Von dort wird er kommen…
Endzeit ist populär. Das hängt nicht nur an dem missverstandenen und mit viel Halbwissen vermarkteten Maya-Kalender. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Gedanke an ein erwartetes und möglicherweise gar nicht mehr so fernes Ende der bestehenden Welt und ihrer Verhältnisse dem abendländischen Denken eingestiftet ist. Im Bereich der fernöstlichen Religionen des Hinduismus und Buddhismus sowie bei etlichen Naturvölkern dominiert eine zyklische Vorstellung von der Zeit: Alles wiederholt sich in großen kosmischen Perioden. Im Judentum, Christentum und im Islam dominiert hingegen ein lineares Verständnis der Zeit: Sie hat einen Anfang in der Schöpfung der Welt und diese Welt läuft auf ein Ziel hin. Dieses Ende ist in der christlichen Vorstellung eng verbunden mit der Erwartung der sichtbaren Wiederkunft Christi. An verschiedenen Stellen in der Bibel wird in Bildern die kommende Herrlichkeit angedeutet. An anderen Stellen wird von endzeitlichen Drangsalen gesprochen. Weil sich daraus aber kein klares und eindeutiges Bild ergibt, ist die Suche nach einer angemessenen Deutung der biblischen Aussagen zur Endzeit in der Christenheit nicht zur Ruhe gekommen. Grund genug für den Evangelischen Bund Sachsen, bei der 9. Begegnungstagung mit pfingstlich-charismatischen Gemeinden das Thema der christlichen Endzeitvorstellungen einmal näher unter die Lupe zu nehmen und sich darüber im Gespräch auszutauschen.
Johannesoffenbarung als Endzeitfahrplan?
Im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen Christen jeden Sonntag auch ihre Erwartung der Wiederkunft Christi: „…von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Was bedeutet unsere Frage nach der Zukunft - und die nach der Vergangenheit - im Angesicht der Ewigkeit Gottes? Welche Bedeutung hat der Faktor „Zeit“ überhaupt in Bezug auf Gott? Diese einleitenden Fragen stellten sich zugleich als zentraler Schlüssel in der Deutung der Johannesoffenbarung heraus, die OKR Karl-Ludwig Ihmels in seinem exegetisch geprägten Beitrag zum Auftakt der Begegnung vorstellte.
Betrachtet man die Gliederung der Offenbarung, so kann man eine deutliche Strukturierung in mehreren 7er-Zyklen entdecken: 7 Siegel, 7 Posaunen, 7 Schalen, wobei jeweils nach den ersten 6 Elementen eine Unterbrechung mit einem Einschub erfolgt. Die entscheidende Frage, die aus der Beobachtung entsteht: Will die Offenbarung damit wirklich kommende geschichtliche Abläufe schildern, die so aufeinander folgen, wie es ein bedeutender Teil der Ausleger in der Geschichte immer wieder angenommen hat? Schließlich wäre es absolut ungewöhnlich, wenn sich geschichtliche Entwicklung in solcher Weise symmetrisch geordnet vollzieht. Oder – so das Plädoyer von Ihmels – ist diese Strukturbildung nicht vielmehr ein Hinweis darauf, dass dreimal das gleiche Geschehen aus verschiedenen Perspektiven berichtet wird. Es geht also weniger um den Ablauf der Geschichte, sondern entscheidend um die Deutung und das Ziel der Geschichte.
Doppelurkunde klärt Machtfrage
Für diese Sichtweise spricht auch die Thronvision aus Offb. 4,1-6, die allem weiteren den Rahmen gibt. Aus ihr geht hervor, dass Johannes seinen Standort verändert hat. Er war – ob auch physisch oder nur geistig spielt da keine Rolle – im Himmel, in der Sphäre Gottes und berichtet das dort Geschaute, für welches ihm aber immer wieder die irdischen Begriffe fehlen, so dass er nach vergleichenden Bildern sucht („…ich sah etwas wie…“).
Schließlich ist die Deutung des „Buches mit 7 Siegeln“ von Bedeutung, das als innen und außen beschriebene Schriftrolle vorgestellt wird, welche an einen würdigen Empfänger übergeben werden soll. Gängige Deutungen dafür sind 1) das Buch der Weltgeschichte (nach jeder Siegelöffnung geschieht etwas) oder 2) das Buch des Lebens (gemäß Offb. 3,5). Bei jeder dieser Deutungen bleiben Fragen offen: Warum ist sie versiegelt? Warum soll sie übergeben werden? Warum weint Johannes?
