Was kommt nach dem Tod?
Auf dem Markt der religiösen Gegenwart stellt die Vorstellung wiederholter Erdenleben (Reinkarnation) eines der am meisten nachgefragten Angebote dar. Das gilt auch für den christlichen Raum, in dem es immer wieder Versuche gibt, beides miteinander zu verbinden. Im Zentrum Weltanschauungsfragen auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München äußerten sich zu diesem Themenkreis der Buddhist Dr. Alfred Weil, Vorsitzender der Deutschen Buddhistischen Gesellschaft und der Theologieprofessor Dr. Walter Sparn (Erlangen).
Buddhismus: Karmisches Erleben
Die buddhistische Sicht auf Tod und Sterben ist weniger körperorientiert als die westliche, sondern mehr auf das Erleben und die Wahrnehmung bezogen. Dabei wird vorausgesetzt, dass mit dem Tod zwar die physischen Prozesse beendet werden, nicht aber die Wahrnehmung. Eine subtile Persönlichkeit, die den groben Sinnen nicht wahrnehmbar und mit einer starken Geistigkeit verbunden ist, zieht sich beim Sterben wie ein Schwert aus einer Scheide. Die Hülle (physischer Körper) bleibt zurück. Das Eigentliche aber stellt nicht die Hülle, sondern ihr Inhalt dar. Diese subtile Geistpersönlichkeit kann nach dem Tod aus buddhistischer Sicht fünf verschiedene Formen des Erlebens haben: entweder eine erneute menschliche Form, oder eine tierische Form, eine untermenschliche Form (diese verglich Dr. Weil mit der christlichen Höllenvorstellung), eine übermenschliche Form, die intensives Glückserleben beinhaltet (wie in der christlichen Paradiesvorstellung) und ein buddhistisches Gespensterreich.
Das Dasein in jeweils einer dieser Existenzformen gilt als anfanglos. Es gibt in der buddhistischen Sicht keine Schöpfung. Alles Existierende bestehe schon immer, es wechselt nur seine Form. Aufgrund der endlosen Vergangenheit sei jeder andere Mensch irgendwann in früherer Zeit bereits auch einmal der eigene Vater, Mutter, Bruder oder Schwester gewesen. Der Tod sei lediglich eine Wendemarke.
Die Karmalehre trägt in dieses System ein zwingendes Verhältnis von Ursache und Wirkung ein: Das frühere Handeln bestimmt das jetzige Erleben. Wer voll Zorn gelebt hat, wird eine Welt erleben, die davon geprägt ist. Wer hingegen eine liebevolle Haltung verinnerlicht hat, wird dieses finden.
Wo bleibt die Identität?
Offen blieb in dem Vortrag, was aus buddhistischer Sicht das bindende Glied ist, welches die verschiedenen gelebten Identitäten zu einer vereinigt. Auch die Diskussion konnte das nicht klären, denn dort wurde sogar noch betont, dass selbst während eines Lebens nichts identisch bleibt. Das alte Passbild zeigt einen anderen Menschen, mit anderen Erfahrungen, Gedanken, körperlicher Beschaffenheit und Wissen. So befinden sich alle Individuen in einem fortwährenden Wandlungsprozess. Der Ausgang daraus ist nicht das Erleben in der übermenschlichen Form des buddhistischen „Himmels“, denn diese sei endlich, wie ein Urlaub. Ziel im Buddhismus ist das Verlassen der Existenz, der Ausbruch aus dem Kreislauf der Wiedergeburten im Nirwana. Nirwana wird beschrieben als Ende allen Leidens, als Ende jeder Unvollkommenheit und damit das höchste denkbare Wohl. Solches ist nicht selbst machbar. Aber es bleibt übrig, wenn man alles Unvollkommene ablegt, so wie Stille selbst nicht „machbar“ ist, aber übrig bleibt, wenn man alle Geräusche beendet. Da innerhalb der Welt des Bedingten nicht Freiheit zu finden sei, müsse auch die Vorstellung eines „Ich“ als Illusion erkannt und fallen gelassen werden – so Dr. Weil.
