägung mit dem Kern des Christentums zu verwechseln. Es gilt, nicht den Fehler der Verdammung Galileis zu wiederholen. Weder der gegenwärtige Stand der naturwissenschaftlichen Forschung, noch die Akzeptanz eines rationalistisch-naturalistischen Weltbildes sind gleichbedeutend mit christlicher Offenbarung. Konkret: der christliche Glaube hängt nicht daran, ob es Erdstrahlen gibt oder nicht, ob der Mensch eine Aura hat oder nicht. Aber er verträgt es nicht, wenn Erdstrahlen zu Offenbarungsquellen stilisiert werden, vermeintliche Auraseher ihre Klienten ausbeuten und Yogaübungen als Weg zur Erlösung dienen sollen.

Inkulturationsaufgabe

Seit seinem Beginn steht das Christentum vor der Aufgabe, seine Botschaft in andere Kulturen zu übersetzen. Paulus hat sie vom jüdischen in den griechischen Kulturraum vermittelt, die iroschottischen Missionare haben sie den Germanen nahegebracht und die Herrnhuter in Afrika verkündigt. Immer sind dabei Elemente der aufnehmenden Kultur mit dem Christentum verbunden worden, immer auch unvereinbare Elemente der Ursprungskultur unterdrückt worden. Die Kirche steht gegenwärtig erneut vor der Aufgabe, ihre Botschaft in eine veränderte, in gewissen Teilen von esoterischen Auffassungen geprägte, Kultur zu übersetzen. Übersetzungsvorgänge sind geprägt von beidem: Kontinuität und Anpassung. Damit im Inhalt Kontinuität bewahrt werden kann, ist eine Anpassung in der äußeren Gestalt notwendig. Dabei wird es zu Übernahmen und Verschmelzungen kommen, aber auch Abgrenzungen und Ausscheidung unvereinbarer Teile geben müssen. Wichtigste (und schwerste) Aufgabe ist dabei, beides voneinander zu unterscheiden.

Traditionen „Taufen“

Bei der Christianisierung Germaniens wurden die als göttlich verehrten Bäume gefällt und an deren Stellen Kirchen errichtet. Abgetrennt und ausgeschieden wurde der Götzenkult, beibehalten die Prozession und Versammlung an diesem Ort. Nur war es nun keine Prozession zu einem heidnischen Kultort mehr, sondern zu einem Ort der Gottesanbetung. So wurde gleichsam eine ehemals heidnische Tradition christlich „getauft“. Hätten die Missionare sich in ihre Kirchen zurückgezogen und lediglich allen verboten, zum Götterbaum zu gehen (Reaktionsmuster b), wären sie wohl ebenso wenig erfolgreich gewesen, wie wenn sie sich selbst Bäume auf die Altäre gestellt hätten (Reaktionsmuster a). Analog dazu ist es heute eine Aufgabe missionarischer Kirche, auf die esoterisch interessierten Menschen zuzugehen, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen, aber darauf christliche Antworten zu suchen.

Bedürfnislagen

Was suchen Menschen in der Esoterik? Trotz aller Verschiedenheit individueller Motivationen lassen sich einige charakteristische Punkte benennen:

  • körperliche Hilfe und religiöse Orientierung (übernatürliche Hilfe für persönliches Leid)
  • eindrückliche emotionale Erlebnisse (Übersteigerung des Alltags)
  • ganzheitliche Betrachtung der Probleme (gegen moderne Ausdifferenzierung der Lebenshilfe: Glaubensfragen bitte beim Pfarrer, Finanzprobleme auf der Bank, Eheprobleme beim psychologischen Berater und die Magengeschwüre beim Arzt behandeln lassen)
  • Überwindung eines einseitigen Rationalismus
  • persönliche Zuwendung in überschaubaren Gruppen

Viele dieser Wünsche und Sehnsüchte haben ihre Wurzeln in den modernen Lebensgefügen der westlichen Gesellschaft. Manche sind auch Gegenbewegungen auf frühere Trends, die ihre Überzeugungskraft verloren haben. Dazu gehören z. B. rationalistische Versuche der Welterklärung. Die moderne Esoterik hat kein Problem mit dem Wunder, im Gegenteil, sie sucht es. Leider geht bei dieser breiten Akzeptanz auch ungewöhnlicher Lösungsansätze die Fähigkeit zu kritischer Prüfung oft völlig verloren. Dies lockt zu einem hohen Anteil auch Betrüger an, die sich mit esoterisch begründeten großen Versprechen auf Kosten ihrer Klienten bereichern.