Die Lösung liegt im Verständnis der Schriftrolle als antiker Doppelurkunde, wie sie als Sicherungsform bei bedeutenden Rechtsgeschäften (Testament, Machtübertragung etc.) üblich war. Der Text stand fälschungssicher im Inneren der Rolle, die wesentlichen Punkte sind außen darauf lesbar zusammengefasst und der Inhalt wird mit Siegeln gegen Manipulation geschützt. Die Siegel werden nur gebrochen, wenn der Inhalt zweifelhaft erscheint und angefochten wird. Somit zeigt diese Schriftrolle die eigentliche Intention der Johannesoffenbarung: Sie schildert die Machtfrage. Johannes sieht, dass Jesus von seinem Vater die Macht übertragen bekommt. Der Widersacher zweifelt das an. Darum werden die Siegel gebrochen. Je näher die Öffnung des letzten Siegels und damit die Aufdeckung der Wahrheit tritt, desto wilder gebärdet er sich.
Gegen eine Deutung der Johannesoffenbarung als Vorankündigung künftiger Ereignisse in linearer Zeitvorstellung spricht noch ein weiteres Detail: In Offb. 5,5 und 22,16 wird Jesus als „Wurzel Davids“ bezeichnet. Das ist auf den ersten Blick unlogisch, weil der historische Verlauf ja gerade andersherum ist: Jesus gilt entsprechend der biblischen Genealogien als ein (entfernter) Nachkomme von König David. Diese Umkehrung verweist aber eben darauf, dass Zeit eine irdische Größe ist. Im Blick auf Gottes Ewigkeit (die eben nicht einfach nur „unheimlich lange Zeit“ bedeutet), fallen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Davon hat Johannes einen Eindruck erhaschen können und bemüht sich in mehreren Anläufen, etwas von dem, was er geschaut hat, in menschliche Sprache zu übersetzen: Entgegen dem äußeren Anschein der leidenden und verfolgten Gemeinde ist die Machtfrage längst geklärt.
Warum wollen Menschen immer wieder Endzeitfahrpläne haben, obwohl die biblische Warnung vor Berechnungen so drastisch ausfällt, dass nicht einmal der Sohn den Zeitpunkt wissen darf? Ihmels verweist auf Fehlentwicklungen, welche die menschliche Ungeduld an dieser Stelle hervorbringt: Die einen verfallen in Aktivismus und versuchen krampfhaft, noch die letzten Heidenvölker mit Verkündigung zu versorgen, damit endlich der Herr wiederkommen kann. Die anderen wenden sich hingegen dem Fatalismus zu und negieren z. B. die Bemühungen um Umweltschutz und Begrenzung der Klimaerwärmung, weil ja ohnehin alles demnächst zu Ende geht.
Missverständnis „Entrückung“
Zu einer strengen Auslegungshygiene, die nicht mehr sagt, als die Quelle sagt, mahnte Dieter Hampel vom Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) in seinem Referat über die Bedeutung neutestamentlicher Prophetie. Aus der Fülle der vorgetragenen biblisch-exegetischen Untersuchungen können hier nur einige ausgewählte Punkte dargestellt werden. Wie ein roter Faden zog sich durch die zahlreichen mit philologischer Akribie zusammengetragenen biblischen Beobachtungen die theologische Kritik an der gängigen Vorstellung der Entrückung. So seien ganze Theologiegebäude auf eine fehlübersetzte Präposition in Offb. 3,10 gegründet worden. Dort heißt es eben nicht, die Treuen sollten bewahrt werden „vor“ der Stunde der Versuchung, sondern „in“ der Stunde der Versuchung. Schließlich bittet Jesus im Hohepriesterlichen Gebet Joh. 17,15 auch darum, dass die Seinen nicht aus der Welt genommen würden, sondern in der Welt bewahrt werden. So gibt es analog dazu eine Fülle biblischer Zeugnisse der Bewahrung in erlittenen Drangsalen. Bereits Israel wurde inmitten der Plagen bewahrt (die eben nicht erst aufgetreten sind, als die Israeliten weg waren), sondern es überlebten alle, die sich unter den Schutz des Blutes eines Lammes gestellt hatten. So wird auch der Tag des Herrn kein heimlicher Tag mit einer heimlichen Entrückung sein, sondern ein Vollendungstag, der allgemein erkennbar ist.
Wer holt wen ab?
