Rudolf Steiners Äußerung über „verrückte Ochsen“

[…] Nun ißt ja der Mensch fortwährend. Er ißt Tierisches, und er ißt Pflanzliches. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Es fällt mir gar nicht ein, irgendwie zu agitieren für diese oder jene Nahrungsweise, sondern ich sage nur, wie sie wirkt. Und es ist oftmals vorgekommen, daß Vegetarier zu mir gekommen sind und gesagt haben, sie fühlen sich manchmal so zu einer leisen Ohnmacht geneigt und so weiter, und da sagte ich ihnen: Ja, das rührt eben davon her, daß Sie kein Fleisch essen. […]

Sie wissen ja, es gibt Tiere, die sind einfach gute vegetarische Wesen. Es gibt doch Tiere, die kein Fleisch essen. Sagen wir also zum Beispiel unsere Kühe, die essen kein Fleisch. Pferde sind auch nicht auf Fleisch erpicht; die fressen ja auch nur Pflanzen. Nun müssen Sie sich klar sein: Das Tier, das schoppt nicht bloß immer die Nahrung in sich hinein, sondern es stößt auch fortwährend das, was in seinem Körper ist, heraus. […]

Also betrachten Sie eine Kuh oder einen Ochsen: Ja, wenn Sie ihn nach Jahren betrachten, so ist ja das Fleisch, das in ihm drinnen ist, ein ganz anderes. Beim Ochsen ist es etwas anders als beim Menschen; es geht das Auswechseln sogar schneller. Es ist also ein anderes Fleisch da. Woraus ist aber das Fleisch geworden? Das müssen Sie sich fragen. Das ist ja aus lauter Pflanzenstoffen geworden! Der Ochse hat selber aus Pflanzenstoffen Fleisch in seinem Körper erzeugt. Das ist ja das Allerwichtigste, was man dabei bedenken muß. Also der tierische Körper ist imstande, aus dem Pflanzlichen Fleisch zu machen.

Nun, meine Herren, Sie können Kohl noch solange kochen, dann kriegen Sie noch immer kein Fleisch daraus! Das gibt es nicht, daß Sie Fleisch kriegen in Ihrer Pfanne oder in Ihrem Haferl! Ebensowenig hat schon jemals einer einen Kuchen gebacken so, daß daraus Fleisch geworden ist. Also das kann man nicht durch äußere Kunst machen. Aber, im Grunde genommen, im tierischen Körper wird das gemacht, was man äußerlich nicht machen kann. Es wird eben einfach Fleisch erzeugt im tierischen Körper. Ja, dazu müssen die Kräfte eben erst im Körper sein. Unter unseren technischen Kräften haben wir keine solchen, durch die wir einfach aus Pflanzen Fleisch machen können. Das haben wir nicht. Also in unserem Körper und im tierischen Körper sind Kräfte, welche aus Pflanzensubstanz, Pflanzenstoffen Fleischstoffe machen können. […]

Wenn die Kuh oder der Ochse diese Pflanze frißt, dann wird sie in ihm zu Fleisch. Das heißt, er hat die Kräfte, durch die er aus dieser Pflanze Fleisch machen kann, in sich.

Nun denken Sie sich, diesem Ochsen fällt es auf einmal ein, zu sagen: Das ist mir zu langweilig, daß ich da herumgehen und mir erst diese Pflanzen abbeißen soll. Das kann für mich ein anderes Vieh machen. Ich fresse gleich dieses Vieh! Nun schön, der Ochse würde anfangen Fleisch zu fressen. Aber er kann doch das Fleisch selber erzeugen! Er hat die Kräfte dazu in sich. Was geschielt also, wenn er statt Pflanzen Fleisch direkt frißt? Er läßt die ganzen Kräfte ungenützt, die in ihm Fleisch erzeugen können! Wenn Sie irgendwo eine Fabrik sich denken, durch die irgend etwas erzeugt werden soll, und Sie erzeugen nichts, aber bringen die ganze Fabrik in Tätigkeit - denken Sie sich einmal, was da für Kraft verlorengeht! Es geht ja ungeheure Kraft verloren. Aber, meine Herren, die Kraft, die im tierischen Körper verlorengeht, die kann ja nicht einfach verlorengehen. Der Ochse ist endlich ganz angestopft von dieser Kraft; die tut etwas anderes in ihm, als aus Pflanzenstoffen Fleischstoffe zu machen.

Diese Kraft, die bleibt bei ihm, die ist ja da. Die tut etwas anderes in ihm. Und das, was sie tut, das erzeugt in ihm allerlei Unrat. Statt daß Fleisch erzeugt wird, werden schädliche Stoffe erzeugt. Der Ochse würde also, wenn er anfangen würde, plötzlich ein Fleischfresser zu werden, sich mit allen möglichen schädlichen Stoffen ausfüllen. Namentlich mit Harnsäure und mit Harnsäuresalzen würde er sich ausfüllen.

Nun haben solche Harnsäuresalze nämlich auch ihre besonderen Gewohnheiten. Die besonderen Gewohnheiten der Harnsäuresalze sind, daß sie eine Schwäche haben gerade für das Nervensystem und für das Gehirn. Und die Folge davon würde sein, wenn der Ochse direkt Fleisch fressen würde, daß sich in ihm riesige Mengen von Harnsäuresalzen absondern würden; die würden nach dem Gehirn gehen und der Ochse würde verrückt werden. Wenn wir das Experiment machen könnten, eine Ochsenherde plötzlich mit Tauben zu füttern, so würden wir eine ganz verrückte Ochsenherde kriegen. Das ist so der Fall. Trotzdem die Tauben so sanft sind, würden die Ochsen verrückt werden. […]

Nun, meine Herren, das geht natürlich auf den Menschen über. Es ist sehr interessant in der Geschichte: Ein Teil der Bevölkerung von Asien ißt streng vegetarisch. Das sind nämlich sanfte Leute, die wenig Krieg führen. Erst in Vorderasien hat man angefangen Fleisch zu essen, und da begann auch die Kriegswut. Und die Sache ist diese, daß einfach diejenigen asiatischen Völker, die also kein Fleisch essen, die Kräfte, die sonst unverbraucht gelassen werden, um Umwandeln von Pflanzenstoffen in Fleischstoff verwenden. Und die Folge davon ist, daß sie sanft bleiben, währenddem die anderen Völker, welche Fleisch essen, eben nicht so sanft bleiben.

(aus Rudolf Steiner: Über Gesundheit und Krankheit – Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen Sinneslehre, 14. Vortrag Dornach, 13. Januar 1923 vor den Arbeitern am Goetheanumbau, GA 348, S. 256-259).

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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