Christentum: persönliche Zusage Gottes
Prof. Walter Sparn konnte bei einigen grundlegenden buddhistischen Anschauungen eine starke Parallele zum Christentum feststellen: Christen glauben ebenso, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist, dass die persönliche Existenz über das Ende des physischen Körpers hinaus weiter geht. Der Glaube an Christus besagt in allen Formen die Teilhabe an seinem Weg durch Tod und Auferstehung. Das Ziel ist immer wieder in verschiedenen Bildern gefasst worden: Abrahams Schoß, Paradies, himmlisches Jerusalem etc. Auch dort sind die Menschen als Ich erkennbar. Die himmlische ist ebenfalls eine leibliche Existenz, selbst wenn sie sehr anders als die irdische ist.
Als Problem sah Prof. Sparn, dass der Rahmen der christlichen Auferstehungshoffnung in der Neuzeit weggebrochen ist. Die Vorstellung, dass die Welt alt geworden ist und der Tag des Gerichtes nahe bevorsteht, bestimmte nicht nur die ersten Christen. Bis ins 18. Jahrhundert spielte die apokalyptische Erwartung ein wichtiges Element in der Weltanschauungshoffnung. In der Moderne ist dies weitgehend weggefallen. Bei Lessing wurde die Wiederverkörperung von der leidvollen karmischen Verknüpfung zur Chance auf persönliche Höherentwicklung und Perfektionierung uminterpretiert. Mit diesem Reinkarnationsglauben, der das Karma als positive Leistungsbilanz ansieht, ist das Christentum nicht kompatibel, meinte Prof. Sparn. Dabei sei die Wiederverkörperungsvorstellung – obwohl dem Christentum fremd – an sich noch nicht grundsätzlich dem Glauben widersprechend, denn aus der Perspektive des jüngsten Gerichtes könnten die verschiedenen Lebensläufe als eine Einheit wahrgenommen werden. Wenn der Buddhapfad die Umgestaltung zur Barmherzigkeit und Erlösung aller zum Ziel hat, könne er sogar bessere Wirkungen hervorbringen, als ein Christentum, das den persönlichen Heilsindividualismus zum höchsten Ziel erhoben hat. Die buddhistische Rede vom Nirwana liegt der christlichen Rede von der Ewigkeit Gottes sogar näher, als die moderne westliche Vorstellung einer ewigen Zeit. Diese äußerlichen Fragen sind nicht entscheidend, sondern es geht um das Heilsziel der jeweiligen Religionen. Das Christentum ist ganz klar keine Form der Selbsterlösung oder Selbstvergottung. Christliches Selbstverständnis ist unmittelbar mit der Auferstehungshoffnung verknüpft und speist sich aus der persönlichen Zusage Gottes: Ich bin geliebt. Was ich wirklich bin, ist das, was Gott mir zugesprochen hat. Das gilt über den Tod hinaus.
Die Veranstaltung zeigte in bestimmten Bereichen eine erstaunlich große Nähe zwischen Buddhismus und Christentum, nicht nur in der Beschreibung der Zeitlosigkeit, sondern auch im Blick auf bestimmte Aspekte der Sünde: Die Konkupiszenz, das egoistische Begehren und das Für-sich-selbst-haben-Wollen, kann auch aus christlicher Sicht als Ursache großen Übels erkannt werden. Deutliche Gegensätze zeigen sich aber in der Grundausrichtung: Buddhisten arbeiten am Verlöschen ihrer als leidvoll charakterisierten Existenz. Christen leben aus einer positiven Einschätzung des Ich (einschließlich des Grobkörpers) weil es aus dem Willen und der persönlichen Zusage Gottes entspringt, wie es z.B. in dem Bibelwort deutlich wird: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ (Jes. 43,1). An dieser Stelle besteht – so Prof. Sparn – ein „völliger Gegensatz“.