Kosmische Reinigung
In Seelsorgegesprächen, Gedenkfeiern und -gottesdiensten haben Geistliche vieler Religionen mit diesen Fragen gerungen und das Unfassliche artikuliert. Die tosenden Naturgewalten zeigen uns die menschliche Begrenztheit und lassen uns über die Verborgenheit Gottes rätseln.
Gesetz der Vergeltung
Es gibt aber auch Stimmen, die meinen ganz genau zu wissen, dass es so kommen musste und wer daran Schuld sei. „Gott hat rechtzeitig gewarnt“ heißt es zu diesem Thema beim „Universellen Leben“. Auf der Internetseite des UL wird die Katastrophe zum Anlass genommen, wieder einmal heftig gegen die „Vatikan-Kirche“ und die „Luther-Kirche“ zu polemisieren. Die Ratlosigkeit der Theologen sei eine logische Folge der Tatsache, dass auf dem Konzil zu Konstantinopel 533 die Reinkarnationslehre verurteilt wurde.1 „Die Folge war, dass auch das Gesetz von Ursache und Wirkung, von Saat und Ernte, aus der Kirchenlehre verschwand, obwohl es sogar wörtlich noch in der Bibel zu finden ist.“ (Gal. 6,7) „Aufgrund der Verfälschung der Lehre Christi weiß der Mensch deshalb nicht, dass die Katastrophen der Erde das Spiegelbild der Katastrophe Mensch sind.“
Gott hat rechtzeitig gewarnt
Gott habe keine Geheimnisse, heißt es beim UL. „Er schickt auch keine Katastrophen - im Gegenteil: Gott hat rechtzeitig gewarnt!“ Durch Gabriele, seine Prophetin und Botschafterin, habe er Mahnungen an die Menschheit unüberhörbar verkündet. Was dann folgt, sind eher wirre und sehr allgemeine Visionen apokalyptischer Katastrophen aus über 20 Jahren „prophetischer“ Tätigkeit von Gabriele Wittek. Kostproben: „Wahrlich; wahrlich, Ich sage euch: Die Zeit ist nahe, wo die Wasser viele Menschen hinwegnehmen werden, wo sich der Planet Erde aufbäumt und alles verschlingt, was ihm habhaft wird. Und es wird sein, dass die Wasser viele Teile der Erde reinigen.“ Dies wurde 1984 „angekündigt“. Aus 1993 wird eine ähnliche Ansage einer kosmischen Katastrophe zitiert: „Das Magma erhitzt sich mehr und mehr, und dadurch kommt vieles in Bewegung. Die Erde erhitzt sich. Das Eis schmilzt. Die Fluten kommen, und die Stürme leiten sie ein.“ Der Tsunami resultierte allerdings nicht aus geschmolzenen Polkappen, wie hier angedeutet. Auf dem Höhepunkt der BSE-Krise 2001 hatte Frau Wittek ihre bislang letzte größere „Offenbarung“ veröffentlicht, die in diesem Zusammenhang noch einmal komplett wiedergegeben wurde.2
Zynismus
Das hört sich auf jeden Fall dramatischer an als die fragenden und zurückhaltenden Stellungnahmen der Kirchen. Beim UL gibt es für alles eine Erklärung, auch für das Unerklärliche. Aber wenn man es sich konkret vorzustellen versucht, zeigt sich der arrogante Zynismus einer solchen Betrachtungsweise. Welche Menschen haben denn genau die Schuld begangen, die zu dieser Katastrophe geführt haben soll? Die Opfer in Asien? Haben sie sich also nur ihre verdiente Strafe zugezogen? Oder sind die Europäer gemeint, die nicht rein vegetarisch leben, wie es Prophetin Gabriele fordert? Warum war dann aber die Flut dort und nicht hier? Ist das die ausgleichende Gerechtigkeit des Karmagesetzes?
Es zeugt weder von einer sehr hochstehenden Reife, noch von einer engen Verbindung mit „dem Gottesgeist“, wenn solch leidvolle Katastrophen zur billigen Polemik gegen andere Glaubensrichtungen missbraucht werden.