Die manchem lieb gewordene Vorstellung, dass Jesus kommt und sich gleich bei seiner Ankunft klammheimlich um 180 Grad wendet, um wieder zu verschwinden und dabei seine Gemeinde mitzunehmen, kann Dieter Hampel nicht im Neuen Testament begründet finden. Im Gegenteil: Der Begriff der Parusie benennt in der Antike die Reise eines Herrschers, der eine Stadt besucht, um dann dort bei ihnen zu sein. Dazu gehen ihm die treuen Anhänger entgegen vor das Stadttor zur Begrüßung. Entrückung bedeutet folglich nicht, dass die Gemeinde aus der Welt gerissen wird, sondern dass das Volk Gottes Christus entgegen kommt, um dann mit ihm zusammen in die Stadt zu ziehen. Titus besuchte Paulus nicht, um Paulus abzuholen, sondern um bei ihm zu bleiben. Der Bräutigam kommt, aber nicht um gleich mit der Braut zu verschwinden, sondern die Jungfrauen gehen ihm entgegen, um dann mit ihm gemeinsam zur Braut zu gehen und dort zu feiern (Mt. 25). Entrückung bedeutet folglich nicht die heimliche Flucht aus der Welt, sondern Bewahrung in einem sich antichristlich gebärdenden Bereich, um dann gemeinsam mit Christus offenbar zu werden.
Heilsgeschichte statt Geschichte
Weitere Beiträge auf der Tagung vertraten andere Akzentsetzungen und zum Teil auch gegensätzliche Auffassungen. So plädierte Alf Mudrich, Leiter der inzwischen dem BFP angeschlossenen Josua Gemeinde in Bautzen, dafür, die Offenbarung des Johannes doch als eine Vorhersage von bestimmten Abläufen zu deuten. Auch die Vorstellung der Entrückung sollte seiner Meinung nach nicht ganz zu den Akten gelegt werden, weil Jesus die Seinen vor dem Zorn Gottes bewahrt. Allerdings räumte auch er ein, dass die Entrückung kein Ausweichmanöver sein könne, um von Drangsalen nichts abzubekommen. Auch nach seiner Meinung schreibt die Bibel in erster Linie Heilsgeschichte, nicht Geschichte.
Gesamtbiblische Symbolwelt
Andreas Hornung, der u.a. in der Geistlichen Gemeindeerneuerung in Glauchau aktiv ist, schilderte sein Verständnis der Offenbarung des Johannes als Zusammenschau biblischer Endzeitprophezeihung. Als letztes biblisches Buch werde in ihr die Symbolwelt des gesamtbiblischen Kontextes verwendet. Insbesondere in den Angaben der 70 Jahrwochen im Buch Daniel sah er einen Schlüssel zum Verständnis aller Endzeitprophezeihungen der Bibel. Hermeneutische Grundthese hinter diesem Vorgehen ist die Auffassung, dass die Bibel in ihrer kanonisierten Form als Ganzes vom Heiligen Geist inspiriert ist und darum auch Auslegungen legitimiert seien, welche die Grenzen der biblischen Bücher und der Jahrhunderte ihrer Abfassung überspringen. Statt eines „Endzeitfahrplans“ wollte er lieber von einer „notwendigen Abfolge der Ereignisse“ sprechen und sah auch in der Entrückung ein dem Kommen Christi vorgelagertes Ereignis.
Trostbuch für Bedrängte
In der Diskussion wurde deutlich, dass eine besondere Stärke der Johannesoffenbarung darin besteht, dass zu den verschiedensten Zeitepochen immer wieder aus ihr Trost geschöpft werden kann. Der sonntägliche Gottesdienst – so unscheinbar er auch sein mag – ist eine Beteiligung an der himmlischen Feier der Schar der Erlösten, wie sie dort geschildert wird.
Im Rückblick bestätigte diese Tagung einmal mehr eine häufige Erfahrung ökumenischer Arbeit: Die Trennlinien zwischen Meinungen und Diskussionsparteien verlaufen immer weniger entlang der der eigentlichen Konfessionsgrenzen, sondern ganz häufig quer zu diesen. Verständigung im theologischen Gespräch hängt offenbar nicht so sehr davon ab, zu welcher Organisation oder Gemeinschaft jemand gehört, sondern welche hermeneutischen Zugangsweisen vertreten werden. Diesbezüglich besteht sowohl im Bereich der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens als auch bei den Pfingstgemeinden ein deutliches Spektrum der Meinungen und Zugänge. So bleibt die Begegnung immer wieder spannend, aber auch gewinnbringend.