Differenzierte Beurteilung

Für die wichtige Frage, welche Elemente der Esoterik in der Konfrontation mit dem christlichen Glauben nicht bestehen können, welche vom religiösen Standpunkt wertneutral sind und welche vielleicht auch als Bereicherung des eigenen Glaubenslebens Aufnahme finden können, empfiehlt sich eine abgestufte Beurteilung.

  1. Zunächst ist generell die Frage nach der Wirksamkeitsplausibilität zu stellen: Sind die angebotenen Wirkzusammenhänge im Rahmen meines Welt- und Menschenbildes überhaupt nachvollziehbar? Wieviel an impliziter Weltanschauung muss ich mit übernehmen, bevor ich bei nüchternem Nachdenken die behaupteten Zusammenhänge akzeptieren kann?
    Zum Beispiel bei der Akkupunktur ist mir auch ohne wissenschaftlich exakten Nachweis des von den Betreibern im Körper angenommenen Merediansystems nachvollziehbar, dass Nadelstiche (etwa über Nervenreizungen) eine Wirkung auf den Organismus haben können. Bei Bach-Blütenessenzen oder kinesiologisch gestellten Diagnosen ist es mir hingegen ebenso wie beim Kartenlegen nicht unmittelbar nachvollziehbar, wieso ein Zusammenhang zwischen zufällig ausgewählten Pflanzenextrakten, momentanen Muskelanspannungen bzw. ausgelegten Karten und der eigenen Befindlichkeit bestehen soll.
  2. Als zweiter Schritt ist die Prüfung auf die Verträglichkeit mit den Grundüberzeugungen des Christentums notwendig: Welche Stellung hat die Methode zum Glauben an die Erlösung durch Kreuz und Auferstehung Jesu?
    Als Antwort sind verschiedene Möglichkeiten denkbar:
    1. ausgeschlossen (z. B. beim Karma-Glauben)
    2. eingeschränkt/ergänzt (z. B. bei Yoga - je nach Anwendung) oder
    3. nicht berührt (z. B. Homöopathie, Heilkräuteranwendung etc.)

Welches Heil von wem?

Hilfreiche Leitfrage bei dieser Entscheidung ist: „ Welches Heil wird von wem erwartet?“
Geht es um gesundheitliche Besserung, seelische Gesundung oder gar kosmische Erlösung? Soll dies mit Mitteln der Schöpfung erfolgen oder wird die Hilfe von „der Natur“, „dem Kosmos“, einer unpersönlichen „Energie“ oder von Gott erwartet?
Solange lediglich gesundheitliche Besserung mit Mitteln der Schöpfung (z. B. Heilpflanzen) gesucht wird, sind kaum Probleme zu erwarten. Wenn der Anspruch aber steigt, Körper und Seele heil werden sollen während sich die Erwartungshaltung auf kosmische Energien gleichsam als Ersatz für Gott richtet, gerät dies in Spannung zur biblisch-christlichen Überlieferung. Eine Prüfung anhand dieser Leitfragen kann nur im Einzelfall erfolgen und kann durchaus differenzierte Resultate erbringen. So ist z. B. die Homöopathie an sich mit keiner besonderen Weltanschauung verknüpft und daher „religiös neutral“. Allerdings ist die Homöopathie auch integraler Bestandteil der anthroposophischen Medizin. Daher sind zahlreiche homöopathisch behandelnde Mediziner zugleich Anthroposophen, wobei deren weltanschauliche Voraussetzungen das Behandlungskonzept dann mit prägen. Ähnliche Aufmerksamkeit ist z. B. bei Yoga gefordert. Seiner Herkunft nach stellt Yoga (ähnlich wie viele asiatische Kampfsportarten) keine Gesundheitsübung dar, sondern ist Bestandteil eines religiösen Heilsweges, auf dem die Körperbeherrschung zur Beherrschung des Geistes führen soll. In Europa kommt davon allerdings mitunter nur der Gymnastikeffekt an. Wer ein paar Yogaübungen zur Steigerung seiner körperlichen Fitness betreibt, nimmt damit noch keine andere Religion an. Wer aber einmal die Zeitschrift „Yoga aktuell“ durchblättert, hat keine Zweifel mehr an der zutiefst hinduistischen Prägung vieler Yogalehrer, für die diese Übungen dann doch deutlich mehr als nur Sport darstellen. Der Umgang mit esoterischen Angeboten und esoterisch geprägten Menschen stellt viele Gemeinden vor große Herausforderungen. Aber es ist notwendig sich ihnen zu stellen und auch auf diese Menschen zuzugehen, ohne dabei die eigene Botschaft aus dem Blick zu verlieren.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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