Germanische Götter-Gerechtigkeit
Auch der Gründer der Germanischen Glaubensgemeinschaft, Allsherjargode Géza von Neményi, äußerte sich in seinem Forum zu den vermeintlichen Ursachen der Tsunami-Katastrophe, und liefert dabei seine eigene karmische Deutung:
„Ich habe die Götter nach dem Grund der Katastrophe gefragt. Für die Inder und andere Völker gilt, daß sich hier ein Volkskarma auswirkt und eine Phase der Wiedergeburt der Menschen eingeleitet wird. Der Tod ist ja an sich keine Bestrafung, sondern unser aller Schicksal, seien wir nun Heilige, oder Mörder. Der Tod aber von Verwandten und Freunden ist für die Lebenden immer eine Strafe. Der frühe Tod von kleinen Kindern ist dabei eine Bestrafung der Lebenden; sie sollen durch diesen Tod zu einem andern Denken gebracht werden.“3
Den Urlaubern wirft Géza von Neményi vor, die heidnischen und christlichen Feiertage nicht beachtet und sich damit den Zorn der Götter zugezogen zu haben. „Sie setzten sich auch nicht mit Tod, Kälte und Winter auseinander, sondern flohen aus ihrer germanischen und celtischen Heimat, um sich stattdessen faul in der tropischen Sonne zu wälzen und sich in Luxushotels ihrem eigenen Vergnügen zu widmen. [...] Darum helfen ihnen auch die Götter nicht mehr, und so können dann die götterfeindlichen Mächte (Erdbeben werden ja von Loki ausgelöst, Flutwellen von Lokis Tochter, Jörmungandr) frei schalten und walten. Der Mensch muß lernen, daß er ohne die Götter und deren Schutz eben nicht leben kann, auch wenn er es gerne will. Diejenigen, die das verstanden haben und danach handeln, die werden immer vor solchen Katastrophen verschont bleiben.“
Diese Äußerungen haben auch innerhalb der neuheidnischen Szene heftige Diskussionen und Proteste ausgelöst. „Kaum zu glauben, die Ängste der Fundi-Christen auf ‚heidnisch‘! ‚Bereuet, Ragnarök ist nah!‘“ war als Kommentar in einem anderen Forum zu lesen.4
Melek Metatron: Die Seelen haben der Reinigung zugestimmt
Das „Zentrum für Bewusstseinsarbeit“ Kryonschule im bayerischen Rosenheim geht noch weiter. In der Gemeinschaft werden vorrangig die esoterischen Kundgaben des Geistwesens „Kryon“ ausgewertet, aber auch andere Wesenheiten kommen durch die Anhänger zu Wort. Als „Beginn der Reinigung“ überschrieb „Melek Metatron“ sein Channeling vom 29. 12. 2004 zum Seebeben:
„Ich weiß, dass Millionen Menschen von den Seebeben und den damit verbundenen Folgen schockiert und in ihrem Herzen tief bewegt sind. Ihr seht die Bilder der Zerstörung und obwohl es euch von uns vorausgesagt wurde, nehmt ihr das als Naturkatastrophe wahr und verfällt in tiefes Mitleid.
Doch ich, Melek Metatron, der Herr der Heerscharen sage euch: Das ist dem Bewusstsein von Lady Gaia nicht dienlich! Es wurde euch bereits in vielen Channelings vorausgesagt, dass sich Mutter Erde von alten und negativen Gedankenmustern, die die Menschen in tausenden von Inkarnationen auf Lady Gaia abgeladen haben, befreien muss. Stelle dir vor, wenn du die Bilder des Schreckens siehst, dass diese Seelen zugestimmt haben, zu gehen und somit ihren Auftrag erfüllen. Manche Seelen haben nur zu diesem einen Zweck inkarniert und hatten somit einen großen Auftrag.“5
Diese „erste große Reinigung“ sei außerdem erst der Anfang, zwei weitere Phasen werden noch folgen. Doch das sei kein Grund zum Schrecken, denn all dies diene ja einem guten Zweck. So sieht Metatron nicht die hunderttausenden Toten, sondern ausschließlich andere Wirkungen: „Auf der ganzen Welt gibt es Menschen, die sich durch dieses Ereignis spirituell entwickeln werden und sich so energetisch erhöhen. Die Herzen der Menschen werden geöffnet und die Liebe kann fließen.“ „Versucht aber auf keinem Fall, das Kommende abzuhalten. Lasst zu, dass der planetare Aufstieg vorangeht.“
Leid negieren macht trostlos
Was ist das für ein Glaube, der Leid und Not so vollständig weginterpretiert, dass einem ob der daraus resultierenden esoterisch verbrämten Gefühlskälte Angst werden kann. Das Dogma des positiven Denkens darf dort auch durch grausame Naturkatastrophen nicht angefochten werden. Wer Gott zu einem unpersönlichen kosmischen Harmonieprinzip verkrüppelt, kann offenbar mit dem Leid in der Welt nicht mehr umgehen. Das zeigt sich an den Äußerungen des Universellen Lebens, wo Gott per Definition auf das reine Liebeswesen festgelegt und vom bösartigen „Rachegott des Alten Testamentes“ getrennt werden soll. Das ist noch deutlicher in den Channelingbotschaften von Kryon und seiner Umgebung, in der das Leid nicht einmal mehr wahrgenommen werden und Mitleid hervorrufen darf.
Wie anders ist da doch der christliche Gott, der selbst als Mensch zu den Menschen gekommen ist, um das Leid auf sich zu nehmen. Mag der gekreuzigte Christus auch immer ein Ärgernis der menschlichen Erfolgsgesellschaft bleiben - als derjenige, der im Leiden den Sieg über den Tod errungen hat, kann er uns auch in der Not Trost und Hilfe sein.
1. Diese Behauptung ist in der Esoterik-Szene sehr populär, aber falsch. In Konstantinopel 533 ging es nicht um die Reinkarnationslehre, sondern um Origenes, der u.a. die Präexistenz der Seele vertreten hatte. Vgl. Confessio 6/2003, 11.